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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken an Gswald vierordt

dieser Antrieb unermattet auf die stete Ausbildung der eignen Persönlichkeit.
Er blieb bis zuletzt der allseitig Lernende. Nicht um ein mißgestaltetes Viel¬
wisser zusammen zu häufen; sondern er wählte mit dem sichern Griff der
künstlerischen Natur. Die Dinge, die er sich aneignete, wie die Beherrschung
fremder Sprachen, die musikalische Bildung, die Meisterschaft im Klavierspiel,
gehörten in seine Persönlichkeit hinein wie die Blumen in den Anger oder wie
der schmetternde Fink in den blühenden Apfelbaum.

Dieselbe künstlerische Kraft, die ihn zu solcher Beschäftigung nötigte, bewahrte
ihn davor, die Außendinge überwuchern zu lassen. Er ließ sich niemals gehn,
hatte Zeit und Kraft, Willen und Gefühl immer in höherer Gewalt, sodaß
sich dienend eingliederte, was er nicht zur Herrschaft berufen hatte. Die Herr¬
schaft behielt der leidenschaftlich geliebte Beruf.

Solche Naturen, in denen, sich durch den Kristallisationsprozeß künstlerischen
Wirkens von selber gestaltet, was andre mühselig vorbereiten und zubereiten,
sind die Sonntagskinder in der Menschenwelt. Aber man preise sie nicht vor¬
eilig um ihres Glückes willen! Sie sind es, die das Leid des Menschenlebens
am tiefsten durchkosten. Ihre Sehnsucht nach dem reinsten Licht zieht magne¬
tisch die Schatten herauf und herbei.

Auch mit Oswald Vierordt ist das Leid durchs Leben gegangen. Früh
hat es sich zu ihm gesellt, und es ist ihm treu geblieben. Er litt unter jedem
Mißklang, jedem Mißverständnis. Nur die ihm die Nächsten waren, wissen
davon; befreien konnte ihn niemand als nur allein der Freund, der ihm in
jener Sonntagsfrühe plötzlich die Hand aufs Herz legte.

Aber durch solche Trübsal wurde sein Leben nicht gehemmt sondern
beschleunigt, nicht verschüttet sondern vertieft. Nur wenige ahnen, welch eine
reine Empfindungswelt hinter dieser liebenswürdigen Außenseite wogte und
bebte. All sein Inneres war in steter Bewegung -- fließend, auf und ab und
in sich zurück, erwartungsvoll zitternd, tief aufgerührt und sich leise stillend --
so immerfort und immerfort.

Merkwürdig offenbarte sich diese Lebendigkeit seiner Seele: Raschheit war
das Merkmal all seiner Lebensäußerungen. Rasch legte er zurecht, führte er
aus. Rasch überflogen seine Augen, bohrten in die Tiefe. Blitzschnell war der
Weg zurückgelegt vom Schauen zum Verstehn, zum Erkennen, zur Entschließung,
zur Tat. Dann gab es keinen Zweifel, kein Zaudern, kein Zittern. Aus seinen
tiefliegenden Augen schoß ein feuriger Strahl: er wollte, was er wußte, und
tat, was er wollte.

Diese Raschheit aber, die in seinem Gang, in seiner Rede, in jeder Gebärde
vorhanden war, wurde niemals zur Eile, niemals zur Hast; auch in den Tagen
der größten Geschäftigkeit wurde sein Leben niemals zum Schollen treibenden
Strom. Er verstand auch zu ruhn und, wenn nur für Minuten, mit atmender
Seele zu genießen. Wie tief hat er die Natur empfunden! Wie reich hat ihn
die Kunst gesegnet! Hier und dort hatte er Lieblinge, aber sie wurden nicht zu


Zum Andenken an Gswald vierordt

dieser Antrieb unermattet auf die stete Ausbildung der eignen Persönlichkeit.
Er blieb bis zuletzt der allseitig Lernende. Nicht um ein mißgestaltetes Viel¬
wisser zusammen zu häufen; sondern er wählte mit dem sichern Griff der
künstlerischen Natur. Die Dinge, die er sich aneignete, wie die Beherrschung
fremder Sprachen, die musikalische Bildung, die Meisterschaft im Klavierspiel,
gehörten in seine Persönlichkeit hinein wie die Blumen in den Anger oder wie
der schmetternde Fink in den blühenden Apfelbaum.

Dieselbe künstlerische Kraft, die ihn zu solcher Beschäftigung nötigte, bewahrte
ihn davor, die Außendinge überwuchern zu lassen. Er ließ sich niemals gehn,
hatte Zeit und Kraft, Willen und Gefühl immer in höherer Gewalt, sodaß
sich dienend eingliederte, was er nicht zur Herrschaft berufen hatte. Die Herr¬
schaft behielt der leidenschaftlich geliebte Beruf.

Solche Naturen, in denen, sich durch den Kristallisationsprozeß künstlerischen
Wirkens von selber gestaltet, was andre mühselig vorbereiten und zubereiten,
sind die Sonntagskinder in der Menschenwelt. Aber man preise sie nicht vor¬
eilig um ihres Glückes willen! Sie sind es, die das Leid des Menschenlebens
am tiefsten durchkosten. Ihre Sehnsucht nach dem reinsten Licht zieht magne¬
tisch die Schatten herauf und herbei.

