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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Uulturgrundlagen der russischen und der japanischen Literatur

Perioden der japanischen Geschichte nicht nach den Kaiserdynastien, sondern viel¬
mehr nach diesen Shögunaten benannt werden. Daß diese sich nicht zu fest
einnisteten, dafür sorgten schon die zahlreichen kleinen Feudalfürsten, von deren
Bezwingung oder Nichtbezwingung oft ihr Schicksal abhing. Das letzte und
längste Shögunat war das der Tokngawa (1601 bis 1868), dessen Stammherr
Jeyshu "eine kluge, weitsichtige, feste, aber das Volkswohl befördernde Politik"
einleitete, die auf Jahrhunderte in Geltung blieb.

Vergleichen wir nun, wie sich hiernach das Kulturbild ausnimmt, das uns
Rußland und Japan im sechzehnten Jahrhundert bieten.

Die Nationalisierung und Sozialisierung der Sprache hatten sich in Japan
schon im dreizehnten Jahrhundert vollzogen (die ältesten Denkmäler der japa¬
nischen Literatur stammen aus dem Anfang des achten Jahrhunderts), also zu
einer Zeit, wo in Nußland zwar noch der kleinrussische (Kiewer) Dialekt in
Blüte stand, aber durch die Verschiebung nach Norden bald ganz zurück¬
gedrängt wurde, um dann der tyrannischen Macht des Kirchenslawischen zu
weichen, das jede volkstümliche Regung bis in die Mitte des achtzehnten Jahr¬
hunderts erstickte und auch jede freiere Entfaltung der Literatur unterband.
"Das Wesen der Schriftstellerei erkannte man in dem "schlauen Verflechten"
der Worte, hinter denen sich der Verfasser selbst nichts Rechtes mehr gedacht
hat" (Bruckner S. 18). Als 1683 der Psalter ins Großrussische übersetzt wurde,
verbot der Patriarch die Drucklegung. Die Buchdruckerei lag ja noch das ganze
siebzehnte Jahrhundert hindurch in den Händen der Geistlichkeit.

Demgegenüber finden wir in Japan schon im dreizehnten Jahrhundert die
organische Mischung zwischen Chinesisch und Japanisch in dem Grade vollzogen,
als neues Blut aus andern Kreisen der Bevölkerung (als den höfischen) in die
Schriftstellerzunft drang. "Die Schlachtenepen sind bereits in der Sprache ge¬
schrieben . . ., die in vielerlei Abstufungen ... das Ausdrucksmittel der spät-
mittelalterlichen und modernen Literatur und weiterhin die moderne Umgangs¬
sprache geworden ist." (Florenz S. 258.)

Man sieht also schon hieran: organische Entwicklung in Japan, unorganische
M Rußland. Welcher Unterschied zwischen dem Moskau und dem Yedo des
sechzehnten Jahrhunderts! Dort war alles geistige Leben unter dem dumpfen
Druck der Geistlichkeit erlahmt, hier herrschte unter dem Shogun Jeyashu ein
völlig demokratisches Bildungssystem. "Überall erwachte die schlummernde
Energie und trat eine vordem nie erlebte Rührigkeit aller Schichten des Volkes
vom Fürsten bis zum gemeinen Manne zutage." (Florenz S. 417.) Gab es
in Moskau nur eine einzige Druckerpresse auf dem Hofe des Patriarchats
(Bruckner S. 40), so wurden in Aedo die wichtigsten Bücher durch Druck mit
beweglichen Typen vervielfältigt, sowohl in der offiziellen wie in zahlreichen
Privatdruckereieu (Florenz S. 418), die das Lesebedürfnis der mittlern und der
untern Volksklassen befriedigten, was in Rußland noch heute ein frommer
Wunsch ist. Und lag hier die literarische Produktion im sechzehnten Jahr-


Die Uulturgrundlagen der russischen und der japanischen Literatur

Perioden der japanischen Geschichte nicht nach den Kaiserdynastien, sondern viel¬
mehr nach diesen Shögunaten benannt werden. Daß diese sich nicht zu fest
einnisteten, dafür sorgten schon die zahlreichen kleinen Feudalfürsten, von deren
Bezwingung oder Nichtbezwingung oft ihr Schicksal abhing. Das letzte und
längste Shögunat war das der Tokngawa (1601 bis 1868), dessen Stammherr
Jeyshu „eine kluge, weitsichtige, feste, aber das Volkswohl befördernde Politik"
einleitete, die auf Jahrhunderte in Geltung blieb.

Vergleichen wir nun, wie sich hiernach das Kulturbild ausnimmt, das uns
Rußland und Japan im sechzehnten Jahrhundert bieten.

Die Nationalisierung und Sozialisierung der Sprache hatten sich in Japan
schon im dreizehnten Jahrhundert vollzogen (die ältesten Denkmäler der japa¬
nischen Literatur stammen aus dem Anfang des achten Jahrhunderts), also zu
einer Zeit, wo in Nußland zwar noch der kleinrussische (Kiewer) Dialekt in
Blüte stand, aber durch die Verschiebung nach Norden bald ganz zurück¬
gedrängt wurde, um dann der tyrannischen Macht des Kirchenslawischen zu
weichen, das jede volkstümliche Regung bis in die Mitte des achtzehnten Jahr¬
hunderts erstickte und auch jede freiere Entfaltung der Literatur unterband.
„Das Wesen der Schriftstellerei erkannte man in dem »schlauen Verflechten«
der Worte, hinter denen sich der Verfasser selbst nichts Rechtes mehr gedacht
hat" (Bruckner S. 18). Als 1683 der Psalter ins Großrussische übersetzt wurde,
verbot der Patriarch die Drucklegung. Die Buchdruckerei lag ja noch das ganze
siebzehnte Jahrhundert hindurch in den Händen der Geistlichkeit.

