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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Amerikawanderungen eines Äeutschen

Tat scheinen hierüber noch immer keine bestimmten Instruktionen zu existieren,
sondern alles scheint der persönlichen Diskretion des betreffenden deutschen
Diplomaten überlassen zu sein. So sind in Brasilien jahrelang alle fremden
Verdächtigungen Deutschlands energisch dementiert worden. Die Folge war, daß
sie immer seltner wurden. Dann kam aber ein neuer Gesandter, der nie dementierte
und die Drachensaat ruhig wachsen ließ.

Sehr richtig hebt Wilda hervor, daß wir zwar keine politischen Interessen
in Südamerika haben, wohl aber wirtschaftliche und kommerzielle Interessen, die
wir uns zur Erhaltung unsrer Existenzbasis nicht verkümmern lassen dürfen.
Da nun das politische Gespenst gerade zu dem ausgesprochnen Zwecke von
uusern Gegnern erfunden sei, eine Verkümmerung und Schädigung der Handels-
interessen herbeizuführen, sei es Pflicht aller deutschen Diplomaten und Berufs¬
konsuln, energisch für sie einzutreten und jede Verdächtigung in der Presse sofort
zurückzuweisen, ehe sich das Gift eingefressen habe. Wilda hat ganz Recht, aber
er macht sich wohl keine Vorstellung davon, wieviele Millionen jährlich g, tonäs
xvräu von der Reichsregierung ausgegeben werden müßten, wenn wir wirklich
einen vollwertigen telegraphischen Nachrichtendienst auf der ganzen Welt oder
auch nur in Amerika und Ostasien schaffen wollten. Zunächst gilt es deshalb,
das deutsche Kabelnetz möglichst schnell auszubauen. Erst dann wird man in der
Lage sein, einen wirklich unabhängigen deutschen Nachrichtendienst zu schaffen.
Immerhin könnte das Auswärtige Amt in Berlin schon jetzt das Beispiel
Washingtons nachahmen und auf sämtliche Zeitungen Zentral- und Südamerikas
zum Zwecke politischer Bearbeitung abonnieren. Das Bureau der amerikanischen
Republiken ist so wie so schon ein kommerzieller Generalstab der Union, in dem
nicht nur alle Statistiker der latino-amerikanischen Republiken, sondern außer¬
dem viele andre internationale wirtschaftliche und politische Fragen bearbeitet
werden. Man sollte in Berlin eine besondre Abteilung des Auswärtigen Amts
für Amerika schaffen, um es auch nur einigermaßen Washington gleich zu tun.
So wie die Verhältnisse jetzt liegen, ist uns Washington bei allen Verhand¬
lungen mit latino-amerikanischen Republiken schon deshalb überlegen, weil es
das nötige Material selbst besitzt, während wir lediglich auf das angewiesen
sind, was diese Republiken und Washington veröffentlichen, uns aber ein eignes
Urteil überhaupt nicht bilden können.

Unsern Marinebesuchen in Amerika schreibt Wilda einen gar nicht hoch
genug zu bewertenden Einfluß zu, und man kann seinen an vielen Stellen des
Werkes wiederkehrenden Ausführungen hierüber nur zustimmen. Wilda begreift
nicht, daß unser Auswärtiges Amt trotz den offen zutage tretenden guten
Wirkungen der deutschen Flottenbesuche in amerikanischen Republiken noch immer,
vielleicht durch den Sparsamkeitstrieb unterstützt, etwaige Verstimmungen für
folgenreicher zu halten scheint als die so offensichtlich nationalen Nutzen stiftenden
Entsendungen deutscher Kriegsschiffe. Verstimmungen, wie sie durch den ungeschickten
Kapitän des Panther in Brasilien hervorgerufen und durch die unentschiedne


Amerikawanderungen eines Äeutschen

Tat scheinen hierüber noch immer keine bestimmten Instruktionen zu existieren,
sondern alles scheint der persönlichen Diskretion des betreffenden deutschen
Diplomaten überlassen zu sein. So sind in Brasilien jahrelang alle fremden
Verdächtigungen Deutschlands energisch dementiert worden. Die Folge war, daß
sie immer seltner wurden. Dann kam aber ein neuer Gesandter, der nie dementierte
und die Drachensaat ruhig wachsen ließ.

Sehr richtig hebt Wilda hervor, daß wir zwar keine politischen Interessen
in Südamerika haben, wohl aber wirtschaftliche und kommerzielle Interessen, die
wir uns zur Erhaltung unsrer Existenzbasis nicht verkümmern lassen dürfen.
Da nun das politische Gespenst gerade zu dem ausgesprochnen Zwecke von
uusern Gegnern erfunden sei, eine Verkümmerung und Schädigung der Handels-
interessen herbeizuführen, sei es Pflicht aller deutschen Diplomaten und Berufs¬
konsuln, energisch für sie einzutreten und jede Verdächtigung in der Presse sofort
zurückzuweisen, ehe sich das Gift eingefressen habe. Wilda hat ganz Recht, aber
er macht sich wohl keine Vorstellung davon, wieviele Millionen jährlich g, tonäs
xvräu von der Reichsregierung ausgegeben werden müßten, wenn wir wirklich
einen vollwertigen telegraphischen Nachrichtendienst auf der ganzen Welt oder
auch nur in Amerika und Ostasien schaffen wollten. Zunächst gilt es deshalb,
das deutsche Kabelnetz möglichst schnell auszubauen. Erst dann wird man in der
Lage sein, einen wirklich unabhängigen deutschen Nachrichtendienst zu schaffen.
Immerhin könnte das Auswärtige Amt in Berlin schon jetzt das Beispiel
Washingtons nachahmen und auf sämtliche Zeitungen Zentral- und Südamerikas
zum Zwecke politischer Bearbeitung abonnieren. Das Bureau der amerikanischen
Republiken ist so wie so schon ein kommerzieller Generalstab der Union, in dem
nicht nur alle Statistiker der latino-amerikanischen Republiken, sondern außer¬
dem viele andre internationale wirtschaftliche und politische Fragen bearbeitet
werden. Man sollte in Berlin eine besondre Abteilung des Auswärtigen Amts
für Amerika schaffen, um es auch nur einigermaßen Washington gleich zu tun.
So wie die Verhältnisse jetzt liegen, ist uns Washington bei allen Verhand¬
lungen mit latino-amerikanischen Republiken schon deshalb überlegen, weil es
das nötige Material selbst besitzt, während wir lediglich auf das angewiesen
sind, was diese Republiken und Washington veröffentlichen, uns aber ein eignes
Urteil überhaupt nicht bilden können.

