Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kirche und Staat in Frankreich

Schlüsse, die das Herz begehrt oder fordert, darum hat die Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts anders ausgesehen als die der Jesuiten und der Puri¬
taner. Desdevises charakterisiert die Männer, die 'man teils zu den Enzyklo¬
pädisten zu zählen, teils um sie zu gruppieren pflegt, und ihre Tätigkeit im
einzelnen. Zusammenfassend schreibt er: "So kritisch auch die Revolution uns
gemacht hat, können wir doch diesem goldnen Zeitalter der modernen Welt
>wir Deutschen denken bei diesem Ausdruck nicht an Paris, sondern an Weimar
und Königsbergs unsre tiefe Sympathie nicht versagen; wir bewundern den
schönen Schwung dieser tapfern Männer, die für die Wissenschaft und die
Menschlichkeit kämpften; wir begrüßen diese französische Philosophie, die sich
dem Kult der Freiheit und des Fortschritts widmete und uns die geistige
Herrschaft über Europa in einem Maße sicherte, wie es Napoleons Waffen¬
gewalt nie vermocht hatte." Dieses ein wenig schiefe Urteil rücken die Leser
schon selbst zurecht.

Bekanntlich war der Kampf der Philosophen zunächst hauptsächlich gegen
die Jesuiten gerichtet. Sie fanden Bundesgenossen an den Jcmsenisten, die
zwar die Ketzerei und den Atheismus, noch mehr aber ihre Konkurrenten in
der Frömmigkeit haßten, wie denn auch die Philosophen diese Bundes¬
genossen willkommen hießen, obwohl sie ihnen widerwärtiger waren als die
Jesuiten, deren "leben und leben lassen" ihnen weit besser zusagte als der
Rigorismus. Weil die Jesuiten den Absolutismus verteidigten, hielt es die
gebildete Welt mit den von ihnen verfolgten Jansenisten und machte, ohne
sich im mindesten um den religiösen Inhalt des Jansenismus zu kümmern,
aus diesem eine Form der politischen Opposition. Eben dieses trieb den
König in die Arme der Jesuiten und des orthodoxen Klerus. Er sagte
einmal zur Pompadour: "Die hohen Justizbeamten (los Zranäss rodss) und
der Klerus liegen einander bestündig in den Haaren; sie bringen mich durch
ihr Gezänk zur Verzweiflung, aber die hohen Beamten verabscheue ich
geradezu. Der Klerus ist treu und mir ergeben; die andern aber möchten
mich am liebsten unter Kuratel stellen. . . . Nun, solange ich lebe, wird das
Königtum wohl noch halten." Die Pompadour aber ging zu denen über, in
denen der König richtig seine Todfeinde witterte. Sie verschloß sich der Ein¬
sicht nicht, daß ihre Schönheit zu verblühen anfing, und sei es, daß sich ein
bekanntes unhöfliches Sprichwort an ihr bewahrheitete, sei es, daß sie hoffte,
mit Hilfe der Jesuiten ihre Stellung zu sichern, sie schickte sich an, fromm
zu werden. Ihr Beichtvater aber, der Pater de Sacy, erklärte, er könne sie
nicht absolvieren, wenn sie den Hof nicht verließe, und die Patres Pernssecm
und Desmarets erklärten dem König, dessen Beichtväter sie waren, dasselbe.
Alle drei waren Jesuiten. In diesem Falle, meint Desdevises, würde ihnen*
Pascal wohl recht gegeben haben. Die mächtige Maitresse wurde ihre Tod¬
feindin und schloß sich als dritte im Bunde den Philosophen und den Janse¬
nisten an. Überall, urteilt Desdevises, sind sie nur Intrigen zum Opfer


