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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Studienfahrten in der römischen Campagna

Die charakteristische Eigentümlichkeit unsers Gebiets ist die Latifundien¬
wirtschaft und die nomadisierende Schafweidewirtschaft zum Teil in Verbindung
mit einem extensiven Ackerbau. Diese Wirtschaftsweise kann als Prototyp eines
großen Teils der Landwirtschaft des südlichen Italiens angesehen werden. Kennen
wir die Landwirtschaft der römischen Campagna, so kennen wir damit zugleich
einen großen Teil der landwirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des übrigen
Italiens überhaupt. Man hat zwar im Auslande die Landwirtschaft dieses
Landes als eine Teilbauwirtschaft betrachtet. Und doch dominiert der Teilbau
nur in Toskana, in der Romagna, in Umbrien und im Norden Mittelitaliens
in der Hauptsache, während das Latifundium in Süditalien und in Sizilien,
wenn auch nicht ausschließlich, so doch größtenteils verbreitet ist. Nur an der
Küste und in einzelnen Talgebieten ist die Kleinwirtschaft in Verbindung mit
der Baumkultur vertreten. Es ist einleuchtend, daß die Anhäufung des Grund
und Bodens in wenigen Händen ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Ent¬
wicklung des Landes sein muß. Rückwirkend beeinflußt dieser Zustand aber auch
ganz besonders die ganze ökonomische Entwicklung des Landes, da Italien ein
ackerbautreibendes Land ist und auch infolge seiner natürlichen Beschaffenheit
ein solches bleiben wird. Aber auch bei der jetzigen Besitzverteilung würde die
Landwirtschaft ihre Aufgabe weit besser erfüllen, wenn sich der Grundbesitz
nicht in den Händen des hohen Adels befände. Der römische Edelmann ist
meist kein ausübender Landwirt. Es fehlt ihm jede Lust am Landleben. Er
verpachtet seine Güter in der Regel nur an einen Pächter, um möglichst wenig
Unangenehmes zu haben. Erfreulicherweise hat sich aber in neuerer Zeit in
der Bewirtschaftung der Güter, wie überhaupt in landwirtschaftlicher Beziehung,
ein Wandel wohltuend bemerkbar gemacht. Es gibt auch jetzt größere Grund¬
herren in Italien, die sich die Bewirtschaftung ihrer Güter sehr angelegen
sein lassen und mustergiltig wirtschaften. Der wirtschaftliche Zustand der
römischen Campagna ist jedoch heute im wesentlichen derselbe, wie er sich im
vierzehnten Jahrhundert entwickelt hat. In den letzten Jahren sind zwar
Landwirtschaftsbetriebe eingerichtet worden, die das Ackerland unter dem Pfluge
intensiv bewirtschaften, doch ist ihre Zahl so gering, daß der Gesamtcharakter
der Landwirtschaft der römischen Campagna dadurch nicht beeinflußt wird.

Historisch interessant ist nun, daß das Gebiet im kaiserlichen Rom ein
völlig andres Bild zeigte. Wie bekannt, nahm Reichtum und Wohlstand im
alten Rom ins Ungemessene zu, weshalb auch die Nachfrage nach verfeinerten
Nahrungs- und Genußmitteln stetig steigen mußte. Brodgetreide erzeugte man
in der Umgegend schon längst nicht mehr, da dessen Bedarf durch den über¬
seeischen Import gedeckt wurde. Dagegen brachte die Landwirtschaft der Um¬
gegend solche Nahrungs- und Genußmittel hervor, deren die verfeinerte
Millionenstadt bedürfte. Frisches Gemüse und Obst wurden im alten Rom
in großen Mengen verzehrt. Solche konnten wegen ihrer geringen Haltbarkeit
nur aus der Umgegend bezogen werden. So befinden sich hinter den prächtigen


Studienfahrten in der römischen Campagna

Die charakteristische Eigentümlichkeit unsers Gebiets ist die Latifundien¬
wirtschaft und die nomadisierende Schafweidewirtschaft zum Teil in Verbindung
mit einem extensiven Ackerbau. Diese Wirtschaftsweise kann als Prototyp eines
großen Teils der Landwirtschaft des südlichen Italiens angesehen werden. Kennen
wir die Landwirtschaft der römischen Campagna, so kennen wir damit zugleich
einen großen Teil der landwirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des übrigen
Italiens überhaupt. Man hat zwar im Auslande die Landwirtschaft dieses
Landes als eine Teilbauwirtschaft betrachtet. Und doch dominiert der Teilbau
nur in Toskana, in der Romagna, in Umbrien und im Norden Mittelitaliens
in der Hauptsache, während das Latifundium in Süditalien und in Sizilien,
wenn auch nicht ausschließlich, so doch größtenteils verbreitet ist. Nur an der
Küste und in einzelnen Talgebieten ist die Kleinwirtschaft in Verbindung mit
der Baumkultur vertreten. Es ist einleuchtend, daß die Anhäufung des Grund
und Bodens in wenigen Händen ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Ent¬
wicklung des Landes sein muß. Rückwirkend beeinflußt dieser Zustand aber auch
ganz besonders die ganze ökonomische Entwicklung des Landes, da Italien ein
ackerbautreibendes Land ist und auch infolge seiner natürlichen Beschaffenheit
ein solches bleiben wird. Aber auch bei der jetzigen Besitzverteilung würde die
Landwirtschaft ihre Aufgabe weit besser erfüllen, wenn sich der Grundbesitz
nicht in den Händen des hohen Adels befände. Der römische Edelmann ist
meist kein ausübender Landwirt. Es fehlt ihm jede Lust am Landleben. Er
verpachtet seine Güter in der Regel nur an einen Pächter, um möglichst wenig
Unangenehmes zu haben. Erfreulicherweise hat sich aber in neuerer Zeit in
der Bewirtschaftung der Güter, wie überhaupt in landwirtschaftlicher Beziehung,
ein Wandel wohltuend bemerkbar gemacht. Es gibt auch jetzt größere Grund¬
herren in Italien, die sich die Bewirtschaftung ihrer Güter sehr angelegen
sein lassen und mustergiltig wirtschaften. Der wirtschaftliche Zustand der
römischen Campagna ist jedoch heute im wesentlichen derselbe, wie er sich im
vierzehnten Jahrhundert entwickelt hat. In den letzten Jahren sind zwar
Landwirtschaftsbetriebe eingerichtet worden, die das Ackerland unter dem Pfluge
intensiv bewirtschaften, doch ist ihre Zahl so gering, daß der Gesamtcharakter
der Landwirtschaft der römischen Campagna dadurch nicht beeinflußt wird.

