Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die asiatische "Linwandrung

In Britisch-Guinea sind heute unter einer Gesamtbevölkerung von 278000
Einwohnern 105000 Jndier, von diesen sind aber nur etwa 20000 Kontrakt¬
arbeiter, die übrigen freie. Jamaika hat 125000, Trinidad 90000 Jndier.
Auf den Fidschi-Inseln (Südsee) sind 25000 Jndier. ihre Zahl stieg von
1901 bis 1904 um 5685, während sich die Eingebornen um 4334 vermin¬
derten. Überall machen hier die Jndier einen äußerst wichtigen und nützlichen
Bestandteil der Bevölkerung aus, sie sind fleißige und ordnungsliebende Bürger
geworden, die es zu einem Grade von Wohlstand gebracht haben, den sie in
ihrer Heimat nie erreicht hätten. Die Insel Dominica hat sich ohne diese
Einwandrung zu helfen versucht und ist infolgedessen der Stagnation verfallen.
Die Bedingungen des Arbeitskontrakts waren sehr liberal, durch Vergün-
stigungen wurden indische Arbeiter bewogen, sich im Lande anzusiedeln. Unter
den Einwandrungsbedingungen, wie sie heute noch auf den westindischen Inseln
bestehn, ist eine dauernde Zuwandrung von Asiaten unvermeidlich. Man hat
diese Art der Kolonisation die "staatlich unterstützte" genannt, und sie ist nichts
andres. Die Jndier müssen von vierzig Prozent Frauen begleitet sein. Nach
Ablauf des Kontrakts können sie Kronland anstatt des halben Rückfahrt¬
preises erhalten. Der Jndier erhält, wenn er auf der Farm bleibt, Vergün¬
stigungen in Gestalt von freier Wohnung, Weide für sein Vieh und freier
ärztlicher Behandlung. Die wichtigste Bestimmung ist aber die, die gestattet,
den Kontraktarbeiter schon während dieser Zeit als Handelsmann, gelernten
Fabrikarbeiter usw. zu beschäftigen. Nach Ablauf seines Kontrakts gibt es
für ihn keinerlei Beschränkung in dieser Beziehung mehr. So sehen wir, daß
in tropischen Ländern der Asiate ein nützlicher und notwendiger Einwandrer
ist, wo das heimische Arbeitsangebot die Nachfrage nicht decken kann.

Was nun die nichttropischen und zur Ansiedlung Weißer im großen
Maßstabe geeigneten Kolonien betrifft, so liegen die Verhältnisse dort be¬
deutend anders.

Vom geographischen Standpunkt gesprochen, liegt ein großes Kolonialland,
Kanada, in der Interessensphäre des unternehmendsten und übervölkertsten
asiatischen Staates, Japan. Die japanische Regierung tut alles, was in ihrer
Macht steht, um den Druck, mit dem die Armut auf dem Lande lastet, zu er¬
leichtern und zugleich Japans kürzlich eroberte Stellung unter den Nationen
zu erhalten und zu verstärken. Jede erdenkliche Erleichterung wird den Japanern
gewährt, die sich in Korea, Formosa, Sachalin usw. ansiedeln wollen. Japan
aber kämpft augenblicklich einen verzweifelten Kampf gegen die Folgen des
Krieges, verstärkt durch Hungersnöte in den nördlichen Provinzen. Der Kampf
ums Dasein wird von den Millionen Japans jetzt mit einer solchen hartnäckigen
Verzweiflung geführt, wie es sich die westlichen Nationen gar nicht vorstellen
können, es handelt sich um Groschen und Pfennige für den Kuli. Wie kann
es da wundern, wenn jeder Dampfer von Japan mit Zwischendeckern überfüllt
ist, die sich in Gebiete flüchten, wo die Erwerbsbedingungen günstiger sind,


