Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Der preußische Staat und die polnische Frage auf seelischem Gebiet liegenden Beziehungen schafft, verschlossen bleibt. Darum Wir brauchen dabei nicht auf die Beziehungen zurückzugehn, die vor der Eine praktisch brauchbare Gestalt haben diese Pläne vor der Zeit der Der preußische Staat und die polnische Frage auf seelischem Gebiet liegenden Beziehungen schafft, verschlossen bleibt. Darum Wir brauchen dabei nicht auf die Beziehungen zurückzugehn, die vor der Eine praktisch brauchbare Gestalt haben diese Pläne vor der Zeit der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311143"/> <fw type="header" place="top"> Der preußische Staat und die polnische Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_250" prev="#ID_249"> auf seelischem Gebiet liegenden Beziehungen schafft, verschlossen bleibt. Darum<lb/> kann man nicht oft genug auf den Gang der geschichtlichen Entwicklung hin¬<lb/> weisen, durch die alle jetzt zwischen Deutschen und Polen schwebenden Fragen<lb/> erst ihre Gestalt gewonnen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_251"> Wir brauchen dabei nicht auf die Beziehungen zurückzugehn, die vor der<lb/> ersten Teilung Polens zwischen dem preußischen Staat und dem polnischen<lb/> Königreich bestanden haben, obwohl es einen gewissen Reiz hätte, nachzu¬<lb/> weisen, daß es Könige von Polen gewesen sind, die zuerst bei ihren Nach¬<lb/> barn den Teilungsgedanken angeregt haben. Diese für die heutige Welt<lb/> beinahe unverständliche Tatsache erklärt sich aus dem Staatsbegriff des sieb¬<lb/> zehnten und des achtzehnten Jahrhunderts und dem damals anerkannten ab¬<lb/> soluten Verfügungsrecht des Monarchen über das Staatsgebiet. In einer<lb/> Zeit, wo beständig über Länder als Tauschobjekte verfügt wurde, wo ein<lb/> polnischer Fürst nach Lothringen, ein lothringischer nach Toskana wanderte,<lb/> ohne daß von Beziehungen der Völker zu angestammten Dhnastien die Rede<lb/> war, darf es nicht wundernehmen, daß ein Wahlkönig, der sich noch dazu<lb/> durch eine ganz unsinnige Verfassung eingeengt fühlte, unbedenklich das Wohl¬<lb/> wollen seiner Nachbarn durch Gebietsabtretungen zu erkaufen gedachte, um<lb/> dafür in dem Kern seines Landes ebenso unumschränkter Herr kraft Erbrechts<lb/> zu werden wie andre Könige seiner Zeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_252" next="#ID_253"> Eine praktisch brauchbare Gestalt haben diese Pläne vor der Zeit der<lb/> Teilungen niemals gewonnen. Friedrich der Große hat sich in der ersten<lb/> Hälfte seiner Regierung schwerlich damit beschäftigt. Erst nach dem sieben¬<lb/> jährigen Kriege wurde ihm die polnische Frage näher gerückt. Zwei Gesichts¬<lb/> punkte kamen für ihn dabei in Betracht. Er mußte erstens, sobald einmal<lb/> der polnische Besitzstand in Frage gestellt wurde, nach dem Besitz von West¬<lb/> preußen trachten, und zweitens dienten ihm die polnischen Angelegenheiten als<lb/> ein Mittel, seine auswärtige Politik auf eine neue Grundlage zu stellen. Daß<lb/> zwischen den kurbrandenburgischen und den preußischen Besitzungen des Hauses<lb/> Hohenzollern ein fremdes Landgebict lag, war ein schwerer Schaden für den<lb/> Staat. Und dieses Stück Polen hatte früher ebenfalls zu dem Ordenslande<lb/> Preußen gehört, ein deutsches Kolonisationsgebiet, das Polen gewaltsam dem<lb/> Deutschen Orden entrissen hatte, um sich den Weg zur Ostsee zu bahnen.<lb/> Dieses „Polnisch-Preußen" wiederzugewinnen, mußte für den preußischen Staat<lb/> in seiner neuen Großmachtstellung eine Lebensfrage werden, besonders wenn<lb/> die Gefahr bestand, daß es in russische Hände fallen könne. Was aber den<lb/> zweiten Punkt betrifft, der die Politik Friedrichs des Großen bestimmte, so<lb/> bedürfte er einer Handhabe, um gemeinsame politische Interessen mit Rußland<lb/> zu pflegen. Die Verbindung mit Rußland war eine Notwendigkeit für ihn<lb/> geworden, und das Mittel, sie zu gewinnen und zu erhalten, war die Be¬<lb/> handlung, die Preußen den polnischen Angelegenheiten angedeihen ließ. Die<lb/> Erhaltung dieser Beziehungen zu Nußland stand übrigens für Friedrich den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Der preußische Staat und die polnische Frage
auf seelischem Gebiet liegenden Beziehungen schafft, verschlossen bleibt. Darum
kann man nicht oft genug auf den Gang der geschichtlichen Entwicklung hin¬
weisen, durch die alle jetzt zwischen Deutschen und Polen schwebenden Fragen
erst ihre Gestalt gewonnen haben.
