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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken an Oswald vierordt

Was Gelehrtenarbeit und Verwaltungsgeschäfte auf Tische niederlegen, sieht
überall gleichmäßig aus und unterscheidet sich für das Auge nur durch die An¬
zeichen verschiedner Arbeitsweise, die sich um so leiser geltend machen, je ma߬
voller und gehaltner der gewesen ist, der diese Dinge so hat liegen lassen. Was
dagegen die eigne Wahl und Entscheidung ringsherum angebracht oder zugelassen
hat, kennzeichnet die Persönlichkeit, und zwar um so deutlicher, je reicher und
gestalteter ihr Leben gewesen ist.

Was sich von dieser Art in Vierordts Arbeitszimmer dem Auge bietet, ist
alles überaus schön und alles überaus charakteristisch. Nichts, was nicht allge¬
mein bedeutend wäre, und nichts, das nicht die intimste Sprache redete. Es
muß ein geistvoller, feinfühliger, eigenartiger Mensch gewesen sein, der in diesem
Zimmer gewaltet hat.

Denselben Eindruck hat jeder empfangen, dem er auch nur für Augenblicke
vor das Antlitz getreten ist. Vierordt war einer der schönen Menschen; nicht
einer der schönen Männer in dem landläufigen Sinne des Wortes. Seine Schön¬
heit bestand in der vollendeten Harmonie des innern und des äußern Wesens.
In besondern Augenblicken sah er aus, als ob er aus einem Bilde des Giorgione
getreten wäre. Aber die Natürlichkeit und Einfachheit seines Gebarens bezeugte
ihn alsobald als das frische Kind unsrer Tage, bei dem die seltne Anmut der
körperlichen Erscheinung nur dazu vorhanden zu sein schien, daß der glänzenden
Begabung des Geistes das feinste und heiterste Instrument geboten und für
die Fülle der ihm anheim gegebnen Liebenswürdigkeit die zarteste und freieste
Vermittlung geschaffen sei.

Alle Menschen solcher Art sind von Willenskraft durchdrungen und üben
eine Macht aus, die gern oder ungern von jedem empfunden wird. So war
es bei Oswald Vierordt. Wie die Erscheinung fesselte, so bestrickte die Rede.
Aber nicht durch ein sinnliches Mittel oder einen rednerischen Griff: sondern
der schöne Fluß und die freie Anmut der Sprache schienen nur vorhanden zu
sein, um die scharfen, klaren, gehaltvollen Gedanken auf kürzestem Wege zum
Ziele zu tragen.

Wie wenn sie aus feinstem Porzellan aufgebaut wäre, stellte sich diese
Persönlichkeit vor die Augen; aber man spürte alsbald, daß sie aus lauter
Stahl und Federkraft bestand. Und wer ein Gehör hatte für das Tönen der
Seele, der mußte staunen, bis zu welchem Wohlklang sich hier die Kräfte des
geistigen und äußern Daseins ausgeglichen hatten -- in einer Zeit, in der so
vielfach das Menschliche zu schreienden Mißklang verbildet ist.

Oswald Vierordt war eine künstlerische Natur. Das Verbleiben im schönen
Maß war ihm ebenso Bedürfnis wie die vollendende Abrundung. Solchen
Menschen genügt das reine Forschen selten, weil es auf dieseni Wege keinen
Abschluß gibt. Es treibt sie auf Gebiete, wo aus dem Verlangen nach
harmonischer Gestaltung der Lebensinhalte schöpferische Tätigkeit entspringen
kann. Mitten in der größten Überlastung durch Berufsgeschüfte wirkte bei ihm


Zum Andenken an Oswald vierordt

Was Gelehrtenarbeit und Verwaltungsgeschäfte auf Tische niederlegen, sieht
überall gleichmäßig aus und unterscheidet sich für das Auge nur durch die An¬
zeichen verschiedner Arbeitsweise, die sich um so leiser geltend machen, je ma߬
voller und gehaltner der gewesen ist, der diese Dinge so hat liegen lassen. Was
dagegen die eigne Wahl und Entscheidung ringsherum angebracht oder zugelassen
hat, kennzeichnet die Persönlichkeit, und zwar um so deutlicher, je reicher und
gestalteter ihr Leben gewesen ist.

Was sich von dieser Art in Vierordts Arbeitszimmer dem Auge bietet, ist
alles überaus schön und alles überaus charakteristisch. Nichts, was nicht allge¬
mein bedeutend wäre, und nichts, das nicht die intimste Sprache redete. Es
muß ein geistvoller, feinfühliger, eigenartiger Mensch gewesen sein, der in diesem
Zimmer gewaltet hat.

Denselben Eindruck hat jeder empfangen, dem er auch nur für Augenblicke
vor das Antlitz getreten ist. Vierordt war einer der schönen Menschen; nicht
einer der schönen Männer in dem landläufigen Sinne des Wortes. Seine Schön¬
heit bestand in der vollendeten Harmonie des innern und des äußern Wesens.
In besondern Augenblicken sah er aus, als ob er aus einem Bilde des Giorgione
getreten wäre. Aber die Natürlichkeit und Einfachheit seines Gebarens bezeugte
ihn alsobald als das frische Kind unsrer Tage, bei dem die seltne Anmut der
körperlichen Erscheinung nur dazu vorhanden zu sein schien, daß der glänzenden
Begabung des Geistes das feinste und heiterste Instrument geboten und für
die Fülle der ihm anheim gegebnen Liebenswürdigkeit die zarteste und freieste
Vermittlung geschaffen sei.