Die asiatische «Linwandrung

In Britisch-Guinea sind heute unter einer Gesamtbevölkerung von 278000
Einwohnern 105000 Jndier, von diesen sind aber nur etwa 20000 Kontrakt¬
arbeiter, die übrigen freie. Jamaika hat 125000, Trinidad 90000 Jndier.
Auf den Fidschi-Inseln (Südsee) sind 25000 Jndier. ihre Zahl stieg von
1901 bis 1904 um 5685, während sich die Eingebornen um 4334 vermin¬
derten. Überall machen hier die Jndier einen äußerst wichtigen und nützlichen
Bestandteil der Bevölkerung aus, sie sind fleißige und ordnungsliebende Bürger
geworden, die es zu einem Grade von Wohlstand gebracht haben, den sie in
ihrer Heimat nie erreicht hätten. Die Insel Dominica hat sich ohne diese
Einwandrung zu helfen versucht und ist infolgedessen der Stagnation verfallen.
Die Bedingungen des Arbeitskontrakts waren sehr liberal, durch Vergün-
stigungen wurden indische Arbeiter bewogen, sich im Lande anzusiedeln. Unter
den Einwandrungsbedingungen, wie sie heute noch auf den westindischen Inseln
bestehn, ist eine dauernde Zuwandrung von Asiaten unvermeidlich. Man hat
diese Art der Kolonisation die „staatlich unterstützte" genannt, und sie ist nichts
andres. Die Jndier müssen von vierzig Prozent Frauen begleitet sein. Nach
Ablauf des Kontrakts können sie Kronland anstatt des halben Rückfahrt¬
preises erhalten. Der Jndier erhält, wenn er auf der Farm bleibt, Vergün¬
stigungen in Gestalt von freier Wohnung, Weide für sein Vieh und freier
ärztlicher Behandlung. Die wichtigste Bestimmung ist aber die, die gestattet,
den Kontraktarbeiter schon während dieser Zeit als Handelsmann, gelernten
Fabrikarbeiter usw. zu beschäftigen. Nach Ablauf seines Kontrakts gibt es
für ihn keinerlei Beschränkung in dieser Beziehung mehr. So sehen wir, daß
in tropischen Ländern der Asiate ein nützlicher und notwendiger Einwandrer
ist, wo das heimische Arbeitsangebot die Nachfrage nicht decken kann.

Was nun die nichttropischen und zur Ansiedlung Weißer im großen
Maßstabe geeigneten Kolonien betrifft, so liegen die Verhältnisse dort be¬
deutend anders.

