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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Was hat uns der Krieg in Gstasien gelehrt?

der Angriff werde schon im Anfangsstadium zerschellen und zusammenbrechen.
Die ersten Mißerfolge der Engländer in Südafrika haben das bestätigt. Die
Folge dieser Wahrnehmung war zunächst, daß man in das Gegenteil verfiel:
man bekam vor den modernen Waffen einen solchen Respekt, daß man taktische
Formen erfand, in denen man schon auf die weitesten Entfernungen keine dichte
Schützenlinie, geschweige denn eine geschloßne Abteilung zu zeigen wagte und
nur mit ganz lichten Schützenlinien an den Feind heranging. Diese wurden
allmählich im Bereich des feindlichen Feuers durch ebenso dünne Linien, die
mit weiten Abständen einander folgten, so weit verstärkt, daß sie den Kampf
mit dem Gegner aufnehmen konnten. Das ist in großen Zügen das Wesen
des sogenannten Burenangriffs. Es ist ein Verfahren, das gewiß hier und
da sehr gut anwendbar ist, und dem die Engländer im weitern Verlaufe des
südafrikanischen Feldzugs auch manchen Erfolg zu verdanken hatten, nur
beging man bei uns vielfach den Fehler, zu glauben, daß man nun den
Stein der Weisen habe. Man übersah, daß die Sache doch auch ihre großen
Schattenseiten hatte, vor allem eine, die sich schon bei Friedensübungen in
großem Verbunden zeigte, nämlich die, daß es schon im Gefecht der Brigade,
erst recht aber bei Manövern von Divisionen und noch größern Einheiten
außerordentlich umständlich und zeitraubend war; kurzum, so gewissenhaft das
ganze Jahr auf Kompagnie- und Bataillonsexerzierplätzen der Bureucmgriff
geübt worden war, so wenig wußte man im Manöver damit anzufangen, und
so sah man dort das alte Verfahren sich siegreich behaupten, daß der Angriff
im wesentlichen von Anfang an mit starken Schützenlinien geführt wurde.
Das einzige Neue blieb, daß man das sogenannte sprungweise Vorgehen, das
früher immer von ganzen Zügen oder Kompagnien ausgeführt wurde, jetzt
im Bereich des wirksamen feindlichen Feuers in kleinen Abteilungen, meist in
Gruppen ausführte.

Man war noch zu keinerlei Klarheit gekommen, als der Krieg in Ost¬
asien ausbrach. Die Japaner hatten eingestandnermaßen ihre militärische
Ausbildung nach deutschen Vorbildern gerichtet. Wie sie diese Vorbilder
benutzt haben, ist mustergiltig und lehrreich für uns. Es war zu erwarten,
daß bei den Japanern ebensowenig wie bei uns Klarheit über das Verfahren
beim Jnfcmterieangriff herrschen werde. So konnte man denn auch zu An¬
fang des Krieges die verschiedensten Mutmaßungen lesen, die zum Teil Wohl
auch auf Äußerungen japanischer Offiziere zurückzuführen waren. Im all<
gemeinen war dabei wohl eine gewisse Abneigung gegen das Burenverfahren
zu erkennen. Die klugen Japaner erkannten dessen Mängel sehr wohl, die
hauptsächlich darin liegen, daß man sich künstlich immer in die Minderheit
setzt; die dünnen Schützenlinien, die möglichst weit in das feindliche Feuer
vorgehn sollen -- denn wenn sie das nicht tun, hat es gar keinen Zweck, sie
so dünn und schwach zu machen --, sind so lange dem übermächtigen Feuer


Was hat uns der Krieg in Gstasien gelehrt?

der Angriff werde schon im Anfangsstadium zerschellen und zusammenbrechen.
Die ersten Mißerfolge der Engländer in Südafrika haben das bestätigt. Die
Folge dieser Wahrnehmung war zunächst, daß man in das Gegenteil verfiel:
man bekam vor den modernen Waffen einen solchen Respekt, daß man taktische
Formen erfand, in denen man schon auf die weitesten Entfernungen keine dichte
Schützenlinie, geschweige denn eine geschloßne Abteilung zu zeigen wagte und
nur mit ganz lichten Schützenlinien an den Feind heranging. Diese wurden
allmählich im Bereich des feindlichen Feuers durch ebenso dünne Linien, die
mit weiten Abständen einander folgten, so weit verstärkt, daß sie den Kampf
mit dem Gegner aufnehmen konnten. Das ist in großen Zügen das Wesen
des sogenannten Burenangriffs. Es ist ein Verfahren, das gewiß hier und
da sehr gut anwendbar ist, und dem die Engländer im weitern Verlaufe des
südafrikanischen Feldzugs auch manchen Erfolg zu verdanken hatten, nur
beging man bei uns vielfach den Fehler, zu glauben, daß man nun den
Stein der Weisen habe. Man übersah, daß die Sache doch auch ihre großen
Schattenseiten hatte, vor allem eine, die sich schon bei Friedensübungen in
großem Verbunden zeigte, nämlich die, daß es schon im Gefecht der Brigade,
erst recht aber bei Manövern von Divisionen und noch größern Einheiten
außerordentlich umständlich und zeitraubend war; kurzum, so gewissenhaft das
ganze Jahr auf Kompagnie- und Bataillonsexerzierplätzen der Bureucmgriff
geübt worden war, so wenig wußte man im Manöver damit anzufangen, und
so sah man dort das alte Verfahren sich siegreich behaupten, daß der Angriff
im wesentlichen von Anfang an mit starken Schützenlinien geführt wurde.
Das einzige Neue blieb, daß man das sogenannte sprungweise Vorgehen, das
früher immer von ganzen Zügen oder Kompagnien ausgeführt wurde, jetzt
im Bereich des wirksamen feindlichen Feuers in kleinen Abteilungen, meist in
Gruppen ausführte.

Man war noch zu keinerlei Klarheit gekommen, als der Krieg in Ost¬
asien ausbrach. Die Japaner hatten eingestandnermaßen ihre militärische
Ausbildung nach deutschen Vorbildern gerichtet. Wie sie diese Vorbilder
benutzt haben, ist mustergiltig und lehrreich für uns. Es war zu erwarten,
daß bei den Japanern ebensowenig wie bei uns Klarheit über das Verfahren
beim Jnfcmterieangriff herrschen werde. So konnte man denn auch zu An¬
fang des Krieges die verschiedensten Mutmaßungen lesen, die zum Teil Wohl
auch auf Äußerungen japanischer Offiziere zurückzuführen waren. Im all<
gemeinen war dabei wohl eine gewisse Abneigung gegen das Burenverfahren
zu erkennen. Die klugen Japaner erkannten dessen Mängel sehr wohl, die
hauptsächlich darin liegen, daß man sich künstlich immer in die Minderheit
setzt; die dünnen Schützenlinien, die möglichst weit in das feindliche Feuer
vorgehn sollen — denn wenn sie das nicht tun, hat es gar keinen Zweck, sie
so dünn und schwach zu machen —, sind so lange dem übermächtigen Feuer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/358>, abgerufen am 02.07.2024.