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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Amerikawanderungen eines Deutschen

einer richtigen Zoll- und Handelspolitik gegenüber Südamerika wird durchsetzen
können, unterliegt für jeden, der diese Länder kennt, keinem Zweifel. Bis jetzt
haben es nur die Nordamerikaner verstanden, eine erfolgreiche av ut ete8-Politik
dort zu treiben.

Von den deutsch bevölkerten Gebieten Südamerikas hat Wilda nur Süd¬
chile, dagegen weder Südargentinien noch Südbrasilien besucht. Das letzte
nicht gesehen zu haben, ist entschieden eine große Unterlassungssünde von ihm.
Was er über die Deutschen in Chile sagt, ist im allgemeinen richtig. Er er¬
wähnt die historische Reminiszenz, daß es ein Fugger war, dem Kaiser Karl
der Fünfte im Jahre 1526 das Besitzrecht auf das erst vor kurzem entdeckte
Chile verpfändet hatte, der aber nicht dazu kam, seine Gerechtsame auszunutzen.
Mitte des vorigen Jahrhunderts begann dann die deutsche Einwanderung nach
Chile. Wilda meint, daß, wenn sie stärker gewesen wäre, Chile heute ver¬
mutlich ein wirtschaftlich uns eng verbundner und politisch uns nahe stehender
Überseefreund sein würde. Die Möglichkeit, ein deutsches Südwestamerika zu
schaffen, sei auf immer entronnen, wenn wir mit Chile gut Freund bleiben
wollten, das jetzt nur solche Einwandrer wünsche, die möglichst bald Chilenen
würden. Wie Wilda trotzdem für eine deutsche Auswanderung nach Chile ein¬
treten kann, ist nicht recht verständlich, zumal da er an einer andern Stelle
seines Werkes erklärt, zunächst müsse jede Auswanderung in unsre eignen
Kolonien geleitet werden, und nur in dem Falle, daß sich über dieses nächste
Bedürfnis unsrer eignen Kolonien ein Überschuß an Auswandernngslustigen
ergebe, könne von der Begünstigung andrer Kolonisationsgebiete die Rede sein.
Nun ist aber für absehbare Zeit kein solcher Auswandererüberschuß vorhanden,
und auch wenn er eintreten sollte, kommt doch zunächst Südbrasilien in Be¬
tracht, wo schon 400000 Deutsche in ziemlich geschlossenen Siedlungen wohnen,
deren schon gewonnenen Einfluß auf die Entwicklung der Dinge in Süd¬
amerika zu stärken wahrlich des Schweißes der Edeln wert ist.

Brasilien ist eben nicht, wie Wilda behauptet, ein reines Tropenland,
sondern liegt mit seinen Südstaaten im subtropischen Gebiet. Außerdem ist
das Klima durch die Höhenlage dieses Gebiets im Jahresdurchschnitt wesentlich
kühler als der größere Teil Argentiniens. Die von Deutschen besiedelten
brasilianischen Staaten Parana, Santa Catharina und Rio Grande do Sui
geben den deutschen Einwanderern die Möglichkeit, fast ganz dieselben land¬
wirtschaftlichen Produkte zu erzielen wie in der Heimat. Es ist also ohne
weiteres klar, daß von Tropenklima dort keine Rede sein kann.

Argentinien wird überhaupt von Wilda auf Kosten der andern Republiken
zu sehr herausgestrichen. Allerdings findet er, daß die Ladenstraßen von
Buenos Aires einen weniger glänzenden Eindruck machen als die der Hauptstadt
von Mexiko, aber er erklärt sie für die ersten von Südamerika, während jeder
Kenner der Verhältnisse weiß, daß Rio de Janeiro zum Beispiel in Gold- und
Juwelierlüden mit London und Paris konkurrieren kann, und daß man in


Grenzboten I 1908 10
Amerikawanderungen eines Deutschen

einer richtigen Zoll- und Handelspolitik gegenüber Südamerika wird durchsetzen
können, unterliegt für jeden, der diese Länder kennt, keinem Zweifel. Bis jetzt
haben es nur die Nordamerikaner verstanden, eine erfolgreiche av ut ete8-Politik
dort zu treiben.

Von den deutsch bevölkerten Gebieten Südamerikas hat Wilda nur Süd¬
chile, dagegen weder Südargentinien noch Südbrasilien besucht. Das letzte
nicht gesehen zu haben, ist entschieden eine große Unterlassungssünde von ihm.
Was er über die Deutschen in Chile sagt, ist im allgemeinen richtig. Er er¬
wähnt die historische Reminiszenz, daß es ein Fugger war, dem Kaiser Karl
der Fünfte im Jahre 1526 das Besitzrecht auf das erst vor kurzem entdeckte
Chile verpfändet hatte, der aber nicht dazu kam, seine Gerechtsame auszunutzen.
Mitte des vorigen Jahrhunderts begann dann die deutsche Einwanderung nach
Chile. Wilda meint, daß, wenn sie stärker gewesen wäre, Chile heute ver¬
mutlich ein wirtschaftlich uns eng verbundner und politisch uns nahe stehender
Überseefreund sein würde. Die Möglichkeit, ein deutsches Südwestamerika zu
schaffen, sei auf immer entronnen, wenn wir mit Chile gut Freund bleiben
wollten, das jetzt nur solche Einwandrer wünsche, die möglichst bald Chilenen
würden. Wie Wilda trotzdem für eine deutsche Auswanderung nach Chile ein¬
treten kann, ist nicht recht verständlich, zumal da er an einer andern Stelle
seines Werkes erklärt, zunächst müsse jede Auswanderung in unsre eignen
Kolonien geleitet werden, und nur in dem Falle, daß sich über dieses nächste
Bedürfnis unsrer eignen Kolonien ein Überschuß an Auswandernngslustigen
ergebe, könne von der Begünstigung andrer Kolonisationsgebiete die Rede sein.
Nun ist aber für absehbare Zeit kein solcher Auswandererüberschuß vorhanden,
und auch wenn er eintreten sollte, kommt doch zunächst Südbrasilien in Be¬
tracht, wo schon 400000 Deutsche in ziemlich geschlossenen Siedlungen wohnen,
deren schon gewonnenen Einfluß auf die Entwicklung der Dinge in Süd¬
amerika zu stärken wahrlich des Schweißes der Edeln wert ist.

