Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Johann vom Rreuz Strebende nicht in dem Verlangen nach seiner persönlichen Heiligung und Be¬ Die christlichen und die indischen Mystiker sind von derselben Erfahrung Kein einzelnes Geschöpf, keine Menge von Geschöpfen, kein irdischer Zu¬ Johann vom Rreuz Strebende nicht in dem Verlangen nach seiner persönlichen Heiligung und Be¬ Die christlichen und die indischen Mystiker sind von derselben Erfahrung Kein einzelnes Geschöpf, keine Menge von Geschöpfen, kein irdischer Zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312167"/> <fw type="header" place="top"> Johann vom Rreuz</fw><lb/> <p xml:id="ID_1936" prev="#ID_1935"> Strebende nicht in dem Verlangen nach seiner persönlichen Heiligung und Be¬<lb/> seligung befangen bleiben, denn nur wo zwei oder drei in Jesu Namen vereinigt<lb/> seien, weile der Herr, nur in der Gemeinschaft der Gläubigen. Er warnt davor,<lb/> gewissen Sprüchen, Gebeten, Formen, Bräuchen eine besondre Kraft beizulegen,<lb/> das sei böse, sündhaft und führe zur Teufelsbüudelei. Die besten „Zeremonien"<lb/> seien die zwei, die Christus empfohlen habe, nämlich wenn man beten wolle,<lb/> entweder in sein Kämmerlein oder in die Wüste zu gehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1937"> Die christlichen und die indischen Mystiker sind von derselben Erfahrung<lb/> ausgegangen. Sie wird sehr deutlich beschrieben in einem Gedichte des Johannes,<lb/> dessen erste Strophe lautet:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_16" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1938" next="#ID_1939"> Kein einzelnes Geschöpf, keine Menge von Geschöpfen, kein irdischer Zu¬<lb/> stand vermag der feiner organisierten Seele volles Genüge zu gewähren. An<lb/> all das, was unsre heutigen Pessimisten vom Erdenjammer zu erzählen wissen,<lb/> braucht man dabei gar nicht einmal zu denken; dergleichen schreckt ja den<lb/> Asketen nicht. Von dieser Erfahrung aus aber haben die indischen und die<lb/> christlichen Mystiker entgegengesetzte Wege eingeschlagen. Jene wollten sich vor<lb/> allem von Leiden befreien und fanden als allein wirksames Mittel die „gänzliche<lb/> Vernichtung des Begehrens", wie Buddha es in der Predigt von Venares<lb/> nennt; also Lebensverneinung, stumpfsinniges Hinbrüten im Nichtsdenken, so¬<lb/> lange man lebt, bis man von dem ersehnten Tode völlig erlöst wird, und<lb/> wofern man nicht durch Sünden eine Wiedergeburt verschuldet hat, ins Nirwana<lb/> versinkt. Die christlichen Asketen sind vom intensivsten Begehren, vom Begehren<lb/> der bewußt genossenen Himmelswonne erfüllt, von Liebessehnsucht entflammt,<lb/> sind die allerentschiedensten Lebensbejaher. Teresa wünscht wie Paulus (Phi¬<lb/> lipper 1, 23) bei Christus im Himmel zu sein, zugleich aber, noch auf Erden<lb/> zu bleiben und hier zu wirken. Sie will ihr bewußtes, individuelles Leben<lb/> nicht loswerden, sondern sie wünscht sich tausend solche Leben, um sie alle<lb/> Gott zu weihen. In Leiden jauchzen diese Menschen vor innerer Freude und<lb/> Wonne. Aber das von ihnen erstrebte und schon genossene Glück ist ganz<lb/> geistiger Natur. Sie sind Virtuosen der Vergeistigung. Mit der Vergeistigung,<lb/> dem Intellektualismus und Moralismus, verbinden sie feines ästhetisches<lb/> Empfinden. Daß dieses die eine der Wurzeln ihrer Askese ist, habe ich schon<lb/> einmal hervorgehoben (in dem Bericht über eine Biographie der Katharina<lb/> Emmerich). Der physiologische Lebensprozeß erfordert ekelhafte Verrichtungen.