Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Menschlichkeit

setzte Mensch. Nun existiert im Nordischen noch ein neutrales irmn, das zu¬
nächst den Kollektivbegriff des lateinischen MÄNvixiuin enthielt, dann die
Sklavin, zuletzt die Jungfrau bezeichnete. Wie hat man das Wort zu deuten?
Ist es von dem nordischen mannr abgesplittert wie das französische ein von
Iwans, oder ist es etwa ein deutsches oder ein angelsächsisches Lehnwort?
In beiden Fällen ließe sich die Bedeutungsentwicklung auf folgende Weise er¬
klären: Die Gefangnen, die Sklaven wurden, wie überall, als eine Ware an¬
gesehen und deswegen ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht bezeichnet, der Einzelne
galt als noutrulii wie die Masse. Da es aber viel mehr weibliche Sklaven
gab als männliche, weil aus naheliegenden Gründen die Anzahl der kriegs¬
gefangnen Weiber größer war als die der Männer -- und aus der Kriegs¬
beute ergänzte sich regelmäßig der Bestand der Leibeignen --, so verstand man
unter dem Worte man später vorzugsweise die Sklavin, während der männ¬
liche Sklave durch deu Ausdruck lUimsmÄclw' bezeichnet wurde. Natürlich hat
das Wort zunächst einen verächtlichen Sinn gehabt, es wird dem nordischen
trillg., d. i. die Konkubine, etwa gleichwertig gewesen sein. Später aber stieg
der Wert des so stark gesunknen Ausdrucks wieder, man bezeichnete nunmehr
jedes Mädchen, auch das freie, ja das edle, wie es denn sogar, nur um ein
Beispiel unter vielen herauszugreifen, in der Edda von der Göttin Gerda ge¬
braucht wird. Woher es kommt, daß das nordische miMWunZr -- später
NiM8öllA -- das Liebeslied, eigentlich Mädchenlied, bedeutet. Daß an sich
gegen diese Ableitung nichts einzuwenden wäre, wird man wohl zugeben können.
Freilich ist die Prämisse nicht über allen Zweifel erhaben.

Es bleibt jetzt nur noch die Frage, was denn der eben besprochne Wort¬
stamm eigentlich sagen will. Daß er zusammenhängt mit dem Worte Naiums, dem
Namen des von Tacitus als der Ahnherr sämtlicher Gerinancnstämme be¬
zeichneten Gottes, ist wohl klar. Man hat sogar das Wort rnarmisko direkt davon
ableiten wollen, hat darunter ein Patronhmikum, d. i. den Sohn des Raums,
verstanden und so einen Stammbaum herstellen wollen, der von öd. i.
die Urform des spätern un oder An, des alten Himmelsgottes) durch luisoo
livislw (das wäre der Sohn des Nvai?) zu Narnus und dessen Sohn Nlumislco
führt -- eine Hypothese, die jedoch schon deswegen mißlich ist, weil man nicht
weiß, ob bei Tacitus 'luisw oder ruisoo zu lesen ist. Aber selbst wenn diese
Hypothese begründet wäre, sagt sie uns doch nichts über den Ursinn des Wortes
iniurnus oder manu. Auch das altindische in-mus (d. i. Mensch) gewährt
keinen befriedigenden Aufschluß. Man hat vermutet, das Wort sei hervor¬
gegangen aus der Wurzel inen - - wir erlauben uus trotz Manthner noch das
Wort Wurzel zu gebrauchen, obwohl es allerdings nur ein Notbehelf ist
die im griechischen ^von,' (/<e^^ete), im lateinischen usus (msmini), im deutschen
minus (eigentlich Gedächtnis) steckt, und bezeichne darum den Menschen als
den denkenden, im Gegensatz zu den Tieren. Eine Vermutung, die möglich,
aber von der Gewißheit doch weit entfernt ist.


