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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Amerikawandcrungen eines Deutschen

Es ist eines der größten Verhängnisse der Weltgeschichte, daß die reichsten
Länder Amerikas in die Hände der Spanier und der Portugiesen fielen, die
ihre gänzliche Unfähigkeit zu kolonisieren damit vor aller Welt bekundet haben.
Ebenso rasch wie jetzt die Erforschung und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas
auf die Besitzergreifung gefolgt sind, ebenso langsam und schleppend hat sich
die Aufschließung Amerikas vollzogen. Die Spanier sowohl als die Portugiesen
haben wie die Barbaren in Mexiko, Peru und Brasilien gehaust, die hoch¬
entwickelten Landeskulturen in Stücke geschlagen, Hunderttausende von Indianern
act mgjjorom <lei Zlormin durch die Henkerknechte der Inquisition verbrennen
lassen, alle edeln Metalle geraubt, die Bevölkerung überall zu Sklaven hinab¬
gedrückt und durch die Verbote, irgend etwas zu produzieren, was in Spanien
oder in Portugal produziert wurde, jede wirtschaftliche Entwicklung unmöglich
gemacht. Als einst zur Feier des Namenstages des portugiesischen Königs
Hekatomben von Jndiern verbrannt wurde", schrieb der Statthalter: Wie
glücklich sind doch diese Jndier, denn sie wurden vom Erzbischof getauft, als
sie bereits auf dem Scheiterhaufen standen, konnten also nicht mehr sündigen
und sind nun sicher im Paradies. Und mit solchen Anschauungen sind drei¬
hundert Jahre lang diese armen Länder verwaltet worden. Man muß in der
Tat staunen, daß überhaupt noch ein Menschenmaterial übriggeblieben ist, das
jetzt den Grundstock der neuen Nationen bildet. In einigen Staaten wie zum
Beispiel in Brasilien ist in den bekannten Küstenstrichen allerdings kein Ab¬
kömmling von Ureinwohnern mehr vorhanden. Deshalb ist das Rassenproblem
auch nirgends so akut wie in dem von freigelassenen Negern geradezu ver¬
seuchten Brasilien, dessen Zukunft jetzt ebenso wie die Argentiniens ganz von
einer guten europäischen Einwanderung abhängen wird. Mexiko und Chile sind
die einzigen Republiken, die eine zahlreiche indianische Urbevölkerung haben
und frei von Negern sind. Auffallenderweise sind bis jetzt nur diese beiden
Staaten imstande gewesen, ein stehendes Heer zu bilden, das einen europäischen
Vergleich nicht zu scheuen braucht.

Das Einwanderungsproblem hat für alle latino-amerikanischen Republiken
eine mehr oder minder große Bedeutung. Wilda wirft einmal die Frage auf,
wie sich die Weltgeschichte wohl gestaltet haben würde, wenn die Millionen
deutscher Auswandrer, die sich nach Nordamerika gewandt haben und dort
völlig in der großen Nation aufgegangen sind, sich zum größern Teile nach
Südbrasilien, Chile oder Argentinien gewandt Hütten. Da sich die nach Süd¬
amerika ausgewanderten Deutschen jetzt zum Teil fünf Generationen hindurch
ihre Sprache erhalten haben, ist anzunehmen, daß dann unsre Stellung in Süd¬
amerika eine wesentlich gefestigtere sein würde, als sie es jetzt leider ist. Trotz¬
dem dürfen wir nie die Auswanderung begünstigen, sondern müssen uns immer
darauf beschränken, den einmal vorhandnen Auswandrerstrom nach uns geeignet
erscheinenden Ländern zu lenken, soweit er sich eben lenken läßt. Daß die
Reichsregierung eine gute Auswanderungspolitik aber nur in Verbindung mit


Amerikawandcrungen eines Deutschen

Es ist eines der größten Verhängnisse der Weltgeschichte, daß die reichsten
Länder Amerikas in die Hände der Spanier und der Portugiesen fielen, die
ihre gänzliche Unfähigkeit zu kolonisieren damit vor aller Welt bekundet haben.
Ebenso rasch wie jetzt die Erforschung und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas
auf die Besitzergreifung gefolgt sind, ebenso langsam und schleppend hat sich
die Aufschließung Amerikas vollzogen. Die Spanier sowohl als die Portugiesen
haben wie die Barbaren in Mexiko, Peru und Brasilien gehaust, die hoch¬
entwickelten Landeskulturen in Stücke geschlagen, Hunderttausende von Indianern
act mgjjorom <lei Zlormin durch die Henkerknechte der Inquisition verbrennen
lassen, alle edeln Metalle geraubt, die Bevölkerung überall zu Sklaven hinab¬
gedrückt und durch die Verbote, irgend etwas zu produzieren, was in Spanien
oder in Portugal produziert wurde, jede wirtschaftliche Entwicklung unmöglich
gemacht. Als einst zur Feier des Namenstages des portugiesischen Königs
Hekatomben von Jndiern verbrannt wurde», schrieb der Statthalter: Wie
glücklich sind doch diese Jndier, denn sie wurden vom Erzbischof getauft, als
sie bereits auf dem Scheiterhaufen standen, konnten also nicht mehr sündigen
und sind nun sicher im Paradies. Und mit solchen Anschauungen sind drei¬
hundert Jahre lang diese armen Länder verwaltet worden. Man muß in der
Tat staunen, daß überhaupt noch ein Menschenmaterial übriggeblieben ist, das
jetzt den Grundstock der neuen Nationen bildet. In einigen Staaten wie zum
Beispiel in Brasilien ist in den bekannten Küstenstrichen allerdings kein Ab¬
kömmling von Ureinwohnern mehr vorhanden. Deshalb ist das Rassenproblem
auch nirgends so akut wie in dem von freigelassenen Negern geradezu ver¬
seuchten Brasilien, dessen Zukunft jetzt ebenso wie die Argentiniens ganz von
einer guten europäischen Einwanderung abhängen wird. Mexiko und Chile sind
die einzigen Republiken, die eine zahlreiche indianische Urbevölkerung haben
und frei von Negern sind. Auffallenderweise sind bis jetzt nur diese beiden
Staaten imstande gewesen, ein stehendes Heer zu bilden, das einen europäischen
Vergleich nicht zu scheuen braucht.

