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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der preußische Staat und die polnische Frage

Verbindung zwischen Schlesien und dem Nordosten der hohenzollernschen Erd¬
taube herstellte.

Aber die zweite Teilung Polens trug in der Form ihrer Abmachungen
den Keim eines letzten verzweifelten Wiederherstellungsversuchs der alten
polnischen Macht durch die auf das Äußerste getriebnen polnischen Patrioten
in sich. Sie führte zum Kriege und zwang nun alle drei an der Zerstücklung
Polens beteiligten Mächte, gemeinsam ganze Arbeit zu machen und den letzten.
Rest des Königreichs unter sich zu teilen. Für Preußen bedeutete das trotz
des bedeutenden Landerwerbs eine entschiedn" Schwächung seiner innern Kraft
und seiner internationalen Stellung.

Das zeigte sich schon 1806 nach den ersten Niederlagen, die Preußen im
Kampfe gegen Napoleon erlitten hatte. Die preußische Herrschaft in den 1793
und 1795 erworbnen polnischen Landesteilen brach zusammen. Nach dem
Friedensschluß 1807 errichtete Napoleon das Herzogtum Warschau, um durch
diesen Vasallenstaat die Hoffnungen der Polen auf die Wiederherstellung ihres
Reiches gerade so weit anzuregen, wie es ihm für seine Zwecke nützlich schien.
Noch ein andrer lernte in dieser Zeit die Ausnutzung der polnischen Frage
zugunsten französischer Interessen; es war -- Talleyrand. Im Wiener Kon¬
greß wußte er von dieser Erfahrung Gebrauch zu machen.

Die preußischen Bevollmächtigten befanden sich auf dem Wiener Kongreß
in einer schwierigen Lage. Der Staatskanzler Fürst Hardenberg und sein
nächster Adlatus, Wilhelm von Humboldt, ließen sich beide in der polnischen
Frage zu einer falschen Stellungnahme verleiten. Die beiden genialen und Staats¬
klugen Männer hielten es für ihre Pflicht, vor allem die deutsche Stellung
Preußens zu wahren, mußten aber leider zu spät die Erfahrung machen, daß
auf diesem Wege den vereinigten Künsten Metternichs und Talleyrands gegen¬
über nichts, höchstens das Gegenteil des Erstrebten zu erreichen war, und daß
ein rücksichtslos nur auf den preußischen Staat bedachter Egoismus weiter ge¬
führt hätte. Dazu hätte eine klare Verständigung mit Rußland und eine recht¬
zeitige, freiwillige Beschränkung der dieser Verständigung im Wege stehenden
Ziele gehört. Mit andern Worten, Preußen mußte den polnischen Plänen
Alexanders des Ersten weit entgegenkommen und Nußland eine sichere Rücken¬
deckung gewähren, sich also förmlich und deutlich von allen Ansprüchen auf
Gebietsteile, die es in die polnische Frage verwickeln konnten, zurückziehen.
Als Preis für dieses freiwillige Zugeständnis an Rußland und seine voll¬
ständige Loslösung von dem künftigen Schicksal des polnischen Volks konnte
es außer der Ergänzung Westpreußens, dieses selbst von Napoleon nicht cm-
gefochtnen Besitzes, durch Danzig und Thorn auch den größern westlichen Teil
des ehemaligen Südpreußens, also die heutige Provinz Posen fordern, nicht
als Anteil am ehemaligen polnischen Reiche, sondern zur Sicherung seiner Ost¬
grenze und Abrundung seines Gebiets, also mit dem Grundgedanken der voll¬
ständigen Lösung dieses Gebiets von seiner polnischen Vergangenheit und des


Der preußische Staat und die polnische Frage

Verbindung zwischen Schlesien und dem Nordosten der hohenzollernschen Erd¬
taube herstellte.

Aber die zweite Teilung Polens trug in der Form ihrer Abmachungen
den Keim eines letzten verzweifelten Wiederherstellungsversuchs der alten
polnischen Macht durch die auf das Äußerste getriebnen polnischen Patrioten
in sich. Sie führte zum Kriege und zwang nun alle drei an der Zerstücklung
Polens beteiligten Mächte, gemeinsam ganze Arbeit zu machen und den letzten.
Rest des Königreichs unter sich zu teilen. Für Preußen bedeutete das trotz
des bedeutenden Landerwerbs eine entschiedn« Schwächung seiner innern Kraft
und seiner internationalen Stellung.

Das zeigte sich schon 1806 nach den ersten Niederlagen, die Preußen im
Kampfe gegen Napoleon erlitten hatte. Die preußische Herrschaft in den 1793
und 1795 erworbnen polnischen Landesteilen brach zusammen. Nach dem
Friedensschluß 1807 errichtete Napoleon das Herzogtum Warschau, um durch
diesen Vasallenstaat die Hoffnungen der Polen auf die Wiederherstellung ihres
Reiches gerade so weit anzuregen, wie es ihm für seine Zwecke nützlich schien.
Noch ein andrer lernte in dieser Zeit die Ausnutzung der polnischen Frage
zugunsten französischer Interessen; es war — Talleyrand. Im Wiener Kon¬
greß wußte er von dieser Erfahrung Gebrauch zu machen.

