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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Amerikawanderungen eines Deutschen

kanal zu unterschätzen. Unterschätzt wird aber bis jetzt nur die Zeit seiner Alls¬
führung. Wie hat man früher die Franzosen verspottet, daß sie trotz der
Aufwendung so vieler Millionen nichts zustande brachten. Jetzt geht es den
Amerikanern genau so. Roosevelt, der noch in seiner diesmaligen Präsident¬
schaftsperiode das Werk zu vollenden hoffte, muß zusehen, wie eine Studien¬
kommission nach der andern dorthin reist, und wie trotz seiner persönlichen
energischen Initiative die Arbeit am Kanal selbst kaum weiterrückt. Hat doch
ein deutscher Beamter vor" kurzem festgestellt, daß von den notwendigen Arbeiten
bis heute ein Zehntel fertiggestellt ist. Vor einem Jahrzehnt wird deshalb
kaum an die Eröffnung des Kanals zu denken sein. Und dann wird er in
einer Gestalt vorliegen, die sogar nach amerikanischer sachverständiger Ansicht
nur ein Notbehelf ist, der gewählt wurde, weil aus strategischen Gründen die
Bauzeit möglichst abgekürzt werden sollte. Die Höhe von Culebra wird nicht
abgetragen, sondern durch ein Schleusensystem überwunden. Es wird also kein
Niveaukanal nach Art des Suez- oder des Kaiser-Wilhelm-Kanals geschaffen,
sondern ein Schleusenkanal, der nicht nur infolge der für zukünftige Schiffs¬
größen ungenügenden Abmessungen seiner Schleusentore bald unmodern werden
und für große Kriegsschiffe unbenützbar sein wird, sondern auch, und das ist
das schwerste Bedenken gegen ihn, durch Erdbeben oder Sprengstoffe leicht
gesperrt werden kann. Ein einziges stärkeres Erdbeben genügt, um die
Schleusen für Monate unbrauchbar zu machen, und die Japaner würden
im Falle drohender kriegerischer Verwicklungen Wohl auch die Möglichkeit
finden, die Schleusen zu zerstören. Solange also der Panamakanal nicht
die Form des Suezkanals erhalten haben wird, ist mit einer dauernden
sichern Benutzung dieses neuen Handelsweges nicht zu rechnen und deshalb
auch nicht anzunehmen, daß der Welthandel wesentlich durch ihn beeinflußt
werden wird.

Als politisch und wirtschaftlich außerordentlich wichtig für Deutschland wird
es von Wilda bezeichnet, sich durch Legung eigner Kabel möglichst von dem
britischen Kabelmonopol unabhängig zu machen durch Legung deutscher Kabel
nach Südamerika. Das deutsch-argentinische Kabel ist ja soeben konzessioniert
worden. An dieses muß sich aber ein ganz Südamerika umschließendes Kabel
Deutschlands anschließen. Was Wilda über die Folgen des britischen Kabel¬
monopols sagt, trifft den Nagel auf den Kopf. Man kann jedes Wort Wildas
über die Preßtreibereien unsrer Gegner in südamerikanischen Blättern unter¬
schreiben. Offen spricht er es aus, daß der Nachrichtendienst des Deutschen
Reichs noch betrüblich im argen liegt, und daß mau diesem Umstände neben
unsrer zu schwachen Marine wohl unbedenklich eine Hauptschuld an den in Er¬
scheinung getretner Koalitionsmöglichkeiten gegen Deutschland zuschreiben darf.
Den wohlberechneten Aussprengungen der Agence Havas, der Western Telegraph
Company und der Galveston Kabelgesellschaft über angebliche deutsche Annexions-
plüne folge fast nie ein amtliches Dementi der deutschen Gesandtschaft. In der


Amerikawanderungen eines Deutschen

kanal zu unterschätzen. Unterschätzt wird aber bis jetzt nur die Zeit seiner Alls¬
führung. Wie hat man früher die Franzosen verspottet, daß sie trotz der
Aufwendung so vieler Millionen nichts zustande brachten. Jetzt geht es den
Amerikanern genau so. Roosevelt, der noch in seiner diesmaligen Präsident¬
schaftsperiode das Werk zu vollenden hoffte, muß zusehen, wie eine Studien¬
kommission nach der andern dorthin reist, und wie trotz seiner persönlichen
energischen Initiative die Arbeit am Kanal selbst kaum weiterrückt. Hat doch
ein deutscher Beamter vor" kurzem festgestellt, daß von den notwendigen Arbeiten
bis heute ein Zehntel fertiggestellt ist. Vor einem Jahrzehnt wird deshalb
kaum an die Eröffnung des Kanals zu denken sein. Und dann wird er in
einer Gestalt vorliegen, die sogar nach amerikanischer sachverständiger Ansicht
nur ein Notbehelf ist, der gewählt wurde, weil aus strategischen Gründen die
Bauzeit möglichst abgekürzt werden sollte. Die Höhe von Culebra wird nicht
abgetragen, sondern durch ein Schleusensystem überwunden. Es wird also kein
Niveaukanal nach Art des Suez- oder des Kaiser-Wilhelm-Kanals geschaffen,
sondern ein Schleusenkanal, der nicht nur infolge der für zukünftige Schiffs¬
größen ungenügenden Abmessungen seiner Schleusentore bald unmodern werden
und für große Kriegsschiffe unbenützbar sein wird, sondern auch, und das ist
das schwerste Bedenken gegen ihn, durch Erdbeben oder Sprengstoffe leicht
gesperrt werden kann. Ein einziges stärkeres Erdbeben genügt, um die
Schleusen für Monate unbrauchbar zu machen, und die Japaner würden
im Falle drohender kriegerischer Verwicklungen Wohl auch die Möglichkeit
finden, die Schleusen zu zerstören. Solange also der Panamakanal nicht
die Form des Suezkanals erhalten haben wird, ist mit einer dauernden
sichern Benutzung dieses neuen Handelsweges nicht zu rechnen und deshalb
auch nicht anzunehmen, daß der Welthandel wesentlich durch ihn beeinflußt
werden wird.