Grenzboten I 1908 73
Kirche und Staat in Frankreich

Schlüsse, die das Herz begehrt oder fordert, darum hat die Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts anders ausgesehen als die der Jesuiten und der Puri¬
taner. Desdevises charakterisiert die Männer, die 'man teils zu den Enzyklo¬
pädisten zu zählen, teils um sie zu gruppieren pflegt, und ihre Tätigkeit im
einzelnen. Zusammenfassend schreibt er: „So kritisch auch die Revolution uns
gemacht hat, können wir doch diesem goldnen Zeitalter der modernen Welt
>wir Deutschen denken bei diesem Ausdruck nicht an Paris, sondern an Weimar
und Königsbergs unsre tiefe Sympathie nicht versagen; wir bewundern den
schönen Schwung dieser tapfern Männer, die für die Wissenschaft und die
Menschlichkeit kämpften; wir begrüßen diese französische Philosophie, die sich
dem Kult der Freiheit und des Fortschritts widmete und uns die geistige
Herrschaft über Europa in einem Maße sicherte, wie es Napoleons Waffen¬
gewalt nie vermocht hatte." Dieses ein wenig schiefe Urteil rücken die Leser
schon selbst zurecht.

Bekanntlich war der Kampf der Philosophen zunächst hauptsächlich gegen
die Jesuiten gerichtet. Sie fanden Bundesgenossen an den Jcmsenisten, die
zwar die Ketzerei und den Atheismus, noch mehr aber ihre Konkurrenten in
der Frömmigkeit haßten, wie denn auch die Philosophen diese Bundes¬
genossen willkommen hießen, obwohl sie ihnen widerwärtiger waren als die
Jesuiten, deren „leben und leben lassen" ihnen weit besser zusagte als der
Rigorismus. Weil die Jesuiten den Absolutismus verteidigten, hielt es die
gebildete Welt mit den von ihnen verfolgten Jansenisten und machte, ohne
sich im mindesten um den religiösen Inhalt des Jansenismus zu kümmern,
aus diesem eine Form der politischen Opposition. Eben dieses trieb den
König in die Arme der Jesuiten und des orthodoxen Klerus. Er sagte
einmal zur Pompadour: „Die hohen Justizbeamten (los Zranäss rodss) und
der Klerus liegen einander bestündig in den Haaren; sie bringen mich durch
ihr Gezänk zur Verzweiflung, aber die hohen Beamten verabscheue ich
geradezu. Der Klerus ist treu und mir ergeben; die andern aber möchten
mich am liebsten unter Kuratel stellen. . . . Nun, solange ich lebe, wird das
Königtum wohl noch halten." Die Pompadour aber ging zu denen über, in
denen der König richtig seine Todfeinde witterte. Sie verschloß sich der Ein¬
sicht nicht, daß ihre Schönheit zu verblühen anfing, und sei es, daß sich ein
bekanntes unhöfliches Sprichwort an ihr bewahrheitete, sei es, daß sie hoffte,
mit Hilfe der Jesuiten ihre Stellung zu sichern, sie schickte sich an, fromm
zu werden. Ihr Beichtvater aber, der Pater de Sacy, erklärte, er könne sie
nicht absolvieren, wenn sie den Hof nicht verließe, und die Patres Pernssecm
und Desmarets erklärten dem König, dessen Beichtväter sie waren, dasselbe.
Alle drei waren Jesuiten. In diesem Falle, meint Desdevises, würde ihnen*
Pascal wohl recht gegeben haben. Die mächtige Maitresse wurde ihre Tod¬
feindin und schloß sich als dritte im Bunde den Philosophen und den Janse¬
nisten an. Überall, urteilt Desdevises, sind sie nur Intrigen zum Opfer


