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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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äußerungen." Mit solchen Unterbrechungen könne sich der ekstatische Zustand
allerdings stundenlang hinziehen, aber die völlige Gebundenheit, die eigentliche
Verzückung sei immer von kurzer Dauer. Höre sie auf, so erlangten die
leiblichen und die Seelenkräfte nicht sofort wieder ihre volle Leistungsfähigkeit,
sondern blieben noch stundenlang in einem süßen Rausche. Anderwärts spricht
sie von den süßen Schmerzen und peinvollen Wonnen der Ekstase, von der
Lanze mit glühender Spitze, mit der ein Seraph sie durchbohrt habe. Ihre
ersten Beichtväter erklärten diese Zustände für Teufelswerk. Erst der Jesuit
Vorgia, der spätere General des Ordens, beruhigte sie und half ihr aus
großer Not. Aber daß Verzückungen auch vor Zeugen eintraten, verursachte
ihr Pein. Sie wehrte sich aus Leibeskräften dagegen, was ihr jedoch nichts
nützte, sondern nur ihre Pein erhöhte. Der Wille sei der ihn ergreifenden
Kraft Gottes gegenüber so ohnmächtig wie der Strohhalm, wenn er vom
Bernstein angezogen wird, oder die abgeschossene Kugel. Lebensgefährlich
nennt sie einmal die Ekstasen; im ersten Moment werde sie von Schrecken
ergriffen und müsse schreien. Ganz besonders unangenehm war es ihr, wenn
sie sich, was einigemal geschah - einmal in der Kirche bei der Vorbereitung
auf die Kommunion -. in die Höhe gehoben fühlte, sodaß sie den Boden acht
mehr berührte. (Wie das zu erklären sei. darüber ist im 7. Heft S. 325 eme
Vermutung aufgestellt worden.) Auch schärft sie ihren Nonnen ein. sie sollten
dergleichen Zustände nicht etwa verlangen, erstreben, von Gott erbitten, herbei¬
zuführen sich bemühen. Sie seien keine Leistungen der Frömmigkeit, sondern
reine Gnadengeschenke Gottes, zu deren Erlangung man nichts tun könne
und auch nichts tun dürfe. Ja sie seien nicht einmal ein Beweis besonders
hoher Vollkommenheit oder auch nnr des erlangten Gnadenzustandes. Einem.
der wissentlich im Zustande der Todsünde lebe, würden sie freilich wohl kaum
Zuken werden, aber daß sie einer erlebe, der sich unwissentlich in diesem
schlimmen Zustande befinde, das könne vorkommen. Was der Mensch, der
nach Vollkommenheit strebt, wünschen und wollen müsse, das sei einzig und
allein die vollkommne Vereinigung seines Willens mit dem göttlichen, sodaß
er jede, auch die kleinste Sünde meide (auf die katholische Sündenlehre kann
hier nicht eingegangen werden) und Gott durch Pflichterfüllung diene. Vor
allem solle man nicht fliegen wollen, ehe einem die Flügel gewachsen sind,
und nicht Maria spielen wollen, ehe man aus dem Marthastadium heraus
ist- Der Weg der Martha sei der sichrere und für die meisten Menschen allem
gangbare, doch sei es unrecht, solche zurückzuhalten, die Gott auf den andern
Weg rufe. Übrigens ließen sich beide Lebensweisen miteinander verbinden.
Sie habe lange Zeit alle ihre äußern Obliegenheiten auf das genaueste ver¬
richtet und doch keinen Augenblick ihre Vereinigung mit Gott unterbrochen
gefühlt, die dann natürlich nicht ekstatischer Natur gewesen sei. Sie habe
gewissermaßen zwei Seelen gehabt, die verschieden beschäftigt gewesen seien.
Das möge wie Unsinn klingen, aber sie könne es nicht anders sagen. Es
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Grenzboten II 1908
Teresa de Jch^s

äußerungen." Mit solchen Unterbrechungen könne sich der ekstatische Zustand
allerdings stundenlang hinziehen, aber die völlige Gebundenheit, die eigentliche
Verzückung sei immer von kurzer Dauer. Höre sie auf, so erlangten die
leiblichen und die Seelenkräfte nicht sofort wieder ihre volle Leistungsfähigkeit,
sondern blieben noch stundenlang in einem süßen Rausche. Anderwärts spricht
sie von den süßen Schmerzen und peinvollen Wonnen der Ekstase, von der
Lanze mit glühender Spitze, mit der ein Seraph sie durchbohrt habe. Ihre
ersten Beichtväter erklärten diese Zustände für Teufelswerk. Erst der Jesuit
Vorgia, der spätere General des Ordens, beruhigte sie und half ihr aus
großer Not. Aber daß Verzückungen auch vor Zeugen eintraten, verursachte
ihr Pein. Sie wehrte sich aus Leibeskräften dagegen, was ihr jedoch nichts
nützte, sondern nur ihre Pein erhöhte. Der Wille sei der ihn ergreifenden
Kraft Gottes gegenüber so ohnmächtig wie der Strohhalm, wenn er vom
Bernstein angezogen wird, oder die abgeschossene Kugel. Lebensgefährlich
nennt sie einmal die Ekstasen; im ersten Moment werde sie von Schrecken
ergriffen und müsse schreien. Ganz besonders unangenehm war es ihr, wenn
sie sich, was einigemal geschah - einmal in der Kirche bei der Vorbereitung
auf die Kommunion -. in die Höhe gehoben fühlte, sodaß sie den Boden acht
mehr berührte. (Wie das zu erklären sei. darüber ist im 7. Heft S. 325 eme
Vermutung aufgestellt worden.) Auch schärft sie ihren Nonnen ein. sie sollten
dergleichen Zustände nicht etwa verlangen, erstreben, von Gott erbitten, herbei¬
zuführen sich bemühen. Sie seien keine Leistungen der Frömmigkeit, sondern
reine Gnadengeschenke Gottes, zu deren Erlangung man nichts tun könne
und auch nichts tun dürfe. Ja sie seien nicht einmal ein Beweis besonders
hoher Vollkommenheit oder auch nnr des erlangten Gnadenzustandes. Einem.