Menschlichkeit

setzte Mensch. Nun existiert im Nordischen noch ein neutrales irmn, das zu¬
nächst den Kollektivbegriff des lateinischen MÄNvixiuin enthielt, dann die
Sklavin, zuletzt die Jungfrau bezeichnete. Wie hat man das Wort zu deuten?
Ist es von dem nordischen mannr abgesplittert wie das französische ein von
Iwans, oder ist es etwa ein deutsches oder ein angelsächsisches Lehnwort?
In beiden Fällen ließe sich die Bedeutungsentwicklung auf folgende Weise er¬
klären: Die Gefangnen, die Sklaven wurden, wie überall, als eine Ware an¬
gesehen und deswegen ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht bezeichnet, der Einzelne
galt als noutrulii wie die Masse. Da es aber viel mehr weibliche Sklaven
gab als männliche, weil aus naheliegenden Gründen die Anzahl der kriegs¬
gefangnen Weiber größer war als die der Männer — und aus der Kriegs¬
beute ergänzte sich regelmäßig der Bestand der Leibeignen —, so verstand man
unter dem Worte man später vorzugsweise die Sklavin, während der männ¬
liche Sklave durch deu Ausdruck lUimsmÄclw' bezeichnet wurde. Natürlich hat
das Wort zunächst einen verächtlichen Sinn gehabt, es wird dem nordischen
trillg., d. i. die Konkubine, etwa gleichwertig gewesen sein. Später aber stieg
der Wert des so stark gesunknen Ausdrucks wieder, man bezeichnete nunmehr
jedes Mädchen, auch das freie, ja das edle, wie es denn sogar, nur um ein
Beispiel unter vielen herauszugreifen, in der Edda von der Göttin Gerda ge¬
braucht wird. Woher es kommt, daß das nordische miMWunZr — später
NiM8öllA — das Liebeslied, eigentlich Mädchenlied, bedeutet. Daß an sich
gegen diese Ableitung nichts einzuwenden wäre, wird man wohl zugeben können.
Freilich ist die Prämisse nicht über allen Zweifel erhaben.

Es bleibt jetzt nur noch die Frage, was denn der eben besprochne Wort¬
stamm eigentlich sagen will. Daß er zusammenhängt mit dem Worte Naiums, dem
Namen des von Tacitus als der Ahnherr sämtlicher Gerinancnstämme be¬
zeichneten Gottes, ist wohl klar. Man hat sogar das Wort rnarmisko direkt davon
ableiten wollen, hat darunter ein Patronhmikum, d. i. den Sohn des Raums,
verstanden und so einen Stammbaum herstellen wollen, der von öd. i.
die Urform des spätern un oder An, des alten Himmelsgottes) durch luisoo
livislw (das wäre der Sohn des Nvai?) zu Narnus und dessen Sohn Nlumislco
führt — eine Hypothese, die jedoch schon deswegen mißlich ist, weil man nicht
weiß, ob bei Tacitus 'luisw oder ruisoo zu lesen ist. Aber selbst wenn diese
Hypothese begründet wäre, sagt sie uns doch nichts über den Ursinn des Wortes
iniurnus oder manu. Auch das altindische in-mus (d. i. Mensch) gewährt
keinen befriedigenden Aufschluß. Man hat vermutet, das Wort sei hervor¬
gegangen aus der Wurzel inen - - wir erlauben uus trotz Manthner noch das
Wort Wurzel zu gebrauchen, obwohl es allerdings nur ein Notbehelf ist
die im griechischen ^von,' (/<e^^ete), im lateinischen usus (msmini), im deutschen
minus (eigentlich Gedächtnis) steckt, und bezeichne darum den Menschen als
den denkenden, im Gegensatz zu den Tieren. Eine Vermutung, die möglich,
aber von der Gewißheit doch weit entfernt ist.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0583" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311666"/>
          <fw type="header" place="top"> Menschlichkeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2721" prev="#ID_2720"> setzte Mensch. Nun existiert im Nordischen noch ein neutrales irmn, das zu¬<lb/>
