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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

Zu beiden Aufstellungen steht die heutige Einwandrung in starkem Gegen¬
satz. Für das Jahr 1907 verzeichnet die Statistik die ungeheure Zahl von
1285237 Personen. An der Spitze der Heimatländer stehn jetzt Österreich-
Ungarn, Italien, Rußland, die allein fast 70 vom Hundert der Gesamtheit
liefern:

Österreich-Ungarn...... 338452
Europäische Türkei...... 20767
Bulgarien, Serbien, Montenegro. . 11359
Italien.......... 285731
Rumänien......... 4334
Rußland......... 258943
Frankreich......... 9731
England ohne Irland und Schottland 56 637
Belgien .... 7..... 6396
Irland.......... 34530
Holland............ ggg?
Schottland........ 19740
Schweiz.......... 374g
Deutschland........ 37807
Asien........... 40524
Griechenlands)....... 36580
Afrika......., , , i4gg
Norwegen. . . -..... 22133
Australien......... ^47
Dänemark......... 7 243
sonstiges Amerika....... 41791
Schweden......... 20580

Das teutonische Element bildet also in der heutigen Einwandrung nur
eine Kleinigkeit. Dauern die heutigen Verhältnisse längere Zeit an, so wird
man die Nordamerikaner als eine vollständige Mischung aller europäischen
Stämme ansehen müssen. Ob sich der Yankee von 1950 von dem heutigen
nicht wesentlich unterscheiden wird, bleibt abzuwarten.

Im ganzen Amerika südlich von den Grenzen der Vereinigten Staaten
stehn die Dinge ganz anders. Leider kann man nicht mehr verfolgen, wie
groß die Einwandrerscharen gewesen sind, durch die sich die Romanisierung
Mittel- und Südamerikas vollzogen hat. Ehe sich die spanischen Kolonien
unabhängig machten, duldete man dort nur Spanier, in Brasilien nur
Portugiesen; gegen fremde Völker waren die Kolonien so vollständig abge¬
sperrt, daß nicht einmal Schiffe unter fremder Flagge landen durften. Die
Einwandrung hat wohl niemals große Massen gebracht. Jahrhunderte-
lang dauerte die Mischung mit den Indianern; die entstehende Rasse war sehr
fruchtbar und lieferte den großen Grundstock der heutigen Bevölkerung, sodaß
der kreolische Charakter völlig überwiegt. Neger waren außer in Westindien,
wo die Indianer früh ausgerottet wurden, nicht so stark daran beteiligt wie diese,
schon weil bis weit ins vorige Jahrhundert ihre Sklavenstellung andauerte.
Erst in den letzten Jahrzehnten macht sich die italienische Einwandrung nach
Argentinien stark bemerkbar; auch nach Chile, wo übrigens auch viele Deutsche
Ansiedler geworden sind. An Sinn für Staatenbildung, für Gesetzlichkeit steht
der Kreole uicht so hoch wie an körperlicher Schönheit. Ihn beherrschen
wilde Leidenschaften. Wenn die Staatsgewalt in der Hand eines Mannes
oder einer Partei ist, wird sie zu schnöder Gewalttat mißbraucht. Man be¬
reichert sich, ohne wählerisch in seinen Mitteln zu sein, aus Kosten der Unter¬
liegenden. Die Justiz ist im höchsten Grade mangelhaft. Rasch sammeln
sich Reichtümer bei den Regierenden an. Diktatoren gewinnen die Geldmittel,


Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse

Zu beiden Aufstellungen steht die heutige Einwandrung in starkem Gegen¬
satz. Für das Jahr 1907 verzeichnet die Statistik die ungeheure Zahl von
1285237 Personen. An der Spitze der Heimatländer stehn jetzt Österreich-
Ungarn, Italien, Rußland, die allein fast 70 vom Hundert der Gesamtheit
liefern:

Österreich-Ungarn...... 338452
Europäische Türkei...... 20767
Bulgarien, Serbien, Montenegro. . 11359
Italien.......... 285731
Rumänien......... 4334
Rußland......... 258943
Frankreich......... 9731
England ohne Irland und Schottland 56 637
Belgien .... 7..... 6396
Irland.......... 34530
Holland............ ggg?
Schottland........ 19740
Schweiz.......... 374g
Deutschland........ 37807
Asien........... 40524
Griechenlands)....... 36580
Afrika......., , , i4gg
Norwegen. . . -..... 22133
Australien......... ^47
Dänemark......... 7 243
sonstiges Amerika....... 41791
Schweden......... 20580

Das teutonische Element bildet also in der heutigen Einwandrung nur
eine Kleinigkeit. Dauern die heutigen Verhältnisse längere Zeit an, so wird
man die Nordamerikaner als eine vollständige Mischung aller europäischen
Stämme ansehen müssen. Ob sich der Yankee von 1950 von dem heutigen
nicht wesentlich unterscheiden wird, bleibt abzuwarten.

