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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Nie Frühlingstage der Romantik in Jena

besser als Fragmente. "Er war ein Mensch, der unaufhörlich seine innern
Reichtümer in allerlei Ungestalten von sich gab und doch einen ans der Treppe
Verlornen Gedanken mit unsäglichem Kummer wie eine Stecknadel suchte." Etwas,
das an Nietzsche erinnert, kehrt er bisweilen in seinem ganzen Wesen hervor.
In seinen jugendlichen Schriften braust es vor lauter Jugendlust und Kampfes¬
mut; "sie streben*) dem Unendlichen zu und haben einen weiten, freien, vom
Staube der Vorurteile reinen Blick; sie wollen Liebe, Freundschaft, Ehe, Bildung
und Dichtung, Religion und Philosophie veredeln, alles Tiefe und Große im
Leben miteinander verbinden und aus dieser Vereinigung ein neues, wunderbar
erhöhtes Leben schaffen; sie rütteln den Menschen ans, indem sie in Witz und
Zorn, in Ironie und Leidenschaft diesem stolzen und hohen Sehnen die Götzen
und die Moral der Mode, die ganze Beschränktheit der Gegenwart gegenüber¬
stellen." "Du bist der Opferpriester von Eleusis gewesen, konnte Novalis zu
Friedrich Schlegel sagen, ich habe durch dich Himmel und Erde kennen gelernt."

Gern möchte man wissen, wieviel von solchem Enthusiasmus hinttber-
strömte in die Herzen der studentischen Jugend. Und davon gibt einer Zeugnis,
der damals Jenenser Bursche war, Johann Georg Rist. Er schreibt: "Es war
ein Drängen und Treiben wie im Frühling; eine Ahnung geistiger Übermacht,
auch wohl deutscher Vorzüglichkeit fing an sich zu regen. Es war, als ge¬
wonnen die bleichen Gestalten der Vorzeit, die man vermessen so oft herauf¬
beschworen, um sie nach herkömmlicher Vorzeigung wieder abtreten zu lassen,
frische Farbe, als dränge Mark in ihre Glieder. . . . Wann wird man so edle,
reine Begeisterung wiedersehen wie damals in den Herzen der unverderbten
Jünglinge, die aus Träumen zu erwachen glaubten und Lichterscheinungen vor
sich zu sehen, deren Glanz sie mit dem eignen besten Blut zu nähren sich
sehnten! ... Es trat eine jugendliche, poetisch-ästhetische Begeisterung in die
von Gegensätzen bereits aufgewühlte Zeit; sie wirkte hier und da versöhnend,
rettend, oft irreleitend, nicht selten empfängliche, doch beschränkte Naturen von
Grund ans zerrüttend. An der Stirn trug sie die Lehre, alles Schotte sei
gut und gut nur das Schöne; in ihrem Kern ein vornehmes Selbstbewußtsein
der Gottühnlichkeit, dem Hochmut nahe verwandt."

Die Romantiker saßen in der Jenenser Gesellschaft wie eine Sezession. Und
diese erhielt das Absonderliche in der Form nicht zum mindesten durch die Teil¬
nahme der Frauen. Ein belebender Luftzug, der überall kleine Flammen auf¬
schlagen ließ, kam mit ihnen hinein. Ihr körperlicher Liebreiz machte nun das
Beisammensein nicht zu galanten Festen; sie waren von starkem Geist, und für
sie hatte Schleiermacher in seinem Katechismus edler Frauen das zehnte Gebot
geschrieben: "Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und
Ehre!" Auch hier lag etwas kulturhistorisch Neues.

Man konnte den Kreis der Romantiker, solange er in Jena weilte, auch
den Kreis um Karoline nennen -- so hielt mit geschmeidigen Händen diese endige



F. von der Leuen, Friedrich Schlegel, Fragmente.
Nie Frühlingstage der Romantik in Jena

besser als Fragmente. „Er war ein Mensch, der unaufhörlich seine innern
Reichtümer in allerlei Ungestalten von sich gab und doch einen ans der Treppe
Verlornen Gedanken mit unsäglichem Kummer wie eine Stecknadel suchte." Etwas,
das an Nietzsche erinnert, kehrt er bisweilen in seinem ganzen Wesen hervor.
In seinen jugendlichen Schriften braust es vor lauter Jugendlust und Kampfes¬
mut; „sie streben*) dem Unendlichen zu und haben einen weiten, freien, vom
Staube der Vorurteile reinen Blick; sie wollen Liebe, Freundschaft, Ehe, Bildung
und Dichtung, Religion und Philosophie veredeln, alles Tiefe und Große im
Leben miteinander verbinden und aus dieser Vereinigung ein neues, wunderbar
erhöhtes Leben schaffen; sie rütteln den Menschen ans, indem sie in Witz und
Zorn, in Ironie und Leidenschaft diesem stolzen und hohen Sehnen die Götzen
und die Moral der Mode, die ganze Beschränktheit der Gegenwart gegenüber¬
stellen." „Du bist der Opferpriester von Eleusis gewesen, konnte Novalis zu
Friedrich Schlegel sagen, ich habe durch dich Himmel und Erde kennen gelernt."