Historisch interessant ist nun, daß das Gebiet im kaiserlichen Rom ein
völlig andres Bild zeigte. Wie bekannt, nahm Reichtum und Wohlstand im
alten Rom ins Ungemessene zu, weshalb auch die Nachfrage nach verfeinerten
Nahrungs- und Genußmitteln stetig steigen mußte. Brodgetreide erzeugte man
in der Umgegend schon längst nicht mehr, da dessen Bedarf durch den über¬
seeischen Import gedeckt wurde. Dagegen brachte die Landwirtschaft der Um¬
gegend solche Nahrungs- und Genußmittel hervor, deren die verfeinerte
Millionenstadt bedürfte. Frisches Gemüse und Obst wurden im alten Rom
in großen Mengen verzehrt. Solche konnten wegen ihrer geringen Haltbarkeit
nur aus der Umgegend bezogen werden. So befinden sich hinter den prächtigen


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[0432] Studienfahrten in der römischen Campagna Die charakteristische Eigentümlichkeit unsers Gebiets ist die Latifundien¬ wirtschaft und die nomadisierende Schafweidewirtschaft zum Teil in Verbindung mit einem extensiven Ackerbau. Diese Wirtschaftsweise kann als Prototyp eines großen Teils der Landwirtschaft des südlichen Italiens angesehen werden. Kennen wir die Landwirtschaft der römischen Campagna, so kennen wir damit zugleich einen großen Teil der landwirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des übrigen Italiens überhaupt. Man hat zwar im Auslande die Landwirtschaft dieses Landes als eine Teilbauwirtschaft betrachtet. Und doch dominiert der Teilbau nur in Toskana, in der Romagna, in Umbrien und im Norden Mittelitaliens in der Hauptsache, während das Latifundium in Süditalien und in Sizilien, wenn auch nicht ausschließlich, so doch größtenteils verbreitet ist. Nur an der Küste und in einzelnen Talgebieten ist die Kleinwirtschaft in Verbindung mit der Baumkultur vertreten. Es ist einleuchtend, daß die Anhäufung des Grund und Bodens in wenigen Händen ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Ent¬ wicklung des Landes sein muß. Rückwirkend beeinflußt dieser Zustand aber auch ganz besonders die ganze ökonomische Entwicklung des Landes, da Italien ein ackerbautreibendes Land ist und auch infolge seiner natürlichen Beschaffenheit ein solches bleiben wird. Aber auch bei der jetzigen Besitzverteilung würde die Landwirtschaft ihre Aufgabe weit besser erfüllen, wenn sich der Grundbesitz nicht in den Händen des hohen Adels befände. Der römische Edelmann ist meist kein ausübender Landwirt. Es fehlt ihm jede Lust am Landleben. Er verpachtet seine Güter in der Regel nur an einen Pächter, um möglichst wenig Unangenehmes zu haben. Erfreulicherweise hat sich aber in neuerer Zeit in der Bewirtschaftung der Güter, wie überhaupt in landwirtschaftlicher Beziehung, ein Wandel wohltuend bemerkbar gemacht. Es gibt auch jetzt größere Grund¬ herren in Italien, die sich die Bewirtschaftung ihrer Güter sehr angelegen sein lassen und mustergiltig wirtschaften. Der wirtschaftliche Zustand der römischen Campagna ist jedoch heute im wesentlichen derselbe, wie er sich im vierzehnten Jahrhundert entwickelt hat. In den letzten Jahren sind zwar Landwirtschaftsbetriebe eingerichtet worden, die das Ackerland unter dem Pfluge intensiv bewirtschaften, doch ist ihre Zahl so gering, daß der Gesamtcharakter der Landwirtschaft der römischen Campagna dadurch nicht beeinflußt wird. Historisch interessant ist nun, daß das Gebiet im kaiserlichen Rom ein völlig andres Bild zeigte. Wie bekannt, nahm Reichtum und Wohlstand im alten Rom ins Ungemessene zu, weshalb auch die Nachfrage nach verfeinerten Nahrungs- und Genußmitteln stetig steigen mußte. Brodgetreide erzeugte man in der Umgegend schon längst nicht mehr, da dessen Bedarf durch den über¬ seeischen Import gedeckt wurde. Dagegen brachte die Landwirtschaft der Um¬ gegend solche Nahrungs- und Genußmittel hervor, deren die verfeinerte Millionenstadt bedürfte. Frisches Gemüse und Obst wurden im alten Rom in großen Mengen verzehrt. Solche konnten wegen ihrer geringen Haltbarkeit nur aus der Umgegend bezogen werden. So befinden sich hinter den prächtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/432>, abgerufen am 27.06.2024.