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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Johann vom Kreuz

Werke waren, sie dies Werk mit bewundernswürdiger Energie durchsetzte, und
dies nicht zur Hysterie stimme, so kann man ihm nur antworten, daß er dann
die Hysterie nicht kennt. Diese erlebt, was sie ersehnt, sie sieht, was sie glaubt.
Der Epileptiker glaubt bloß, was er sieht. Hier die krankhafte geistige Schwäche,
die den vom kranken Hirn erzeugten Bildern kritiklos gegenübersteht, und dort
die krankhafte seelische Kraft, die das Hirn die von der Seele ersehnten Bilder
gestalten heißt." Die spätmittelalterliche Menschheit befand sich nach Hellpach
in einem Zustande seelischer Erregung, Überspannung und Erschöpfung, der sie
hysterisch machte. "Darum hat auch die Reformation die Epidemien nicht be¬
seitigt, sondern zunächst gesteigert, denn sie trug, wie es bei jedem religiösen
Zusammenbruch unvermeidlich ist, Anarchie, Haltlosigkeit, grenzenlose Verwirrung
in Tausende von Gemütern, entfesselte nicht bloß den äußern, sondern auch den
innern, religiösen Kampf aufs wildeste. Die Balken des alten Glaubens krachten
zusammen, und man klammerte sich, in seiner Hilflosigkeit Gott allein gegenüber¬
gestellt, an die Strohhalme, die der neue Glaube ließ: Teufel und Dämonen.
sWir würden den Teufel nicht als einen Strohhalm werten und überhaupt
die damalige Revolution ein wenig anders charakterisieren.j Die Scheiterhaufen
der Hexenverfolgung illuminierten den Siegeszug der kirchlichen Befreiung.
Ein religiöser Genius hat schon damals den innersten Kausalnexus dieser
Verwilderung durchschaut. Die IZxsroitiA spirituMa des Ignatius von Loyola
sind der grandiose Versuch, die Hysterie zu überwinden und doch den alten
Seelenzustand zu erhalten. Und der Stifter der Gesellschaft Jesu wußte, wo
der Punkt lag, aus dem die Krankheit zu kurieren war. Er verbot die Askese
süchtiger ausgedrückt, er gab ihr ihren ursprünglichen Sinn als Übung,
Trainierung wieder^, die er durch eine fast militärische Gesundheitspflege, plan¬
volle Tagesordnung, zweckmäßige Ausfüllung jeder Stunde und Einschulung
der Phantasie auf die religiöse Vorstellungswelt ersetzte. Er sah, daß Erschöpfung
dem Hirn die Herrschaft über den Bewegungsapparat raubt, Glieder und
Muskeln eine unmoralische Ochlokratie an sich reißen läßt; sah, daß die Un¬
sicherheit im seelischen Leben Unordnung und Durcheinander züchtet und die
Seele den Visionen als Spielball ausliefert. In den Übungen wurde eine
krankhaft gesteigerte Bilderwelt in die Bande der Lebensaufgaben geschmiedet.
Eine krankhaft gesteigerte -- doch diese Krankheit war ein Experiment; sie
sollte dem Willen unterworfen bleiben, und wo die Gefahr der Umkehr dieses
Verhältnisses drohte, dort gebot die Ordensregel halt. Die wenigsten durften
alle Exerzitien absolvieren." (Im dritten vorjährigen Bande S. 511 ist mit¬
geteilt worden, daß Max Weber ähnlich nicht bloß über die Exerzitien des
Ignatius, sondern über die ganze katholische Askese urteilt und zu dieser die
puritanische in Parallele setzt.) Hellpach will mit seiner Erklärung der Visionen
und Ekstasen diese religiösen Erscheinungen keineswegs herabsetzen. "Man muß
immer wieder zu dem alten Vergleich seine Zuflucht nehmen: die Perle ist eine
Mißbildung der Muschel, ein Krankheitsprodukt; das hat die Wissenschaft fest-


Johann vom Kreuz

Werke waren, sie dies Werk mit bewundernswürdiger Energie durchsetzte, und
dies nicht zur Hysterie stimme, so kann man ihm nur antworten, daß er dann
die Hysterie nicht kennt. Diese erlebt, was sie ersehnt, sie sieht, was sie glaubt.
