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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Johann vom Kreuz

Gott führt, auch noch einen Weg übernatürlicher Erfahrung -- allerdings nur
für die Vollkommnen; die ungeheure Mehrzahl der Meuschen muß sich mit dem
schlichten Glauben begnügen. Ich halte es weder ganz mit Kant noch ganz
mit Johannes, der die Unühnlichkeit der Geschöpfe mit Gott übertreibt, sondern
mit Paulus (Römer 1, 20) und den Scholastikern, die lehren, daß Gott aus
seinen Geschöpfen (und wie viele Neuere hinzufügen, aus Lebenserfahrungen)
erkannt werden könne; nur hatte Kant gegen die Scholastiker insoweit recht,
als er bestritt, daß ein zwingender Beweis für das Dasein Gottes geführt,
und daß Gottes Wesen förmlich beschrieben werden könne.

Die Wanderung durch die zwei oder drei Nächte -- denn Gott selber, die
ewige Sonne, die das natürliche Auge völlig blind macht, ist für dieses die
allertiefste Nacht -- stellt nur unter einem neuen Bilde dar, was die ältern
Mystiker als die on xur^itiva, i1Iuining,tivÄ und uintiva, (Dante als interrw,
xur^wrio und varacliso) beschrieben hatten. Johanns einzelne Anweisungen
decken sich darum im ganzen mit denen der übrigen Lehrer der Askese und
Mystik, enthalten jedoch so manches Originelle, namentlich feine psychologische
Bemerkungen. So zum Beispiel: die Erhebung der Seele im Gebet könne
sinnliche Regungen erzeugen, weil bei der innigen Vereinigung von Leib und
Seele das Wohlbehagen des einen Teils immer auch in den andern überfließe.
Daß der direkte Kampf gegen die Unkeuschheit die Versuchungen zu ihr mehr
hervorrufe als banne, haben auch andre Männer seiner Richtung eingesehn.
Der naheliegenden Folgerung, daß die ganze Mönchsaskese in dieser Beziehung
zweckwidrig sei, weil Ablenkung der Gedanken und der Phantasie durch stramme
Arbeit das beste Bewahrungsmittel ist, entgingen die großen Asketen für ihre
Person dadurch, daß sie, wie besonders Peter von Alcantara, von dem in dieser
Beziehung schier Unglaubliches aber gut Bezeugtes berichtet wird, die Askese
bis zur ununterbrochnem Selbstpeinigung trieben, die jedes sinnliche Wohl¬
behagen und damit auch die Regungen des Geschlechtstriebs physisch unmöglich
machte. Wenn Johann, ganz aristotelisch, alle Extreme für sündhaft erklärt, so
verwickelt er sich in Widerspruch mit seiner eignen Askese. An solchen Wider¬
sprüchen fehlt es natürlich auch sonst nicht; einem Menschen, der so außerordent¬
liche Wege wandelt, können sie am wenigsten erspart bleiben. Es gehört dazu,
daß er mahnt, den von Gott geordneten Weg, der durch die natürliche Er¬
kenntnis hindurch führe, nicht zu verschmähen, und schon das Wort "Anschauung
Gottes", also Anschauung des Formlosen, Unanschcmbaren, und die Sehnsucht
nach der Schönheit, die aus seinen Gedichten spricht, sind Selbstwidersprüche.
Auch die Visionen, die den nach Vollkommenheit ringenden zuteil werden,
erklärt er für einen -- bei aller Übernatürlichkeit -- natürlichen Anfang, an
dem man jedoch nicht haften bleiben dürfe. Von allen Phantasiebildern müsse
sich die Seele reinigen und frei machen. Geradezu gefährlich sei die Wunder¬
gabe; sie verleite zur Magie und Gaukelei; wer sie empfangen habe, solle die
Freude daran und das Verlangen, sie auszuüben, unterdrücken. Auch soll der


Grenzboten II 1908 61
Johann vom Kreuz

Gott führt, auch noch einen Weg übernatürlicher Erfahrung — allerdings nur
für die Vollkommnen; die ungeheure Mehrzahl der Meuschen muß sich mit dem
schlichten Glauben begnügen. Ich halte es weder ganz mit Kant noch ganz
mit Johannes, der die Unühnlichkeit der Geschöpfe mit Gott übertreibt, sondern
mit Paulus (Römer 1, 20) und den Scholastikern, die lehren, daß Gott aus
seinen Geschöpfen (und wie viele Neuere hinzufügen, aus Lebenserfahrungen)
erkannt werden könne; nur hatte Kant gegen die Scholastiker insoweit recht,
als er bestritt, daß ein zwingender Beweis für das Dasein Gottes geführt,
und daß Gottes Wesen förmlich beschrieben werden könne.

