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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Johann vom Kreuz

gestellt; aber wer möchte der Wissenschaft das Recht einräumen, daraus zu
folgern, daß die Perle nichts Schönes sein könne?" Daß sich Gott der
Krankheit bedient, um in der Seele gewisse Wirkungen hervorzubringen, ist
ja eine bekannte Erfahrung.

Worin besteht nun der Wert jener Erscheinungen? Religion ist bewußter
Verkehr mit dem Weltgrunde. Solcher Verkehr setzt voraus, daß auch der
Weltgrund bewußt, daß er Gott ist, denn mit dem "König Umschwung", den
die Sophisten an des Zeus Stelle gesetzt haben, kann man sich nicht unter¬
halten; unsre heutigen Sophisten, die behaupten, man könne Religion haben,
ohne einen Gott zu haben, hat schon Aristophanes durch den Mund seines
Strepsiades verspottet. Soll demnach Religion herrschen, so muß die Über¬
zeugung von der Existenz Gottes vorhanden sein. Die Religionsstifter und
Erneuerer waren Männer, die sich von der Realität einer jenseitigen Welt
überzeugt hatten und diese Überzeugung auf die Massen überströmen ließen.
Paulus wurde bis in den dritten Himmel entrückt -- ob mit dem Leibe, ob
außer dem Leibe, er wußte es nicht -- und vernahm dort Worte, "die aus¬
zusprechen einem Menschen nicht erlaubt ist". Luther und Calvin haben die
Realität des Jenseits ebenso erfahren wie Ignaz, Teresa und Johannes, wenn
gleich die Art, wie Gott sie diese Erfahrung gewinnen läßt, ihrer Eigenart
angepaßt und darum von der jener Spanier verschieden war. Und wenn die
Stimme, die den Ekstatischen Befehle erteilt, im Grunde genommen nur die
Stimme ihres eignen, seiner selbst und des einzuschlagenden Weges gewissen
Willens ist. so ist doch eben diese Selbstgewißheit ihres Willens, die sie zur
Erfüllung einer providentiellen Aufgabe befähigt, eine Wirkung dieser Providenz,
ganz ebenso wie die unerschütterliche Festigkeit Luthers, der alle Zweifel an
seiner Berufung durch Gott als teuflische Versuchungen verscheuchte. Die
unmittelbare Berührung mit dem Jenseits hat dann immer auch die sittliche
Energie neu belebt und ihr Schwungkraft verliehen, sodaß mit der religiösen
Erneuerung die sittliche Hand in Hand ging. Und wie leidenschaftlich die
Konfessionen einander hassen und bekämpfen mochten -- sie haben das Werk
der religiös-sittlichen Erneuerung Europas in Wechselwirkung miteinander
vollbracht. Die protestantische Reform rief die katholische hervor, die sich ihren
Urhebern als das Streben darstellte, die durch den "großen Abfall" gefährdeten
und schon Verlornen Seelen zu retten, und die Schriften der katholischen
Asketen haben lange Zeit hindurch fromme Protestanten zur Nachfolge gereizt.
Tersteegen, der Begründer der Frömmigkeit im Wuppertals, hatte vorzugsweise
Schriften katholischer Mystiker auf sich wirken lassen, darunter die der heiligen
Teresa. Ein Buch Tersteegens hat den Heinrich von Below auf Seehof im
Kreise Stolp "erweckt" und durch diesen jenen ganzen Kreis pommerscher
Junker, aus dem Johanna von Puttkamer in Bismarcks Haus kam. Auf die
Katholiken unsrer Zeit wirken die alten Mystiker und Asketen unmittelbar ein
durch ihre Schriften, die noch immer von ihnen fleißig gelesen werden, Solcher


Johann vom Kreuz

gestellt; aber wer möchte der Wissenschaft das Recht einräumen, daraus zu
folgern, daß die Perle nichts Schönes sein könne?" Daß sich Gott der
Krankheit bedient, um in der Seele gewisse Wirkungen hervorzubringen, ist
ja eine bekannte Erfahrung.

Worin besteht nun der Wert jener Erscheinungen? Religion ist bewußter
Verkehr mit dem Weltgrunde. Solcher Verkehr setzt voraus, daß auch der
Weltgrund bewußt, daß er Gott ist, denn mit dem „König Umschwung", den
die Sophisten an des Zeus Stelle gesetzt haben, kann man sich nicht unter¬
halten; unsre heutigen Sophisten, die behaupten, man könne Religion haben,
ohne einen Gott zu haben, hat schon Aristophanes durch den Mund seines
Strepsiades verspottet. Soll demnach Religion herrschen, so muß die Über¬
zeugung von der Existenz Gottes vorhanden sein. Die Religionsstifter und
Erneuerer waren Männer, die sich von der Realität einer jenseitigen Welt
überzeugt hatten und diese Überzeugung auf die Massen überströmen ließen.
Paulus wurde bis in den dritten Himmel entrückt — ob mit dem Leibe, ob
außer dem Leibe, er wußte es nicht — und vernahm dort Worte, „die aus¬
zusprechen einem Menschen nicht erlaubt ist". Luther und Calvin haben die
Realität des Jenseits ebenso erfahren wie Ignaz, Teresa und Johannes, wenn
gleich die Art, wie Gott sie diese Erfahrung gewinnen läßt, ihrer Eigenart
angepaßt und darum von der jener Spanier verschieden war. Und wenn die
Stimme, die den Ekstatischen Befehle erteilt, im Grunde genommen nur die
Stimme ihres eignen, seiner selbst und des einzuschlagenden Weges gewissen
Willens ist. so ist doch eben diese Selbstgewißheit ihres Willens, die sie zur
Erfüllung einer providentiellen Aufgabe befähigt, eine Wirkung dieser Providenz,
ganz ebenso wie die unerschütterliche Festigkeit Luthers, der alle Zweifel an
seiner Berufung durch Gott als teuflische Versuchungen verscheuchte. Die
unmittelbare Berührung mit dem Jenseits hat dann immer auch die sittliche
Energie neu belebt und ihr Schwungkraft verliehen, sodaß mit der religiösen
Erneuerung die sittliche Hand in Hand ging. Und wie leidenschaftlich die
Konfessionen einander hassen und bekämpfen mochten — sie haben das Werk
der religiös-sittlichen Erneuerung Europas in Wechselwirkung miteinander
vollbracht. Die protestantische Reform rief die katholische hervor, die sich ihren
Urhebern als das Streben darstellte, die durch den „großen Abfall" gefährdeten
und schon Verlornen Seelen zu retten, und die Schriften der katholischen
Asketen haben lange Zeit hindurch fromme Protestanten zur Nachfolge gereizt.
Tersteegen, der Begründer der Frömmigkeit im Wuppertals, hatte vorzugsweise
Schriften katholischer Mystiker auf sich wirken lassen, darunter die der heiligen
Teresa. Ein Buch Tersteegens hat den Heinrich von Below auf Seehof im
Kreise Stolp „erweckt" und durch diesen jenen ganzen Kreis pommerscher
Junker, aus dem Johanna von Puttkamer in Bismarcks Haus kam. Auf die
Katholiken unsrer Zeit wirken die alten Mystiker und Asketen unmittelbar ein
durch ihre Schriften, die noch immer von ihnen fleißig gelesen werden, Solcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/485>, abgerufen am 20.06.2024.