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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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In Lauscha

Was hat uns um diese Betrachtung gelehrt? Erstens, daß das Wort
Menschlichkeit nicht, wie es den Anschein hat, ans drei, sondern aus fünf Ele¬
menten besteht. Zweitens, daß sich von diesen Elementen zwei deutlich als
ursprüngliche Dingwörter erkennen und auf ihren einstigen Begriffswert be¬
stimmen lassen. Freilich reicht unser Sehvermögen nicht viel weiter als über
einen Zeitraum von zwei Jahrtausenden. Was man vorher nnter diesen Laut¬
gruppen verstand, oder wie die embryonalen Bildungen beschaffen waren, aus
denen sie erwachsen sind, bleibt problematisch oder in völliges Dunkel gehüllt. Die
Hauptsache aber ist die: wir haben uns ein wenig umgesehen in der Werkstatt
der Sprachschöpfung, wobei es an weiten und lehrreichen Ausblicke" nach ver-
schiednen Richtungen nicht gefehlt hat.


F. Uuntze

In Lauscha
Marthe Renate Fischer von

om Standplatz der alten, mit großen Gerechtsamen beliehen gewesnen
Dorfglashütte gerechnet, die im Frühjahr 1906 abgerissen worden
ist, strahlt Lauscha halbsternförmig in drei Straßen ans, die ebenso
vielen Talern entsprechen. Die Berge stehn hier dicht, die Täter
sind eng, nur eben Raum für eine Straßenflucht bietet die Talsohle.
Aber mit der Straßenflucht ist dem Ansiedlungstrieb nicht Genüge
getan, eine zweite, wohl auch eine dritte Flucht erheben sich terrassenförmig darüber.
Wie die grasenden Ziegen stehn die schwarzen Schieferhäuser am Berge.

Es gibt kaum einen erhöhten Platz, von dem ans man den ganzen Ort übersehen
kann, die eine oder die andre Straße ist immer dem Blick entzogen. Was man
aber erschaut, ist von hohem malerischem Reiz. Die Häuser mannigfaltig in der
Form mit Frontispiz und Türmen oder auch ganz schlicht im Bau der mehrfachen
Stockwerke, klein und bescheiden, zweistöckig und stattlich, stehn schwarzgrau und
glänzend da im Schieferkleid, das bei vielen das ganze Haus, bei andern nur die
obern Stockwerke umfaßt. Die nieisten sind mit Mustern und Absätzen von hellerm
Schiefer verziert, mit hellen Schieferborten zwischen den einzelnen Etagen und
zwischen den Fenstern. Die schwarzen Häuser stehn gegen grüne Berge. Schwarz¬
grün ist die Farbe der krönenden Fichten, lichtgrün die weite Fläche der Berg¬
wiesen.

Getreidefelder sieht man um Lanscha nur in ganz verschwindenden Maße,
wie ein Kuriosum etwa. Der Sonimer ist kurz und beginnt spät, und der Boden
ist für Getreidebau ungeeignet. Auch Obstbäume sieht man nicht, statt ihrer die
Eberesche mit ihren rotglühenden Früchten. Weiterhin tut sie sich in großer Pracht
zu langen Zeilen längs des Weges zusammen, da wo sich die Landstraße dem
Rennsteig nähert. Außer dem Getreidebau und demi Obstbau war noch eine andre
Gabe der gütigen Natur bisher den Lanschaern vorenthalten -- der Sperling.
Nach verschiednen mißlnngnen Versuchen, ihn einzubürgern, scheint jetzt Aussicht
vorhanden zu sein, daß sich der Granrock seßhaft macht. Wer sich einmal seines
Mittagschläfchens hat erfreuen wollen, während die granrvckige Bande im Kastanien-


In Lauscha

Was hat uns um diese Betrachtung gelehrt? Erstens, daß das Wort
Menschlichkeit nicht, wie es den Anschein hat, ans drei, sondern aus fünf Ele¬
menten besteht. Zweitens, daß sich von diesen Elementen zwei deutlich als
ursprüngliche Dingwörter erkennen und auf ihren einstigen Begriffswert be¬
stimmen lassen. Freilich reicht unser Sehvermögen nicht viel weiter als über
einen Zeitraum von zwei Jahrtausenden. Was man vorher nnter diesen Laut¬
gruppen verstand, oder wie die embryonalen Bildungen beschaffen waren, aus
denen sie erwachsen sind, bleibt problematisch oder in völliges Dunkel gehüllt. Die
Hauptsache aber ist die: wir haben uns ein wenig umgesehen in der Werkstatt
der Sprachschöpfung, wobei es an weiten und lehrreichen Ausblicke» nach ver-
schiednen Richtungen nicht gefehlt hat.


F. Uuntze

In Lauscha
Marthe Renate Fischer von

om Standplatz der alten, mit großen Gerechtsamen beliehen gewesnen
Dorfglashütte gerechnet, die im Frühjahr 1906 abgerissen worden
ist, strahlt Lauscha halbsternförmig in drei Straßen ans, die ebenso
vielen Talern entsprechen. Die Berge stehn hier dicht, die Täter
sind eng, nur eben Raum für eine Straßenflucht bietet die Talsohle.
Aber mit der Straßenflucht ist dem Ansiedlungstrieb nicht Genüge
getan, eine zweite, wohl auch eine dritte Flucht erheben sich terrassenförmig darüber.
Wie die grasenden Ziegen stehn die schwarzen Schieferhäuser am Berge.

