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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Amerikawanderungen eines Deutschen

Santiago de Chile viel leichter Herren- und Damenmodeartikel nach besten?
europäischem Geschmack erhalten kann als in Buenos Aires, wo diese Waren
nach dem theatralischen Geschmack der Landeseinwohner eingerichtet sind. In
den Toiletten sollen die Damen von Buenos Aires die von Berlin nach Wildas
Ansicht stark übertreffen. Hätte er irgendeine europäische Dame des dortigen
diplomatischen Korps gefragt, so würde er gehört haben, daß sich dieses Über¬
treffen vielleicht auf die Kostbarkeit, nicht aber auf den Geschmack beziehen
könne. Es ist eine bekannte Anekdote in Buenos Aires, daß der Präsident
eine neu angekommn? Gesandtenfrau gefragt hätte, wie ihr die Toiletten bei
der täglichen Korsofahrt in Palermo (dem Bois de Boulogne von Buenos
Aires) gefallen hätten, und daß diese ihm ruhig geantwortet hätte, daß die
Farben alle so grell gewesen wären, wie man sie in Paris nur während des
Karnevals trüge. Seitdem sollen die Farbentöne dort in der Tat etwas weniger
lebhaft geworden sein.

Auch die Hafeneinrichtungen von Buenos Aires werden gelobt und zum
Teil ganz modern genannt. Hernach schränkt Wilda dieses Lob etwas ein und
meint, die argentinische Regierung scheine die Hafenausbauten doch zu langsam
zu betreiben. In Wirklichkeit ist der Hafen von Buenos Aires für moderne
Seedampfer ganz ungeeignet, da er viel zu geringe Tiefenverhältnisse aufweist
und nicht einen einzigen der großen nach Newyork fahrenden Dampfer auf¬
nehmen könnte, während Rio de Janeiro einen Hafen besitzt, der alle Seeschiffe
der Welt zu derselben Zeit beherbergen könnte und auch für zukünftige noch
bedeutend tiefer gehende Dampfer ausreichende Tiefenlinien hat. Brasilien
ist außerdem an mineralischen Bodenschätzen so viel reicher und seiner Aus¬
dehnung nach so viel größer als Argentinien, daß die zukünftige Führerrolle
Brasiliens in Südamerika wohl kaum bezweifelt werden kann.

Im Seeschiffahrtsverkehr Amerikas herrscht, wie Wild" klar und richtig
geschildert hat. bis jetzt überall die europäische Flagge, und zwar an erster
Stelle die britische und an zweiter die deutsche vor. Präsident Roosevelt hat
aber nach der berühmten Rundreise des Staatssekretärs Rook, von dem Wilda
meint, er habe seine Ansichten auf dem letzten panamerikanischen Kongreß (der
übrigens in Rio de Janeiro und nicht, wie Wilda angibt, in Buenos Aires
stattgefunden hat) sehr verschleiern müssen, in einer auch von Wilda erwähnten
Botschaft an den Kongreß unverhohlen ausgesprochen, es entspreche nicht der
Würde der Vereinigten Staaten, den südamerikanischen Großhandel ihren Handels¬
konkurrenten zu überlassen. Aus den Erfahrungen Roots ergebe sich, daß Südamerika,
das eigentlich mit den Vereinigten Staaten in innigsten Handelsbeziehungen stehn
müßte, kaum einen direkten Dampferverkehr mit den Vereinigten Staaten habe,
und daß sich seine Handelsbeziehungen fast nur auf Europa beschränkten. Süd¬
amerika müsse dem Großhandel der Vereinigten Staaten gewonnen werden.

Vorläufig ist das von Roosevelt geplante Subventionsgesetz zur Schaffung
amerikanischer Schiffsverbindungen zwischen der Union und Rio de Janeiro,


Amerikawanderungen eines Deutschen

Santiago de Chile viel leichter Herren- und Damenmodeartikel nach besten?
europäischem Geschmack erhalten kann als in Buenos Aires, wo diese Waren
nach dem theatralischen Geschmack der Landeseinwohner eingerichtet sind. In
den Toiletten sollen die Damen von Buenos Aires die von Berlin nach Wildas
Ansicht stark übertreffen. Hätte er irgendeine europäische Dame des dortigen
diplomatischen Korps gefragt, so würde er gehört haben, daß sich dieses Über¬
treffen vielleicht auf die Kostbarkeit, nicht aber auf den Geschmack beziehen
könne. Es ist eine bekannte Anekdote in Buenos Aires, daß der Präsident
eine neu angekommn? Gesandtenfrau gefragt hätte, wie ihr die Toiletten bei
der täglichen Korsofahrt in Palermo (dem Bois de Boulogne von Buenos
Aires) gefallen hätten, und daß diese ihm ruhig geantwortet hätte, daß die
Farben alle so grell gewesen wären, wie man sie in Paris nur während des
Karnevals trüge. Seitdem sollen die Farbentöne dort in der Tat etwas weniger
lebhaft geworden sein.

Auch die Hafeneinrichtungen von Buenos Aires werden gelobt und zum
Teil ganz modern genannt. Hernach schränkt Wilda dieses Lob etwas ein und
meint, die argentinische Regierung scheine die Hafenausbauten doch zu langsam
zu betreiben. In Wirklichkeit ist der Hafen von Buenos Aires für moderne
Seedampfer ganz ungeeignet, da er viel zu geringe Tiefenverhältnisse aufweist
und nicht einen einzigen der großen nach Newyork fahrenden Dampfer auf¬
nehmen könnte, während Rio de Janeiro einen Hafen besitzt, der alle Seeschiffe
der Welt zu derselben Zeit beherbergen könnte und auch für zukünftige noch
bedeutend tiefer gehende Dampfer ausreichende Tiefenlinien hat. Brasilien
ist außerdem an mineralischen Bodenschätzen so viel reicher und seiner Aus¬
dehnung nach so viel größer als Argentinien, daß die zukünftige Führerrolle
Brasiliens in Südamerika wohl kaum bezweifelt werden kann.

