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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Airche und Staat in Frankreich

"u'rvmpu, 803n6klkux, invorriglbl", kaux, unlliu, tu'tiüczieux, onnsmi 60 donet
voren, (Das war noch nicht Noailles -- der Brief ist 1694 geschrieben --,
sondern Harley de Chanvallon.) , ,, Vous von" ein avoommväW p^ro" o^u'it
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n'e"t x!i8 vicziöux, ing.i8 it c-raine ig, Solinis ohren" usw. Fenelon sprach ein¬
mal mit Hugenotten. (Desdevises gibt nicht ein, ob es sich um eine bloße
Unterhaltung oder um einen amtlichen Bekehrungsversuch handelte.) Die Leute
wurden durch die herzlichen Worte des frommen und liebevollen Mannes zu
Tränen gerührt, wiesen aber die Zumutung, zu konvertieren, mit den Worten
zurück: "Mit Ihnen könnten wir uns schon verständigen. Aber Sie sind mir
vorübergehend hier. Nach Ihnen kommen dann die Mönche, die lateinische
Sprüche hersagen und uns von nichts als von Ablässen und frommen Bruder¬
schaften predigen; vom Evangelium werden wir nichts mehr zu hören bekommen;
anstatt uns dieses zu erklären, wird man uns mit Drohungen schrecken," Die
widerspenstigen und die rückfälligen Männer schickte man ans die Galeeren, die
Frauen sperrte man ins Gefängnis oder ins Kloster, jenes zogen sie dem
Kloster mit seiner Seelenpein vor.

Die Verfolgungen dauerten fast das ganze achtzehnte Jahrhundert hin¬
durch, aber der letzten Verurteilungen haben sich die Richter selbst geschämt
und haben die Verurteilten um Verzeihung gebeten. Als Ludwig der Sech¬
zehnte den Krönungseid leistete, murmelte er die Stelle, die ihn zur Aus¬
rottung der Ketzerei verpflichtete, ganz unverständlich. Der Zeitgeist hatte sich
eben unter dem Regenten und unter Ludwig dem Fünfzehnten geändert. Bis
dahin war ganz Frankreich fanatisch gewesen. "Die ganze französische Nation
war die Mitschuldige Ludwigs des Vierzehnten. Kein Stand hat das Recht,
die Verantwortung für die verübten Arkaden auf einen andern abzuwälzen.
Alle Welt ist ungerecht, böse, wahnsinnig gewesen. Die französische Volks¬
seele weist leider, bei allen ihren glänzenden Vorzügen und heroischen An¬
lagen, zwei häßliche Mängel ans: sie hat keinen Sinn weder für das Recht noch
für die Freiheit. Diese beiden großen Güter entflammen sie, ohne sie zu er¬
füllen; sie widmet ihnen einen Kult, der bloßer Götzendienst ist, bewundert
sie, ohne sie zu verstehn. Sie spricht unaufhörlich von ihnen und singt ihr
Lob, tritt sie aber zugleich in der Praxis mit Füßen." Trotz diesem Charakter¬
fehler trat in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der große Umschwung
ein, den die "Philosophen" -- vielleicht nicht herbeigeführt, aber -- in ihren
Personen am deutlichsten zum Ausdruck gebracht haben. Es war nicht bloß
ein Umschwung der Meinungen, sondern vor allem ein Wandel der Stimmung-
Wie in Deutschland und England, so hat eben auch in Frankreich die lichte
Seite des Menschengemüth gegen die finstre, die im sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhundert geherrscht hatte, reagiert; auf das Zeitalter des Fana¬
tismus, der Religionskriege, der Grausamkeit, der Justizgreuel folgte das Zeit¬
alter der Humanität, ja der Sentimentalität. Der Verstand zieht allemal die


Airche und Staat in Frankreich

«u'rvmpu, 803n6klkux, invorriglbl», kaux, unlliu, tu'tiüczieux, onnsmi 60 donet
voren, (Das war noch nicht Noailles — der Brief ist 1694 geschrieben —,
sondern Harley de Chanvallon.) , ,, Vous von« ein avoommväW p^ro« o^u'it
ng son^o ein'a vous xlairs var «es ÜMgriss... . ?our votrs poure88vrir, it
n'e«t x!i8 vicziöux, ing.i8 it c-raine ig, Solinis ohren" usw. Fenelon sprach ein¬
mal mit Hugenotten. (Desdevises gibt nicht ein, ob es sich um eine bloße
Unterhaltung oder um einen amtlichen Bekehrungsversuch handelte.) Die Leute
wurden durch die herzlichen Worte des frommen und liebevollen Mannes zu
Tränen gerührt, wiesen aber die Zumutung, zu konvertieren, mit den Worten
zurück: „Mit Ihnen könnten wir uns schon verständigen. Aber Sie sind mir
vorübergehend hier. Nach Ihnen kommen dann die Mönche, die lateinische
Sprüche hersagen und uns von nichts als von Ablässen und frommen Bruder¬
schaften predigen; vom Evangelium werden wir nichts mehr zu hören bekommen;
anstatt uns dieses zu erklären, wird man uns mit Drohungen schrecken," Die
widerspenstigen und die rückfälligen Männer schickte man ans die Galeeren, die
Frauen sperrte man ins Gefängnis oder ins Kloster, jenes zogen sie dem
Kloster mit seiner Seelenpein vor.

Die Verfolgungen dauerten fast das ganze achtzehnte Jahrhundert hin¬
durch, aber der letzten Verurteilungen haben sich die Richter selbst geschämt
und haben die Verurteilten um Verzeihung gebeten. Als Ludwig der Sech¬
zehnte den Krönungseid leistete, murmelte er die Stelle, die ihn zur Aus¬
rottung der Ketzerei verpflichtete, ganz unverständlich. Der Zeitgeist hatte sich
eben unter dem Regenten und unter Ludwig dem Fünfzehnten geändert. Bis
dahin war ganz Frankreich fanatisch gewesen. „Die ganze französische Nation
war die Mitschuldige Ludwigs des Vierzehnten. Kein Stand hat das Recht,
die Verantwortung für die verübten Arkaden auf einen andern abzuwälzen.
Alle Welt ist ungerecht, böse, wahnsinnig gewesen. Die französische Volks¬
seele weist leider, bei allen ihren glänzenden Vorzügen und heroischen An¬
lagen, zwei häßliche Mängel ans: sie hat keinen Sinn weder für das Recht noch
für die Freiheit. Diese beiden großen Güter entflammen sie, ohne sie zu er¬
füllen; sie widmet ihnen einen Kult, der bloßer Götzendienst ist, bewundert
sie, ohne sie zu verstehn. Sie spricht unaufhörlich von ihnen und singt ihr
Lob, tritt sie aber zugleich in der Praxis mit Füßen." Trotz diesem Charakter¬
fehler trat in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der große Umschwung
ein, den die „Philosophen" — vielleicht nicht herbeigeführt, aber — in ihren
Personen am deutlichsten zum Ausdruck gebracht haben. Es war nicht bloß
ein Umschwung der Meinungen, sondern vor allem ein Wandel der Stimmung-
Wie in Deutschland und England, so hat eben auch in Frankreich die lichte
Seite des Menschengemüth gegen die finstre, die im sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhundert geherrscht hatte, reagiert; auf das Zeitalter des Fana¬
tismus, der Religionskriege, der Grausamkeit, der Justizgreuel folgte das Zeit¬
alter der Humanität, ja der Sentimentalität. Der Verstand zieht allemal die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/572>, abgerufen am 03.07.2024.