Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Amazonas die bestgehaßten Leute waren, jetzt die einzigen sind, die eine Zoll¬
vergünstigung von 20 Prozent auf wichtige eingeführte Waren gegenüber ihren
Konkurrenten genießen.

Wilda irrt, wenn er schreibt: "Nordamerika erhebt einen Kasfeeimportzoll,
England nicht. Trotzdem bewilligte Brasilien den Zollnachlaß von 20 Prozent
auf eingeführte Waren, den England dafür genießt, auch Nordamerika." Nein,
das Gegenteil ist der Fall! In den Vereinigten Staaten ist die Kaffeeeinfuhr
zollfrei, wahrend Großbritannien 28 Mark und Deutschland 40 Mark pro
100 Kilogramm Kaffee Einfuhrzoll erheben. Den Zollnachlaß genießen vor¬
läufig nur die Vereinigten Staaten.

Weshalb in aller Welt sitzen wir aber ruhig da und versuchen nicht, durch
Entsendung geeigneter Unterhändler einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen?
Sind wir etwa großer als die Union, die eine Handelskommission nach der
andern dorthin gesandt hat? Es ist wirklich die allerhöchste Zeit, daß wir das
Versäumte nachholen und die guten Chancen, die wir in Brasilien infolge des
deutschfreundlich gesinnten Ministers des Auswärtigen Baron do Rio Branco
und durch die vielen Landeseinwohner deutscher Abstammung haben, die von
den Brasilianern als wichtige Kulturförderer anerkannt werden, endlich ausnutzen
und eine reine Geschüftspolitik treiben. Dasselbe gilt natürlich auch von den
andern Republiken, wenn wir nicht ganz ins Hintertreffen geraten wollen.

Welche ungeheuern Entwicklungsmöglichkeiten fast für alle amerikanischen
Republiken vorliegen, ergibt sich schon daraus, daß bis jetzt eigentlich nur die
Umrandung des südlichen Teils des Kontinents zivilisiert ist. Wilda hat, wie
er zugibt, auch nur diese Umrandung besucht und nicht einmal die übliche
Durchquerung von Chile nach Argentinien über die Kordilleren ausgeführt. In
Petermanns Mitteilungen hat Professor Siepers im Jahre 1900 einen hoch¬
interessanter Bericht über die geographische Erforschung Südamerikas im neun¬
zehnten Jahrhundert mit begleitenden Karten veröffentlicht. Er unterscheidet
dabei zwischen unbekannten, erkundeten, besser bekannten und zwischen solchen
Gebieten, die einer Landesaufnahme unterworfen sind. Das Zentrum Süd¬
amerikas ist außerhalb der Flußwege noch ganz unbekannt, und selbst die nord¬
östlichen brasilianischen Staaten sind kaum von einigen Reisenden durchzogen
worden. Guayana steht im Stadium der allerersten Anfänge; die weiten Wild¬
nisse zwischen den Zuflüssen des Amazonas im ganzen System dieses großen
Stromes sind noch völlige terrg. inovAniw. Andre Gegenden, wie das Quell¬
gebiet des Tapajoz und das des Madre de Dios, sowie das Innere des Chaco
Boreal harren überhaupt noch der ersten Erforschung, sodaß es hier geradezu
der Piouiertätigkeit bedarf, wie nur in wenigen Gegenden Afrikas. Siepers
kommt daher zu dem Ergebnis, daß vielleicht das erst jüngst entdeckte Innere
Afrikas früher wissenschaftlich bekannt werden wird als der größte Teil Süd¬
amerikas.


Amazonas die bestgehaßten Leute waren, jetzt die einzigen sind, die eine Zoll¬
vergünstigung von 20 Prozent auf wichtige eingeführte Waren gegenüber ihren
Konkurrenten genießen.

Wilda irrt, wenn er schreibt: „Nordamerika erhebt einen Kasfeeimportzoll,
England nicht. Trotzdem bewilligte Brasilien den Zollnachlaß von 20 Prozent
auf eingeführte Waren, den England dafür genießt, auch Nordamerika." Nein,
das Gegenteil ist der Fall! In den Vereinigten Staaten ist die Kaffeeeinfuhr
zollfrei, wahrend Großbritannien 28 Mark und Deutschland 40 Mark pro
100 Kilogramm Kaffee Einfuhrzoll erheben. Den Zollnachlaß genießen vor¬
läufig nur die Vereinigten Staaten.

Weshalb in aller Welt sitzen wir aber ruhig da und versuchen nicht, durch
Entsendung geeigneter Unterhändler einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen?
Sind wir etwa großer als die Union, die eine Handelskommission nach der
andern dorthin gesandt hat? Es ist wirklich die allerhöchste Zeit, daß wir das
Versäumte nachholen und die guten Chancen, die wir in Brasilien infolge des
deutschfreundlich gesinnten Ministers des Auswärtigen Baron do Rio Branco
und durch die vielen Landeseinwohner deutscher Abstammung haben, die von
den Brasilianern als wichtige Kulturförderer anerkannt werden, endlich ausnutzen
und eine reine Geschüftspolitik treiben. Dasselbe gilt natürlich auch von den
andern Republiken, wenn wir nicht ganz ins Hintertreffen geraten wollen.