Vom geographischen Standpunkt gesprochen, liegt ein großes Kolonialland,
Kanada, in der Interessensphäre des unternehmendsten und übervölkertsten
asiatischen Staates, Japan. Die japanische Regierung tut alles, was in ihrer
Macht steht, um den Druck, mit dem die Armut auf dem Lande lastet, zu er¬
leichtern und zugleich Japans kürzlich eroberte Stellung unter den Nationen
zu erhalten und zu verstärken. Jede erdenkliche Erleichterung wird den Japanern
gewährt, die sich in Korea, Formosa, Sachalin usw. ansiedeln wollen. Japan
aber kämpft augenblicklich einen verzweifelten Kampf gegen die Folgen des
Krieges, verstärkt durch Hungersnöte in den nördlichen Provinzen. Der Kampf
ums Dasein wird von den Millionen Japans jetzt mit einer solchen hartnäckigen
Verzweiflung geführt, wie es sich die westlichen Nationen gar nicht vorstellen
können, es handelt sich um Groschen und Pfennige für den Kuli. Wie kann
es da wundern, wenn jeder Dampfer von Japan mit Zwischendeckern überfüllt
ist, die sich in Gebiete flüchten, wo die Erwerbsbedingungen günstiger sind,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311809"/>
          <fw type="header" place="top"> Die asiatische «Linwandrung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_455"> In Britisch-Guinea sind heute unter einer Gesamtbevölkerung von 278000<lb/>
Einwohnern 105000 Jndier, von diesen sind aber nur etwa 20000 Kontrakt¬<lb/>
arbeiter, die übrigen freie. Jamaika hat 125000, Trinidad 90000 Jndier.<lb/>
Auf den Fidschi-Inseln (Südsee) sind 25000 Jndier. ihre Zahl stieg von<lb/>
1901 bis 1904 um 5685, während sich die Eingebornen um 4334 vermin¬<lb/>
derten. Überall machen hier die Jndier einen äußerst wichtigen und nützlichen<lb/>
Bestandteil der Bevölkerung aus, sie sind fleißige und ordnungsliebende Bürger<lb/>
geworden, die es zu einem Grade von Wohlstand gebracht haben, den sie in<lb/>
ihrer Heimat nie erreicht hätten. Die Insel Dominica hat sich ohne diese<lb/>
Einwandrung zu helfen versucht und ist infolgedessen der Stagnation verfallen.<lb/>
Die Bedingungen des Arbeitskontrakts waren sehr liberal, durch Vergün-<lb/>
stigungen wurden indische Arbeiter bewogen, sich im Lande anzusiedeln. Unter<lb/>
den Einwandrungsbedingungen, wie sie heute noch auf den westindischen Inseln<lb/>
bestehn, ist eine dauernde Zuwandrung von Asiaten unvermeidlich. Man hat<lb/>
diese Art der Kolonisation die &#x201E;staatlich unterstützte" genannt, und sie ist nichts<lb/>
andres. Die Jndier müssen von vierzig Prozent Frauen begleitet sein. Nach<lb/>
Ablauf des Kontrakts können sie Kronland anstatt des halben Rückfahrt¬<lb/>
preises erhalten. Der Jndier erhält, wenn er auf der Farm bleibt, Vergün¬<lb/>
stigungen in Gestalt von freier Wohnung, Weide für sein Vieh und freier<lb/>
ärztlicher Behandlung. Die wichtigste Bestimmung ist aber die, die gestattet,<lb/>
den Kontraktarbeiter schon während dieser Zeit als Handelsmann, gelernten<lb/>
Fabrikarbeiter usw. zu beschäftigen. Nach Ablauf seines Kontrakts gibt es<lb/>
für ihn keinerlei Beschränkung in dieser Beziehung mehr. So sehen wir, daß<lb/>
in tropischen Ländern der Asiate ein nützlicher und notwendiger Einwandrer<lb/>
ist, wo das heimische Arbeitsangebot die Nachfrage nicht decken kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_456"> Was nun die nichttropischen und zur Ansiedlung Weißer im großen<lb/>
Maßstabe geeigneten Kolonien betrifft, so liegen die Verhältnisse dort be¬<lb/>
deutend anders.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> Vom geographischen Standpunkt gesprochen, liegt ein großes Kolonialland,<lb/>
Kanada, in der Interessensphäre des unternehmendsten und übervölkertsten<lb/>
asiatischen Staates, Japan. Die japanische Regierung tut alles, was in ihrer<lb/>
Macht steht, um den Druck, mit dem die Armut auf dem Lande lastet, zu er¬<lb/>
leichtern und zugleich Japans kürzlich eroberte Stellung unter den Nationen<lb/>