Grenzboten I 1908 73
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0573" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311656"/>
          <fw type="header" place="top"> Kirche und Staat in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2694" prev="#ID_2693"> Schlüsse, die das Herz begehrt oder fordert, darum hat die Philosophie des<lb/>
achtzehnten Jahrhunderts anders ausgesehen als die der Jesuiten und der Puri¬<lb/>
taner. Desdevises charakterisiert die Männer, die 'man teils zu den Enzyklo¬<lb/>
pädisten zu zählen, teils um sie zu gruppieren pflegt, und ihre Tätigkeit im<lb/>
einzelnen. Zusammenfassend schreibt er: &#x201E;So kritisch auch die Revolution uns<lb/>
gemacht hat, können wir doch diesem goldnen Zeitalter der modernen Welt<lb/>
&gt;wir Deutschen denken bei diesem Ausdruck nicht an Paris, sondern an Weimar<lb/>
und Königsbergs unsre tiefe Sympathie nicht versagen; wir bewundern den<lb/>
schönen Schwung dieser tapfern Männer, die für die Wissenschaft und die<lb/>
Menschlichkeit kämpften; wir begrüßen diese französische Philosophie, die sich<lb/>
dem Kult der Freiheit und des Fortschritts widmete und uns die geistige<lb/>
Herrschaft über Europa in einem Maße sicherte, wie es Napoleons Waffen¬<lb/>
gewalt nie vermocht hatte." Dieses ein wenig schiefe Urteil rücken die Leser<lb/>
schon selbst zurecht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2695" next="#ID_2696"> Bekanntlich war der Kampf der Philosophen zunächst hauptsächlich gegen<lb/>
die Jesuiten gerichtet. Sie fanden Bundesgenossen an den Jcmsenisten, die<lb/>
zwar die Ketzerei und den Atheismus, noch mehr aber ihre Konkurrenten in<lb/>
der Frömmigkeit haßten, wie denn auch die Philosophen diese Bundes¬<lb/>
genossen willkommen hießen, obwohl sie ihnen widerwärtiger waren als die<lb/>
Jesuiten, deren &#x201E;leben und leben lassen" ihnen weit besser zusagte als der<lb/>
Rigorismus. Weil die Jesuiten den Absolutismus verteidigten, hielt es die<lb/>
gebildete Welt mit den von ihnen verfolgten Jansenisten und machte, ohne<lb/>
sich im mindesten um den religiösen Inhalt des Jansenismus zu kümmern,<lb/>
aus diesem eine Form der politischen Opposition. Eben dieses trieb den<lb/>
König in die Arme der Jesuiten und des orthodoxen Klerus. Er sagte<lb/>
einmal zur Pompadour: &#x201E;Die hohen Justizbeamten (los Zranäss rodss) und<lb/>
der Klerus liegen einander bestündig in den Haaren; sie bringen mich durch<lb/>
ihr Gezänk zur Verzweiflung, aber die hohen Beamten verabscheue ich<lb/>
geradezu. Der Klerus ist treu und mir ergeben; die andern aber möchten<lb/>
mich am liebsten unter Kuratel stellen. . . . Nun, solange ich lebe, wird das<lb/>
Königtum wohl noch halten." Die Pompadour aber ging zu denen über, in<lb/>
denen der König richtig seine Todfeinde witterte. Sie verschloß sich der Ein¬<lb/>
sicht nicht, daß ihre Schönheit zu verblühen anfing, und sei es, daß sich ein<lb/>
bekanntes unhöfliches Sprichwort an ihr bewahrheitete, sei es, daß sie hoffte,<lb/>
mit Hilfe der Jesuiten ihre Stellung zu sichern, sie schickte sich an, fromm<lb/>
zu werden. Ihr Beichtvater aber, der Pater de Sacy, erklärte, er könne sie<lb/>
nicht absolvieren, wenn sie den Hof nicht verließe, und die Patres Pernssecm<lb/>
und Desmarets erklärten dem König, dessen Beichtväter sie waren, dasselbe.<lb/>
Alle drei waren Jesuiten. In diesem Falle, meint Desdevises, würde ihnen*<lb/>
Pascal wohl recht gegeben haben. Die mächtige Maitresse wurde ihre Tod¬<lb/>
