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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Swdienfahrten in der römischen "Lampagna

soziale Tatsache --, und zwar ist er hierin ein Pendant zu Saikwaku, nur daß
der Dramatiker künstlerisch und psychologisch höher steht als der Novellist. Für
Japan hat er jedenfalls dieselbe Bedeutung wie Shakespeare für England.
Sein beliebtestes Stück ist noch jetzt "Die Kämpfe des Neichsvatcrs", eines
berüchtigten Piraten, der die Holländer aus Formosa vertrieb. Dieses Stück
verdankt seinen Erfolg vor allem der Verherrlichung der japanischen Tapferkeit
und Vaterlandsliebe. Neuerdings bereitet sich eine große Reformbewegung in der
dramatischen Dichtung wie in der Schauspielkunst vor (s. Florenz S. 617 ff.).

Manchen wird vielleicht die vorstehende flüchtige Übersicht enttäuscht haben,
und vor allem wird ihm die Vergleichung mit der russische" Literatur bedenklich
vorkommen. Die japanische Literatur, so wird man sagen, ist ja noch gar nicht
in die Reihe der Weltliteraturen eingetreten, während die russische schon längst
ihren Platz darin einnimmt. Es kam uns auch nicht auf die literarisch-ästhe¬
tische, sondern auf die kulturpsychologische und soziale Seite an, und da muß
man sagen: wenn ein Volk, das bis vor kurzem nicht aus seiner Kultursphäre
herausgetreten ist und auch keine nennenswerte Volkspoesie besitzt, eine so reiche
Kunstliteratur erzeugt hat, und zwar durch glückliche Anpassung an die chinesische
Literatur, so muß das für die Zukunft die besten Hoffnungen erwecken, zumal
wenn man bedenkt, daß sich die russische Literatur trotz ihrer so reichen Volks¬
poesie erst entfalten konnte, als sie in Berührung mit dem kulturfremden euro¬
päischen Geiste trat. Gerade die frühe Individualisierung ist es, die man bei
aller Macht der Überlieferung an der japanischen Literatur bewundern muß,
die geistige Regsamkeit, die alle Stände auszeichnet und ein lebendiges Zu¬
sammenspiel der Kräfte ermöglicht, im Gegensatz zu den vielen hemmenden Ele¬
menten in der russischen Kultur. Diese alte Individualisierung aber bietet die
beste Gewähr dafür, daß sich auch die jetzt sich vollziehende Literaturreform,
wie alle übrigen Reformen, weniger gewaltsam, aber um so durchgreifender ge¬
stalten werden als die des petrinischcn Rußland.




Htudienfahrten in der römischen (Lampagna
H. Bachmann i vonn Apenrade

l s war meine dritte Reise, die ich im Frühjahr 1907 nach Rom
unternahm. Schon bei den ersten beiden Fahrten reifte in mir
der Entschluß, die römische Campagna, jenes eigenartige Gebiet
außerhalb der Mauern Roms, eingehend kennen zu lernen. So-
I wohl die gewaltigen historischen Ereignisse, die sich hier abspielen,
als auch die eigentümlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und ebenso die Reform¬
maßnahmen der italienischen Regierung, die sich auf das Gebiet beziehen,


Swdienfahrten in der römischen «Lampagna

soziale Tatsache —, und zwar ist er hierin ein Pendant zu Saikwaku, nur daß
der Dramatiker künstlerisch und psychologisch höher steht als der Novellist. Für
Japan hat er jedenfalls dieselbe Bedeutung wie Shakespeare für England.
Sein beliebtestes Stück ist noch jetzt „Die Kämpfe des Neichsvatcrs", eines
berüchtigten Piraten, der die Holländer aus Formosa vertrieb. Dieses Stück
verdankt seinen Erfolg vor allem der Verherrlichung der japanischen Tapferkeit
und Vaterlandsliebe. Neuerdings bereitet sich eine große Reformbewegung in der
dramatischen Dichtung wie in der Schauspielkunst vor (s. Florenz S. 617 ff.).