Die preußischen Bevollmächtigten befanden sich auf dem Wiener Kongreß
in einer schwierigen Lage. Der Staatskanzler Fürst Hardenberg und sein
nächster Adlatus, Wilhelm von Humboldt, ließen sich beide in der polnischen
Frage zu einer falschen Stellungnahme verleiten. Die beiden genialen und Staats¬
klugen Männer hielten es für ihre Pflicht, vor allem die deutsche Stellung
Preußens zu wahren, mußten aber leider zu spät die Erfahrung machen, daß
auf diesem Wege den vereinigten Künsten Metternichs und Talleyrands gegen¬
über nichts, höchstens das Gegenteil des Erstrebten zu erreichen war, und daß
ein rücksichtslos nur auf den preußischen Staat bedachter Egoismus weiter ge¬
führt hätte. Dazu hätte eine klare Verständigung mit Rußland und eine recht¬
zeitige, freiwillige Beschränkung der dieser Verständigung im Wege stehenden
Ziele gehört. Mit andern Worten, Preußen mußte den polnischen Plänen
Alexanders des Ersten weit entgegenkommen und Nußland eine sichere Rücken¬
deckung gewähren, sich also förmlich und deutlich von allen Ansprüchen auf
Gebietsteile, die es in die polnische Frage verwickeln konnten, zurückziehen.
Als Preis für dieses freiwillige Zugeständnis an Rußland und seine voll¬
ständige Loslösung von dem künftigen Schicksal des polnischen Volks konnte
es außer der Ergänzung Westpreußens, dieses selbst von Napoleon nicht cm-
gefochtnen Besitzes, durch Danzig und Thorn auch den größern westlichen Teil
des ehemaligen Südpreußens, also die heutige Provinz Posen fordern, nicht
als Anteil am ehemaligen polnischen Reiche, sondern zur Sicherung seiner Ost¬
grenze und Abrundung seines Gebiets, also mit dem Grundgedanken der voll¬
ständigen Lösung dieses Gebiets von seiner polnischen Vergangenheit und des


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[0064] Der preußische Staat und die polnische Frage Verbindung zwischen Schlesien und dem Nordosten der hohenzollernschen Erd¬ taube herstellte. Aber die zweite Teilung Polens trug in der Form ihrer Abmachungen den Keim eines letzten verzweifelten Wiederherstellungsversuchs der alten polnischen Macht durch die auf das Äußerste getriebnen polnischen Patrioten in sich. Sie führte zum Kriege und zwang nun alle drei an der Zerstücklung Polens beteiligten Mächte, gemeinsam ganze Arbeit zu machen und den letzten. Rest des Königreichs unter sich zu teilen. Für Preußen bedeutete das trotz des bedeutenden Landerwerbs eine entschiedn« Schwächung seiner innern Kraft und seiner internationalen Stellung. Das zeigte sich schon 1806 nach den ersten Niederlagen, die Preußen im Kampfe gegen Napoleon erlitten hatte. Die preußische Herrschaft in den 1793 und 1795 erworbnen polnischen Landesteilen brach zusammen. Nach dem Friedensschluß 1807 errichtete Napoleon das Herzogtum Warschau, um durch diesen Vasallenstaat die Hoffnungen der Polen auf die Wiederherstellung ihres Reiches gerade so weit anzuregen, wie es ihm für seine Zwecke nützlich schien. Noch ein andrer lernte in dieser Zeit die Ausnutzung der polnischen Frage zugunsten französischer Interessen; es war — Talleyrand. Im Wiener Kon¬ greß wußte er von dieser Erfahrung Gebrauch zu machen. Die preußischen Bevollmächtigten befanden sich auf dem Wiener Kongreß in einer schwierigen Lage. Der Staatskanzler Fürst Hardenberg und sein nächster Adlatus, Wilhelm von Humboldt, ließen sich beide in der polnischen Frage zu einer falschen Stellungnahme verleiten. Die beiden genialen und Staats¬ klugen Männer hielten es für ihre Pflicht, vor allem die deutsche Stellung Preußens zu wahren, mußten aber leider zu spät die Erfahrung machen, daß auf diesem Wege den vereinigten Künsten Metternichs und Talleyrands gegen¬ über nichts, höchstens das Gegenteil des Erstrebten zu erreichen war, und daß ein rücksichtslos nur auf den preußischen Staat bedachter Egoismus weiter ge¬ führt hätte. Dazu hätte eine klare Verständigung mit Rußland und eine recht¬ zeitige, freiwillige Beschränkung der dieser Verständigung im Wege stehenden Ziele gehört. Mit andern Worten, Preußen mußte den polnischen Plänen Alexanders des Ersten weit entgegenkommen und Nußland eine sichere Rücken¬ deckung gewähren, sich also förmlich und deutlich von allen Ansprüchen auf Gebietsteile, die es in die polnische Frage verwickeln konnten, zurückziehen. Als Preis für dieses freiwillige Zugeständnis an Rußland und seine voll¬ ständige Loslösung von dem künftigen Schicksal des polnischen Volks konnte es außer der Ergänzung Westpreußens, dieses selbst von Napoleon nicht cm- gefochtnen Besitzes, durch Danzig und Thorn auch den größern westlichen Teil des ehemaligen Südpreußens, also die heutige Provinz Posen fordern, nicht als Anteil am ehemaligen polnischen Reiche, sondern zur Sicherung seiner Ost¬ grenze und Abrundung seines Gebiets, also mit dem Grundgedanken der voll¬ ständigen Lösung dieses Gebiets von seiner polnischen Vergangenheit und des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/64>, abgerufen am 24.08.2024.