<lb/> Teresa bewundert die Güte und Erbarmung Gottes, der sich einem „übel¬<lb/> riechenden Erdenwürmlein" mitteile. Vergiftet doch das reinste Kind die<lb/> Atmosphäre, in der es lebt. Deshalb wünscht der Asket, den Stoffwechsel auf<lb/> das erreichbare Mindestmaß herabzusetzen. Es ist das ganz dieselbe Empfindung,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
Johann vom Rreuz
Strebende nicht in dem Verlangen nach seiner persönlichen Heiligung und Be¬
seligung befangen bleiben, denn nur wo zwei oder drei in Jesu Namen vereinigt
seien, weile der Herr, nur in der Gemeinschaft der Gläubigen. Er warnt davor,
gewissen Sprüchen, Gebeten, Formen, Bräuchen eine besondre Kraft beizulegen,
das sei böse, sündhaft und führe zur Teufelsbüudelei. Die besten „Zeremonien"
seien die zwei, die Christus empfohlen habe, nämlich wenn man beten wolle,
entweder in sein Kämmerlein oder in die Wüste zu gehn.
Die christlichen und die indischen Mystiker sind von derselben Erfahrung
ausgegangen. Sie wird sehr deutlich beschrieben in einem Gedichte des Johannes,
dessen erste Strophe lautet:
Kein einzelnes Geschöpf, keine Menge von Geschöpfen, kein irdischer Zu¬
stand vermag der feiner organisierten Seele volles Genüge zu gewähren. An
all das, was unsre heutigen Pessimisten vom Erdenjammer zu erzählen wissen,
braucht man dabei gar nicht einmal zu denken; dergleichen schreckt ja den
Asketen nicht. Von dieser Erfahrung aus aber haben die indischen und die
christlichen Mystiker entgegengesetzte Wege eingeschlagen. Jene wollten sich vor
allem von Leiden befreien und fanden als allein wirksames Mittel die „gänzliche
Vernichtung des Begehrens", wie Buddha es in der Predigt von Venares
nennt; also Lebensverneinung, stumpfsinniges Hinbrüten im Nichtsdenken, so¬
lange man lebt, bis man von dem ersehnten Tode völlig erlöst wird, und
wofern man nicht durch Sünden eine Wiedergeburt verschuldet hat, ins Nirwana
versinkt. Die christlichen Asketen sind vom intensivsten Begehren, vom Begehren
der bewußt genossenen Himmelswonne erfüllt, von Liebessehnsucht entflammt,
sind die allerentschiedensten Lebensbejaher. Teresa wünscht wie Paulus (Phi¬
lipper 1, 23) bei Christus im Himmel zu sein, zugleich aber, noch auf Erden
zu bleiben und hier zu wirken. Sie will ihr bewußtes, individuelles Leben
nicht loswerden, sondern sie wünscht sich tausend solche Leben, um sie alle
Gott zu weihen. In Leiden jauchzen diese Menschen vor innerer Freude und
Wonne. Aber das von ihnen erstrebte und schon genossene Glück ist ganz
geistiger Natur. Sie sind Virtuosen der Vergeistigung. Mit der Vergeistigung,
dem Intellektualismus und Moralismus, verbinden sie feines ästhetisches
Empfinden. Daß dieses die eine der Wurzeln ihrer Askese ist, habe ich schon
einmal hervorgehoben (in dem Bericht über eine Biographie der Katharina
Emmerich). Der physiologische Lebensprozeß erfordert ekelhafte Verrichtungen.
Teresa bewundert die Güte und Erbarmung Gottes, der sich einem „übel¬
riechenden Erdenwürmlein" mitteile. Vergiftet doch das reinste Kind die
Atmosphäre, in der es lebt. Deshalb wünscht der Asket, den Stoffwechsel auf
das erreichbare Mindestmaß herabzusetzen. Es ist das ganz dieselbe Empfindung,
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