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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Studienfahrten in der römischen Campagna

regen zum Studium an. Weitgehende Empfehlungen ermöglichten es mir, die
eigenartigen Verhältnisse des Gebiets kennen zu lernen.

Unmittelbar hinter den Mauern der Stadt Rom beginnt das ehemalige
Suborbio, ein 7530 Hektar großer Gürtel, bedeckt mit Weinbergen, Gärten
und Parkanlagen, zwischen denen einzelne Gehöfte, Ostarier, Villen und Kirchen
hervortreten. Ganz unmerklich geht nun dieses Gebiet in die eigentliche römische
Campagna über. Im Norden und Osten von einem schützenden Wall freund¬
licher Gebirge, nach Süden und Westen vom Meere umgeben, bildet sie eine
fast unbewohnte, wellige Grasfläche mit größern und kleinern Plateaus.
Bogen antiker Wasserleitungen ziehn vom Gebirge her; auf dem langen Rücken
der Via Appia erkennt man die Trümmer ehemaliger Grabdenkmäler; in den
Niederungen breiten sich Wassertümpel und Nohrpflanzen aus; einzelne Pinien
Und hohe Eukalyptusbäume wechseln mit kleinen Gehölzen von Steineichen.
Akazien u. a. ab; zerstreut treten größere Gehöfte, Strohhütten und Stroh¬
feime hervor; wenige Herden langwolliger Schafe oder silbergrauer, langgehörnter
Rinder, von berittenen Hirten bewacht, beleben diese menschenleere, öde und
doch ausdrucksvolle Landschaft. Es ist ein seltsames Bild von melancholischer
Größe, das wir um die ehemalige Weltstadt erblicken!

Das gesamte Gebiet hat einen Umfang von mehr als 204300 Hektar.
Davon wird der größte Teil, und zwar etwa neun Zehntel, als Weide und Wiese
genutzt, während sich nur ein geringer Teil, etwa ein Zehntel, unter dem Pfluge
befindet. Die bewaldete Fläche beträgt beinahe 20 Prozent der Gesamtfläche.
Der größte Teil des Waldes besteht aber aus wirrem Gestrüpp der Macchicn
und nur zum Teil aus landschaftlich zwar schönen, aber wirtschaftlich wertlosen
Wäldern von immergrünen Eichen und Pinien. Solche bedecken die Küste von der
Mündung des Tibers bis zur Bucht von Antium. Südlich von Castel Fnsano
beginnt das Gestrüpp der Macchien, das von langgestreckten Sandhügeln unter¬
brochen wird, in denen die Ruinen der römischen Villen vergraben liegen.

In das Gebiet teilen sich nicht viel mehr als zweihundert Eigentümer.
Selbst nach der Säkularisation der Kirchengüter im Jahre 1873 versäumte man
eine dem Staate zugefallne Fläche von 47000 Hektar zur Gründung von
Bauerngütern zu benutzen, statt dessen verkaufte mau die Güter an wenige
Großgrundbesitzer. Acht Eigentümer besitzen über die Hülste des Areals. Fast
die Hälfte umfaßt Güter von 1000 bis 7400 Hektar, das Haus Fern besitzt
sogar 15000 Hektar, etwa 7 Prozent der ganzen Campagna. Von dem Grund¬
besitze sind heute 8 Prozent im Besitz der Toten Hand. 92 Prozent sind freies
Eigentum. Davon besitzen adliche Grundherren 51 Prozent und bürgerliche
41 Prozent. Der adliche Besitz befindet sich größtenteils in den Händen päpst¬
lichen Nepotenadels. Jedes dieser Geschlechter hat einen oder mehrere ihrer
Angehörigen auf dem Stuhl Petri gehabt, daher verdanken sie ihre Besitzungen
ihrer päpstlichen Verwandtschaft. Die andre Klasse der Campagnaeigcntümer
ist größtenteils aus dem Pächterstande hervorgegangen.