Im Seeschiffahrtsverkehr Amerikas herrscht, wie Wild« klar und richtig
geschildert hat. bis jetzt überall die europäische Flagge, und zwar an erster
Stelle die britische und an zweiter die deutsche vor. Präsident Roosevelt hat
aber nach der berühmten Rundreise des Staatssekretärs Rook, von dem Wilda
meint, er habe seine Ansichten auf dem letzten panamerikanischen Kongreß (der
übrigens in Rio de Janeiro und nicht, wie Wilda angibt, in Buenos Aires
stattgefunden hat) sehr verschleiern müssen, in einer auch von Wilda erwähnten
Botschaft an den Kongreß unverhohlen ausgesprochen, es entspreche nicht der
Würde der Vereinigten Staaten, den südamerikanischen Großhandel ihren Handels¬
konkurrenten zu überlassen. Aus den Erfahrungen Roots ergebe sich, daß Südamerika,
das eigentlich mit den Vereinigten Staaten in innigsten Handelsbeziehungen stehn
müßte, kaum einen direkten Dampferverkehr mit den Vereinigten Staaten habe,
und daß sich seine Handelsbeziehungen fast nur auf Europa beschränkten. Süd¬
amerika müsse dem Großhandel der Vereinigten Staaten gewonnen werden.

Vorläufig ist das von Roosevelt geplante Subventionsgesetz zur Schaffung
amerikanischer Schiffsverbindungen zwischen der Union und Rio de Janeiro,


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[0078] Amerikawanderungen eines Deutschen Santiago de Chile viel leichter Herren- und Damenmodeartikel nach besten? europäischem Geschmack erhalten kann als in Buenos Aires, wo diese Waren nach dem theatralischen Geschmack der Landeseinwohner eingerichtet sind. In den Toiletten sollen die Damen von Buenos Aires die von Berlin nach Wildas Ansicht stark übertreffen. Hätte er irgendeine europäische Dame des dortigen diplomatischen Korps gefragt, so würde er gehört haben, daß sich dieses Über¬ treffen vielleicht auf die Kostbarkeit, nicht aber auf den Geschmack beziehen könne. Es ist eine bekannte Anekdote in Buenos Aires, daß der Präsident eine neu angekommn? Gesandtenfrau gefragt hätte, wie ihr die Toiletten bei der täglichen Korsofahrt in Palermo (dem Bois de Boulogne von Buenos Aires) gefallen hätten, und daß diese ihm ruhig geantwortet hätte, daß die Farben alle so grell gewesen wären, wie man sie in Paris nur während des Karnevals trüge. Seitdem sollen die Farbentöne dort in der Tat etwas weniger lebhaft geworden sein. Auch die Hafeneinrichtungen von Buenos Aires werden gelobt und zum Teil ganz modern genannt. Hernach schränkt Wilda dieses Lob etwas ein und meint, die argentinische Regierung scheine die Hafenausbauten doch zu langsam zu betreiben. In Wirklichkeit ist der Hafen von Buenos Aires für moderne Seedampfer ganz ungeeignet, da er viel zu geringe Tiefenverhältnisse aufweist und nicht einen einzigen der großen nach Newyork fahrenden Dampfer auf¬ nehmen könnte, während Rio de Janeiro einen Hafen besitzt, der alle Seeschiffe der Welt zu derselben Zeit beherbergen könnte und auch für zukünftige noch bedeutend tiefer gehende Dampfer ausreichende Tiefenlinien hat. Brasilien ist außerdem an mineralischen Bodenschätzen so viel reicher und seiner Aus¬ dehnung nach so viel größer als Argentinien, daß die zukünftige Führerrolle Brasiliens in Südamerika wohl kaum bezweifelt werden kann. Im Seeschiffahrtsverkehr Amerikas herrscht, wie Wild« klar und richtig geschildert hat. bis jetzt überall die europäische Flagge, und zwar an erster Stelle die britische und an zweiter die deutsche vor. Präsident Roosevelt hat aber nach der berühmten Rundreise des Staatssekretärs Rook, von dem Wilda meint, er habe seine Ansichten auf dem letzten panamerikanischen Kongreß (der übrigens in Rio de Janeiro und nicht, wie Wilda angibt, in Buenos Aires stattgefunden hat) sehr verschleiern müssen, in einer auch von Wilda erwähnten Botschaft an den Kongreß unverhohlen ausgesprochen, es entspreche nicht der Würde der Vereinigten Staaten, den südamerikanischen Großhandel ihren Handels¬ konkurrenten zu überlassen. Aus den Erfahrungen Roots ergebe sich, daß Südamerika, das eigentlich mit den Vereinigten Staaten in innigsten Handelsbeziehungen stehn müßte, kaum einen direkten Dampferverkehr mit den Vereinigten Staaten habe, und daß sich seine Handelsbeziehungen fast nur auf Europa beschränkten. Süd¬ amerika müsse dem Großhandel der Vereinigten Staaten gewonnen werden. Vorläufig ist das von Roosevelt geplante Subventionsgesetz zur Schaffung amerikanischer Schiffsverbindungen zwischen der Union und Rio de Janeiro,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/78>, abgerufen am 24.08.2024.