Der Epileptiker glaubt bloß, was er sieht. Hier die krankhafte geistige Schwäche,
die den vom kranken Hirn erzeugten Bildern kritiklos gegenübersteht, und dort
die krankhafte seelische Kraft, die das Hirn die von der Seele ersehnten Bilder
gestalten heißt." Die spätmittelalterliche Menschheit befand sich nach Hellpach
in einem Zustande seelischer Erregung, Überspannung und Erschöpfung, der sie
hysterisch machte. „Darum hat auch die Reformation die Epidemien nicht be¬
seitigt, sondern zunächst gesteigert, denn sie trug, wie es bei jedem religiösen
Zusammenbruch unvermeidlich ist, Anarchie, Haltlosigkeit, grenzenlose Verwirrung
in Tausende von Gemütern, entfesselte nicht bloß den äußern, sondern auch den
innern, religiösen Kampf aufs wildeste. Die Balken des alten Glaubens krachten
zusammen, und man klammerte sich, in seiner Hilflosigkeit Gott allein gegenüber¬
gestellt, an die Strohhalme, die der neue Glaube ließ: Teufel und Dämonen.
sWir würden den Teufel nicht als einen Strohhalm werten und überhaupt
die damalige Revolution ein wenig anders charakterisieren.j Die Scheiterhaufen
der Hexenverfolgung illuminierten den Siegeszug der kirchlichen Befreiung.
Ein religiöser Genius hat schon damals den innersten Kausalnexus dieser
Verwilderung durchschaut. Die IZxsroitiA spirituMa des Ignatius von Loyola
sind der grandiose Versuch, die Hysterie zu überwinden und doch den alten
Seelenzustand zu erhalten. Und der Stifter der Gesellschaft Jesu wußte, wo
der Punkt lag, aus dem die Krankheit zu kurieren war. Er verbot die Askese
süchtiger ausgedrückt, er gab ihr ihren ursprünglichen Sinn als Übung,
Trainierung wieder^, die er durch eine fast militärische Gesundheitspflege, plan¬
volle Tagesordnung, zweckmäßige Ausfüllung jeder Stunde und Einschulung
der Phantasie auf die religiöse Vorstellungswelt ersetzte. Er sah, daß Erschöpfung
dem Hirn die Herrschaft über den Bewegungsapparat raubt, Glieder und
Muskeln eine unmoralische Ochlokratie an sich reißen läßt; sah, daß die Un¬
sicherheit im seelischen Leben Unordnung und Durcheinander züchtet und die
Seele den Visionen als Spielball ausliefert. In den Übungen wurde eine
krankhaft gesteigerte Bilderwelt in die Bande der Lebensaufgaben geschmiedet.