Im ganzen Amerika südlich von den Grenzen der Vereinigten Staaten
stehn die Dinge ganz anders. Leider kann man nicht mehr verfolgen, wie
groß die Einwandrerscharen gewesen sind, durch die sich die Romanisierung
Mittel- und Südamerikas vollzogen hat. Ehe sich die spanischen Kolonien
unabhängig machten, duldete man dort nur Spanier, in Brasilien nur
Portugiesen; gegen fremde Völker waren die Kolonien so vollständig abge¬
sperrt, daß nicht einmal Schiffe unter fremder Flagge landen durften. Die
Einwandrung hat wohl niemals große Massen gebracht. Jahrhunderte-
lang dauerte die Mischung mit den Indianern; die entstehende Rasse war sehr
fruchtbar und lieferte den großen Grundstock der heutigen Bevölkerung, sodaß
der kreolische Charakter völlig überwiegt. Neger waren außer in Westindien,
wo die Indianer früh ausgerottet wurden, nicht so stark daran beteiligt wie diese,
schon weil bis weit ins vorige Jahrhundert ihre Sklavenstellung andauerte.
Erst in den letzten Jahrzehnten macht sich die italienische Einwandrung nach
Argentinien stark bemerkbar; auch nach Chile, wo übrigens auch viele Deutsche
Ansiedler geworden sind. An Sinn für Staatenbildung, für Gesetzlichkeit steht
der Kreole uicht so hoch wie an körperlicher Schönheit. Ihn beherrschen
wilde Leidenschaften. Wenn die Staatsgewalt in der Hand eines Mannes
oder einer Partei ist, wird sie zu schnöder Gewalttat mißbraucht. Man be¬
reichert sich, ohne wählerisch in seinen Mitteln zu sein, aus Kosten der Unter¬
liegenden. Die Justiz ist im höchsten Grade mangelhaft. Rasch sammeln
sich Reichtümer bei den Regierenden an. Diktatoren gewinnen die Geldmittel,


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[0215] Amerika und die Dauerhaftigkeit seiner politischen Verhältnisse Zu beiden Aufstellungen steht die heutige Einwandrung in starkem Gegen¬ satz. Für das Jahr 1907 verzeichnet die Statistik die ungeheure Zahl von 1285237 Personen. An der Spitze der Heimatländer stehn jetzt Österreich- Ungarn, Italien, Rußland, die allein fast 70 vom Hundert der Gesamtheit liefern: Österreich-Ungarn...... 338452 Europäische Türkei...... 20767 Bulgarien, Serbien, Montenegro. . 11359 Italien.......... 285731 Rumänien......... 4334 Rußland......... 258943 Frankreich......... 9731 England ohne Irland und Schottland 56 637 Belgien .... 7..... 6396 Irland.......... 34530 Holland............ ggg? Schottland........ 19740 Schweiz.......... 374g Deutschland........ 37807 Asien........... 40524 Griechenlands)....... 36580 Afrika......., , , i4gg Norwegen. . . -..... 22133 Australien......... ^47 Dänemark......... 7 243 sonstiges Amerika....... 41791 Schweden......... 20580 Das teutonische Element bildet also in der heutigen Einwandrung nur eine Kleinigkeit. Dauern die heutigen Verhältnisse längere Zeit an, so wird man die Nordamerikaner als eine vollständige Mischung aller europäischen Stämme ansehen müssen. Ob sich der Yankee von 1950 von dem heutigen nicht wesentlich unterscheiden wird, bleibt abzuwarten. Im ganzen Amerika südlich von den Grenzen der Vereinigten Staaten stehn die Dinge ganz anders. Leider kann man nicht mehr verfolgen, wie groß die Einwandrerscharen gewesen sind, durch die sich die Romanisierung Mittel- und Südamerikas vollzogen hat. Ehe sich die spanischen Kolonien unabhängig machten, duldete man dort nur Spanier, in Brasilien nur Portugiesen; gegen fremde Völker waren die Kolonien so vollständig abge¬ sperrt, daß nicht einmal Schiffe unter fremder Flagge landen durften. Die Einwandrung hat wohl niemals große Massen gebracht. Jahrhunderte- lang dauerte die Mischung mit den Indianern; die entstehende Rasse war sehr fruchtbar und lieferte den großen Grundstock der heutigen Bevölkerung, sodaß der kreolische Charakter völlig überwiegt. Neger waren außer in Westindien, wo die Indianer früh ausgerottet wurden, nicht so stark daran beteiligt wie diese, schon weil bis weit ins vorige Jahrhundert ihre Sklavenstellung andauerte. Erst in den letzten Jahrzehnten macht sich die italienische Einwandrung nach Argentinien stark bemerkbar; auch nach Chile, wo übrigens auch viele Deutsche Ansiedler geworden sind. An Sinn für Staatenbildung, für Gesetzlichkeit steht der Kreole uicht so hoch wie an körperlicher Schönheit. Ihn beherrschen wilde Leidenschaften. Wenn die Staatsgewalt in der Hand eines Mannes oder einer Partei ist, wird sie zu schnöder Gewalttat mißbraucht. Man be¬ reichert sich, ohne wählerisch in seinen Mitteln zu sein, aus Kosten der Unter¬ liegenden. Die Justiz ist im höchsten Grade mangelhaft. Rasch sammeln sich Reichtümer bei den Regierenden an. Diktatoren gewinnen die Geldmittel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/215>, abgerufen am 25.07.2024.