feindin und schloß sich als dritte im Bunde den Philosophen und den Janse¬<lb/>
nisten an.  Überall, urteilt Desdevises, sind sie nur Intrigen zum Opfer</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1908 73</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0573] Kirche und Staat in Frankreich Schlüsse, die das Herz begehrt oder fordert, darum hat die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts anders ausgesehen als die der Jesuiten und der Puri¬ taner. Desdevises charakterisiert die Männer, die 'man teils zu den Enzyklo¬ pädisten zu zählen, teils um sie zu gruppieren pflegt, und ihre Tätigkeit im einzelnen. Zusammenfassend schreibt er: „So kritisch auch die Revolution uns gemacht hat, können wir doch diesem goldnen Zeitalter der modernen Welt >wir Deutschen denken bei diesem Ausdruck nicht an Paris, sondern an Weimar und Königsbergs unsre tiefe Sympathie nicht versagen; wir bewundern den schönen Schwung dieser tapfern Männer, die für die Wissenschaft und die Menschlichkeit kämpften; wir begrüßen diese französische Philosophie, die sich dem Kult der Freiheit und des Fortschritts widmete und uns die geistige Herrschaft über Europa in einem Maße sicherte, wie es Napoleons Waffen¬ gewalt nie vermocht hatte." Dieses ein wenig schiefe Urteil rücken die Leser schon selbst zurecht. Bekanntlich war der Kampf der Philosophen zunächst hauptsächlich gegen die Jesuiten gerichtet. Sie fanden Bundesgenossen an den Jcmsenisten, die zwar die Ketzerei und den Atheismus, noch mehr aber ihre Konkurrenten in der Frömmigkeit haßten, wie denn auch die Philosophen diese Bundes¬ genossen willkommen hießen, obwohl sie ihnen widerwärtiger waren als die Jesuiten, deren „leben und leben lassen" ihnen weit besser zusagte als der Rigorismus. Weil die Jesuiten den Absolutismus verteidigten, hielt es die gebildete Welt mit den von ihnen verfolgten Jansenisten und machte, ohne sich im mindesten um den religiösen Inhalt des Jansenismus zu kümmern, aus diesem eine Form der politischen Opposition. Eben dieses trieb den König in die Arme der Jesuiten und des orthodoxen Klerus. Er sagte einmal zur Pompadour: „Die hohen Justizbeamten (los Zranäss rodss) und der Klerus liegen einander bestündig in den Haaren; sie bringen mich durch ihr Gezänk zur Verzweiflung, aber die hohen Beamten verabscheue ich geradezu. Der Klerus ist treu und mir ergeben; die andern aber möchten mich am liebsten unter Kuratel stellen. . . . Nun, solange ich lebe, wird das Königtum wohl noch halten." Die Pompadour aber ging zu denen über, in denen der König richtig seine Todfeinde witterte. Sie verschloß sich der Ein¬ sicht nicht, daß ihre Schönheit zu verblühen anfing, und sei es, daß sich ein bekanntes unhöfliches Sprichwort an ihr bewahrheitete, sei es, daß sie hoffte, mit Hilfe der Jesuiten ihre Stellung zu sichern, sie schickte sich an, fromm zu werden. Ihr Beichtvater aber, der Pater de Sacy, erklärte, er könne sie nicht absolvieren, wenn sie den Hof nicht verließe, und die Patres Pernssecm und Desmarets erklärten dem König, dessen Beichtväter sie waren, dasselbe. Alle drei waren Jesuiten. In diesem Falle, meint Desdevises, würde ihnen* Pascal wohl recht gegeben haben. Die mächtige Maitresse wurde ihre Tod¬ feindin und schloß sich als dritte im Bunde den Philosophen und den Janse¬ nisten an. Überall, urteilt Desdevises, sind sie nur Intrigen zum Opfer Grenzboten I 1908 73

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/573
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/573>, abgerufen am 23.07.2024.