Brasilien ist eben nicht, wie Wilda behauptet, ein reines Tropenland,
sondern liegt mit seinen Südstaaten im subtropischen Gebiet. Außerdem ist
das Klima durch die Höhenlage dieses Gebiets im Jahresdurchschnitt wesentlich
kühler als der größere Teil Argentiniens. Die von Deutschen besiedelten
brasilianischen Staaten Parana, Santa Catharina und Rio Grande do Sui
geben den deutschen Einwanderern die Möglichkeit, fast ganz dieselben land¬
wirtschaftlichen Produkte zu erzielen wie in der Heimat. Es ist also ohne
weiteres klar, daß von Tropenklima dort keine Rede sein kann.

Argentinien wird überhaupt von Wilda auf Kosten der andern Republiken
zu sehr herausgestrichen. Allerdings findet er, daß die Ladenstraßen von
Buenos Aires einen weniger glänzenden Eindruck machen als die der Hauptstadt
von Mexiko, aber er erklärt sie für die ersten von Südamerika, während jeder
Kenner der Verhältnisse weiß, daß Rio de Janeiro zum Beispiel in Gold- und
Juwelierlüden mit London und Paris konkurrieren kann, und daß man in


Grenzboten I 1908 10
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[0077] Amerikawanderungen eines Deutschen einer richtigen Zoll- und Handelspolitik gegenüber Südamerika wird durchsetzen können, unterliegt für jeden, der diese Länder kennt, keinem Zweifel. Bis jetzt haben es nur die Nordamerikaner verstanden, eine erfolgreiche av ut ete8-Politik dort zu treiben. Von den deutsch bevölkerten Gebieten Südamerikas hat Wilda nur Süd¬ chile, dagegen weder Südargentinien noch Südbrasilien besucht. Das letzte nicht gesehen zu haben, ist entschieden eine große Unterlassungssünde von ihm. Was er über die Deutschen in Chile sagt, ist im allgemeinen richtig. Er er¬ wähnt die historische Reminiszenz, daß es ein Fugger war, dem Kaiser Karl der Fünfte im Jahre 1526 das Besitzrecht auf das erst vor kurzem entdeckte Chile verpfändet hatte, der aber nicht dazu kam, seine Gerechtsame auszunutzen. Mitte des vorigen Jahrhunderts begann dann die deutsche Einwanderung nach Chile. Wilda meint, daß, wenn sie stärker gewesen wäre, Chile heute ver¬ mutlich ein wirtschaftlich uns eng verbundner und politisch uns nahe stehender Überseefreund sein würde. Die Möglichkeit, ein deutsches Südwestamerika zu schaffen, sei auf immer entronnen, wenn wir mit Chile gut Freund bleiben wollten, das jetzt nur solche Einwandrer wünsche, die möglichst bald Chilenen würden. Wie Wilda trotzdem für eine deutsche Auswanderung nach Chile ein¬ treten kann, ist nicht recht verständlich, zumal da er an einer andern Stelle seines Werkes erklärt, zunächst müsse jede Auswanderung in unsre eignen Kolonien geleitet werden, und nur in dem Falle, daß sich über dieses nächste Bedürfnis unsrer eignen Kolonien ein Überschuß an Auswandernngslustigen ergebe, könne von der Begünstigung andrer Kolonisationsgebiete die Rede sein. Nun ist aber für absehbare Zeit kein solcher Auswandererüberschuß vorhanden, und auch wenn er eintreten sollte, kommt doch zunächst Südbrasilien in Be¬ tracht, wo schon 400000 Deutsche in ziemlich geschlossenen Siedlungen wohnen, deren schon gewonnenen Einfluß auf die Entwicklung der Dinge in Süd¬ amerika zu stärken wahrlich des Schweißes der Edeln wert ist. Brasilien ist eben nicht, wie Wilda behauptet, ein reines Tropenland, sondern liegt mit seinen Südstaaten im subtropischen Gebiet. Außerdem ist das Klima durch die Höhenlage dieses Gebiets im Jahresdurchschnitt wesentlich kühler als der größere Teil Argentiniens. Die von Deutschen besiedelten brasilianischen Staaten Parana, Santa Catharina und Rio Grande do Sui geben den deutschen Einwanderern die Möglichkeit, fast ganz dieselben land¬ wirtschaftlichen Produkte zu erzielen wie in der Heimat. Es ist also ohne weiteres klar, daß von Tropenklima dort keine Rede sein kann. Argentinien wird überhaupt von Wilda auf Kosten der andern Republiken zu sehr herausgestrichen. Allerdings findet er, daß die Ladenstraßen von Buenos Aires einen weniger glänzenden Eindruck machen als die der Hauptstadt von Mexiko, aber er erklärt sie für die ersten von Südamerika, während jeder Kenner der Verhältnisse weiß, daß Rio de Janeiro zum Beispiel in Gold- und Juwelierlüden mit London und Paris konkurrieren kann, und daß man in Grenzboten I 1908 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/77>, abgerufen am 22.07.2024.