Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Der Marquis von Larabas Jörgen antwortete nicht; er hatte einen Geschmack im Munde wie beim Lesen Du magst das Kind nicht leiden, sagte sie betrübt. Hab ich dir damit Verdruß Wie schön sie nun war! Er ergriff ihre Hand, die zum Saum ihres Kleides hinabhing, und hob sie Du mußt nicht böse sein, Helga. Ich konnte nicht anders handeln. Ihre Stimme klang unsicher, ein ganz leichtes Zittern lag darin, als sie er¬ Das ist es ja. Um daran glauben zu können, habe ich kämpfen müssen. Und Denkst du oft an mich? fragte er und hielt ihre Hand noch fest. Sie beugte den Kopf, machte ihre Hand frei und griff nach dem Wagen. Er hielt sie nicht zurück, sondern blieb stehn und starrte ihr nach, bis sie Es war zu spät geworden, als daß er hente noch auf den Bock hätte Jagd machen Rose war mit ihrem Manne bei Wildeubrücks in Aastrup auf Besuch. Die Du kannst glauben, süße Rose, dieses kleine Weib ist ein Engel auf Erden. Die überwältigende Lobrede machte auf Rose jedoch nur einen mäßigen Eindruck. Nein du, fuhr die Baronesse eifrig auf, das Kind ist ja gar nicht von . . . Rose blickte überrascht auf und -- verstand. Eine Sekunde lang erbleichte Was wolltest du sagen? O, nichts, versetzte die Baronesse. Grenzboten I 1908 81
Der Marquis von Larabas Jörgen antwortete nicht; er hatte einen Geschmack im Munde wie beim Lesen Du magst das Kind nicht leiden, sagte sie betrübt. Hab ich dir damit Verdruß Wie schön sie nun war! Er ergriff ihre Hand, die zum Saum ihres Kleides hinabhing, und hob sie Du mußt nicht böse sein, Helga. Ich konnte nicht anders handeln. Ihre Stimme klang unsicher, ein ganz leichtes Zittern lag darin, als sie er¬ Das ist es ja. Um daran glauben zu können, habe ich kämpfen müssen. Und Denkst du oft an mich? fragte er und hielt ihre Hand noch fest. Sie beugte den Kopf, machte ihre Hand frei und griff nach dem Wagen. Er hielt sie nicht zurück, sondern blieb stehn und starrte ihr nach, bis sie Es war zu spät geworden, als daß er hente noch auf den Bock hätte Jagd machen Rose war mit ihrem Manne bei Wildeubrücks in Aastrup auf Besuch. Die Du kannst glauben, süße Rose, dieses kleine Weib ist ein Engel auf Erden. Die überwältigende Lobrede machte auf Rose jedoch nur einen mäßigen Eindruck. Nein du, fuhr die Baronesse eifrig auf, das Kind ist ja gar nicht von . . . Rose blickte überrascht auf und — verstand. Eine Sekunde lang erbleichte Was wolltest du sagen? O, nichts, versetzte die Baronesse. Grenzboten I 1908 81
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Der Marquis von Larabas
Jörgen antwortete nicht; er hatte einen Geschmack im Munde wie beim Lesen
eines englischen Gouvernantenromans.
Du magst das Kind nicht leiden, sagte sie betrübt. Hab ich dir damit Verdruß
bereitet? Der Kleine dort hat dir jedenfalls nichts Böses getan. Und ich verlange
nichts von dir, wie ich ja niemals etwas von dir verlangt habe, und hab dir doch
so vieles zu verdanken. Und ich möchte gern, daß du so in meiner Erinnerung wach
bliebest, wie du damals warst. Und daher, glaub ich, ist es am besten, wir reden
nicht weiter miteinander.
Wie schön sie nun war!
Er ergriff ihre Hand, die zum Saum ihres Kleides hinabhing, und hob sie
auf, die leicht und willenlos lag.
Du mußt nicht böse sein, Helga. Ich konnte nicht anders handeln.
Ihre Stimme klang unsicher, ein ganz leichtes Zittern lag darin, als sie er¬
widerte:
Das ist es ja. Um daran glauben zu können, habe ich kämpfen müssen. Und
nun mußt du mir den Sieg nicht nehmen, nachdem er kaum errungen ist.
Denkst du oft an mich? fragte er und hielt ihre Hand noch fest.
Sie beugte den Kopf, machte ihre Hand frei und griff nach dem Wagen.
Er hielt sie nicht zurück, sondern blieb stehn und starrte ihr nach, bis sie
hinter den Büschen des Parks verschwunden war.
Es war zu spät geworden, als daß er hente noch auf den Bock hätte Jagd machen
können; doch seinen Erinnerungen waren die Tore weit aufgetan, und in brausendem
Strom stiegen sie in ihm empor. Und er begann zu überlegen, ob er sein Glück
nicht doch zu teuer erkauft hatte; und der gute Mensch wurde ganz gerührt über
sich selbst. Wie unbarmherzig ist doch das Leben! —
Rose war mit ihrem Manne bei Wildeubrücks in Aastrup auf Besuch. Die
schöne Bekehrte überwältigte sie mit ihrer Zärtlichkeit, sie plauderten vom Süden
und von der Welt zu Hause, und die braunen Augen der Baronesse suchten zum
Schluß den Himmel aus, in dem ihre bewegliche Seele nun Ruhe gefunden hatte.
Sie redete lauge über den Trost der Religion, über die große milde Kirche und
über Pater Stein, ihren Beichtvater. Dann ließ sie über Frau Kattrup eine Lob¬
rede ergehn, die vor Wärme dampfte.
Du kannst glauben, süße Rose, dieses kleine Weib ist ein Engel auf Erden.
Die Armen und Kranken kommen zu ihr hin, oder sie geht zu ihnen bis in die
häßlichsten Hütten hinein, in denen Not und Krankheit herrschen. Sie hilft allen
und ruht nimmer. Pater Stein sagt, daß ihresgleichen nicht auf Erden sei. Und
denk dir nur, so weit treibt sie ihre Heiligkeit, daß sie nicht einmal richtig mit ihrem
Manne zusammenlebt! Ja, denk nur, wo sie doch beide jung sind. Und das will
ich dir sagen: ich bekam das nicht fertig!
Die überwältigende Lobrede machte auf Rose jedoch nur einen mäßigen Eindruck.
Ach was, sagte sie mit leisem Lächeln, die gute Frau fährt täglich ein kleines Kind
im Park spazieren. Ihre Askese muß also verhältnismäßig neuen Datums sein; das
Kind ist ja kaum ein halbes Jahr alt.
Nein du, fuhr die Baronesse eifrig auf, das Kind ist ja gar nicht von . . .
Hier stockte sie, ihr war plötzlich etwas eingefallen, und verworren ging es der
guten Baronesse im Kopfe herum.
Rose blickte überrascht auf und — verstand. Eine Sekunde lang erbleichte
sie, dann hatte sie sich gefaßt.
Was wolltest du sagen?
O, nichts, versetzte die Baronesse.
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