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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Teresa de Jesus

so Würde sie herzlich gelacht haben, denn sie lachte oft und gern und verstand
das Spaßhafte jeder komischen Situation. Gott wohnt ja, hat sie oft hervor¬
gehoben, in der Menschenseele, und wo Gott ist, da ist der ganze Himmel,
und die Seele hat vollkommen Raum für diesen. Eines ihrer Gedichte
glossiert den Zweizeiler: "O Seele, suche dich in Mir, und Mich such nirgends
als in dir." Den Zuruf: suche dich in Mir, hatte sie einmal innerlich ver¬
nommen und teilte das als ein Geheimnis ihrem Bruder Lorenzo mit.

Was dann die Ekstase" betrifft, so lehrt sie, es bestehe eigentlich kein
wesentlicher Unterschied zwischen der auf der dritten Stufe schon erlangten
Vereinigung mit Gott und der Verzückung, die sie als vierte Stufe bezeichnet,
aber der Unterschied des Grades sei so bedeutend wie der zwischen einem
kleinen und einem großen Feuer; jenes vermöge nur sehr langsam, dieses
im Nu ein Stück Eisen in Glut zu versetzen. Die liebende Seele gleiche
einem Vöglein, das von Zweig zu Zweig aufwärts strebt, bis der Herr es
nimmt, es ins Nest setzt und ihm die Ruhe gönnt. Dort "fühlt sie mit un¬
gemein lebhafter und süßer Freude, wie mehr und mehr ihre leiblichen Kräfte
nachlassen, der Atem ausgeht, und sie in eine selige Ohnmacht versinkt. Sie
kann ohne Anstrengung nicht einmal die Hand regen; die Augen schließen sich
von selbst, und wollte man sie offen halten, würde man dennoch so gut wie
nichts sehen. Sie kann nicht lesen. Buchstaben erkennt sie, doch nicht den
Sinn, den Zusammenhang; der ordnende Verstand ist anderwärts beschäftigt.
Ihre Sinne dienen ihr also nicht mehr; ja sie stören die Seele im Genuß
reiner Wonne und hemmen ihn. Umsonst würde sie versuchen zu reden; sie
vermag nicht Worte zu finden und hat nicht die Kraft, solche auszusprechen.
Je mehr alle äußern Kräfte nachlassen, desto mehr nehmen die innern zu,
desto größer wird ihre selige Wonne. Auch nach außen hin gibt sich die
hohe Freude zu erkennen, die sie genießt." Wer sie gekostet hat, und wer
erfahren hat, daß sie endloser Steigerung fähig ist, der würde gern im irdischen
Leben alle erdenkbaren Martern erdulden, wenn er wüßte, daß er dadurch
seine dauernde Seligkeit im Himmel um einen Grad erhöhen könnte. Der
Gesundheit schade dieser Zustand niemals. Erleide man ihn während einer
Krankheit, so fühle man sich nach dem Erwachen aus ihm besser. Er dauert
niemals lange, höchstens eine halbe Stunde. (Viele Nonnen hatten stunden¬
lang währende Ohnmachten, die sie für Ekstasen hielten. Teresa schreibt in
ihren Anweisungen, das seien keine Ekstasen, sondern entweder wirkliche Ohn¬
machten infolge von Krankheit oder übermäßigem Fasten, oder es sei ein
Schwelgen in angenehmen Phantasien; die Oberinnen sollten dergleichen Ohn¬
machten nicht dulden.) "Der Wille hält die Vereinigung mit Gott am ent¬
schiedensten fest, während Verstand und Gedächtnis sich recht bald wieder
selbständig regen und unruhig werden. Dann muß der Wille, der in der
Ruhe ist, sie wieder sanft zurück und in die Gebundenheit hineinführen. Da
verbleiben sie ein Weilchen und beginnen dann wieder ihre natürlichen Lebens-


Teresa de Jesus

so Würde sie herzlich gelacht haben, denn sie lachte oft und gern und verstand
das Spaßhafte jeder komischen Situation. Gott wohnt ja, hat sie oft hervor¬
gehoben, in der Menschenseele, und wo Gott ist, da ist der ganze Himmel,
und die Seele hat vollkommen Raum für diesen. Eines ihrer Gedichte
glossiert den Zweizeiler: „O Seele, suche dich in Mir, und Mich such nirgends
als in dir." Den Zuruf: suche dich in Mir, hatte sie einmal innerlich ver¬
nommen und teilte das als ein Geheimnis ihrem Bruder Lorenzo mit.

Was dann die Ekstase» betrifft, so lehrt sie, es bestehe eigentlich kein
wesentlicher Unterschied zwischen der auf der dritten Stufe schon erlangten
Vereinigung mit Gott und der Verzückung, die sie als vierte Stufe bezeichnet,
aber der Unterschied des Grades sei so bedeutend wie der zwischen einem
kleinen und einem großen Feuer; jenes vermöge nur sehr langsam, dieses
im Nu ein Stück Eisen in Glut zu versetzen. Die liebende Seele gleiche
einem Vöglein, das von Zweig zu Zweig aufwärts strebt, bis der Herr es
nimmt, es ins Nest setzt und ihm die Ruhe gönnt. Dort „fühlt sie mit un¬
gemein lebhafter und süßer Freude, wie mehr und mehr ihre leiblichen Kräfte
nachlassen, der Atem ausgeht, und sie in eine selige Ohnmacht versinkt. Sie
kann ohne Anstrengung nicht einmal die Hand regen; die Augen schließen sich
von selbst, und wollte man sie offen halten, würde man dennoch so gut wie
nichts sehen. Sie kann nicht lesen. Buchstaben erkennt sie, doch nicht den
Sinn, den Zusammenhang; der ordnende Verstand ist anderwärts beschäftigt.
Ihre Sinne dienen ihr also nicht mehr; ja sie stören die Seele im Genuß
reiner Wonne und hemmen ihn. Umsonst würde sie versuchen zu reden; sie
vermag nicht Worte zu finden und hat nicht die Kraft, solche auszusprechen.
Je mehr alle äußern Kräfte nachlassen, desto mehr nehmen die innern zu,
desto größer wird ihre selige Wonne. Auch nach außen hin gibt sich die
hohe Freude zu erkennen, die sie genießt." Wer sie gekostet hat, und wer
erfahren hat, daß sie endloser Steigerung fähig ist, der würde gern im irdischen
Leben alle erdenkbaren Martern erdulden, wenn er wüßte, daß er dadurch
seine dauernde Seligkeit im Himmel um einen Grad erhöhen könnte. Der
Gesundheit schade dieser Zustand niemals. Erleide man ihn während einer
Krankheit, so fühle man sich nach dem Erwachen aus ihm besser. Er dauert
niemals lange, höchstens eine halbe Stunde. (Viele Nonnen hatten stunden¬
lang währende Ohnmachten, die sie für Ekstasen hielten. Teresa schreibt in
ihren Anweisungen, das seien keine Ekstasen, sondern entweder wirkliche Ohn¬
machten infolge von Krankheit oder übermäßigem Fasten, oder es sei ein
Schwelgen in angenehmen Phantasien; die Oberinnen sollten dergleichen Ohn¬
machten nicht dulden.) „Der Wille hält die Vereinigung mit Gott am ent¬
schiedensten fest, während Verstand und Gedächtnis sich recht bald wieder
selbständig regen und unruhig werden. Dann muß der Wille, der in der
Ruhe ist, sie wieder sanft zurück und in die Gebundenheit hineinführen. Da
verbleiben sie ein Weilchen und beginnen dann wieder ihre natürlichen Lebens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/380>, abgerufen am 24.07.2024.