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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der preußische Staat und die polnische Frage

Großen so sehr im Vordergründe, daß er die Erwerbung von Westpreußen
zeitweise ganz beiseite schob. Als sich die Lage so gestaltet hatte, daß sich
Rußland genötigt sah, einer Entschädigung Preußens für die moralische und
materielle Unterstützung Rußlands zuzustimmen, war der König zunächst
darauf bedacht, Sicherheiten für deutsche Ansprüche seines Hauses -- zum
Beispiel die Erbfolge in Ansbach-Bayreuth -- zu erlangen. Erst das Drängen
seines Bruders, des Prinzen Heinrich, sich Westpreußen keinesfalls entgehn
zu lasse", bestimmte ihn, auf diesen Gedanken zurückzukommen.

Ich erwähne das, nicht um die Geschichte der Teilungen Polens hier in
ihren Einzelheiten zu verfolgen, sondern um daran zu erinnern, wie zweck¬
bewußt, klar und scharf umgrenzt die Stellungnahme des großen Königs zur
polnischen Frage war. Von der Politik seines Nachfolgers kann man das
nicht ohne weiters behaupten. Die preußische Politik nach 1786 hatte Ru߬
land gegenüber nicht mehr die frühere sichre Haltung. Dennoch war Preußen
von vornherein keineswegs geneigt, die russische Politik der rücksichtslosen
Gewalttätigkeit gegen Polen mitzumachen; es stand vielmehr den Versuchen
der polnischen Patrioten, die Schäden der alten polnischen Verfassung zu
bessern, sympathisch gegenüber. Durch die neue Verfassung vom 3. Mai 1791
machte das alte Polenreich den letzten Versuch, sich zu erneuern, und die
Freunde dieser Reform suchten mit Erfolg Anlehnung an Preußen. Es ist
bekannt, wie alsbald die russischen Intrigen gegen die polnische Verfassungs¬
reform begannen, wie sich unter dem Einfluß dieser Intrigen der Landes¬
verrat in Polen selbst öffentlich unter dem Namen der Konföderation von
Targowitz organisierte, wie dann durch die Ereignisse in Frankreich das
Interesse der preußischen Politik ganz von dem Osten abgelenkt wurde, und
wie nun durch die eigne Jämmerlichkeit der polnischen Nation das offne,
gewaltsame Eingreifen Rußlands im Jahre 1792 wiederum herbeigeführt wurde.
Das Verhältnis Preußens und Rußlands bei dieser zweiten Teilung Polens
war sehr eigentümlicher Natur. Die Kaiserin Katharina die Zweite hatte
gehofft, selbständig gegen Polen vorgehn zu können, aber sie war um die
Zeit, als die Frage zur Entscheidung reif wurde, in verschiedne diplomatische
Schwierigkeiten verwickelt, mußte deshalb Preußen für sich gewinnen und fand
die vorteilhafteste Lösung dieser Aufgabe darin, daß sie Preußen zum Mit¬
schuldigen der russischen Gewaltpolitik machte. Für Friedrich Wilhelm den
Zweiten und seine Ratgeber war es nach der unklaren und lässigen Wahr¬
nehmung der preußischen Interessen in den Beziehungen zu deu osteuropäischen
Mächten nun viel zu spät, sich den Nachteilen dieser Lage zu entziehen, ohne
sich ihre Vorteile entgehn zu lassen. Immerhin war das Ergebnis der zweiten
Teilung für Preußen noch vorteilhaft. Denn man gewann dabei den westlichsten
Teil von Großpolen, das sogenannte "Südpreußen", also einen Landesteil,
der nicht nur schon stark mit deutscher Bevölkerung durchsetzt war, sondern
auch der Ostgrenze des Staates eine vorteilhaftere Gestalt gab und eine wertvolle


Der preußische Staat und die polnische Frage

Großen so sehr im Vordergründe, daß er die Erwerbung von Westpreußen
zeitweise ganz beiseite schob. Als sich die Lage so gestaltet hatte, daß sich
Rußland genötigt sah, einer Entschädigung Preußens für die moralische und
materielle Unterstützung Rußlands zuzustimmen, war der König zunächst
darauf bedacht, Sicherheiten für deutsche Ansprüche seines Hauses — zum
Beispiel die Erbfolge in Ansbach-Bayreuth — zu erlangen. Erst das Drängen
seines Bruders, des Prinzen Heinrich, sich Westpreußen keinesfalls entgehn
zu lasse«, bestimmte ihn, auf diesen Gedanken zurückzukommen.