Unsern Marinebesuchen in Amerika schreibt Wilda einen gar nicht hoch
genug zu bewertenden Einfluß zu, und man kann seinen an vielen Stellen des
Werkes wiederkehrenden Ausführungen hierüber nur zustimmen. Wilda begreift
nicht, daß unser Auswärtiges Amt trotz den offen zutage tretenden guten
Wirkungen der deutschen Flottenbesuche in amerikanischen Republiken noch immer,
vielleicht durch den Sparsamkeitstrieb unterstützt, etwaige Verstimmungen für
folgenreicher zu halten scheint als die so offensichtlich nationalen Nutzen stiftenden
Entsendungen deutscher Kriegsschiffe. Verstimmungen, wie sie durch den ungeschickten
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[0081] Amerikawanderungen eines Äeutschen Tat scheinen hierüber noch immer keine bestimmten Instruktionen zu existieren, sondern alles scheint der persönlichen Diskretion des betreffenden deutschen Diplomaten überlassen zu sein. So sind in Brasilien jahrelang alle fremden Verdächtigungen Deutschlands energisch dementiert worden. Die Folge war, daß sie immer seltner wurden. Dann kam aber ein neuer Gesandter, der nie dementierte und die Drachensaat ruhig wachsen ließ. Sehr richtig hebt Wilda hervor, daß wir zwar keine politischen Interessen in Südamerika haben, wohl aber wirtschaftliche und kommerzielle Interessen, die wir uns zur Erhaltung unsrer Existenzbasis nicht verkümmern lassen dürfen. Da nun das politische Gespenst gerade zu dem ausgesprochnen Zwecke von uusern Gegnern erfunden sei, eine Verkümmerung und Schädigung der Handels- interessen herbeizuführen, sei es Pflicht aller deutschen Diplomaten und Berufs¬ konsuln, energisch für sie einzutreten und jede Verdächtigung in der Presse sofort zurückzuweisen, ehe sich das Gift eingefressen habe. Wilda hat ganz Recht, aber er macht sich wohl keine Vorstellung davon, wieviele Millionen jährlich g, tonäs xvräu von der Reichsregierung ausgegeben werden müßten, wenn wir wirklich einen vollwertigen telegraphischen Nachrichtendienst auf der ganzen Welt oder auch nur in Amerika und Ostasien schaffen wollten. Zunächst gilt es deshalb, das deutsche Kabelnetz möglichst schnell auszubauen. Erst dann wird man in der Lage sein, einen wirklich unabhängigen deutschen Nachrichtendienst zu schaffen. Immerhin könnte das Auswärtige Amt in Berlin schon jetzt das Beispiel Washingtons nachahmen und auf sämtliche Zeitungen Zentral- und Südamerikas zum Zwecke politischer Bearbeitung abonnieren. Das Bureau der amerikanischen Republiken ist so wie so schon ein kommerzieller Generalstab der Union, in dem nicht nur alle Statistiker der latino-amerikanischen Republiken, sondern außer¬ dem viele andre internationale wirtschaftliche und politische Fragen bearbeitet werden. Man sollte in Berlin eine besondre Abteilung des Auswärtigen Amts für Amerika schaffen, um es auch nur einigermaßen Washington gleich zu tun. So wie die Verhältnisse jetzt liegen, ist uns Washington bei allen Verhand¬ lungen mit latino-amerikanischen Republiken schon deshalb überlegen, weil es das nötige Material selbst besitzt, während wir lediglich auf das angewiesen sind, was diese Republiken und Washington veröffentlichen, uns aber ein eignes Urteil überhaupt nicht bilden können. Unsern Marinebesuchen in Amerika schreibt Wilda einen gar nicht hoch genug zu bewertenden Einfluß zu, und man kann seinen an vielen Stellen des Werkes wiederkehrenden Ausführungen hierüber nur zustimmen. Wilda begreift nicht, daß unser Auswärtiges Amt trotz den offen zutage tretenden guten Wirkungen der deutschen Flottenbesuche in amerikanischen Republiken noch immer, vielleicht durch den Sparsamkeitstrieb unterstützt, etwaige Verstimmungen für folgenreicher zu halten scheint als die so offensichtlich nationalen Nutzen stiftenden Entsendungen deutscher Kriegsschiffe. Verstimmungen, wie sie durch den ungeschickten Kapitän des Panther in Brasilien hervorgerufen und durch die unentschiedne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/81>, abgerufen am 22.07.2024.