nächst den Kollektivbegriff des lateinischen MÄNvixiuin enthielt, dann die<lb/>
Sklavin, zuletzt die Jungfrau bezeichnete. Wie hat man das Wort zu deuten?<lb/>
Ist es von dem nordischen mannr abgesplittert wie das französische ein von<lb/>
Iwans, oder ist es etwa ein deutsches oder ein angelsächsisches Lehnwort?<lb/>
In beiden Fällen ließe sich die Bedeutungsentwicklung auf folgende Weise er¬<lb/>
klären: Die Gefangnen, die Sklaven wurden, wie überall, als eine Ware an¬<lb/>
gesehen und deswegen ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht bezeichnet, der Einzelne<lb/>
galt als noutrulii wie die Masse. Da es aber viel mehr weibliche Sklaven<lb/>
gab als männliche, weil aus naheliegenden Gründen die Anzahl der kriegs¬<lb/>
gefangnen Weiber größer war als die der Männer &#x2014; und aus der Kriegs¬<lb/>
beute ergänzte sich regelmäßig der Bestand der Leibeignen &#x2014;, so verstand man<lb/>
unter dem Worte man später vorzugsweise die Sklavin, während der männ¬<lb/>
liche Sklave durch deu Ausdruck lUimsmÄclw' bezeichnet wurde. Natürlich hat<lb/>
das Wort zunächst einen verächtlichen Sinn gehabt, es wird dem nordischen<lb/>
trillg., d. i. die Konkubine, etwa gleichwertig gewesen sein. Später aber stieg<lb/>
der Wert des so stark gesunknen Ausdrucks wieder, man bezeichnete nunmehr<lb/>
jedes Mädchen, auch das freie, ja das edle, wie es denn sogar, nur um ein<lb/>
Beispiel unter vielen herauszugreifen, in der Edda von der Göttin Gerda ge¬<lb/>
braucht wird. Woher es kommt, daß das nordische miMWunZr &#x2014; später<lb/>
NiM8öllA &#x2014; das Liebeslied, eigentlich Mädchenlied, bedeutet. Daß an sich<lb/>
gegen diese Ableitung nichts einzuwenden wäre, wird man wohl zugeben können.<lb/>
Freilich ist die Prämisse nicht über allen Zweifel erhaben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2722"> Es bleibt jetzt nur noch die Frage, was denn der eben besprochne Wort¬<lb/>
stamm eigentlich sagen will. Daß er zusammenhängt mit dem Worte Naiums, dem<lb/>
Namen des von Tacitus als der Ahnherr sämtlicher Gerinancnstämme be¬<lb/>
zeichneten Gottes, ist wohl klar. Man hat sogar das Wort rnarmisko direkt davon<lb/>
ableiten wollen, hat darunter ein Patronhmikum, d. i. den Sohn des Raums,<lb/>
verstanden und so einen Stammbaum herstellen wollen, der von öd. i.<lb/>
die Urform des spätern un oder An, des alten Himmelsgottes) durch luisoo<lb/>
livislw (das wäre der Sohn des Nvai?) zu Narnus und dessen Sohn Nlumislco<lb/>
führt &#x2014; eine Hypothese, die jedoch schon deswegen mißlich ist, weil man nicht<lb/>
weiß, ob bei Tacitus 'luisw oder ruisoo zu lesen ist. Aber selbst wenn diese<lb/>
Hypothese begründet wäre, sagt sie uns doch nichts über den Ursinn des Wortes<lb/>
iniurnus oder manu. Auch das altindische in-mus (d. i. Mensch) gewährt<lb/>
keinen befriedigenden Aufschluß. Man hat vermutet, das Wort sei hervor¬<lb/>
gegangen aus der Wurzel inen - - wir erlauben uus trotz Manthner noch das<lb/>
Wort Wurzel zu gebrauchen, obwohl es allerdings nur ein Notbehelf ist<lb/>
die im griechischen ^von,' (/&lt;e^^ete), im lateinischen usus (msmini), im deutschen<lb/>
minus (eigentlich Gedächtnis) steckt, und bezeichne darum den Menschen als<lb/>
den denkenden, im Gegensatz zu den Tieren. Eine Vermutung, die möglich,<lb/>