Demgegenüber finden wir in Japan schon im dreizehnten Jahrhundert die
organische Mischung zwischen Chinesisch und Japanisch in dem Grade vollzogen,
als neues Blut aus andern Kreisen der Bevölkerung (als den höfischen) in die
Schriftstellerzunft drang. „Die Schlachtenepen sind bereits in der Sprache ge¬
schrieben . . ., die in vielerlei Abstufungen ... das Ausdrucksmittel der spät-
mittelalterlichen und modernen Literatur und weiterhin die moderne Umgangs¬
sprache geworden ist." (Florenz S. 258.)

Man sieht also schon hieran: organische Entwicklung in Japan, unorganische
M Rußland. Welcher Unterschied zwischen dem Moskau und dem Yedo des
sechzehnten Jahrhunderts! Dort war alles geistige Leben unter dem dumpfen
Druck der Geistlichkeit erlahmt, hier herrschte unter dem Shogun Jeyashu ein
völlig demokratisches Bildungssystem. „Überall erwachte die schlummernde
Energie und trat eine vordem nie erlebte Rührigkeit aller Schichten des Volkes
vom Fürsten bis zum gemeinen Manne zutage." (Florenz S. 417.) Gab es
in Moskau nur eine einzige Druckerpresse auf dem Hofe des Patriarchats
(Bruckner S. 40), so wurden in Aedo die wichtigsten Bücher durch Druck mit
beweglichen Typen vervielfältigt, sowohl in der offiziellen wie in zahlreichen
Privatdruckereieu (Florenz S. 418), die das Lesebedürfnis der mittlern und der
untern Volksklassen befriedigten, was in Rußland noch heute ein frommer
Wunsch ist. Und lag hier die literarische Produktion im sechzehnten Jahr-


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[0425] Die Uulturgrundlagen der russischen und der japanischen Literatur Perioden der japanischen Geschichte nicht nach den Kaiserdynastien, sondern viel¬ mehr nach diesen Shögunaten benannt werden. Daß diese sich nicht zu fest einnisteten, dafür sorgten schon die zahlreichen kleinen Feudalfürsten, von deren Bezwingung oder Nichtbezwingung oft ihr Schicksal abhing. Das letzte und längste Shögunat war das der Tokngawa (1601 bis 1868), dessen Stammherr Jeyshu „eine kluge, weitsichtige, feste, aber das Volkswohl befördernde Politik" einleitete, die auf Jahrhunderte in Geltung blieb. Vergleichen wir nun, wie sich hiernach das Kulturbild ausnimmt, das uns Rußland und Japan im sechzehnten Jahrhundert bieten. Die Nationalisierung und Sozialisierung der Sprache hatten sich in Japan schon im dreizehnten Jahrhundert vollzogen (die ältesten Denkmäler der japa¬ nischen Literatur stammen aus dem Anfang des achten Jahrhunderts), also zu einer Zeit, wo in Nußland zwar noch der kleinrussische (Kiewer) Dialekt in Blüte stand, aber durch die Verschiebung nach Norden bald ganz zurück¬ gedrängt wurde, um dann der tyrannischen Macht des Kirchenslawischen zu weichen, das jede volkstümliche Regung bis in die Mitte des achtzehnten Jahr¬ hunderts erstickte und auch jede freiere Entfaltung der Literatur unterband. „Das Wesen der Schriftstellerei erkannte man in dem »schlauen Verflechten« der Worte, hinter denen sich der Verfasser selbst nichts Rechtes mehr gedacht hat" (Bruckner S. 18). Als 1683 der Psalter ins Großrussische übersetzt wurde, verbot der Patriarch die Drucklegung. Die Buchdruckerei lag ja noch das ganze siebzehnte Jahrhundert hindurch in den Händen der Geistlichkeit. Demgegenüber finden wir in Japan schon im dreizehnten Jahrhundert die organische Mischung zwischen Chinesisch und Japanisch in dem Grade vollzogen, als neues Blut aus andern Kreisen der Bevölkerung (als den höfischen) in die Schriftstellerzunft drang. „Die Schlachtenepen sind bereits in der Sprache ge¬ schrieben . . ., die in vielerlei Abstufungen ... das Ausdrucksmittel der spät- mittelalterlichen und modernen Literatur und weiterhin die moderne Umgangs¬ sprache geworden ist." (Florenz S. 258.) Man sieht also schon hieran: organische Entwicklung in Japan, unorganische M Rußland. Welcher Unterschied zwischen dem Moskau und dem Yedo des sechzehnten Jahrhunderts! Dort war alles geistige Leben unter dem dumpfen Druck der Geistlichkeit erlahmt, hier herrschte unter dem Shogun Jeyashu ein völlig demokratisches Bildungssystem. „Überall erwachte die schlummernde Energie und trat eine vordem nie erlebte Rührigkeit aller Schichten des Volkes vom Fürsten bis zum gemeinen Manne zutage." (Florenz S. 417.) Gab es in Moskau nur eine einzige Druckerpresse auf dem Hofe des Patriarchats (Bruckner S. 40), so wurden in Aedo die wichtigsten Bücher durch Druck mit beweglichen Typen vervielfältigt, sowohl in der offiziellen wie in zahlreichen Privatdruckereieu (Florenz S. 418), die das Lesebedürfnis der mittlern und der untern Volksklassen befriedigten, was in Rußland noch heute ein frommer Wunsch ist. Und lag hier die literarische Produktion im sechzehnten Jahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/425>, abgerufen am 27.06.2024.