Welche ungeheuern Entwicklungsmöglichkeiten fast für alle amerikanischen
Republiken vorliegen, ergibt sich schon daraus, daß bis jetzt eigentlich nur die
Umrandung des südlichen Teils des Kontinents zivilisiert ist. Wilda hat, wie
er zugibt, auch nur diese Umrandung besucht und nicht einmal die übliche
Durchquerung von Chile nach Argentinien über die Kordilleren ausgeführt. In
Petermanns Mitteilungen hat Professor Siepers im Jahre 1900 einen hoch¬
interessanter Bericht über die geographische Erforschung Südamerikas im neun¬
zehnten Jahrhundert mit begleitenden Karten veröffentlicht. Er unterscheidet
dabei zwischen unbekannten, erkundeten, besser bekannten und zwischen solchen
Gebieten, die einer Landesaufnahme unterworfen sind. Das Zentrum Süd¬
amerikas ist außerhalb der Flußwege noch ganz unbekannt, und selbst die nord¬
östlichen brasilianischen Staaten sind kaum von einigen Reisenden durchzogen
worden. Guayana steht im Stadium der allerersten Anfänge; die weiten Wild¬
nisse zwischen den Zuflüssen des Amazonas im ganzen System dieses großen
Stromes sind noch völlige terrg. inovAniw. Andre Gegenden, wie das Quell¬
gebiet des Tapajoz und das des Madre de Dios, sowie das Innere des Chaco
Boreal harren überhaupt noch der ersten Erforschung, sodaß es hier geradezu
der Piouiertätigkeit bedarf, wie nur in wenigen Gegenden Afrikas. Siepers
kommt daher zu dem Ergebnis, daß vielleicht das erst jüngst entdeckte Innere
Afrikas früher wissenschaftlich bekannt werden wird als der größte Teil Süd¬
amerikas.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311156"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_291" prev="#ID_290"> Amazonas die bestgehaßten Leute waren, jetzt die einzigen sind, die eine Zoll¬<lb/>
vergünstigung von 20 Prozent auf wichtige eingeführte Waren gegenüber ihren<lb/>
Konkurrenten genießen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_292"> Wilda irrt, wenn er schreibt: &#x201E;Nordamerika erhebt einen Kasfeeimportzoll,<lb/>
England nicht. Trotzdem bewilligte Brasilien den Zollnachlaß von 20 Prozent<lb/>
auf eingeführte Waren, den England dafür genießt, auch Nordamerika." Nein,<lb/>
das Gegenteil ist der Fall! In den Vereinigten Staaten ist die Kaffeeeinfuhr<lb/>
zollfrei, wahrend Großbritannien 28 Mark und Deutschland 40 Mark pro<lb/>
100 Kilogramm Kaffee Einfuhrzoll erheben. Den Zollnachlaß genießen vor¬<lb/>
läufig nur die Vereinigten Staaten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_293"> Weshalb in aller Welt sitzen wir aber ruhig da und versuchen nicht, durch<lb/>
Entsendung geeigneter Unterhändler einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen?<lb/>
Sind wir etwa großer als die Union, die eine Handelskommission nach der<lb/>
andern dorthin gesandt hat? Es ist wirklich die allerhöchste Zeit, daß wir das<lb/>
Versäumte nachholen und die guten Chancen, die wir in Brasilien infolge des<lb/>
deutschfreundlich gesinnten Ministers des Auswärtigen Baron do Rio Branco<lb/>
und durch die vielen Landeseinwohner deutscher Abstammung haben, die von<lb/>
den Brasilianern als wichtige Kulturförderer anerkannt werden, endlich ausnutzen<lb/>
und eine reine Geschüftspolitik treiben. Dasselbe gilt natürlich auch von den<lb/>
andern Republiken, wenn wir nicht ganz ins Hintertreffen geraten wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_294"> Welche ungeheuern Entwicklungsmöglichkeiten fast für alle amerikanischen<lb/>
Republiken vorliegen, ergibt sich schon daraus, daß bis jetzt eigentlich nur die<lb/>
Umrandung des südlichen Teils des Kontinents zivilisiert ist. Wilda hat, wie<lb/>
er zugibt, auch nur diese Umrandung besucht und nicht einmal die übliche<lb/>
Durchquerung von Chile nach Argentinien über die Kordilleren ausgeführt. In<lb/>
Petermanns Mitteilungen hat Professor Siepers im Jahre 1900 einen hoch¬<lb/>
interessanter Bericht über die geographische Erforschung Südamerikas im neun¬<lb/>
zehnten Jahrhundert mit begleitenden Karten veröffentlicht. Er unterscheidet<lb/>