Manchen wird vielleicht die vorstehende flüchtige Übersicht enttäuscht haben,
und vor allem wird ihm die Vergleichung mit der russische» Literatur bedenklich
vorkommen. Die japanische Literatur, so wird man sagen, ist ja noch gar nicht
in die Reihe der Weltliteraturen eingetreten, während die russische schon längst
ihren Platz darin einnimmt. Es kam uns auch nicht auf die literarisch-ästhe¬
tische, sondern auf die kulturpsychologische und soziale Seite an, und da muß
man sagen: wenn ein Volk, das bis vor kurzem nicht aus seiner Kultursphäre
herausgetreten ist und auch keine nennenswerte Volkspoesie besitzt, eine so reiche
Kunstliteratur erzeugt hat, und zwar durch glückliche Anpassung an die chinesische
Literatur, so muß das für die Zukunft die besten Hoffnungen erwecken, zumal
wenn man bedenkt, daß sich die russische Literatur trotz ihrer so reichen Volks¬
poesie erst entfalten konnte, als sie in Berührung mit dem kulturfremden euro¬
päischen Geiste trat. Gerade die frühe Individualisierung ist es, die man bei
aller Macht der Überlieferung an der japanischen Literatur bewundern muß,
die geistige Regsamkeit, die alle Stände auszeichnet und ein lebendiges Zu¬
sammenspiel der Kräfte ermöglicht, im Gegensatz zu den vielen hemmenden Ele¬
menten in der russischen Kultur. Diese alte Individualisierung aber bietet die
beste Gewähr dafür, daß sich auch die jetzt sich vollziehende Literaturreform,
wie alle übrigen Reformen, weniger gewaltsam, aber um so durchgreifender ge¬
stalten werden als die des petrinischcn Rußland.




Htudienfahrten in der römischen (Lampagna
H. Bachmann i vonn Apenrade

l s war meine dritte Reise, die ich im Frühjahr 1907 nach Rom
unternahm. Schon bei den ersten beiden Fahrten reifte in mir
der Entschluß, die römische Campagna, jenes eigenartige Gebiet
außerhalb der Mauern Roms, eingehend kennen zu lernen. So-
I wohl die gewaltigen historischen Ereignisse, die sich hier abspielen,
als auch die eigentümlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und ebenso die Reform¬
maßnahmen der italienischen Regierung, die sich auf das Gebiet beziehen,


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[0430] Swdienfahrten in der römischen «Lampagna soziale Tatsache —, und zwar ist er hierin ein Pendant zu Saikwaku, nur daß der Dramatiker künstlerisch und psychologisch höher steht als der Novellist. Für Japan hat er jedenfalls dieselbe Bedeutung wie Shakespeare für England. Sein beliebtestes Stück ist noch jetzt „Die Kämpfe des Neichsvatcrs", eines berüchtigten Piraten, der die Holländer aus Formosa vertrieb. Dieses Stück verdankt seinen Erfolg vor allem der Verherrlichung der japanischen Tapferkeit und Vaterlandsliebe. Neuerdings bereitet sich eine große Reformbewegung in der dramatischen Dichtung wie in der Schauspielkunst vor (s. Florenz S. 617 ff.). Manchen wird vielleicht die vorstehende flüchtige Übersicht enttäuscht haben, und vor allem wird ihm die Vergleichung mit der russische» Literatur bedenklich vorkommen. Die japanische Literatur, so wird man sagen, ist ja noch gar nicht in die Reihe der Weltliteraturen eingetreten, während die russische schon längst ihren Platz darin einnimmt. Es kam uns auch nicht auf die literarisch-ästhe¬ tische, sondern auf die kulturpsychologische und soziale Seite an, und da muß man sagen: wenn ein Volk, das bis vor kurzem nicht aus seiner Kultursphäre herausgetreten ist und auch keine nennenswerte Volkspoesie besitzt, eine so reiche Kunstliteratur erzeugt hat, und zwar durch glückliche Anpassung an die chinesische Literatur, so muß das für die Zukunft die besten Hoffnungen erwecken, zumal wenn man bedenkt, daß sich die russische Literatur trotz ihrer so reichen Volks¬ poesie erst entfalten konnte, als sie in Berührung mit dem kulturfremden euro¬ päischen Geiste trat. Gerade die frühe Individualisierung ist es, die man bei aller Macht der Überlieferung an der japanischen Literatur bewundern muß, die geistige Regsamkeit, die alle Stände auszeichnet und ein lebendiges Zu¬ sammenspiel der Kräfte ermöglicht, im Gegensatz zu den vielen hemmenden Ele¬ menten in der russischen Kultur. Diese alte Individualisierung aber bietet die beste Gewähr dafür, daß sich auch die jetzt sich vollziehende Literaturreform, wie alle übrigen Reformen, weniger gewaltsam, aber um so durchgreifender ge¬ stalten werden als die des petrinischcn Rußland. Htudienfahrten in der römischen (Lampagna H. Bachmann i vonn Apenrade l s war meine dritte Reise, die ich im Frühjahr 1907 nach Rom unternahm. Schon bei den ersten beiden Fahrten reifte in mir der Entschluß, die römische Campagna, jenes eigenartige Gebiet außerhalb der Mauern Roms, eingehend kennen zu lernen. So- I wohl die gewaltigen historischen Ereignisse, die sich hier abspielen, als auch die eigentümlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und ebenso die Reform¬ maßnahmen der italienischen Regierung, die sich auf das Gebiet beziehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/430>, abgerufen am 27.06.2024.