zu erhalten und zu verstärken. Jede erdenkliche Erleichterung wird den Japanern<lb/>
gewährt, die sich in Korea, Formosa, Sachalin usw. ansiedeln wollen. Japan<lb/>
aber kämpft augenblicklich einen verzweifelten Kampf gegen die Folgen des<lb/>
Krieges, verstärkt durch Hungersnöte in den nördlichen Provinzen. Der Kampf<lb/>
ums Dasein wird von den Millionen Japans jetzt mit einer solchen hartnäckigen<lb/>
Verzweiflung geführt, wie es sich die westlichen Nationen gar nicht vorstellen<lb/>
können, es handelt sich um Groschen und Pfennige für den Kuli. Wie kann<lb/>
es da wundern, wenn jeder Dampfer von Japan mit Zwischendeckern überfüllt<lb/>
ist, die sich in Gebiete flüchten, wo die Erwerbsbedingungen günstiger sind,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Die asiatische «Linwandrung In Britisch-Guinea sind heute unter einer Gesamtbevölkerung von 278000 Einwohnern 105000 Jndier, von diesen sind aber nur etwa 20000 Kontrakt¬ arbeiter, die übrigen freie. Jamaika hat 125000, Trinidad 90000 Jndier. Auf den Fidschi-Inseln (Südsee) sind 25000 Jndier. ihre Zahl stieg von 1901 bis 1904 um 5685, während sich die Eingebornen um 4334 vermin¬ derten. Überall machen hier die Jndier einen äußerst wichtigen und nützlichen Bestandteil der Bevölkerung aus, sie sind fleißige und ordnungsliebende Bürger geworden, die es zu einem Grade von Wohlstand gebracht haben, den sie in ihrer Heimat nie erreicht hätten. Die Insel Dominica hat sich ohne diese Einwandrung zu helfen versucht und ist infolgedessen der Stagnation verfallen. Die Bedingungen des Arbeitskontrakts waren sehr liberal, durch Vergün- stigungen wurden indische Arbeiter bewogen, sich im Lande anzusiedeln. Unter den Einwandrungsbedingungen, wie sie heute noch auf den westindischen Inseln bestehn, ist eine dauernde Zuwandrung von Asiaten unvermeidlich. Man hat diese Art der Kolonisation die „staatlich unterstützte" genannt, und sie ist nichts andres. Die Jndier müssen von vierzig Prozent Frauen begleitet sein. Nach Ablauf des Kontrakts können sie Kronland anstatt des halben Rückfahrt¬ preises erhalten. Der Jndier erhält, wenn er auf der Farm bleibt, Vergün¬ stigungen in Gestalt von freier Wohnung, Weide für sein Vieh und freier ärztlicher Behandlung. Die wichtigste Bestimmung ist aber die, die gestattet, den Kontraktarbeiter schon während dieser Zeit als Handelsmann, gelernten Fabrikarbeiter usw. zu beschäftigen. Nach Ablauf seines Kontrakts gibt es für ihn keinerlei Beschränkung in dieser Beziehung mehr. So sehen wir, daß in tropischen Ländern der Asiate ein nützlicher und notwendiger Einwandrer ist, wo das heimische Arbeitsangebot die Nachfrage nicht decken kann. Was nun die nichttropischen und zur Ansiedlung Weißer im großen Maßstabe geeigneten Kolonien betrifft, so liegen die Verhältnisse dort be¬ deutend anders. Vom geographischen Standpunkt gesprochen, liegt ein großes Kolonialland, Kanada, in der Interessensphäre des unternehmendsten und übervölkertsten asiatischen Staates, Japan. Die japanische Regierung tut alles, was in ihrer Macht steht, um den Druck, mit dem die Armut auf dem Lande lastet, zu er¬ leichtern und zugleich Japans kürzlich eroberte Stellung unter den Nationen zu erhalten und zu verstärken. Jede erdenkliche Erleichterung wird den Japanern gewährt, die sich in Korea, Formosa, Sachalin usw. ansiedeln wollen. Japan aber kämpft augenblicklich einen verzweifelten Kampf gegen die Folgen des Krieges, verstärkt durch Hungersnöte in den nördlichen Provinzen. Der Kampf ums Dasein wird von den Millionen Japans jetzt mit einer solchen hartnäckigen Verzweiflung geführt, wie es sich die westlichen Nationen gar nicht vorstellen können, es handelt sich um Groschen und Pfennige für den Kuli. Wie kann es da wundern, wenn jeder Dampfer von Japan mit Zwischendeckern überfüllt ist, die sich in Gebiete flüchten, wo die Erwerbsbedingungen günstiger sind,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/120>, abgerufen am 27.06.2024.