Das Einwanderungsproblem hat für alle latino-amerikanischen Republiken
eine mehr oder minder große Bedeutung. Wilda wirft einmal die Frage auf,
wie sich die Weltgeschichte wohl gestaltet haben würde, wenn die Millionen
deutscher Auswandrer, die sich nach Nordamerika gewandt haben und dort
völlig in der großen Nation aufgegangen sind, sich zum größern Teile nach
Südbrasilien, Chile oder Argentinien gewandt Hütten. Da sich die nach Süd¬
amerika ausgewanderten Deutschen jetzt zum Teil fünf Generationen hindurch
ihre Sprache erhalten haben, ist anzunehmen, daß dann unsre Stellung in Süd¬
amerika eine wesentlich gefestigtere sein würde, als sie es jetzt leider ist. Trotz¬
dem dürfen wir nie die Auswanderung begünstigen, sondern müssen uns immer
darauf beschränken, den einmal vorhandnen Auswandrerstrom nach uns geeignet
erscheinenden Ländern zu lenken, soweit er sich eben lenken läßt. Daß die
Reichsregierung eine gute Auswanderungspolitik aber nur in Verbindung mit


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[0076] Amerikawandcrungen eines Deutschen Es ist eines der größten Verhängnisse der Weltgeschichte, daß die reichsten Länder Amerikas in die Hände der Spanier und der Portugiesen fielen, die ihre gänzliche Unfähigkeit zu kolonisieren damit vor aller Welt bekundet haben. Ebenso rasch wie jetzt die Erforschung und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas auf die Besitzergreifung gefolgt sind, ebenso langsam und schleppend hat sich die Aufschließung Amerikas vollzogen. Die Spanier sowohl als die Portugiesen haben wie die Barbaren in Mexiko, Peru und Brasilien gehaust, die hoch¬ entwickelten Landeskulturen in Stücke geschlagen, Hunderttausende von Indianern act mgjjorom <lei Zlormin durch die Henkerknechte der Inquisition verbrennen lassen, alle edeln Metalle geraubt, die Bevölkerung überall zu Sklaven hinab¬ gedrückt und durch die Verbote, irgend etwas zu produzieren, was in Spanien oder in Portugal produziert wurde, jede wirtschaftliche Entwicklung unmöglich gemacht. Als einst zur Feier des Namenstages des portugiesischen Königs Hekatomben von Jndiern verbrannt wurde», schrieb der Statthalter: Wie glücklich sind doch diese Jndier, denn sie wurden vom Erzbischof getauft, als sie bereits auf dem Scheiterhaufen standen, konnten also nicht mehr sündigen und sind nun sicher im Paradies. Und mit solchen Anschauungen sind drei¬ hundert Jahre lang diese armen Länder verwaltet worden. Man muß in der Tat staunen, daß überhaupt noch ein Menschenmaterial übriggeblieben ist, das jetzt den Grundstock der neuen Nationen bildet. In einigen Staaten wie zum Beispiel in Brasilien ist in den bekannten Küstenstrichen allerdings kein Ab¬ kömmling von Ureinwohnern mehr vorhanden. Deshalb ist das Rassenproblem auch nirgends so akut wie in dem von freigelassenen Negern geradezu ver¬ seuchten Brasilien, dessen Zukunft jetzt ebenso wie die Argentiniens ganz von einer guten europäischen Einwanderung abhängen wird. Mexiko und Chile sind die einzigen Republiken, die eine zahlreiche indianische Urbevölkerung haben und frei von Negern sind. Auffallenderweise sind bis jetzt nur diese beiden Staaten imstande gewesen, ein stehendes Heer zu bilden, das einen europäischen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Das Einwanderungsproblem hat für alle latino-amerikanischen Republiken eine mehr oder minder große Bedeutung. Wilda wirft einmal die Frage auf, wie sich die Weltgeschichte wohl gestaltet haben würde, wenn die Millionen deutscher Auswandrer, die sich nach Nordamerika gewandt haben und dort völlig in der großen Nation aufgegangen sind, sich zum größern Teile nach Südbrasilien, Chile oder Argentinien gewandt Hütten. Da sich die nach Süd¬ amerika ausgewanderten Deutschen jetzt zum Teil fünf Generationen hindurch ihre Sprache erhalten haben, ist anzunehmen, daß dann unsre Stellung in Süd¬ amerika eine wesentlich gefestigtere sein würde, als sie es jetzt leider ist. Trotz¬ dem dürfen wir nie die Auswanderung begünstigen, sondern müssen uns immer darauf beschränken, den einmal vorhandnen Auswandrerstrom nach uns geeignet erscheinenden Ländern zu lenken, soweit er sich eben lenken läßt. Daß die Reichsregierung eine gute Auswanderungspolitik aber nur in Verbindung mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/76>, abgerufen am 23.07.2024.