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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Menschlichkeit

irclisvb oder bimmlisob hervorgeht. Weiterhin bezeichnete es auch jede andre
Art der Zugehörigkeit, sodaß lciuclisvb oder ^sibisob zunächst ausdrückte: was
zum Kind oder zum Weibe gehört oder ihm eigentümlich ist; daß es vielfach
den damit gebildeten Worten einen Übeln Nebensinn verleiht, wie man um
den eben angeführten Adjektiven und andern, wie an bäurisch, hämisch, viehisch
ersieht, ist bekannt, kommt aber hier nicht weiter in Betracht. Wir haben es
hier mit dem Wort mensob zu tun und dürfen feststellen, daß das alte niimni8in
oder mimnislw, aus dem es hervorging, weil das später verklingende i der
Bildungssilbe den Amiant wirkte, eigentlich ausdrückte: was zum Menschen
gehört, also so ziemlich denselben Begriff enthielt, den wir heute mit dem
Worte mensobUeb verbinden. Es war gleich dem gotischen inannislcs ein
Adjektiv und ist erst mit der Zeit zum Range eines Substantivums erhoben
worden.

Ehe das geschah, galt das Wort man (gotisch mauna, nordisch uiannr,
später maölrr) im Sinne jedes menschlichen Lebewesens ohne Rücksicht auf das
Geschlecht. Davon gibt es noch verschiedne Spuren: nicht nnr daß in den
deutschen Bildungen jemand und niemand (mittelhochdentsch is-iriim und
illorum), desgleichen in dem gleich dem französischen on (aus bvmnnz) zum
Formwort reduzierten man die Grundbedeutung noch durchblickt - der frühere
Sinn des Wortes hat sich ungeschmälert noch im Englischen und teilweise mich
im Nordischen erhalten. Im Englischen hat man früher ein eizorl-niam und
vitom-in (auch ilmkclsnnuui) gebildet, das ist Mannsmcusch und Frauensmensch,
Bildungen, die später auch im Deutschen, namentlich im Niederdeutschen auf¬
getaucht sind; das erste der beiden ist längst veraltet, das andre ist später
zu dem jetzt noch geltenden vvoing.n zusammengeschrumpft. Und im Nordischen
liegt derselbe Gegensatz in den entsprechenden Bildungen lMliniulbr und
Kvenmaclb.r vor, ja es ist möglich, daß auch das deutsche früh zum Eigennamen
gewordne Wort Karlin-inn so zu erklären ist, obwohl das entsprechende auvn-
mann nicht zu belegen ist. Auch auf das interessante Wort irianatioudit, das
in Glossen aufgeführt wird und mich zweimal in Otfrids Krist vorkommt, sei
hier hingewiesen. Es meint den Gefangnen, den Sklaven ohne Unterschied des
Geschlechts und ist doch wohl mit Jakob Grimm als Menschenhaupt zu deuten.
Kriegsgefangne und Sklaven wurden nach Hünptern gezählt wie heutzutage
das Vieh. Andre halten es freilich für volksetymologische Umdeutung des
lateinischen iug.neij)iuiu; aber auch wenn das richtig wäre, dem Sprachgefühl
stellte es sich doch sicherlich als Menschenhaupt dar.

Nachdem nun in Dentschland das Wort msnnisoo nicht nnr gebildet war,
sondern auch die ihm heute noch zustehende Funktion übernommen hatte, ver¬
blieb das alte man den Menschen männlichen Geschlechts. Der vollere Aus¬
druck ist vom Oberdeutschen auch ius niederdeutsche und von dort aus sogar
ins Nordische vorgedrungen, mannisl^ gilt heute im Schwedischen, niönnöslco
ini Dänischen wie in Deutschland das in die neuhochdeutsche Lantform ringe-


Menschlichkeit

irclisvb oder bimmlisob hervorgeht. Weiterhin bezeichnete es auch jede andre
Art der Zugehörigkeit, sodaß lciuclisvb oder ^sibisob zunächst ausdrückte: was
zum Kind oder zum Weibe gehört oder ihm eigentümlich ist; daß es vielfach
den damit gebildeten Worten einen Übeln Nebensinn verleiht, wie man um
den eben angeführten Adjektiven und andern, wie an bäurisch, hämisch, viehisch
ersieht, ist bekannt, kommt aber hier nicht weiter in Betracht. Wir haben es
hier mit dem Wort mensob zu tun und dürfen feststellen, daß das alte niimni8in
oder mimnislw, aus dem es hervorging, weil das später verklingende i der
Bildungssilbe den Amiant wirkte, eigentlich ausdrückte: was zum Menschen
gehört, also so ziemlich denselben Begriff enthielt, den wir heute mit dem
Worte mensobUeb verbinden. Es war gleich dem gotischen inannislcs ein
Adjektiv und ist erst mit der Zeit zum Range eines Substantivums erhoben
worden.