Alle Menschen solcher Art sind von Willenskraft durchdrungen und üben
eine Macht aus, die gern oder ungern von jedem empfunden wird. So war
es bei Oswald Vierordt. Wie die Erscheinung fesselte, so bestrickte die Rede.
Aber nicht durch ein sinnliches Mittel oder einen rednerischen Griff: sondern
der schöne Fluß und die freie Anmut der Sprache schienen nur vorhanden zu
sein, um die scharfen, klaren, gehaltvollen Gedanken auf kürzestem Wege zum
Ziele zu tragen.

Wie wenn sie aus feinstem Porzellan aufgebaut wäre, stellte sich diese
Persönlichkeit vor die Augen; aber man spürte alsbald, daß sie aus lauter
Stahl und Federkraft bestand. Und wer ein Gehör hatte für das Tönen der
Seele, der mußte staunen, bis zu welchem Wohlklang sich hier die Kräfte des
geistigen und äußern Daseins ausgeglichen hatten — in einer Zeit, in der so
vielfach das Menschliche zu schreienden Mißklang verbildet ist.

Oswald Vierordt war eine künstlerische Natur. Das Verbleiben im schönen
Maß war ihm ebenso Bedürfnis wie die vollendende Abrundung. Solchen
Menschen genügt das reine Forschen selten, weil es auf dieseni Wege keinen
Abschluß gibt. Es treibt sie auf Gebiete, wo aus dem Verlangen nach
harmonischer Gestaltung der Lebensinhalte schöpferische Tätigkeit entspringen
kann. Mitten in der größten Überlastung durch Berufsgeschüfte wirkte bei ihm


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[0091] Zum Andenken an Oswald vierordt Was Gelehrtenarbeit und Verwaltungsgeschäfte auf Tische niederlegen, sieht überall gleichmäßig aus und unterscheidet sich für das Auge nur durch die An¬ zeichen verschiedner Arbeitsweise, die sich um so leiser geltend machen, je ma߬ voller und gehaltner der gewesen ist, der diese Dinge so hat liegen lassen. Was dagegen die eigne Wahl und Entscheidung ringsherum angebracht oder zugelassen hat, kennzeichnet die Persönlichkeit, und zwar um so deutlicher, je reicher und gestalteter ihr Leben gewesen ist. Was sich von dieser Art in Vierordts Arbeitszimmer dem Auge bietet, ist alles überaus schön und alles überaus charakteristisch. Nichts, was nicht allge¬ mein bedeutend wäre, und nichts, das nicht die intimste Sprache redete. Es muß ein geistvoller, feinfühliger, eigenartiger Mensch gewesen sein, der in diesem Zimmer gewaltet hat. Denselben Eindruck hat jeder empfangen, dem er auch nur für Augenblicke vor das Antlitz getreten ist. Vierordt war einer der schönen Menschen; nicht einer der schönen Männer in dem landläufigen Sinne des Wortes. Seine Schön¬ heit bestand in der vollendeten Harmonie des innern und des äußern Wesens. In besondern Augenblicken sah er aus, als ob er aus einem Bilde des Giorgione getreten wäre. Aber die Natürlichkeit und Einfachheit seines Gebarens bezeugte ihn alsobald als das frische Kind unsrer Tage, bei dem die seltne Anmut der körperlichen Erscheinung nur dazu vorhanden zu sein schien, daß der glänzenden Begabung des Geistes das feinste und heiterste Instrument geboten und für die Fülle der ihm anheim gegebnen Liebenswürdigkeit die zarteste und freieste Vermittlung geschaffen sei. Alle Menschen solcher Art sind von Willenskraft durchdrungen und üben eine Macht aus, die gern oder ungern von jedem empfunden wird. So war es bei Oswald Vierordt. Wie die Erscheinung fesselte, so bestrickte die Rede. Aber nicht durch ein sinnliches Mittel oder einen rednerischen Griff: sondern der schöne Fluß und die freie Anmut der Sprache schienen nur vorhanden zu sein, um die scharfen, klaren, gehaltvollen Gedanken auf kürzestem Wege zum Ziele zu tragen. Wie wenn sie aus feinstem Porzellan aufgebaut wäre, stellte sich diese Persönlichkeit vor die Augen; aber man spürte alsbald, daß sie aus lauter Stahl und Federkraft bestand. Und wer ein Gehör hatte für das Tönen der Seele, der mußte staunen, bis zu welchem Wohlklang sich hier die Kräfte des geistigen und äußern Daseins ausgeglichen hatten — in einer Zeit, in der so vielfach das Menschliche zu schreienden Mißklang verbildet ist. Oswald Vierordt war eine künstlerische Natur. Das Verbleiben im schönen Maß war ihm ebenso Bedürfnis wie die vollendende Abrundung. Solchen Menschen genügt das reine Forschen selten, weil es auf dieseni Wege keinen Abschluß gibt. Es treibt sie auf Gebiete, wo aus dem Verlangen nach harmonischer Gestaltung der Lebensinhalte schöpferische Tätigkeit entspringen kann. Mitten in der größten Überlastung durch Berufsgeschüfte wirkte bei ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/91>, abgerufen am 22.07.2024.