aber von der Gewißheit doch weit entfernt ist.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0583] Menschlichkeit setzte Mensch. Nun existiert im Nordischen noch ein neutrales irmn, das zu¬ nächst den Kollektivbegriff des lateinischen MÄNvixiuin enthielt, dann die Sklavin, zuletzt die Jungfrau bezeichnete. Wie hat man das Wort zu deuten? Ist es von dem nordischen mannr abgesplittert wie das französische ein von Iwans, oder ist es etwa ein deutsches oder ein angelsächsisches Lehnwort? In beiden Fällen ließe sich die Bedeutungsentwicklung auf folgende Weise er¬ klären: Die Gefangnen, die Sklaven wurden, wie überall, als eine Ware an¬ gesehen und deswegen ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht bezeichnet, der Einzelne galt als noutrulii wie die Masse. Da es aber viel mehr weibliche Sklaven gab als männliche, weil aus naheliegenden Gründen die Anzahl der kriegs¬ gefangnen Weiber größer war als die der Männer — und aus der Kriegs¬ beute ergänzte sich regelmäßig der Bestand der Leibeignen —, so verstand man unter dem Worte man später vorzugsweise die Sklavin, während der männ¬ liche Sklave durch deu Ausdruck lUimsmÄclw' bezeichnet wurde. Natürlich hat das Wort zunächst einen verächtlichen Sinn gehabt, es wird dem nordischen trillg., d. i. die Konkubine, etwa gleichwertig gewesen sein. Später aber stieg der Wert des so stark gesunknen Ausdrucks wieder, man bezeichnete nunmehr jedes Mädchen, auch das freie, ja das edle, wie es denn sogar, nur um ein Beispiel unter vielen herauszugreifen, in der Edda von der Göttin Gerda ge¬ braucht wird. Woher es kommt, daß das nordische miMWunZr — später NiM8öllA — das Liebeslied, eigentlich Mädchenlied, bedeutet. Daß an sich gegen diese Ableitung nichts einzuwenden wäre, wird man wohl zugeben können. Freilich ist die Prämisse nicht über allen Zweifel erhaben. Es bleibt jetzt nur noch die Frage, was denn der eben besprochne Wort¬ stamm eigentlich sagen will. Daß er zusammenhängt mit dem Worte Naiums, dem Namen des von Tacitus als der Ahnherr sämtlicher Gerinancnstämme be¬ zeichneten Gottes, ist wohl klar. Man hat sogar das Wort rnarmisko direkt davon ableiten wollen, hat darunter ein Patronhmikum, d. i. den Sohn des Raums, verstanden und so einen Stammbaum herstellen wollen, der von öd. i. die Urform des spätern un oder An, des alten Himmelsgottes) durch luisoo livislw (das wäre der Sohn des Nvai?) zu Narnus und dessen Sohn Nlumislco führt — eine Hypothese, die jedoch schon deswegen mißlich ist, weil man nicht weiß, ob bei Tacitus 'luisw oder ruisoo zu lesen ist. Aber selbst wenn diese Hypothese begründet wäre, sagt sie uns doch nichts über den Ursinn des Wortes iniurnus oder manu. Auch das altindische in-mus (d. i. Mensch) gewährt keinen befriedigenden Aufschluß. Man hat vermutet, das Wort sei hervor¬ gegangen aus der Wurzel inen - - wir erlauben uus trotz Manthner noch das Wort Wurzel zu gebrauchen, obwohl es allerdings nur ein Notbehelf ist die im griechischen ^von,' (/<e^^ete), im lateinischen usus (msmini), im deutschen minus (eigentlich Gedächtnis) steckt, und bezeichne darum den Menschen als den denkenden, im Gegensatz zu den Tieren. Eine Vermutung, die möglich, aber von der Gewißheit doch weit entfernt ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/583
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/583>, abgerufen am 22.07.2024.