Wir brauchen dabei nicht auf die Beziehungen zurückzugehn, die vor der
ersten Teilung Polens zwischen dem preußischen Staat und dem polnischen
Königreich bestanden haben, obwohl es einen gewissen Reiz hätte, nachzu¬
weisen, daß es Könige von Polen gewesen sind, die zuerst bei ihren Nach¬
barn den Teilungsgedanken angeregt haben. Diese für die heutige Welt
beinahe unverständliche Tatsache erklärt sich aus dem Staatsbegriff des sieb¬
zehnten und des achtzehnten Jahrhunderts und dem damals anerkannten ab¬
soluten Verfügungsrecht des Monarchen über das Staatsgebiet. In einer
Zeit, wo beständig über Länder als Tauschobjekte verfügt wurde, wo ein
polnischer Fürst nach Lothringen, ein lothringischer nach Toskana wanderte,
ohne daß von Beziehungen der Völker zu angestammten Dhnastien die Rede
war, darf es nicht wundernehmen, daß ein Wahlkönig, der sich noch dazu
durch eine ganz unsinnige Verfassung eingeengt fühlte, unbedenklich das Wohl¬
wollen seiner Nachbarn durch Gebietsabtretungen zu erkaufen gedachte, um
dafür in dem Kern seines Landes ebenso unumschränkter Herr kraft Erbrechts
zu werden wie andre Könige seiner Zeit.
Eine praktisch brauchbare Gestalt haben diese Pläne vor der Zeit der
Teilungen niemals gewonnen. Friedrich der Große hat sich in der ersten
Hälfte seiner Regierung schwerlich damit beschäftigt. Erst nach dem sieben¬
jährigen Kriege wurde ihm die polnische Frage näher gerückt. Zwei Gesichts¬
punkte kamen für ihn dabei in Betracht. Er mußte erstens, sobald einmal
der polnische Besitzstand in Frage gestellt wurde, nach dem Besitz von West¬
preußen trachten, und zweitens dienten ihm die polnischen Angelegenheiten als
ein Mittel, seine auswärtige Politik auf eine neue Grundlage zu stellen. Daß
zwischen den kurbrandenburgischen und den preußischen Besitzungen des Hauses
Hohenzollern ein fremdes Landgebict lag, war ein schwerer Schaden für den
Staat. Und dieses Stück Polen hatte früher ebenfalls zu dem Ordenslande
Preußen gehört, ein deutsches Kolonisationsgebiet, das Polen gewaltsam dem
Deutschen Orden entrissen hatte, um sich den Weg zur Ostsee zu bahnen.
Dieses „Polnisch-Preußen" wiederzugewinnen, mußte für den preußischen Staat
in seiner neuen Großmachtstellung eine Lebensfrage werden, besonders wenn
die Gefahr bestand, daß es in russische Hände fallen könne. Was aber den
zweiten Punkt betrifft, der die Politik Friedrichs des Großen bestimmte, so
bedürfte er einer Handhabe, um gemeinsame politische Interessen mit Rußland
zu pflegen. Die Verbindung mit Rußland war eine Notwendigkeit für ihn
geworden, und das Mittel, sie zu gewinnen und zu erhalten, war die Be¬
handlung, die Preußen den polnischen Angelegenheiten angedeihen ließ. Die
Erhaltung dieser Beziehungen zu Nußland stand übrigens für Friedrich den
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