Studienfahrten in der römischen Campagna

regen zum Studium an. Weitgehende Empfehlungen ermöglichten es mir, die
eigenartigen Verhältnisse des Gebiets kennen zu lernen.

Unmittelbar hinter den Mauern der Stadt Rom beginnt das ehemalige
Suborbio, ein 7530 Hektar großer Gürtel, bedeckt mit Weinbergen, Gärten
und Parkanlagen, zwischen denen einzelne Gehöfte, Ostarier, Villen und Kirchen
hervortreten. Ganz unmerklich geht nun dieses Gebiet in die eigentliche römische
Campagna über. Im Norden und Osten von einem schützenden Wall freund¬
licher Gebirge, nach Süden und Westen vom Meere umgeben, bildet sie eine
fast unbewohnte, wellige Grasfläche mit größern und kleinern Plateaus.
Bogen antiker Wasserleitungen ziehn vom Gebirge her; auf dem langen Rücken
der Via Appia erkennt man die Trümmer ehemaliger Grabdenkmäler; in den
Niederungen breiten sich Wassertümpel und Nohrpflanzen aus; einzelne Pinien
Und hohe Eukalyptusbäume wechseln mit kleinen Gehölzen von Steineichen.
Akazien u. a. ab; zerstreut treten größere Gehöfte, Strohhütten und Stroh¬
feime hervor; wenige Herden langwolliger Schafe oder silbergrauer, langgehörnter
Rinder, von berittenen Hirten bewacht, beleben diese menschenleere, öde und
doch ausdrucksvolle Landschaft. Es ist ein seltsames Bild von melancholischer
Größe, das wir um die ehemalige Weltstadt erblicken!

Das gesamte Gebiet hat einen Umfang von mehr als 204300 Hektar.
Davon wird der größte Teil, und zwar etwa neun Zehntel, als Weide und Wiese
genutzt, während sich nur ein geringer Teil, etwa ein Zehntel, unter dem Pfluge
befindet. Die bewaldete Fläche beträgt beinahe 20 Prozent der Gesamtfläche.
Der größte Teil des Waldes besteht aber aus wirrem Gestrüpp der Macchicn
und nur zum Teil aus landschaftlich zwar schönen, aber wirtschaftlich wertlosen
Wäldern von immergrünen Eichen und Pinien. Solche bedecken die Küste von der
Mündung des Tibers bis zur Bucht von Antium. Südlich von Castel Fnsano
beginnt das Gestrüpp der Macchien, das von langgestreckten Sandhügeln unter¬
brochen wird, in denen die Ruinen der römischen Villen vergraben liegen.

In das Gebiet teilen sich nicht viel mehr als zweihundert Eigentümer.
Selbst nach der Säkularisation der Kirchengüter im Jahre 1873 versäumte man
eine dem Staate zugefallne Fläche von 47000 Hektar zur Gründung von
Bauerngütern zu benutzen, statt dessen verkaufte mau die Güter an wenige
Großgrundbesitzer. Acht Eigentümer besitzen über die Hülste des Areals. Fast
die Hälfte umfaßt Güter von 1000 bis 7400 Hektar, das Haus Fern besitzt
sogar 15000 Hektar, etwa 7 Prozent der ganzen Campagna. Von dem Grund¬
besitze sind heute 8 Prozent im Besitz der Toten Hand. 92 Prozent sind freies
Eigentum. Davon besitzen adliche Grundherren 51 Prozent und bürgerliche
41 Prozent. Der adliche Besitz befindet sich größtenteils in den Händen päpst¬
lichen Nepotenadels. Jedes dieser Geschlechter hat einen oder mehrere ihrer
Angehörigen auf dem Stuhl Petri gehabt, daher verdanken sie ihre Besitzungen
ihrer päpstlichen Verwandtschaft. Die andre Klasse der Campagnaeigcntümer
ist größtenteils aus dem Pächterstande hervorgegangen.


