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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Teresa de Jesus

sei. Offenbar ein Angsttraum, dem ihr Kirchenglaube den Phantasiestoff und
ihr feines Nervensystm die Intensität gab. Es ist ein schönes Zeugnis für
den edeln Sinn und die reine Phantasie der Heiligen, daß sie nicht Henker¬
szenen beschreibt, die ihr doch im Lande der Inquisition und im Zeitalter der
greuelvollsten Justiz näher lagen, als sie dem Dichter der Hölle gelegen haben
mögen. Das zweitemal, wo sie, ohne selbst gepeinigt zu werden, nur andre
leiden sah, steigerte die Vision ihre Liebe zu den Seelen und ihr Verlangen,
sie vor der ewigen Pein zu bewahren; besonders mit den unglücklichen
Lutheranern und den armen Heiden in Judien empfindet sie herzliches Mit¬
leid. Eine andre Nonne, von der sie erzählt, hatte einmal erfahren, daß
andern Tags einige Verurteilte verbrannt werden sollten, die verstockt blieben.
Sie bat Gott, diese Unglücklichen zur Reue zu erwecken, und dafür ihr die
ärgsten leiblichen Qualen aufzuerlegen. Ihr Gebet wurde erhört. Die Ver¬
brecher starben bußfertig, sie aber fiel in eine Krankheit, die jahrelang bis zu
ihrem Tode dauerte und schreckliche Schmerzen verursachte.e

So bereit Teresa auch war. ihre äußern Pflichten zu erfüllen, bereitet
ihr dennoch die Rückkehr aus der Ekstase in die "traurige Komödie des Lebens"
jedesmal Schmerz; als eine Pein empfand sie die Notwendigkeit. Nahrung zu
sich zu nehmen, zu schlafe" und so viele weltliche Geschäfte besorgen zu müssen,
besonders so lästige wie die Geldgeschäfte und die ewige Briefschreiberei, für die
sie. wenn sie die Geduld verliert, auch manchmal den Teufel verantwortlich
macht. Diese vielen Geschäfte zog ihr die Klosterreform zu, die sie unternahm.
Wie das so zu gehn pflegt, die Karmeliter und Karmelitinnen waren von der
Strenge ihrer Ordensregel abgewichen, und Teresa fand, das Leben, das die
Mönche und Nonnen des Ordens führten, sei weit schlimmer als das weltliche
Leben. "Wollten die Eltern, schreibt sie in ihrer Biographie, meinen Rat an¬
nehmen, so würden sie trotz allen Gefahren der Welt schon im Interesse ihrer
eignen Ehre ihre Töchter lieber - sei es auch tief unter ihrem Range - ver¬
heiraten oder in ihrem Hause behalten, als sie in ein Kloster mit laxer Disziplin
treten lassen, es sei denn, daß sie so gut geartet wären, daß sie sich auch unter
höchst ungünstigen Verhältnissen zu halten vermöchten. Führen sich Mädchen im
elterlichen Hanse schlecht auf, so wird dies viel früher entdeckt als im Kloster,
wo sie ihre Ausschreitungen lange verbergen können, bis der Herr sie endlich
doch an den Tag bringt. Aber dann haben sie bereits nicht nur sich selbst,
sondern auch andern den empfindlichsten Schaden zugefügt. Die Ärmsten selbst
haben ja am Ende nicht die größte Schuld; sie gehn nur auf dem Wege fort,
der ihnen im Kloster gewiesen wird." Ermuntert durch das Beispiel und den
Rat des großen Asketen Peter von Alcantara. der den Franziskanerorden
reformiert hatte, und den sie 1560 persönlich kennen lernte, schritt sie zur Reform
ihres eignen Ordens. Sie stiftete ein Klösterchen zu Avila. in dem sich wemge
°rue Jungfrauen zur Beobachtung der ursprünglichen strengen und von ehr
noch durch Geißelungen und Versagung der Fußbekleidung verschärften Regel