dabei zwischen unbekannten, erkundeten, besser bekannten und zwischen solchen<lb/>
Gebieten, die einer Landesaufnahme unterworfen sind. Das Zentrum Süd¬<lb/>
amerikas ist außerhalb der Flußwege noch ganz unbekannt, und selbst die nord¬<lb/>
östlichen brasilianischen Staaten sind kaum von einigen Reisenden durchzogen<lb/>
worden. Guayana steht im Stadium der allerersten Anfänge; die weiten Wild¬<lb/>
nisse zwischen den Zuflüssen des Amazonas im ganzen System dieses großen<lb/>
Stromes sind noch völlige terrg. inovAniw. Andre Gegenden, wie das Quell¬<lb/>
gebiet des Tapajoz und das des Madre de Dios, sowie das Innere des Chaco<lb/>
Boreal harren überhaupt noch der ersten Erforschung, sodaß es hier geradezu<lb/>
der Piouiertätigkeit bedarf, wie nur in wenigen Gegenden Afrikas. Siepers<lb/>
kommt daher zu dem Ergebnis, daß vielleicht das erst jüngst entdeckte Innere<lb/>
Afrikas früher wissenschaftlich bekannt werden wird als der größte Teil Süd¬<lb/>
amerikas.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] Amazonas die bestgehaßten Leute waren, jetzt die einzigen sind, die eine Zoll¬ vergünstigung von 20 Prozent auf wichtige eingeführte Waren gegenüber ihren Konkurrenten genießen. Wilda irrt, wenn er schreibt: „Nordamerika erhebt einen Kasfeeimportzoll, England nicht. Trotzdem bewilligte Brasilien den Zollnachlaß von 20 Prozent auf eingeführte Waren, den England dafür genießt, auch Nordamerika." Nein, das Gegenteil ist der Fall! In den Vereinigten Staaten ist die Kaffeeeinfuhr zollfrei, wahrend Großbritannien 28 Mark und Deutschland 40 Mark pro 100 Kilogramm Kaffee Einfuhrzoll erheben. Den Zollnachlaß genießen vor¬ läufig nur die Vereinigten Staaten. Weshalb in aller Welt sitzen wir aber ruhig da und versuchen nicht, durch Entsendung geeigneter Unterhändler einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen? Sind wir etwa großer als die Union, die eine Handelskommission nach der andern dorthin gesandt hat? Es ist wirklich die allerhöchste Zeit, daß wir das Versäumte nachholen und die guten Chancen, die wir in Brasilien infolge des deutschfreundlich gesinnten Ministers des Auswärtigen Baron do Rio Branco und durch die vielen Landeseinwohner deutscher Abstammung haben, die von den Brasilianern als wichtige Kulturförderer anerkannt werden, endlich ausnutzen und eine reine Geschüftspolitik treiben. Dasselbe gilt natürlich auch von den andern Republiken, wenn wir nicht ganz ins Hintertreffen geraten wollen. Welche ungeheuern Entwicklungsmöglichkeiten fast für alle amerikanischen Republiken vorliegen, ergibt sich schon daraus, daß bis jetzt eigentlich nur die Umrandung des südlichen Teils des Kontinents zivilisiert ist. Wilda hat, wie er zugibt, auch nur diese Umrandung besucht und nicht einmal die übliche Durchquerung von Chile nach Argentinien über die Kordilleren ausgeführt. In Petermanns Mitteilungen hat Professor Siepers im Jahre 1900 einen hoch¬ interessanter Bericht über die geographische Erforschung Südamerikas im neun¬ zehnten Jahrhundert mit begleitenden Karten veröffentlicht. Er unterscheidet dabei zwischen unbekannten, erkundeten, besser bekannten und zwischen solchen Gebieten, die einer Landesaufnahme unterworfen sind. Das Zentrum Süd¬ amerikas ist außerhalb der Flußwege noch ganz unbekannt, und selbst die nord¬ östlichen brasilianischen Staaten sind kaum von einigen Reisenden durchzogen worden. Guayana steht im Stadium der allerersten Anfänge; die weiten Wild¬ nisse zwischen den Zuflüssen des Amazonas im ganzen System dieses großen Stromes sind noch völlige terrg. inovAniw. Andre Gegenden, wie das Quell¬ gebiet des Tapajoz und das des Madre de Dios, sowie das Innere des Chaco Boreal harren überhaupt noch der ersten Erforschung, sodaß es hier geradezu der Piouiertätigkeit bedarf, wie nur in wenigen Gegenden Afrikas. Siepers kommt daher zu dem Ergebnis, daß vielleicht das erst jüngst entdeckte Innere Afrikas früher wissenschaftlich bekannt werden wird als der größte Teil Süd¬ amerikas.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/75>, abgerufen am 03.07.2024.