Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das gesellige Leben bei den Griechen

eine juristische Person, einen Verein junger Leute unter seinem Vorsitz, worin
Philosophie gepflegt wurde. Aber auch hier war das Ursprüngliche nicht die
Wissenschaft, sondern der Gottesdienst, den Musen sollte die Stätte heilig sein.
Auch Sophokles soll einen Thiasos der Musen gegründet haben. Das paßt
zu dem sonnigen, geselligen Wesen des Meisters, der im Gegensatz zu dem
menschenscheuen Euripides gern junge Gesellschaft um sich hatte. Es war viel¬
leicht eine methodische Schule für Schauspieler: wenn die Existenz dieses In¬
stituts bezweifelt wird, so erhebt sich von selber die Frage: warum soll Sophokles
nicht seine Theorien von der Bühnenkunst Praktisch in jenem Vereine dargelegt
haben? Goethe schrieb Regeln für Schauspieler. Wagner "über das Dirigieren",
warum soll sich der griechische Meister nicht mit technischen Fragen abgegeben
haben, indem er, wie der alte Goethe, Schauspieler um sich sammelte und diesen
seine Ideen einprägte? Wir Hütten somit die erste Stilbildungsschule in diesem
Musenthiasos, wie sie Wagner für Bayreuth plante. Ebenso hatte Epikur in
seinen Gärten einen philosophischen Verein etabliert; auch nach seinem Tode
sollte das Andenken an den Weisen gefeiert werden, indem er in seinem Testament
bestimmte, man solle in seinem Garten weiter philosophieren. Ebenso taten sich
andre junge Leute zusammen zum gemeinsamen Studium und zum wissen¬
schaftlichen Vereine, in späterer Zeit finden wir in den großen Universitäts¬
städten, wie Athen und Alexandreia, Studentenverbindungen vor, sogar der
Fuchsmajor ist durch eine Inschrift unsterblich geworden. Auch
Mädchen vom Gymnasium in Pergamon traten zu einer Korporation zusammen
und beschlossen -- höchst seltsam! -- für beliebte Lehrer Belobigungen und
Ehrenkrünze.

So sind wir denn unvermerkt ganz auf der Erde angelangt und wenden
uns zu den beruflichen Vereinen. Ärzte, Schmiede. Töpfer. Fischer, auch Bau¬
arbeiter, wie in Milet. und andre Gewerkschaften taten sich zu Vereinen zu¬
sammen, wenn auch richtige Korporationen von Handwerkergenossenschaften erst
später in der römischen Kulturperiode auftreten, was man schon daraus sehen
kann, daß das religiöse Element, dessen Betonung speziell hellenischen Charakter
verrät, zurücktritt und das rein Zunftmäßige im Vordergrunde steht, woran wir
vor allem den römischen Rechtsstaat erkennen. Berühmt und in allen Ländern
verbreitet war der Bund der Dionysischen Künstler, so in Teos, Argos. Cypern,
auch in Ägypten in dem durch seine Papyri so berühmten Oxyrhynchos, ferner
in Neapel, Rhegion, ein Verein der wichtigsten Mitwirkenden beim Bühnen-
spiel als Sänger, Schauspieler, Musiker. Dichter und -- echt griechisch! --
Garderobiers, die ja, wie bei den Bayreuther Vühnenspielen, einen wichtigen
Bestandteil der Bühnengenossenschaft ausmachten. Aber es blieb nicht bei den
echten Künstlern, die im Dienste der rss ssvsrg- tätig waren, in späterer Zeit schlössen
sich dem Vereine auch allerlei Artisten, wie Jongleure. Zauberkünstler. Spa߬
macher, Clowns an, in einer Zeit, wo es möglich war, daß neben der Statue
des Äschylus im Theater die Statue eines Bauchredners aufgestellt wurde.


