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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

Bedeutung und wohl erwogen zu sein, obwohl wir bis jetzt noch nicht über¬
zeugt zu sein scheinen, daß wir viel gegen Schutzschildartillerie durch direkte
Treffer auszurichten vermögen, wie die französische Artillerie dies tun zu
können glaubt.

Das doktrinäre Gezänk über direktes und indirektes Zielen dauert fort.
Das eine Kommando in unsrer Armee geht den einen Weg und das andre
einen andern. Tatsächlich ist an diesem Streit gar nichts. Wie fast alles andre
in der Taktik hängt es von den Umständen ab, welches Verfahren die Artillerie
wählen muß, und sie kann sogar beide Verfahren in einer einzigen Brigade
zugleich ganz und richtig in Anwendung bringen. Im Aldershotkommando
bestand in diesem Jahre das Bestreben, zum direkten Zielen zurückzukehren und
die Batterien bis an die Front vorzuschieben, um die Infanterie näher als
früher unterstützen zu können. Das wird General Rohre gefallen. Das Bestreben
führte jedoch zu einer etwas unnötigen Bloßstellung einzelner Batterien, so
zum Beispiel am 19. September, weshalb General Sir John French in schonender
Weise dagegen Widerspruch erhob, indem er sagte, "daß es zwar nicht seine
Absicht sei. dies allzusehr zu betonen, daß aber die Bloßstellung von Geschützen
und Gespannen nicht ganz wünschenswert sei". Andrerseits ist auch bekannt
geworden, daß sich der Führer einer Haubitze entschieden geweigert hat, sich am
19. September in der Front von Chillon nach vorwärts in die Deckung eines
Eisenbahnkürpers zu begeben, indem er einwandte, daß. wen,: er gehe, er in
dreiviertel Stunden außer Gefecht gesetzt würde, und daß er von der Stellung
aus, die er eingenommen hatte, imstande sei. die ganze feindliche Stellung zu
übersehn und unter Feuer zu nehmen. Er schien in seiner Ansicht Recht zu
haben, und sein Divisionskommandeur pflichtete ihm bei. Wenn jemand in der
Armee nicht angetrieben werden darf, so ist es der Führer von Haubitzen.

Der Herzog von Connaught scheint den Nagel auf den Kopf getroffen zu
haben, als er sagte, daß die Artillerie im allgemeinen mit indirekten Richten
beginnen und später nicht zögern sollte, vorwärts zu gehn, um direkt visieren
zu können. Es sollte die Frage aufgeworfen werden, was eigentlich unter naher
Unterstützung der Infanterie durch die Artillerie zu versteh" sei. Die Idee, daß
Batterien in der Feuerlinie der Infanterie auftreten können, gehört zu denen,
die beim Angriff oft nicht ausführbar sind, wenn man nicht in Formationen
der ersten Viktorianischen Zeit gegen Wilde Krieg zu führen hat. Die zum
Angriff vorrückende Infanterie freut sich am meisten, wenn ihre eignen Geschosse
in ununterbrochnem Feuer gegen den Feind in der Front einfallen, und sie
sieht nicht nach rückwärts und fragt sich nicht, ob die Geschütze sich nahe oder
weit fort befinden, solange dieses Ergebnis erreicht wird. Es ist eine schlechte
Infanterie, die rückwärts sieht, und die unsrige ist glücklicherweise eine gute.
So geschickt waren unsre Batterien in Natal, daß sie am Pietershügel das
Vorrücken der Infanterie durch einen Hagel von Schrapnells deckten, die oft
nur wenige hundert Meter vor unsrer vorder" Linie krepierten. Wenn unsre


Grenzboten II 190L ^
Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen

Bedeutung und wohl erwogen zu sein, obwohl wir bis jetzt noch nicht über¬
zeugt zu sein scheinen, daß wir viel gegen Schutzschildartillerie durch direkte
Treffer auszurichten vermögen, wie die französische Artillerie dies tun zu
können glaubt.

Das doktrinäre Gezänk über direktes und indirektes Zielen dauert fort.
Das eine Kommando in unsrer Armee geht den einen Weg und das andre
einen andern. Tatsächlich ist an diesem Streit gar nichts. Wie fast alles andre
in der Taktik hängt es von den Umständen ab, welches Verfahren die Artillerie
wählen muß, und sie kann sogar beide Verfahren in einer einzigen Brigade
zugleich ganz und richtig in Anwendung bringen. Im Aldershotkommando
bestand in diesem Jahre das Bestreben, zum direkten Zielen zurückzukehren und
die Batterien bis an die Front vorzuschieben, um die Infanterie näher als
früher unterstützen zu können. Das wird General Rohre gefallen. Das Bestreben
führte jedoch zu einer etwas unnötigen Bloßstellung einzelner Batterien, so
zum Beispiel am 19. September, weshalb General Sir John French in schonender
Weise dagegen Widerspruch erhob, indem er sagte, »daß es zwar nicht seine
Absicht sei. dies allzusehr zu betonen, daß aber die Bloßstellung von Geschützen
und Gespannen nicht ganz wünschenswert sei«. Andrerseits ist auch bekannt
geworden, daß sich der Führer einer Haubitze entschieden geweigert hat, sich am
19. September in der Front von Chillon nach vorwärts in die Deckung eines
Eisenbahnkürpers zu begeben, indem er einwandte, daß. wen,: er gehe, er in
dreiviertel Stunden außer Gefecht gesetzt würde, und daß er von der Stellung
aus, die er eingenommen hatte, imstande sei. die ganze feindliche Stellung zu
übersehn und unter Feuer zu nehmen. Er schien in seiner Ansicht Recht zu
haben, und sein Divisionskommandeur pflichtete ihm bei. Wenn jemand in der
Armee nicht angetrieben werden darf, so ist es der Führer von Haubitzen.