Ehe das geschah, galt das Wort man (gotisch mauna, nordisch uiannr,
später maölrr) im Sinne jedes menschlichen Lebewesens ohne Rücksicht auf das
Geschlecht. Davon gibt es noch verschiedne Spuren: nicht nnr daß in den
deutschen Bildungen jemand und niemand (mittelhochdentsch is-iriim und
illorum), desgleichen in dem gleich dem französischen on (aus bvmnnz) zum
Formwort reduzierten man die Grundbedeutung noch durchblickt - der frühere
Sinn des Wortes hat sich ungeschmälert noch im Englischen und teilweise mich
im Nordischen erhalten. Im Englischen hat man früher ein eizorl-niam und
vitom-in (auch ilmkclsnnuui) gebildet, das ist Mannsmcusch und Frauensmensch,
Bildungen, die später auch im Deutschen, namentlich im Niederdeutschen auf¬
getaucht sind; das erste der beiden ist längst veraltet, das andre ist später
zu dem jetzt noch geltenden vvoing.n zusammengeschrumpft. Und im Nordischen
liegt derselbe Gegensatz in den entsprechenden Bildungen lMliniulbr und
Kvenmaclb.r vor, ja es ist möglich, daß auch das deutsche früh zum Eigennamen
gewordne Wort Karlin-inn so zu erklären ist, obwohl das entsprechende auvn-
mann nicht zu belegen ist. Auch auf das interessante Wort irianatioudit, das
in Glossen aufgeführt wird und mich zweimal in Otfrids Krist vorkommt, sei
hier hingewiesen. Es meint den Gefangnen, den Sklaven ohne Unterschied des
Geschlechts und ist doch wohl mit Jakob Grimm als Menschenhaupt zu deuten.
Kriegsgefangne und Sklaven wurden nach Hünptern gezählt wie heutzutage
das Vieh. Andre halten es freilich für volksetymologische Umdeutung des
lateinischen iug.neij)iuiu; aber auch wenn das richtig wäre, dem Sprachgefühl
stellte es sich doch sicherlich als Menschenhaupt dar.

Nachdem nun in Dentschland das Wort msnnisoo nicht nnr gebildet war,
sondern auch die ihm heute noch zustehende Funktion übernommen hatte, ver¬
blieb das alte man den Menschen männlichen Geschlechts. Der vollere Aus¬
druck ist vom Oberdeutschen auch ius niederdeutsche und von dort aus sogar
ins Nordische vorgedrungen, mannisl^ gilt heute im Schwedischen, niönnöslco
ini Dänischen wie in Deutschland das in die neuhochdeutsche Lantform ringe-


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[0582] Menschlichkeit irclisvb oder bimmlisob hervorgeht. Weiterhin bezeichnete es auch jede andre Art der Zugehörigkeit, sodaß lciuclisvb oder ^sibisob zunächst ausdrückte: was zum Kind oder zum Weibe gehört oder ihm eigentümlich ist; daß es vielfach den damit gebildeten Worten einen Übeln Nebensinn verleiht, wie man um den eben angeführten Adjektiven und andern, wie an bäurisch, hämisch, viehisch ersieht, ist bekannt, kommt aber hier nicht weiter in Betracht. Wir haben es hier mit dem Wort mensob zu tun und dürfen feststellen, daß das alte niimni8in oder mimnislw, aus dem es hervorging, weil das später verklingende i der Bildungssilbe den Amiant wirkte, eigentlich ausdrückte: was zum Menschen gehört, also so ziemlich denselben Begriff enthielt, den wir heute mit dem Worte mensobUeb verbinden. Es war gleich dem gotischen inannislcs ein Adjektiv und ist erst mit der Zeit zum Range eines Substantivums erhoben worden. Ehe das geschah, galt das Wort man (gotisch mauna, nordisch uiannr, später maölrr) im Sinne jedes menschlichen Lebewesens ohne Rücksicht auf das Geschlecht. Davon gibt es noch verschiedne Spuren: nicht nnr daß in den deutschen Bildungen jemand und niemand (mittelhochdentsch is-iriim und illorum), desgleichen in dem gleich dem französischen on (aus bvmnnz) zum Formwort reduzierten man die Grundbedeutung noch durchblickt - der frühere Sinn des Wortes hat sich ungeschmälert noch im Englischen und teilweise mich im Nordischen erhalten. Im Englischen hat man früher ein eizorl-niam und vitom-in (auch ilmkclsnnuui) gebildet, das ist Mannsmcusch und Frauensmensch, Bildungen, die später auch im Deutschen, namentlich im Niederdeutschen auf¬ getaucht sind; das erste der beiden ist längst veraltet, das andre ist später zu dem jetzt noch geltenden vvoing.n zusammengeschrumpft. Und im Nordischen liegt derselbe Gegensatz in den entsprechenden Bildungen lMliniulbr und Kvenmaclb.r vor, ja es ist möglich, daß auch das deutsche früh zum Eigennamen gewordne Wort Karlin-inn so zu erklären ist, obwohl das entsprechende auvn- mann nicht zu belegen ist. Auch auf das interessante Wort irianatioudit, das in Glossen aufgeführt wird und mich zweimal in Otfrids Krist vorkommt, sei hier hingewiesen. Es meint den Gefangnen, den Sklaven ohne Unterschied des Geschlechts und ist doch wohl mit Jakob Grimm als Menschenhaupt zu deuten. Kriegsgefangne und Sklaven wurden nach Hünptern gezählt wie heutzutage das Vieh. Andre halten es freilich für volksetymologische Umdeutung des lateinischen iug.neij)iuiu; aber auch wenn das richtig wäre, dem Sprachgefühl stellte es sich doch sicherlich als Menschenhaupt dar. Nachdem nun in Dentschland das Wort msnnisoo nicht nnr gebildet war, sondern auch die ihm heute noch zustehende Funktion übernommen hatte, ver¬ blieb das alte man den Menschen männlichen Geschlechts. Der vollere Aus¬ druck ist vom Oberdeutschen auch ius niederdeutsche und von dort aus sogar ins Nordische vorgedrungen, mannisl^ gilt heute im Schwedischen, niönnöslco ini Dänischen wie in Deutschland das in die neuhochdeutsche Lantform ringe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/582>, abgerufen am 24.08.2024.