Das gesellige Leben bei den Griechen

eine juristische Person, einen Verein junger Leute unter seinem Vorsitz, worin
Philosophie gepflegt wurde. Aber auch hier war das Ursprüngliche nicht die
Wissenschaft, sondern der Gottesdienst, den Musen sollte die Stätte heilig sein.
Auch Sophokles soll einen Thiasos der Musen gegründet haben. Das paßt
zu dem sonnigen, geselligen Wesen des Meisters, der im Gegensatz zu dem
menschenscheuen Euripides gern junge Gesellschaft um sich hatte. Es war viel¬
leicht eine methodische Schule für Schauspieler: wenn die Existenz dieses In¬
stituts bezweifelt wird, so erhebt sich von selber die Frage: warum soll Sophokles
nicht seine Theorien von der Bühnenkunst Praktisch in jenem Vereine dargelegt
haben? Goethe schrieb Regeln für Schauspieler. Wagner „über das Dirigieren",
warum soll sich der griechische Meister nicht mit technischen Fragen abgegeben
haben, indem er, wie der alte Goethe, Schauspieler um sich sammelte und diesen
seine Ideen einprägte? Wir Hütten somit die erste Stilbildungsschule in diesem
Musenthiasos, wie sie Wagner für Bayreuth plante. Ebenso hatte Epikur in
seinen Gärten einen philosophischen Verein etabliert; auch nach seinem Tode
sollte das Andenken an den Weisen gefeiert werden, indem er in seinem Testament
bestimmte, man solle in seinem Garten weiter philosophieren. Ebenso taten sich
andre junge Leute zusammen zum gemeinsamen Studium und zum wissen¬
schaftlichen Vereine, in späterer Zeit finden wir in den großen Universitäts¬
städten, wie Athen und Alexandreia, Studentenverbindungen vor, sogar der
Fuchsmajor ist durch eine Inschrift unsterblich geworden. Auch
Mädchen vom Gymnasium in Pergamon traten zu einer Korporation zusammen
und beschlossen — höchst seltsam! — für beliebte Lehrer Belobigungen und
Ehrenkrünze.

So sind wir denn unvermerkt ganz auf der Erde angelangt und wenden
uns zu den beruflichen Vereinen. Ärzte, Schmiede. Töpfer. Fischer, auch Bau¬
arbeiter, wie in Milet. und andre Gewerkschaften taten sich zu Vereinen zu¬
sammen, wenn auch richtige Korporationen von Handwerkergenossenschaften erst
später in der römischen Kulturperiode auftreten, was man schon daraus sehen
kann, daß das religiöse Element, dessen Betonung speziell hellenischen Charakter
verrät, zurücktritt und das rein Zunftmäßige im Vordergrunde steht, woran wir
vor allem den römischen Rechtsstaat erkennen. Berühmt und in allen Ländern
verbreitet war der Bund der Dionysischen Künstler, so in Teos, Argos. Cypern,
auch in Ägypten in dem durch seine Papyri so berühmten Oxyrhynchos, ferner
in Neapel, Rhegion, ein Verein der wichtigsten Mitwirkenden beim Bühnen-
spiel als Sänger, Schauspieler, Musiker. Dichter und — echt griechisch! —
Garderobiers, die ja, wie bei den Bayreuther Vühnenspielen, einen wichtigen
Bestandteil der Bühnengenossenschaft ausmachten. Aber es blieb nicht bei den
echten Künstlern, die im Dienste der rss ssvsrg- tätig waren, in späterer Zeit schlössen
sich dem Vereine auch allerlei Artisten, wie Jongleure. Zauberkünstler. Spa߬
macher, Clowns an, in einer Zeit, wo es möglich war, daß neben der Statue
des Äschylus im Theater die Statue eines Bauchredners aufgestellt wurde.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312160"/>
          <fw type="header" place="top"> Das gesellige Leben bei den Griechen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1918" prev="#ID_1917"> eine juristische Person, einen Verein junger Leute unter seinem Vorsitz, worin<lb/>