Gern möchte man wissen, wieviel von solchem Enthusiasmus hinttber-
strömte in die Herzen der studentischen Jugend. Und davon gibt einer Zeugnis,
der damals Jenenser Bursche war, Johann Georg Rist. Er schreibt: „Es war
ein Drängen und Treiben wie im Frühling; eine Ahnung geistiger Übermacht,
auch wohl deutscher Vorzüglichkeit fing an sich zu regen. Es war, als ge¬
wonnen die bleichen Gestalten der Vorzeit, die man vermessen so oft herauf¬
beschworen, um sie nach herkömmlicher Vorzeigung wieder abtreten zu lassen,
frische Farbe, als dränge Mark in ihre Glieder. . . . Wann wird man so edle,
reine Begeisterung wiedersehen wie damals in den Herzen der unverderbten
Jünglinge, die aus Träumen zu erwachen glaubten und Lichterscheinungen vor
sich zu sehen, deren Glanz sie mit dem eignen besten Blut zu nähren sich
sehnten! ... Es trat eine jugendliche, poetisch-ästhetische Begeisterung in die
von Gegensätzen bereits aufgewühlte Zeit; sie wirkte hier und da versöhnend,
rettend, oft irreleitend, nicht selten empfängliche, doch beschränkte Naturen von
Grund ans zerrüttend. An der Stirn trug sie die Lehre, alles Schotte sei
gut und gut nur das Schöne; in ihrem Kern ein vornehmes Selbstbewußtsein
der Gottühnlichkeit, dem Hochmut nahe verwandt."

Die Romantiker saßen in der Jenenser Gesellschaft wie eine Sezession. Und
diese erhielt das Absonderliche in der Form nicht zum mindesten durch die Teil¬
nahme der Frauen. Ein belebender Luftzug, der überall kleine Flammen auf¬
schlagen ließ, kam mit ihnen hinein. Ihr körperlicher Liebreiz machte nun das
Beisammensein nicht zu galanten Festen; sie waren von starkem Geist, und für
sie hatte Schleiermacher in seinem Katechismus edler Frauen das zehnte Gebot
geschrieben: „Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und
Ehre!" Auch hier lag etwas kulturhistorisch Neues.

Man konnte den Kreis der Romantiker, solange er in Jena weilte, auch
den Kreis um Karoline nennen — so hielt mit geschmeidigen Händen diese endige



F. von der Leuen, Friedrich Schlegel, Fragmente.
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[0532] Nie Frühlingstage der Romantik in Jena besser als Fragmente. „Er war ein Mensch, der unaufhörlich seine innern Reichtümer in allerlei Ungestalten von sich gab und doch einen ans der Treppe Verlornen Gedanken mit unsäglichem Kummer wie eine Stecknadel suchte." Etwas, das an Nietzsche erinnert, kehrt er bisweilen in seinem ganzen Wesen hervor. In seinen jugendlichen Schriften braust es vor lauter Jugendlust und Kampfes¬ mut; „sie streben*) dem Unendlichen zu und haben einen weiten, freien, vom Staube der Vorurteile reinen Blick; sie wollen Liebe, Freundschaft, Ehe, Bildung und Dichtung, Religion und Philosophie veredeln, alles Tiefe und Große im Leben miteinander verbinden und aus dieser Vereinigung ein neues, wunderbar erhöhtes Leben schaffen; sie rütteln den Menschen ans, indem sie in Witz und Zorn, in Ironie und Leidenschaft diesem stolzen und hohen Sehnen die Götzen und die Moral der Mode, die ganze Beschränktheit der Gegenwart gegenüber¬ stellen." „Du bist der Opferpriester von Eleusis gewesen, konnte Novalis zu Friedrich Schlegel sagen, ich habe durch dich Himmel und Erde kennen gelernt." Gern möchte man wissen, wieviel von solchem Enthusiasmus hinttber- strömte in die Herzen der studentischen Jugend. Und davon gibt einer Zeugnis, der damals Jenenser Bursche war, Johann Georg Rist. Er schreibt: „Es war ein Drängen und Treiben wie im Frühling; eine Ahnung geistiger Übermacht, auch wohl deutscher Vorzüglichkeit fing an sich zu regen. Es war, als ge¬ wonnen die bleichen Gestalten der Vorzeit, die man vermessen so oft herauf¬ beschworen, um sie nach herkömmlicher Vorzeigung wieder abtreten zu lassen, frische Farbe, als dränge Mark in ihre Glieder. . . . Wann wird man so edle, reine Begeisterung wiedersehen wie damals in den Herzen der unverderbten Jünglinge, die aus Träumen zu erwachen glaubten und Lichterscheinungen vor sich zu sehen, deren Glanz sie mit dem eignen besten Blut zu nähren sich sehnten! ... Es trat eine jugendliche, poetisch-ästhetische Begeisterung in die von Gegensätzen bereits aufgewühlte Zeit; sie wirkte hier und da versöhnend, rettend, oft irreleitend, nicht selten empfängliche, doch beschränkte Naturen von Grund ans zerrüttend. An der Stirn trug sie die Lehre, alles Schotte sei gut und gut nur das Schöne; in ihrem Kern ein vornehmes Selbstbewußtsein der Gottühnlichkeit, dem Hochmut nahe verwandt." Die Romantiker saßen in der Jenenser Gesellschaft wie eine Sezession. Und diese erhielt das Absonderliche in der Form nicht zum mindesten durch die Teil¬ nahme der Frauen. Ein belebender Luftzug, der überall kleine Flammen auf¬ schlagen ließ, kam mit ihnen hinein. Ihr körperlicher Liebreiz machte nun das Beisammensein nicht zu galanten Festen; sie waren von starkem Geist, und für sie hatte Schleiermacher in seinem Katechismus edler Frauen das zehnte Gebot geschrieben: „Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und Ehre!" Auch hier lag etwas kulturhistorisch Neues. Man konnte den Kreis der Romantiker, solange er in Jena weilte, auch den Kreis um Karoline nennen — so hielt mit geschmeidigen Händen diese endige F. von der Leuen, Friedrich Schlegel, Fragmente.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/532>, abgerufen am 24.08.2024.