Eine krankhaft gesteigerte — doch diese Krankheit war ein Experiment; sie
sollte dem Willen unterworfen bleiben, und wo die Gefahr der Umkehr dieses
Verhältnisses drohte, dort gebot die Ordensregel halt. Die wenigsten durften
alle Exerzitien absolvieren." (Im dritten vorjährigen Bande S. 511 ist mit¬
geteilt worden, daß Max Weber ähnlich nicht bloß über die Exerzitien des
Ignatius, sondern über die ganze katholische Askese urteilt und zu dieser die
puritanische in Parallele setzt.) Hellpach will mit seiner Erklärung der Visionen
und Ekstasen diese religiösen Erscheinungen keineswegs herabsetzen. „Man muß
immer wieder zu dem alten Vergleich seine Zuflucht nehmen: die Perle ist eine
Mißbildung der Muschel, ein Krankheitsprodukt; das hat die Wissenschaft fest-


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[0484] Johann vom Kreuz Werke waren, sie dies Werk mit bewundernswürdiger Energie durchsetzte, und dies nicht zur Hysterie stimme, so kann man ihm nur antworten, daß er dann die Hysterie nicht kennt. Diese erlebt, was sie ersehnt, sie sieht, was sie glaubt. Der Epileptiker glaubt bloß, was er sieht. Hier die krankhafte geistige Schwäche, die den vom kranken Hirn erzeugten Bildern kritiklos gegenübersteht, und dort die krankhafte seelische Kraft, die das Hirn die von der Seele ersehnten Bilder gestalten heißt." Die spätmittelalterliche Menschheit befand sich nach Hellpach in einem Zustande seelischer Erregung, Überspannung und Erschöpfung, der sie hysterisch machte. „Darum hat auch die Reformation die Epidemien nicht be¬ seitigt, sondern zunächst gesteigert, denn sie trug, wie es bei jedem religiösen Zusammenbruch unvermeidlich ist, Anarchie, Haltlosigkeit, grenzenlose Verwirrung in Tausende von Gemütern, entfesselte nicht bloß den äußern, sondern auch den innern, religiösen Kampf aufs wildeste. Die Balken des alten Glaubens krachten zusammen, und man klammerte sich, in seiner Hilflosigkeit Gott allein gegenüber¬ gestellt, an die Strohhalme, die der neue Glaube ließ: Teufel und Dämonen. sWir würden den Teufel nicht als einen Strohhalm werten und überhaupt die damalige Revolution ein wenig anders charakterisieren.j Die Scheiterhaufen der Hexenverfolgung illuminierten den Siegeszug der kirchlichen Befreiung. Ein religiöser Genius hat schon damals den innersten Kausalnexus dieser Verwilderung durchschaut. Die IZxsroitiA spirituMa des Ignatius von Loyola sind der grandiose Versuch, die Hysterie zu überwinden und doch den alten Seelenzustand zu erhalten. Und der Stifter der Gesellschaft Jesu wußte, wo der Punkt lag, aus dem die Krankheit zu kurieren war. Er verbot die Askese süchtiger ausgedrückt, er gab ihr ihren ursprünglichen Sinn als Übung, Trainierung wieder^, die er durch eine fast militärische Gesundheitspflege, plan¬ volle Tagesordnung, zweckmäßige Ausfüllung jeder Stunde und Einschulung der Phantasie auf die religiöse Vorstellungswelt ersetzte. Er sah, daß Erschöpfung dem Hirn die Herrschaft über den Bewegungsapparat raubt, Glieder und Muskeln eine unmoralische Ochlokratie an sich reißen läßt; sah, daß die Un¬ sicherheit im seelischen Leben Unordnung und Durcheinander züchtet und die Seele den Visionen als Spielball ausliefert. In den Übungen wurde eine krankhaft gesteigerte Bilderwelt in die Bande der Lebensaufgaben geschmiedet. Eine krankhaft gesteigerte — doch diese Krankheit war ein Experiment; sie sollte dem Willen unterworfen bleiben, und wo die Gefahr der Umkehr dieses Verhältnisses drohte, dort gebot die Ordensregel halt. Die wenigsten durften alle Exerzitien absolvieren." (Im dritten vorjährigen Bande S. 511 ist mit¬ geteilt worden, daß Max Weber ähnlich nicht bloß über die Exerzitien des Ignatius, sondern über die ganze katholische Askese urteilt und zu dieser die puritanische in Parallele setzt.) Hellpach will mit seiner Erklärung der Visionen und Ekstasen diese religiösen Erscheinungen keineswegs herabsetzen. „Man muß immer wieder zu dem alten Vergleich seine Zuflucht nehmen: die Perle ist eine Mißbildung der Muschel, ein Krankheitsprodukt; das hat die Wissenschaft fest-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/484>, abgerufen am 20.06.2024.