Der Herzog von Connaught scheint den Nagel auf den Kopf getroffen zu
haben, als er sagte, daß die Artillerie im allgemeinen mit indirekten Richten
beginnen und später nicht zögern sollte, vorwärts zu gehn, um direkt visieren
zu können. Es sollte die Frage aufgeworfen werden, was eigentlich unter naher
Unterstützung der Infanterie durch die Artillerie zu versteh» sei. Die Idee, daß
Batterien in der Feuerlinie der Infanterie auftreten können, gehört zu denen,
die beim Angriff oft nicht ausführbar sind, wenn man nicht in Formationen
der ersten Viktorianischen Zeit gegen Wilde Krieg zu führen hat. Die zum
Angriff vorrückende Infanterie freut sich am meisten, wenn ihre eignen Geschosse
in ununterbrochnem Feuer gegen den Feind in der Front einfallen, und sie
sieht nicht nach rückwärts und fragt sich nicht, ob die Geschütze sich nahe oder
weit fort befinden, solange dieses Ergebnis erreicht wird. Es ist eine schlechte
Infanterie, die rückwärts sieht, und die unsrige ist glücklicherweise eine gute.
So geschickt waren unsre Batterien in Natal, daß sie am Pietershügel das
Vorrücken der Infanterie durch einen Hagel von Schrapnells deckten, die oft
nur wenige hundert Meter vor unsrer vorder» Linie krepierten. Wenn unsre


Grenzboten II 190L ^
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[0317] Der Abschluß der großen englischen Heeresreformen Bedeutung und wohl erwogen zu sein, obwohl wir bis jetzt noch nicht über¬ zeugt zu sein scheinen, daß wir viel gegen Schutzschildartillerie durch direkte Treffer auszurichten vermögen, wie die französische Artillerie dies tun zu können glaubt. Das doktrinäre Gezänk über direktes und indirektes Zielen dauert fort. Das eine Kommando in unsrer Armee geht den einen Weg und das andre einen andern. Tatsächlich ist an diesem Streit gar nichts. Wie fast alles andre in der Taktik hängt es von den Umständen ab, welches Verfahren die Artillerie wählen muß, und sie kann sogar beide Verfahren in einer einzigen Brigade zugleich ganz und richtig in Anwendung bringen. Im Aldershotkommando bestand in diesem Jahre das Bestreben, zum direkten Zielen zurückzukehren und die Batterien bis an die Front vorzuschieben, um die Infanterie näher als früher unterstützen zu können. Das wird General Rohre gefallen. Das Bestreben führte jedoch zu einer etwas unnötigen Bloßstellung einzelner Batterien, so zum Beispiel am 19. September, weshalb General Sir John French in schonender Weise dagegen Widerspruch erhob, indem er sagte, »daß es zwar nicht seine Absicht sei. dies allzusehr zu betonen, daß aber die Bloßstellung von Geschützen und Gespannen nicht ganz wünschenswert sei«. Andrerseits ist auch bekannt geworden, daß sich der Führer einer Haubitze entschieden geweigert hat, sich am 19. September in der Front von Chillon nach vorwärts in die Deckung eines Eisenbahnkürpers zu begeben, indem er einwandte, daß. wen,: er gehe, er in dreiviertel Stunden außer Gefecht gesetzt würde, und daß er von der Stellung aus, die er eingenommen hatte, imstande sei. die ganze feindliche Stellung zu übersehn und unter Feuer zu nehmen. Er schien in seiner Ansicht Recht zu haben, und sein Divisionskommandeur pflichtete ihm bei. Wenn jemand in der Armee nicht angetrieben werden darf, so ist es der Führer von Haubitzen. Der Herzog von Connaught scheint den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, als er sagte, daß die Artillerie im allgemeinen mit indirekten Richten beginnen und später nicht zögern sollte, vorwärts zu gehn, um direkt visieren zu können. Es sollte die Frage aufgeworfen werden, was eigentlich unter naher Unterstützung der Infanterie durch die Artillerie zu versteh» sei. Die Idee, daß Batterien in der Feuerlinie der Infanterie auftreten können, gehört zu denen, die beim Angriff oft nicht ausführbar sind, wenn man nicht in Formationen der ersten Viktorianischen Zeit gegen Wilde Krieg zu führen hat. Die zum Angriff vorrückende Infanterie freut sich am meisten, wenn ihre eignen Geschosse in ununterbrochnem Feuer gegen den Feind in der Front einfallen, und sie sieht nicht nach rückwärts und fragt sich nicht, ob die Geschütze sich nahe oder weit fort befinden, solange dieses Ergebnis erreicht wird. Es ist eine schlechte Infanterie, die rückwärts sieht, und die unsrige ist glücklicherweise eine gute. So geschickt waren unsre Batterien in Natal, daß sie am Pietershügel das Vorrücken der Infanterie durch einen Hagel von Schrapnells deckten, die oft nur wenige hundert Meter vor unsrer vorder» Linie krepierten. Wenn unsre Grenzboten II 190L ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/317>, abgerufen am 24.07.2024.