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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Teresa de Jesus

würde ja auch wohl Vermessenheit sein, wenn sie all das Wunderbare, das
in der so sehr komplizierten Menschenseele vorgeht, erklären wollte, sie, die
nicht einmal Philosophie studiert habe. Daß sie dies nicht habe tun können,
und darum über ihre innern Erfahrungen, die sie aus Gehorsam gegen ihre
Beichtvater aufschreibt, nur in sehr unvollkommner Form berichten könne,
bedauert sie; wie sie denn überhaupt manchmal bedauert, daß sie kein Mann
geworden ist und nicht als Mann wirken kann, sondern zu den Weibern
gehört, die nur beten können und zu sonst nichts taugen, und sie möchte auch
ihre geistlichen Töchter zu tapfern Männern erziehen. Was nun den Inhalt
der Offenbarungen betrifft, die ihr in ihren Entzückungen zuteil werden, so
beschränken sie sich auf Weisungen über den einzuschlagenden Weg -- ge¬
wöhnlich besagen sie dann, daß sie tun soll, was sie sich vorgenommen hat,
ohne sich durch Einreden beirren zu lassen -- und auf Vergewisferungen
ihres Glaubens. Die Worte, die sie vernimmt, hört sie nicht, sie wird ihrer
auf eine unbegreifliche und unbeschreibliche Weise inne. Und die Nähe Jesu,
ja aller drei göttlichen Personen, fühlt sie, ohne äußerlich oder innerlich irgend
etwas zu schauen. Visionen von Jesus, von Heiligen und von Engeln kommen
vor (Visionen von Gott Vater und dem Heiligen Geist sind selbstverständlich
nicht möglich), aber sie sind selten, und sie sind nicht wesentlich für die innere
Gewißheit, die ihr ohne Vermittlung der Sinne und der Phantasie zuteil
wird. Sie unterscheidet dieses Wahrnehmen auf das bestimmteste und ent¬
schiedenste von Phantasiebildern, die, wie sie sagt, auch vom Menschen selbst
und vom Teufel erzeugt werden können; das, was sie wahrnimmt, könne
weder der Mensch noch der Teufel machen. Als Kriterien zur Unterscheidung
göttlicher von teuflischen Eingebungen stellt sie auf: was gegen den katholischen
Glauben und gegen das Sittengesetz verstoße, das könne nicht von Gott
kommen; fühle sich die Seele durch innerlich vernommne Worte zur Ver¬
letzung des Glaubens oder der Sitten versucht, so brauche sie keinen Beicht¬
vater und keine Gelehrten zu befragen: der ungöttliche Ursprung einer solchen
vermeintlichen Offenbarung stehe von vornherein fest. Das zweite der beiden
Kriterien, die sittlichen Wirkungen, lassen wir selbstverständlich gelten. Theresen
verbürgte es den göttlichen Ursprung ihrer Ekstasen, daß sie sich nach jeder
solchen heiter, ruhig, demütig, menschenfreundlich, zu jeder Pflichterfüllung
aufgelegt, von allem sündhaften angewidert fand. Ein paarmal hat sie anch
den Teufel gesehen -- nicht oft --, sich jedoch vor ihm nicht gefürchtet,
sondern ihn mit Weihwasser verjagt; er sei ein feiger Gesell, der vor Mutigen
Reißaus nehme. Und zweimal ist sie in der Hölle gewesen. Das einemal
ist sie durch einen engen, mit stinkendem Unrat angefüllten Gang in die Zelle
gelangt, die ihr, falls sie verloren ginge, bestimmt war. Dort hat sie, obwohl
in tiefem Dunkel, ein seelisch-leibliches Feuer und im Gedanken an die ewige
Dauer dieses Zustandes eine Angst ausgestanden, mit der keine der von ihr
in Krankheiten erduldeten Qualen auch nur im entferntesten zu vergleichen