der wissentlich im Zustande der Todsünde lebe, würden sie freilich wohl kaum
Zuken werden, aber daß sie einer erlebe, der sich unwissentlich in diesem
schlimmen Zustande befinde, das könne vorkommen. Was der Mensch, der
nach Vollkommenheit strebt, wünschen und wollen müsse, das sei einzig und
allein die vollkommne Vereinigung seines Willens mit dem göttlichen, sodaß
er jede, auch die kleinste Sünde meide (auf die katholische Sündenlehre kann
hier nicht eingegangen werden) und Gott durch Pflichterfüllung diene. Vor
allem solle man nicht fliegen wollen, ehe einem die Flügel gewachsen sind,
und nicht Maria spielen wollen, ehe man aus dem Marthastadium heraus
ist- Der Weg der Martha sei der sichrere und für die meisten Menschen allem
gangbare, doch sei es unrecht, solche zurückzuhalten, die Gott auf den andern
Weg rufe. Übrigens ließen sich beide Lebensweisen miteinander verbinden.
Sie habe lange Zeit alle ihre äußern Obliegenheiten auf das genaueste ver¬
richtet und doch keinen Augenblick ihre Vereinigung mit Gott unterbrochen
gefühlt, die dann natürlich nicht ekstatischer Natur gewesen sei. Sie habe
gewissermaßen zwei Seelen gehabt, die verschieden beschäftigt gewesen seien.
Das möge wie Unsinn klingen, aber sie könne es nicht anders sagen. Es
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Grenzboten II 1908
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[0381] Teresa de Jch^s äußerungen." Mit solchen Unterbrechungen könne sich der ekstatische Zustand allerdings stundenlang hinziehen, aber die völlige Gebundenheit, die eigentliche Verzückung sei immer von kurzer Dauer. Höre sie auf, so erlangten die leiblichen und die Seelenkräfte nicht sofort wieder ihre volle Leistungsfähigkeit, sondern blieben noch stundenlang in einem süßen Rausche. Anderwärts spricht sie von den süßen Schmerzen und peinvollen Wonnen der Ekstase, von der Lanze mit glühender Spitze, mit der ein Seraph sie durchbohrt habe. Ihre ersten Beichtväter erklärten diese Zustände für Teufelswerk. Erst der Jesuit Vorgia, der spätere General des Ordens, beruhigte sie und half ihr aus großer Not. Aber daß Verzückungen auch vor Zeugen eintraten, verursachte ihr Pein. Sie wehrte sich aus Leibeskräften dagegen, was ihr jedoch nichts nützte, sondern nur ihre Pein erhöhte. Der Wille sei der ihn ergreifenden Kraft Gottes gegenüber so ohnmächtig wie der Strohhalm, wenn er vom Bernstein angezogen wird, oder die abgeschossene Kugel. Lebensgefährlich nennt sie einmal die Ekstasen; im ersten Moment werde sie von Schrecken ergriffen und müsse schreien. Ganz besonders unangenehm war es ihr, wenn sie sich, was einigemal geschah - einmal in der Kirche bei der Vorbereitung auf die Kommunion -. in die Höhe gehoben fühlte, sodaß sie den Boden acht mehr berührte. (Wie das zu erklären sei. darüber ist im 7. Heft S. 325 eme Vermutung aufgestellt worden.) Auch schärft sie ihren Nonnen ein. sie sollten dergleichen Zustände nicht etwa verlangen, erstreben, von Gott erbitten, herbei¬ zuführen sich bemühen. Sie seien keine Leistungen der Frömmigkeit, sondern reine Gnadengeschenke Gottes, zu deren Erlangung man nichts tun könne und auch nichts tun dürfe. Ja sie seien nicht einmal ein Beweis besonders hoher Vollkommenheit oder auch nnr des erlangten Gnadenzustandes. Einem. der wissentlich im Zustande der Todsünde lebe, würden sie freilich wohl kaum Zuken werden, aber daß sie einer erlebe, der sich unwissentlich in diesem schlimmen Zustande befinde, das könne vorkommen. Was der Mensch, der nach Vollkommenheit strebt, wünschen und wollen müsse, das sei einzig und allein die vollkommne Vereinigung seines Willens mit dem göttlichen, sodaß er jede, auch die kleinste Sünde meide (auf die katholische Sündenlehre kann hier nicht eingegangen werden) und Gott durch Pflichterfüllung diene. Vor allem solle man nicht fliegen wollen, ehe einem die Flügel gewachsen sind, und nicht Maria spielen wollen, ehe man aus dem Marthastadium heraus ist- Der Weg der Martha sei der sichrere und für die meisten Menschen allem gangbare, doch sei es unrecht, solche zurückzuhalten, die Gott auf den andern Weg rufe. Übrigens ließen sich beide Lebensweisen miteinander verbinden. Sie habe lange Zeit alle ihre äußern Obliegenheiten auf das genaueste ver¬ richtet und doch keinen Augenblick ihre Vereinigung mit Gott unterbrochen gefühlt, die dann natürlich nicht ekstatischer Natur gewesen sei. Sie habe gewissermaßen zwei Seelen gehabt, die verschieden beschäftigt gewesen seien. Das möge wie Unsinn klingen, aber sie könne es nicht anders sagen. Es ^ Grenzboten II 1908

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/381>, abgerufen am 24.07.2024.