Als politisch und wirtschaftlich außerordentlich wichtig für Deutschland wird
es von Wilda bezeichnet, sich durch Legung eigner Kabel möglichst von dem
britischen Kabelmonopol unabhängig zu machen durch Legung deutscher Kabel
nach Südamerika. Das deutsch-argentinische Kabel ist ja soeben konzessioniert
worden. An dieses muß sich aber ein ganz Südamerika umschließendes Kabel
Deutschlands anschließen. Was Wilda über die Folgen des britischen Kabel¬
monopols sagt, trifft den Nagel auf den Kopf. Man kann jedes Wort Wildas
über die Preßtreibereien unsrer Gegner in südamerikanischen Blättern unter¬
schreiben. Offen spricht er es aus, daß der Nachrichtendienst des Deutschen
Reichs noch betrüblich im argen liegt, und daß mau diesem Umstände neben
unsrer zu schwachen Marine wohl unbedenklich eine Hauptschuld an den in Er¬
scheinung getretner Koalitionsmöglichkeiten gegen Deutschland zuschreiben darf.
Den wohlberechneten Aussprengungen der Agence Havas, der Western Telegraph
Company und der Galveston Kabelgesellschaft über angebliche deutsche Annexions-
plüne folge fast nie ein amtliches Dementi der deutschen Gesandtschaft. In der


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[0080] Amerikawanderungen eines Deutschen kanal zu unterschätzen. Unterschätzt wird aber bis jetzt nur die Zeit seiner Alls¬ führung. Wie hat man früher die Franzosen verspottet, daß sie trotz der Aufwendung so vieler Millionen nichts zustande brachten. Jetzt geht es den Amerikanern genau so. Roosevelt, der noch in seiner diesmaligen Präsident¬ schaftsperiode das Werk zu vollenden hoffte, muß zusehen, wie eine Studien¬ kommission nach der andern dorthin reist, und wie trotz seiner persönlichen energischen Initiative die Arbeit am Kanal selbst kaum weiterrückt. Hat doch ein deutscher Beamter vor" kurzem festgestellt, daß von den notwendigen Arbeiten bis heute ein Zehntel fertiggestellt ist. Vor einem Jahrzehnt wird deshalb kaum an die Eröffnung des Kanals zu denken sein. Und dann wird er in einer Gestalt vorliegen, die sogar nach amerikanischer sachverständiger Ansicht nur ein Notbehelf ist, der gewählt wurde, weil aus strategischen Gründen die Bauzeit möglichst abgekürzt werden sollte. Die Höhe von Culebra wird nicht abgetragen, sondern durch ein Schleusensystem überwunden. Es wird also kein Niveaukanal nach Art des Suez- oder des Kaiser-Wilhelm-Kanals geschaffen, sondern ein Schleusenkanal, der nicht nur infolge der für zukünftige Schiffs¬ größen ungenügenden Abmessungen seiner Schleusentore bald unmodern werden und für große Kriegsschiffe unbenützbar sein wird, sondern auch, und das ist das schwerste Bedenken gegen ihn, durch Erdbeben oder Sprengstoffe leicht gesperrt werden kann. Ein einziges stärkeres Erdbeben genügt, um die Schleusen für Monate unbrauchbar zu machen, und die Japaner würden im Falle drohender kriegerischer Verwicklungen Wohl auch die Möglichkeit finden, die Schleusen zu zerstören. Solange also der Panamakanal nicht die Form des Suezkanals erhalten haben wird, ist mit einer dauernden sichern Benutzung dieses neuen Handelsweges nicht zu rechnen und deshalb auch nicht anzunehmen, daß der Welthandel wesentlich durch ihn beeinflußt werden wird. Als politisch und wirtschaftlich außerordentlich wichtig für Deutschland wird es von Wilda bezeichnet, sich durch Legung eigner Kabel möglichst von dem britischen Kabelmonopol unabhängig zu machen durch Legung deutscher Kabel nach Südamerika. Das deutsch-argentinische Kabel ist ja soeben konzessioniert worden. An dieses muß sich aber ein ganz Südamerika umschließendes Kabel Deutschlands anschließen. Was Wilda über die Folgen des britischen Kabel¬ monopols sagt, trifft den Nagel auf den Kopf. Man kann jedes Wort Wildas über die Preßtreibereien unsrer Gegner in südamerikanischen Blättern unter¬ schreiben. Offen spricht er es aus, daß der Nachrichtendienst des Deutschen Reichs noch betrüblich im argen liegt, und daß mau diesem Umstände neben unsrer zu schwachen Marine wohl unbedenklich eine Hauptschuld an den in Er¬ scheinung getretner Koalitionsmöglichkeiten gegen Deutschland zuschreiben darf. Den wohlberechneten Aussprengungen der Agence Havas, der Western Telegraph Company und der Galveston Kabelgesellschaft über angebliche deutsche Annexions- plüne folge fast nie ein amtliches Dementi der deutschen Gesandtschaft. In der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/80>, abgerufen am 22.07.2024.