Teresa de Jesus

würde ja auch wohl Vermessenheit sein, wenn sie all das Wunderbare, das
in der so sehr komplizierten Menschenseele vorgeht, erklären wollte, sie, die
nicht einmal Philosophie studiert habe. Daß sie dies nicht habe tun können,
und darum über ihre innern Erfahrungen, die sie aus Gehorsam gegen ihre
Beichtvater aufschreibt, nur in sehr unvollkommner Form berichten könne,
bedauert sie; wie sie denn überhaupt manchmal bedauert, daß sie kein Mann
geworden ist und nicht als Mann wirken kann, sondern zu den Weibern
gehört, die nur beten können und zu sonst nichts taugen, und sie möchte auch
ihre geistlichen Töchter zu tapfern Männern erziehen. Was nun den Inhalt
der Offenbarungen betrifft, die ihr in ihren Entzückungen zuteil werden, so
beschränken sie sich auf Weisungen über den einzuschlagenden Weg — ge¬
wöhnlich besagen sie dann, daß sie tun soll, was sie sich vorgenommen hat,
ohne sich durch Einreden beirren zu lassen — und auf Vergewisferungen
ihres Glaubens. Die Worte, die sie vernimmt, hört sie nicht, sie wird ihrer
auf eine unbegreifliche und unbeschreibliche Weise inne. Und die Nähe Jesu,
ja aller drei göttlichen Personen, fühlt sie, ohne äußerlich oder innerlich irgend
etwas zu schauen. Visionen von Jesus, von Heiligen und von Engeln kommen
vor (Visionen von Gott Vater und dem Heiligen Geist sind selbstverständlich
nicht möglich), aber sie sind selten, und sie sind nicht wesentlich für die innere
Gewißheit, die ihr ohne Vermittlung der Sinne und der Phantasie zuteil
wird. Sie unterscheidet dieses Wahrnehmen auf das bestimmteste und ent¬
schiedenste von Phantasiebildern, die, wie sie sagt, auch vom Menschen selbst
und vom Teufel erzeugt werden können; das, was sie wahrnimmt, könne
weder der Mensch noch der Teufel machen. Als Kriterien zur Unterscheidung
göttlicher von teuflischen Eingebungen stellt sie auf: was gegen den katholischen
Glauben und gegen das Sittengesetz verstoße, das könne nicht von Gott
kommen; fühle sich die Seele durch innerlich vernommne Worte zur Ver¬
letzung des Glaubens oder der Sitten versucht, so brauche sie keinen Beicht¬
vater und keine Gelehrten zu befragen: der ungöttliche Ursprung einer solchen
vermeintlichen Offenbarung stehe von vornherein fest. Das zweite der beiden
Kriterien, die sittlichen Wirkungen, lassen wir selbstverständlich gelten. Theresen
verbürgte es den göttlichen Ursprung ihrer Ekstasen, daß sie sich nach jeder
solchen heiter, ruhig, demütig, menschenfreundlich, zu jeder Pflichterfüllung
aufgelegt, von allem sündhaften angewidert fand. Ein paarmal hat sie anch
den Teufel gesehen — nicht oft —, sich jedoch vor ihm nicht gefürchtet,
sondern ihn mit Weihwasser verjagt; er sei ein feiger Gesell, der vor Mutigen
Reißaus nehme. Und zweimal ist sie in der Hölle gewesen. Das einemal
ist sie durch einen engen, mit stinkendem Unrat angefüllten Gang in die Zelle
gelangt, die ihr, falls sie verloren ginge, bestimmt war. Dort hat sie, obwohl
in tiefem Dunkel, ein seelisch-leibliches Feuer und im Gedanken an die ewige
Dauer dieses Zustandes eine Angst ausgestanden, mit der keine der von ihr
in Krankheiten erduldeten Qualen auch nur im entferntesten zu vergleichen


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[0382] Teresa de Jesus würde ja auch wohl Vermessenheit sein, wenn sie all das Wunderbare, das in der so sehr komplizierten Menschenseele vorgeht, erklären wollte, sie, die nicht einmal Philosophie studiert habe. Daß sie dies nicht habe tun können, und darum über ihre innern Erfahrungen, die sie aus Gehorsam gegen ihre Beichtvater aufschreibt, nur in sehr unvollkommner Form berichten könne, bedauert sie; wie sie denn überhaupt manchmal bedauert, daß sie kein Mann geworden ist und nicht als Mann wirken kann, sondern zu den Weibern gehört, die nur beten können und zu sonst nichts taugen, und sie möchte auch ihre geistlichen Töchter zu tapfern Männern erziehen. Was nun den Inhalt der Offenbarungen betrifft, die ihr in ihren Entzückungen zuteil werden, so beschränken sie sich auf Weisungen über den einzuschlagenden Weg — ge¬ wöhnlich besagen sie dann, daß sie tun soll, was sie sich vorgenommen hat, ohne sich durch Einreden beirren zu lassen — und auf Vergewisferungen ihres Glaubens. Die Worte, die sie vernimmt, hört sie nicht, sie wird ihrer auf eine unbegreifliche und unbeschreibliche Weise inne. Und die Nähe Jesu, ja aller drei göttlichen Personen, fühlt sie, ohne äußerlich oder innerlich irgend etwas zu schauen. Visionen von Jesus, von Heiligen und von Engeln kommen vor (Visionen von Gott Vater und dem Heiligen Geist sind selbstverständlich nicht möglich), aber sie sind selten, und sie sind nicht wesentlich für die innere Gewißheit, die ihr ohne Vermittlung der Sinne und der Phantasie zuteil wird. Sie unterscheidet dieses Wahrnehmen auf das bestimmteste und ent¬ schiedenste von Phantasiebildern, die, wie sie sagt, auch vom Menschen selbst und vom Teufel erzeugt werden können; das, was sie wahrnimmt, könne weder der Mensch noch der Teufel machen. Als Kriterien zur Unterscheidung göttlicher von teuflischen Eingebungen stellt sie auf: was gegen den katholischen Glauben und gegen das Sittengesetz verstoße, das könne nicht von Gott kommen; fühle sich die Seele durch innerlich vernommne Worte zur Ver¬ letzung des Glaubens oder der Sitten versucht, so brauche sie keinen Beicht¬ vater und keine Gelehrten zu befragen: der ungöttliche Ursprung einer solchen vermeintlichen Offenbarung stehe von vornherein fest. Das zweite der beiden Kriterien, die sittlichen Wirkungen, lassen wir selbstverständlich gelten. Theresen verbürgte es den göttlichen Ursprung ihrer Ekstasen, daß sie sich nach jeder solchen heiter, ruhig, demütig, menschenfreundlich, zu jeder Pflichterfüllung aufgelegt, von allem sündhaften angewidert fand. Ein paarmal hat sie anch den Teufel gesehen — nicht oft —, sich jedoch vor ihm nicht gefürchtet, sondern ihn mit Weihwasser verjagt; er sei ein feiger Gesell, der vor Mutigen Reißaus nehme. Und zweimal ist sie in der Hölle gewesen. Das einemal ist sie durch einen engen, mit stinkendem Unrat angefüllten Gang in die Zelle gelangt, die ihr, falls sie verloren ginge, bestimmt war. Dort hat sie, obwohl in tiefem Dunkel, ein seelisch-leibliches Feuer und im Gedanken an die ewige Dauer dieses Zustandes eine Angst ausgestanden, mit der keine der von ihr in Krankheiten erduldeten Qualen auch nur im entferntesten zu vergleichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/382>, abgerufen am 24.07.2024.