Teresa de Jesus

sei. Offenbar ein Angsttraum, dem ihr Kirchenglaube den Phantasiestoff und
ihr feines Nervensystm die Intensität gab. Es ist ein schönes Zeugnis für
den edeln Sinn und die reine Phantasie der Heiligen, daß sie nicht Henker¬
szenen beschreibt, die ihr doch im Lande der Inquisition und im Zeitalter der
greuelvollsten Justiz näher lagen, als sie dem Dichter der Hölle gelegen haben
mögen. Das zweitemal, wo sie, ohne selbst gepeinigt zu werden, nur andre
leiden sah, steigerte die Vision ihre Liebe zu den Seelen und ihr Verlangen,
sie vor der ewigen Pein zu bewahren; besonders mit den unglücklichen
Lutheranern und den armen Heiden in Judien empfindet sie herzliches Mit¬
leid. Eine andre Nonne, von der sie erzählt, hatte einmal erfahren, daß
andern Tags einige Verurteilte verbrannt werden sollten, die verstockt blieben.
Sie bat Gott, diese Unglücklichen zur Reue zu erwecken, und dafür ihr die
ärgsten leiblichen Qualen aufzuerlegen. Ihr Gebet wurde erhört. Die Ver¬
brecher starben bußfertig, sie aber fiel in eine Krankheit, die jahrelang bis zu
ihrem Tode dauerte und schreckliche Schmerzen verursachte.e

So bereit Teresa auch war. ihre äußern Pflichten zu erfüllen, bereitet
ihr dennoch die Rückkehr aus der Ekstase in die „traurige Komödie des Lebens"
jedesmal Schmerz; als eine Pein empfand sie die Notwendigkeit. Nahrung zu
sich zu nehmen, zu schlafe» und so viele weltliche Geschäfte besorgen zu müssen,
besonders so lästige wie die Geldgeschäfte und die ewige Briefschreiberei, für die
sie. wenn sie die Geduld verliert, auch manchmal den Teufel verantwortlich
macht. Diese vielen Geschäfte zog ihr die Klosterreform zu, die sie unternahm.
Wie das so zu gehn pflegt, die Karmeliter und Karmelitinnen waren von der
Strenge ihrer Ordensregel abgewichen, und Teresa fand, das Leben, das die
Mönche und Nonnen des Ordens führten, sei weit schlimmer als das weltliche
Leben. „Wollten die Eltern, schreibt sie in ihrer Biographie, meinen Rat an¬
nehmen, so würden sie trotz allen Gefahren der Welt schon im Interesse ihrer
eignen Ehre ihre Töchter lieber - sei es auch tief unter ihrem Range - ver¬
heiraten oder in ihrem Hause behalten, als sie in ein Kloster mit laxer Disziplin
treten lassen, es sei denn, daß sie so gut geartet wären, daß sie sich auch unter
höchst ungünstigen Verhältnissen zu halten vermöchten. Führen sich Mädchen im
elterlichen Hanse schlecht auf, so wird dies viel früher entdeckt als im Kloster,
wo sie ihre Ausschreitungen lange verbergen können, bis der Herr sie endlich
doch an den Tag bringt. Aber dann haben sie bereits nicht nur sich selbst,
sondern auch andern den empfindlichsten Schaden zugefügt. Die Ärmsten selbst
haben ja am Ende nicht die größte Schuld; sie gehn nur auf dem Wege fort,
der ihnen im Kloster gewiesen wird." Ermuntert durch das Beispiel und den
Rat des großen Asketen Peter von Alcantara. der den Franziskanerorden
reformiert hatte, und den sie 1560 persönlich kennen lernte, schritt sie zur Reform
ihres eignen Ordens. Sie stiftete ein Klösterchen zu Avila. in dem sich wemge
°rue Jungfrauen zur Beobachtung der ursprünglichen strengen und von ehr
noch durch Geißelungen und Versagung der Fußbekleidung verschärften Regel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/383>, abgerufen am 24.07.2024.