Auch mit Oswald Vierordt ist das Leid durchs Leben gegangen. Früh
hat es sich zu ihm gesellt, und es ist ihm treu geblieben. Er litt unter jedem
Mißklang, jedem Mißverständnis. Nur die ihm die Nächsten waren, wissen
davon; befreien konnte ihn niemand als nur allein der Freund, der ihm in
jener Sonntagsfrühe plötzlich die Hand aufs Herz legte.

Aber durch solche Trübsal wurde sein Leben nicht gehemmt sondern
beschleunigt, nicht verschüttet sondern vertieft. Nur wenige ahnen, welch eine
reine Empfindungswelt hinter dieser liebenswürdigen Außenseite wogte und
bebte. All sein Inneres war in steter Bewegung — fließend, auf und ab und
in sich zurück, erwartungsvoll zitternd, tief aufgerührt und sich leise stillend —
so immerfort und immerfort.

Merkwürdig offenbarte sich diese Lebendigkeit seiner Seele: Raschheit war
das Merkmal all seiner Lebensäußerungen. Rasch legte er zurecht, führte er
aus. Rasch überflogen seine Augen, bohrten in die Tiefe. Blitzschnell war der
Weg zurückgelegt vom Schauen zum Verstehn, zum Erkennen, zur Entschließung,
zur Tat. Dann gab es keinen Zweifel, kein Zaudern, kein Zittern. Aus seinen
tiefliegenden Augen schoß ein feuriger Strahl: er wollte, was er wußte, und
tat, was er wollte.

Diese Raschheit aber, die in seinem Gang, in seiner Rede, in jeder Gebärde
vorhanden war, wurde niemals zur Eile, niemals zur Hast; auch in den Tagen
der größten Geschäftigkeit wurde sein Leben niemals zum Schollen treibenden
Strom. Er verstand auch zu ruhn und, wenn nur für Minuten, mit atmender
Seele zu genießen. Wie tief hat er die Natur empfunden! Wie reich hat ihn
die Kunst gesegnet! Hier und dort hatte er Lieblinge, aber sie wurden nicht zu


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[0092] Zum Andenken an Gswald vierordt dieser Antrieb unermattet auf die stete Ausbildung der eignen Persönlichkeit. Er blieb bis zuletzt der allseitig Lernende. Nicht um ein mißgestaltetes Viel¬ wisser zusammen zu häufen; sondern er wählte mit dem sichern Griff der künstlerischen Natur. Die Dinge, die er sich aneignete, wie die Beherrschung fremder Sprachen, die musikalische Bildung, die Meisterschaft im Klavierspiel, gehörten in seine Persönlichkeit hinein wie die Blumen in den Anger oder wie der schmetternde Fink in den blühenden Apfelbaum. Dieselbe künstlerische Kraft, die ihn zu solcher Beschäftigung nötigte, bewahrte ihn davor, die Außendinge überwuchern zu lassen. Er ließ sich niemals gehn, hatte Zeit und Kraft, Willen und Gefühl immer in höherer Gewalt, sodaß sich dienend eingliederte, was er nicht zur Herrschaft berufen hatte. Die Herr¬ schaft behielt der leidenschaftlich geliebte Beruf. Solche Naturen, in denen, sich durch den Kristallisationsprozeß künstlerischen Wirkens von selber gestaltet, was andre mühselig vorbereiten und zubereiten, sind die Sonntagskinder in der Menschenwelt. Aber man preise sie nicht vor¬ eilig um ihres Glückes willen! Sie sind es, die das Leid des Menschenlebens am tiefsten durchkosten. Ihre Sehnsucht nach dem reinsten Licht zieht magne¬ tisch die Schatten herauf und herbei. Auch mit Oswald Vierordt ist das Leid durchs Leben gegangen. Früh hat es sich zu ihm gesellt, und es ist ihm treu geblieben. Er litt unter jedem Mißklang, jedem Mißverständnis. Nur die ihm die Nächsten waren, wissen davon; befreien konnte ihn niemand als nur allein der Freund, der ihm in jener Sonntagsfrühe plötzlich die Hand aufs Herz legte. Aber durch solche Trübsal wurde sein Leben nicht gehemmt sondern beschleunigt, nicht verschüttet sondern vertieft. Nur wenige ahnen, welch eine reine Empfindungswelt hinter dieser liebenswürdigen Außenseite wogte und bebte. All sein Inneres war in steter Bewegung — fließend, auf und ab und in sich zurück, erwartungsvoll zitternd, tief aufgerührt und sich leise stillend — so immerfort und immerfort. Merkwürdig offenbarte sich diese Lebendigkeit seiner Seele: Raschheit war das Merkmal all seiner Lebensäußerungen. Rasch legte er zurecht, führte er aus. Rasch überflogen seine Augen, bohrten in die Tiefe. Blitzschnell war der Weg zurückgelegt vom Schauen zum Verstehn, zum Erkennen, zur Entschließung, zur Tat. Dann gab es keinen Zweifel, kein Zaudern, kein Zittern. Aus seinen tiefliegenden Augen schoß ein feuriger Strahl: er wollte, was er wußte, und tat, was er wollte. Diese Raschheit aber, die in seinem Gang, in seiner Rede, in jeder Gebärde vorhanden war, wurde niemals zur Eile, niemals zur Hast; auch in den Tagen der größten Geschäftigkeit wurde sein Leben niemals zum Schollen treibenden Strom. Er verstand auch zu ruhn und, wenn nur für Minuten, mit atmender Seele zu genießen. Wie tief hat er die Natur empfunden! Wie reich hat ihn die Kunst gesegnet! Hier und dort hatte er Lieblinge, aber sie wurden nicht zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/92>, abgerufen am 22.07.2024.