Philosophie gepflegt wurde. Aber auch hier war das Ursprüngliche nicht die<lb/>
Wissenschaft, sondern der Gottesdienst, den Musen sollte die Stätte heilig sein.<lb/>
Auch Sophokles soll einen Thiasos der Musen gegründet haben. Das paßt<lb/>
zu dem sonnigen, geselligen Wesen des Meisters, der im Gegensatz zu dem<lb/>
menschenscheuen Euripides gern junge Gesellschaft um sich hatte. Es war viel¬<lb/>
leicht eine methodische Schule für Schauspieler: wenn die Existenz dieses In¬<lb/>
stituts bezweifelt wird, so erhebt sich von selber die Frage: warum soll Sophokles<lb/>
nicht seine Theorien von der Bühnenkunst Praktisch in jenem Vereine dargelegt<lb/>
haben? Goethe schrieb Regeln für Schauspieler. Wagner &#x201E;über das Dirigieren",<lb/>
warum soll sich der griechische Meister nicht mit technischen Fragen abgegeben<lb/>
haben, indem er, wie der alte Goethe, Schauspieler um sich sammelte und diesen<lb/>
seine Ideen einprägte? Wir Hütten somit die erste Stilbildungsschule in diesem<lb/>
Musenthiasos, wie sie Wagner für Bayreuth plante. Ebenso hatte Epikur in<lb/>
seinen Gärten einen philosophischen Verein etabliert; auch nach seinem Tode<lb/>
sollte das Andenken an den Weisen gefeiert werden, indem er in seinem Testament<lb/>
bestimmte, man solle in seinem Garten weiter philosophieren. Ebenso taten sich<lb/>
andre junge Leute zusammen zum gemeinsamen Studium und zum wissen¬<lb/>
schaftlichen Vereine, in späterer Zeit finden wir in den großen Universitäts¬<lb/>
städten, wie Athen und Alexandreia, Studentenverbindungen vor, sogar der<lb/>
Fuchsmajor ist durch eine Inschrift unsterblich geworden. Auch<lb/>
Mädchen vom Gymnasium in Pergamon traten zu einer Korporation zusammen<lb/>
und beschlossen &#x2014; höchst seltsam! &#x2014; für beliebte Lehrer Belobigungen und<lb/>
Ehrenkrünze.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1919" next="#ID_1920"> So sind wir denn unvermerkt ganz auf der Erde angelangt und wenden<lb/>
uns zu den beruflichen Vereinen. Ärzte, Schmiede. Töpfer. Fischer, auch Bau¬<lb/>
arbeiter, wie in Milet. und andre Gewerkschaften taten sich zu Vereinen zu¬<lb/>
sammen, wenn auch richtige Korporationen von Handwerkergenossenschaften erst<lb/>
später in der römischen Kulturperiode auftreten, was man schon daraus sehen<lb/>
kann, daß das religiöse Element, dessen Betonung speziell hellenischen Charakter<lb/>
verrät, zurücktritt und das rein Zunftmäßige im Vordergrunde steht, woran wir<lb/>
vor allem den römischen Rechtsstaat erkennen. Berühmt und in allen Ländern<lb/>
verbreitet war der Bund der Dionysischen Künstler, so in Teos, Argos. Cypern,<lb/>
auch in Ägypten in dem durch seine Papyri so berühmten Oxyrhynchos, ferner<lb/>
in Neapel, Rhegion, ein Verein der wichtigsten Mitwirkenden beim Bühnen-<lb/>
spiel als Sänger, Schauspieler, Musiker. Dichter und &#x2014; echt griechisch! &#x2014;<lb/>
Garderobiers, die ja, wie bei den Bayreuther Vühnenspielen, einen wichtigen<lb/>
Bestandteil der Bühnengenossenschaft ausmachten. Aber es blieb nicht bei den<lb/>
echten Künstlern, die im Dienste der rss ssvsrg- tätig waren, in späterer Zeit schlössen<lb/>
sich dem Vereine auch allerlei Artisten, wie Jongleure. Zauberkünstler. Spa߬<lb/>
macher, Clowns an, in einer Zeit, wo es möglich war, daß neben der Statue<lb/>
