Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Die Frühlingstage der Äonmntik in Jena Kaiser Karl den Großen, und Wilhelm den edeln Vetter Rinnldos von An einem ernster gestimmten Tage macht sich Tieck zum Verkünder des Und es ist ein andrer Tag; da ist der kleine gelbliche Gries mit den Dann gibt Wilhelm Schlegel ein neues Stück seiner Shakespeareübersetzung. Grenzboten I 1908 79
Die Frühlingstage der Äonmntik in Jena Kaiser Karl den Großen, und Wilhelm den edeln Vetter Rinnldos von An einem ernster gestimmten Tage macht sich Tieck zum Verkünder des Und es ist ein andrer Tag; da ist der kleine gelbliche Gries mit den Dann gibt Wilhelm Schlegel ein neues Stück seiner Shakespeareübersetzung. Grenzboten I 1908 79
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Die Frühlingstage der Äonmntik in Jena
Kaiser Karl den Großen, und Wilhelm den edeln Vetter Rinnldos von
Montalban." ^ - > - , .. ^ ^
An einem ernster gestimmten Tage macht sich Tieck zum Verkünder des
mystischen Philosophus Teutonicus Jakob Böhme, und Novalis folgt ihm als
Jünger. Dieser Novalis. Karoline sagte einmal zu ihm: „Sehen Sie,- man
weiß sich das nicht ausdrücklich zu erklären aus Ihren Reden, wenn Sie ein
Werk unternehmen, ob es soll ein Buch werden, und, wenn sie lieben, ob es
die Harmonie der Welten oder eine Harmonika ist." Oder' es hakt sich das Ge¬
spräch in die Naturwissenschaft ein. Alle sind ihr zugetan, die ihnen neue Welten
erschließt. Novalis adelt mit seinem reichen Geist seinen bürgerlichen Beruf
und baut mit seiner Dichtersprache geologische Hypothesen. Wie ein Hymnus
klingt an, was er über die Mathematik sagte: „Das Leben der Götter ist
Mathematik", oder: „Reine Mathematik ist Religion". Leidenschaftlich ist der
Eifer für die junge Wissenschaft der Elektrizität. Eben erzählt Steffens, wie
er sich neulich aus den Talerstücken seiner heimatlichen Geldsendung eine
Voltasche Säule konstruiert habe, und gleich müssen die Damen und die Herren
zu ihm kommen, sie anzusehen. Dann zeigt ihnen der stille Ritter, wie Galvani
die elektrischen Zuckungen der abgehäuteten Froschschenkel fand. Man disputiert
über Goethes Pflanzenmetamorphose, über Priestlcys Entdeckung des Sauerstoff¬
gases, über Lavoisiers Verbrennuugstheorie, über Werners geognostische An¬
sichten und Cuviers vergleichende Anatomie, aber auch über Lavaters Physio¬
gnomik und Goethes Schädellehre.
Und es ist ein andrer Tag; da ist der kleine gelbliche Gries mit den
schwarzen Augen, der so schwer hört, aus seinem altjüngferlichen Stübchen
herabgekommen. Er hat gerade seine Tassoübcrsetzung beendet, und er liest
nun in seinem bescheidnen Glück daraus vor.
Dann gibt Wilhelm Schlegel ein neues Stück seiner Shakespeareübersetzung.
Er rezitiert gut; aber Tieck weiß mit vollendeter Künstlerschaft zu lesen. Das
sagen alle, namentlich wenn er seinen Liebling Holberg vornimmt. Und er ver¬
steht es auch, famos zu improvisieren. Er erdichtet einmal über ein Thema,
das ihm die Gesellschaft stellt, fast ohne Besinnen ein ganzes Theaterstück und
führt es sogleich auf, indem er sämtliche Rollen allein übernimmt. Nicht müde
wird man, über Wilhelm Meister zu sprechen; aber es trägt jeder doch dabei
seinen eignen Roman im Kopfe und flechtet in dies bunte Gewebe die Gestalten,
die da um ihn herum im Kreise sitzen und schwärmen. In seinen Bewegungen
ist Steffens der lebendigste. Wie ein sinnender Priester sitzt gegenüber Friedrich
Schlegel und umfaßt mit Daumen und Zeigefinger seine Stirn, läßt dann die
beiden Finger einander nahe kommen und bewegt sie laugsam am Rücken der
Nase herunter und über die Nasenspitze hinaus in die Luft. In dem Moment
kommt die Malice heraus, so drastisch, daß Karoline und Dorothea vor Lachen
beinahe auf der Erde liegen. Seine Apercus sind Signalschüssc. Nun schwirrt
das Pfeilgefccht der spitzen Witze. Einst ist Karolines Mutter dabei, eine
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