Die Wanderung durch die zwei oder drei Nächte — denn Gott selber, die
ewige Sonne, die das natürliche Auge völlig blind macht, ist für dieses die
allertiefste Nacht — stellt nur unter einem neuen Bilde dar, was die ältern
Mystiker als die on xur^itiva, i1Iuining,tivÄ und uintiva, (Dante als interrw,
xur^wrio und varacliso) beschrieben hatten. Johanns einzelne Anweisungen
decken sich darum im ganzen mit denen der übrigen Lehrer der Askese und
Mystik, enthalten jedoch so manches Originelle, namentlich feine psychologische
Bemerkungen. So zum Beispiel: die Erhebung der Seele im Gebet könne
sinnliche Regungen erzeugen, weil bei der innigen Vereinigung von Leib und
Seele das Wohlbehagen des einen Teils immer auch in den andern überfließe.
Daß der direkte Kampf gegen die Unkeuschheit die Versuchungen zu ihr mehr
hervorrufe als banne, haben auch andre Männer seiner Richtung eingesehn.
Der naheliegenden Folgerung, daß die ganze Mönchsaskese in dieser Beziehung
zweckwidrig sei, weil Ablenkung der Gedanken und der Phantasie durch stramme
Arbeit das beste Bewahrungsmittel ist, entgingen die großen Asketen für ihre
Person dadurch, daß sie, wie besonders Peter von Alcantara, von dem in dieser
Beziehung schier Unglaubliches aber gut Bezeugtes berichtet wird, die Askese
bis zur ununterbrochnem Selbstpeinigung trieben, die jedes sinnliche Wohl¬
behagen und damit auch die Regungen des Geschlechtstriebs physisch unmöglich
machte. Wenn Johann, ganz aristotelisch, alle Extreme für sündhaft erklärt, so
verwickelt er sich in Widerspruch mit seiner eignen Askese. An solchen Wider¬
sprüchen fehlt es natürlich auch sonst nicht; einem Menschen, der so außerordent¬
liche Wege wandelt, können sie am wenigsten erspart bleiben. Es gehört dazu,
daß er mahnt, den von Gott geordneten Weg, der durch die natürliche Er¬
kenntnis hindurch führe, nicht zu verschmähen, und schon das Wort „Anschauung
Gottes", also Anschauung des Formlosen, Unanschcmbaren, und die Sehnsucht
nach der Schönheit, die aus seinen Gedichten spricht, sind Selbstwidersprüche.
Auch die Visionen, die den nach Vollkommenheit ringenden zuteil werden,
erklärt er für einen — bei aller Übernatürlichkeit — natürlichen Anfang, an
dem man jedoch nicht haften bleiben dürfe. Von allen Phantasiebildern müsse
sich die Seele reinigen und frei machen. Geradezu gefährlich sei die Wunder¬
gabe; sie verleite zur Magie und Gaukelei; wer sie empfangen habe, solle die
Freude daran und das Verlangen, sie auszuüben, unterdrücken. Auch soll der


Grenzboten II 1908 61
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[0481] Johann vom Kreuz Gott führt, auch noch einen Weg übernatürlicher Erfahrung — allerdings nur für die Vollkommnen; die ungeheure Mehrzahl der Meuschen muß sich mit dem schlichten Glauben begnügen. Ich halte es weder ganz mit Kant noch ganz mit Johannes, der die Unühnlichkeit der Geschöpfe mit Gott übertreibt, sondern mit Paulus (Römer 1, 20) und den Scholastikern, die lehren, daß Gott aus seinen Geschöpfen (und wie viele Neuere hinzufügen, aus Lebenserfahrungen) erkannt werden könne; nur hatte Kant gegen die Scholastiker insoweit recht, als er bestritt, daß ein zwingender Beweis für das Dasein Gottes geführt, und daß Gottes Wesen förmlich beschrieben werden könne. Die Wanderung durch die zwei oder drei Nächte — denn Gott selber, die ewige Sonne, die das natürliche Auge völlig blind macht, ist für dieses die allertiefste Nacht — stellt nur unter einem neuen Bilde dar, was die ältern Mystiker als die on xur^itiva, i1Iuining,tivÄ und uintiva, (Dante als interrw, xur^wrio und varacliso) beschrieben hatten. Johanns einzelne Anweisungen decken sich darum im ganzen mit denen der übrigen Lehrer der Askese und Mystik, enthalten jedoch so manches Originelle, namentlich feine psychologische Bemerkungen. So zum Beispiel: die Erhebung der Seele im Gebet könne sinnliche Regungen erzeugen, weil bei der innigen Vereinigung von Leib und Seele das Wohlbehagen des einen Teils immer auch in den andern überfließe. Daß der direkte Kampf gegen die Unkeuschheit die Versuchungen zu ihr mehr hervorrufe als banne, haben auch andre Männer seiner Richtung eingesehn. Der naheliegenden Folgerung, daß die ganze Mönchsaskese in dieser Beziehung zweckwidrig sei, weil Ablenkung der Gedanken und der Phantasie durch stramme Arbeit das beste Bewahrungsmittel ist, entgingen die großen Asketen für ihre Person dadurch, daß sie, wie besonders Peter von Alcantara, von dem in dieser Beziehung schier Unglaubliches aber gut Bezeugtes berichtet wird, die Askese bis zur ununterbrochnem Selbstpeinigung trieben, die jedes sinnliche Wohl¬ behagen und damit auch die Regungen des Geschlechtstriebs physisch unmöglich machte. Wenn Johann, ganz aristotelisch, alle Extreme für sündhaft erklärt, so verwickelt er sich in Widerspruch mit seiner eignen Askese. An solchen Wider¬ sprüchen fehlt es natürlich auch sonst nicht; einem Menschen, der so außerordent¬ liche Wege wandelt, können sie am wenigsten erspart bleiben. Es gehört dazu, daß er mahnt, den von Gott geordneten Weg, der durch die natürliche Er¬ kenntnis hindurch führe, nicht zu verschmähen, und schon das Wort „Anschauung Gottes", also Anschauung des Formlosen, Unanschcmbaren, und die Sehnsucht nach der Schönheit, die aus seinen Gedichten spricht, sind Selbstwidersprüche. Auch die Visionen, die den nach Vollkommenheit ringenden zuteil werden, erklärt er für einen — bei aller Übernatürlichkeit — natürlichen Anfang, an dem man jedoch nicht haften bleiben dürfe. Von allen Phantasiebildern müsse sich die Seele reinigen und frei machen. Geradezu gefährlich sei die Wunder¬ gabe; sie verleite zur Magie und Gaukelei; wer sie empfangen habe, solle die Freude daran und das Verlangen, sie auszuüben, unterdrücken. Auch soll der Grenzboten II 1908 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/481>, abgerufen am 20.06.2024.