Es gibt kaum einen erhöhten Platz, von dem ans man den ganzen Ort übersehen
kann, die eine oder die andre Straße ist immer dem Blick entzogen. Was man
aber erschaut, ist von hohem malerischem Reiz. Die Häuser mannigfaltig in der
Form mit Frontispiz und Türmen oder auch ganz schlicht im Bau der mehrfachen
Stockwerke, klein und bescheiden, zweistöckig und stattlich, stehn schwarzgrau und
glänzend da im Schieferkleid, das bei vielen das ganze Haus, bei andern nur die
obern Stockwerke umfaßt. Die nieisten sind mit Mustern und Absätzen von hellerm
Schiefer verziert, mit hellen Schieferborten zwischen den einzelnen Etagen und
zwischen den Fenstern. Die schwarzen Häuser stehn gegen grüne Berge. Schwarz¬
grün ist die Farbe der krönenden Fichten, lichtgrün die weite Fläche der Berg¬
wiesen.

Getreidefelder sieht man um Lanscha nur in ganz verschwindenden Maße,
wie ein Kuriosum etwa. Der Sonimer ist kurz und beginnt spät, und der Boden
ist für Getreidebau ungeeignet. Auch Obstbäume sieht man nicht, statt ihrer die
Eberesche mit ihren rotglühenden Früchten. Weiterhin tut sie sich in großer Pracht
zu langen Zeilen längs des Weges zusammen, da wo sich die Landstraße dem
Rennsteig nähert. Außer dem Getreidebau und demi Obstbau war noch eine andre
Gabe der gütigen Natur bisher den Lanschaern vorenthalten — der Sperling.
Nach verschiednen mißlnngnen Versuchen, ihn einzubürgern, scheint jetzt Aussicht
vorhanden zu sein, daß sich der Granrock seßhaft macht. Wer sich einmal seines
Mittagschläfchens hat erfreuen wollen, während die granrvckige Bande im Kastanien-


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[0584] In Lauscha Was hat uns um diese Betrachtung gelehrt? Erstens, daß das Wort Menschlichkeit nicht, wie es den Anschein hat, ans drei, sondern aus fünf Ele¬ menten besteht. Zweitens, daß sich von diesen Elementen zwei deutlich als ursprüngliche Dingwörter erkennen und auf ihren einstigen Begriffswert be¬ stimmen lassen. Freilich reicht unser Sehvermögen nicht viel weiter als über einen Zeitraum von zwei Jahrtausenden. Was man vorher nnter diesen Laut¬ gruppen verstand, oder wie die embryonalen Bildungen beschaffen waren, aus denen sie erwachsen sind, bleibt problematisch oder in völliges Dunkel gehüllt. Die Hauptsache aber ist die: wir haben uns ein wenig umgesehen in der Werkstatt der Sprachschöpfung, wobei es an weiten und lehrreichen Ausblicke» nach ver- schiednen Richtungen nicht gefehlt hat. F. Uuntze [Abbildung] In Lauscha Marthe Renate Fischer von om Standplatz der alten, mit großen Gerechtsamen beliehen gewesnen Dorfglashütte gerechnet, die im Frühjahr 1906 abgerissen worden ist, strahlt Lauscha halbsternförmig in drei Straßen ans, die ebenso vielen Talern entsprechen. Die Berge stehn hier dicht, die Täter sind eng, nur eben Raum für eine Straßenflucht bietet die Talsohle. Aber mit der Straßenflucht ist dem Ansiedlungstrieb nicht Genüge getan, eine zweite, wohl auch eine dritte Flucht erheben sich terrassenförmig darüber. Wie die grasenden Ziegen stehn die schwarzen Schieferhäuser am Berge. Es gibt kaum einen erhöhten Platz, von dem ans man den ganzen Ort übersehen kann, die eine oder die andre Straße ist immer dem Blick entzogen. Was man aber erschaut, ist von hohem malerischem Reiz. Die Häuser mannigfaltig in der Form mit Frontispiz und Türmen oder auch ganz schlicht im Bau der mehrfachen Stockwerke, klein und bescheiden, zweistöckig und stattlich, stehn schwarzgrau und glänzend da im Schieferkleid, das bei vielen das ganze Haus, bei andern nur die obern Stockwerke umfaßt. Die nieisten sind mit Mustern und Absätzen von hellerm Schiefer verziert, mit hellen Schieferborten zwischen den einzelnen Etagen und zwischen den Fenstern. Die schwarzen Häuser stehn gegen grüne Berge. Schwarz¬ grün ist die Farbe der krönenden Fichten, lichtgrün die weite Fläche der Berg¬ wiesen. Getreidefelder sieht man um Lanscha nur in ganz verschwindenden Maße, wie ein Kuriosum etwa. Der Sonimer ist kurz und beginnt spät, und der Boden ist für Getreidebau ungeeignet. Auch Obstbäume sieht man nicht, statt ihrer die Eberesche mit ihren rotglühenden Früchten. Weiterhin tut sie sich in großer Pracht zu langen Zeilen längs des Weges zusammen, da wo sich die Landstraße dem Rennsteig nähert. Außer dem Getreidebau und demi Obstbau war noch eine andre Gabe der gütigen Natur bisher den Lanschaern vorenthalten — der Sperling. Nach verschiednen mißlnngnen Versuchen, ihn einzubürgern, scheint jetzt Aussicht vorhanden zu sein, daß sich der Granrock seßhaft macht. Wer sich einmal seines Mittagschläfchens hat erfreuen wollen, während die granrvckige Bande im Kastanien-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/584>, abgerufen am 24.08.2024.