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[0431] Studienfahrten in der römischen Campagna regen zum Studium an. Weitgehende Empfehlungen ermöglichten es mir, die eigenartigen Verhältnisse des Gebiets kennen zu lernen. Unmittelbar hinter den Mauern der Stadt Rom beginnt das ehemalige Suborbio, ein 7530 Hektar großer Gürtel, bedeckt mit Weinbergen, Gärten und Parkanlagen, zwischen denen einzelne Gehöfte, Ostarier, Villen und Kirchen hervortreten. Ganz unmerklich geht nun dieses Gebiet in die eigentliche römische Campagna über. Im Norden und Osten von einem schützenden Wall freund¬ licher Gebirge, nach Süden und Westen vom Meere umgeben, bildet sie eine fast unbewohnte, wellige Grasfläche mit größern und kleinern Plateaus. Bogen antiker Wasserleitungen ziehn vom Gebirge her; auf dem langen Rücken der Via Appia erkennt man die Trümmer ehemaliger Grabdenkmäler; in den Niederungen breiten sich Wassertümpel und Nohrpflanzen aus; einzelne Pinien Und hohe Eukalyptusbäume wechseln mit kleinen Gehölzen von Steineichen. Akazien u. a. ab; zerstreut treten größere Gehöfte, Strohhütten und Stroh¬ feime hervor; wenige Herden langwolliger Schafe oder silbergrauer, langgehörnter Rinder, von berittenen Hirten bewacht, beleben diese menschenleere, öde und doch ausdrucksvolle Landschaft. Es ist ein seltsames Bild von melancholischer Größe, das wir um die ehemalige Weltstadt erblicken! Das gesamte Gebiet hat einen Umfang von mehr als 204300 Hektar. Davon wird der größte Teil, und zwar etwa neun Zehntel, als Weide und Wiese genutzt, während sich nur ein geringer Teil, etwa ein Zehntel, unter dem Pfluge befindet. Die bewaldete Fläche beträgt beinahe 20 Prozent der Gesamtfläche. Der größte Teil des Waldes besteht aber aus wirrem Gestrüpp der Macchicn und nur zum Teil aus landschaftlich zwar schönen, aber wirtschaftlich wertlosen Wäldern von immergrünen Eichen und Pinien. Solche bedecken die Küste von der Mündung des Tibers bis zur Bucht von Antium. Südlich von Castel Fnsano beginnt das Gestrüpp der Macchien, das von langgestreckten Sandhügeln unter¬ brochen wird, in denen die Ruinen der römischen Villen vergraben liegen. In das Gebiet teilen sich nicht viel mehr als zweihundert Eigentümer. Selbst nach der Säkularisation der Kirchengüter im Jahre 1873 versäumte man eine dem Staate zugefallne Fläche von 47000 Hektar zur Gründung von Bauerngütern zu benutzen, statt dessen verkaufte mau die Güter an wenige Großgrundbesitzer. Acht Eigentümer besitzen über die Hülste des Areals. Fast die Hälfte umfaßt Güter von 1000 bis 7400 Hektar, das Haus Fern besitzt sogar 15000 Hektar, etwa 7 Prozent der ganzen Campagna. Von dem Grund¬ besitze sind heute 8 Prozent im Besitz der Toten Hand. 92 Prozent sind freies Eigentum. Davon besitzen adliche Grundherren 51 Prozent und bürgerliche 41 Prozent. Der adliche Besitz befindet sich größtenteils in den Händen päpst¬ lichen Nepotenadels. Jedes dieser Geschlechter hat einen oder mehrere ihrer Angehörigen auf dem Stuhl Petri gehabt, daher verdanken sie ihre Besitzungen ihrer päpstlichen Verwandtschaft. Die andre Klasse der Campagnaeigcntümer ist größtenteils aus dem Pächterstande hervorgegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/431>, abgerufen am 24.07.2024.