des Äschylus im Theater die Statue eines Bauchredners aufgestellt wurde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] Das gesellige Leben bei den Griechen eine juristische Person, einen Verein junger Leute unter seinem Vorsitz, worin Philosophie gepflegt wurde. Aber auch hier war das Ursprüngliche nicht die Wissenschaft, sondern der Gottesdienst, den Musen sollte die Stätte heilig sein. Auch Sophokles soll einen Thiasos der Musen gegründet haben. Das paßt zu dem sonnigen, geselligen Wesen des Meisters, der im Gegensatz zu dem menschenscheuen Euripides gern junge Gesellschaft um sich hatte. Es war viel¬ leicht eine methodische Schule für Schauspieler: wenn die Existenz dieses In¬ stituts bezweifelt wird, so erhebt sich von selber die Frage: warum soll Sophokles nicht seine Theorien von der Bühnenkunst Praktisch in jenem Vereine dargelegt haben? Goethe schrieb Regeln für Schauspieler. Wagner „über das Dirigieren", warum soll sich der griechische Meister nicht mit technischen Fragen abgegeben haben, indem er, wie der alte Goethe, Schauspieler um sich sammelte und diesen seine Ideen einprägte? Wir Hütten somit die erste Stilbildungsschule in diesem Musenthiasos, wie sie Wagner für Bayreuth plante. Ebenso hatte Epikur in seinen Gärten einen philosophischen Verein etabliert; auch nach seinem Tode sollte das Andenken an den Weisen gefeiert werden, indem er in seinem Testament bestimmte, man solle in seinem Garten weiter philosophieren. Ebenso taten sich andre junge Leute zusammen zum gemeinsamen Studium und zum wissen¬ schaftlichen Vereine, in späterer Zeit finden wir in den großen Universitäts¬ städten, wie Athen und Alexandreia, Studentenverbindungen vor, sogar der Fuchsmajor ist durch eine Inschrift unsterblich geworden. Auch Mädchen vom Gymnasium in Pergamon traten zu einer Korporation zusammen und beschlossen — höchst seltsam! — für beliebte Lehrer Belobigungen und Ehrenkrünze. So sind wir denn unvermerkt ganz auf der Erde angelangt und wenden uns zu den beruflichen Vereinen. Ärzte, Schmiede. Töpfer. Fischer, auch Bau¬ arbeiter, wie in Milet. und andre Gewerkschaften taten sich zu Vereinen zu¬ sammen, wenn auch richtige Korporationen von Handwerkergenossenschaften erst später in der römischen Kulturperiode auftreten, was man schon daraus sehen kann, daß das religiöse Element, dessen Betonung speziell hellenischen Charakter verrät, zurücktritt und das rein Zunftmäßige im Vordergrunde steht, woran wir vor allem den römischen Rechtsstaat erkennen. Berühmt und in allen Ländern verbreitet war der Bund der Dionysischen Künstler, so in Teos, Argos. Cypern, auch in Ägypten in dem durch seine Papyri so berühmten Oxyrhynchos, ferner in Neapel, Rhegion, ein Verein der wichtigsten Mitwirkenden beim Bühnen- spiel als Sänger, Schauspieler, Musiker. Dichter und — echt griechisch! — Garderobiers, die ja, wie bei den Bayreuther Vühnenspielen, einen wichtigen Bestandteil der Bühnengenossenschaft ausmachten. Aber es blieb nicht bei den echten Künstlern, die im Dienste der rss ssvsrg- tätig waren, in späterer Zeit schlössen sich dem Vereine auch allerlei Artisten, wie Jongleure. Zauberkünstler. Spa߬ macher, Clowns an, in einer Zeit, wo es möglich war, daß neben der Statue des Äschylus im Theater die Statue eines Bauchredners aufgestellt wurde.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/475>, abgerufen am 20.06.2024.