Ich erwähne das, nicht um die Geschichte der Teilungen Polens hier in
ihren Einzelheiten zu verfolgen, sondern um daran zu erinnern, wie zweck¬
bewußt, klar und scharf umgrenzt die Stellungnahme des großen Königs zur
polnischen Frage war. Von der Politik seines Nachfolgers kann man das
nicht ohne weiters behaupten. Die preußische Politik nach 1786 hatte Ru߬
land gegenüber nicht mehr die frühere sichre Haltung. Dennoch war Preußen
von vornherein keineswegs geneigt, die russische Politik der rücksichtslosen
Gewalttätigkeit gegen Polen mitzumachen; es stand vielmehr den Versuchen
der polnischen Patrioten, die Schäden der alten polnischen Verfassung zu
bessern, sympathisch gegenüber. Durch die neue Verfassung vom 3. Mai 1791
machte das alte Polenreich den letzten Versuch, sich zu erneuern, und die
Freunde dieser Reform suchten mit Erfolg Anlehnung an Preußen. Es ist
bekannt, wie alsbald die russischen Intrigen gegen die polnische Verfassungs¬
reform begannen, wie sich unter dem Einfluß dieser Intrigen der Landes¬
verrat in Polen selbst öffentlich unter dem Namen der Konföderation von
Targowitz organisierte, wie dann durch die Ereignisse in Frankreich das
Interesse der preußischen Politik ganz von dem Osten abgelenkt wurde, und
wie nun durch die eigne Jämmerlichkeit der polnischen Nation das offne,
gewaltsame Eingreifen Rußlands im Jahre 1792 wiederum herbeigeführt wurde.
Das Verhältnis Preußens und Rußlands bei dieser zweiten Teilung Polens
war sehr eigentümlicher Natur. Die Kaiserin Katharina die Zweite hatte
gehofft, selbständig gegen Polen vorgehn zu können, aber sie war um die
Zeit, als die Frage zur Entscheidung reif wurde, in verschiedne diplomatische
Schwierigkeiten verwickelt, mußte deshalb Preußen für sich gewinnen und fand
die vorteilhafteste Lösung dieser Aufgabe darin, daß sie Preußen zum Mit¬
schuldigen der russischen Gewaltpolitik machte. Für Friedrich Wilhelm den
Zweiten und seine Ratgeber war es nach der unklaren und lässigen Wahr¬
nehmung der preußischen Interessen in den Beziehungen zu deu osteuropäischen
Mächten nun viel zu spät, sich den Nachteilen dieser Lage zu entziehen, ohne
sich ihre Vorteile entgehn zu lassen. Immerhin war das Ergebnis der zweiten
Teilung für Preußen noch vorteilhaft. Denn man gewann dabei den westlichsten
Teil von Großpolen, das sogenannte „Südpreußen", also einen Landesteil,
der nicht nur schon stark mit deutscher Bevölkerung durchsetzt war, sondern
auch der Ostgrenze des Staates eine vorteilhaftere Gestalt gab und eine wertvolle


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[0063] Der preußische Staat und die polnische Frage Großen so sehr im Vordergründe, daß er die Erwerbung von Westpreußen zeitweise ganz beiseite schob. Als sich die Lage so gestaltet hatte, daß sich Rußland genötigt sah, einer Entschädigung Preußens für die moralische und materielle Unterstützung Rußlands zuzustimmen, war der König zunächst darauf bedacht, Sicherheiten für deutsche Ansprüche seines Hauses — zum Beispiel die Erbfolge in Ansbach-Bayreuth — zu erlangen. Erst das Drängen seines Bruders, des Prinzen Heinrich, sich Westpreußen keinesfalls entgehn zu lasse«, bestimmte ihn, auf diesen Gedanken zurückzukommen. Ich erwähne das, nicht um die Geschichte der Teilungen Polens hier in ihren Einzelheiten zu verfolgen, sondern um daran zu erinnern, wie zweck¬ bewußt, klar und scharf umgrenzt die Stellungnahme des großen Königs zur polnischen Frage war. Von der Politik seines Nachfolgers kann man das nicht ohne weiters behaupten. Die preußische Politik nach 1786 hatte Ru߬ land gegenüber nicht mehr die frühere sichre Haltung. Dennoch war Preußen von vornherein keineswegs geneigt, die russische Politik der rücksichtslosen Gewalttätigkeit gegen Polen mitzumachen; es stand vielmehr den Versuchen der polnischen Patrioten, die Schäden der alten polnischen Verfassung zu bessern, sympathisch gegenüber. Durch die neue Verfassung vom 3. Mai 1791 machte das alte Polenreich den letzten Versuch, sich zu erneuern, und die Freunde dieser Reform suchten mit Erfolg Anlehnung an Preußen. Es ist bekannt, wie alsbald die russischen Intrigen gegen die polnische Verfassungs¬ reform begannen, wie sich unter dem Einfluß dieser Intrigen der Landes¬ verrat in Polen selbst öffentlich unter dem Namen der Konföderation von Targowitz organisierte, wie dann durch die Ereignisse in Frankreich das Interesse der preußischen Politik ganz von dem Osten abgelenkt wurde, und wie nun durch die eigne Jämmerlichkeit der polnischen Nation das offne, gewaltsame Eingreifen Rußlands im Jahre 1792 wiederum herbeigeführt wurde. Das Verhältnis Preußens und Rußlands bei dieser zweiten Teilung Polens war sehr eigentümlicher Natur. Die Kaiserin Katharina die Zweite hatte gehofft, selbständig gegen Polen vorgehn zu können, aber sie war um die Zeit, als die Frage zur Entscheidung reif wurde, in verschiedne diplomatische Schwierigkeiten verwickelt, mußte deshalb Preußen für sich gewinnen und fand die vorteilhafteste Lösung dieser Aufgabe darin, daß sie Preußen zum Mit¬ schuldigen der russischen Gewaltpolitik machte. Für Friedrich Wilhelm den Zweiten und seine Ratgeber war es nach der unklaren und lässigen Wahr¬ nehmung der preußischen Interessen in den Beziehungen zu deu osteuropäischen Mächten nun viel zu spät, sich den Nachteilen dieser Lage zu entziehen, ohne sich ihre Vorteile entgehn zu lassen. Immerhin war das Ergebnis der zweiten Teilung für Preußen noch vorteilhaft. Denn man gewann dabei den westlichsten Teil von Großpolen, das sogenannte „Südpreußen", also einen Landesteil, der nicht nur schon stark mit deutscher Bevölkerung durchsetzt war, sondern auch der Ostgrenze des Staates eine vorteilhaftere Gestalt gab und eine wertvolle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/63>, abgerufen am 22.07.2024.