Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Rirche und Staat in Frankreich so soll man auch den künstlichen Schmuck ablegen; es wäre wunderlich und Dieser war es nämlich, der die Damen und die Herren von Port-Royal Rirche und Staat in Frankreich so soll man auch den künstlichen Schmuck ablegen; es wäre wunderlich und Dieser war es nämlich, der die Damen und die Herren von Port-Royal <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311604"/> <fw type="header" place="top"> Rirche und Staat in Frankreich</fw><lb/> <p xml:id="ID_2452" prev="#ID_2451"> so soll man auch den künstlichen Schmuck ablegen; es wäre wunderlich und<lb/> unzeitgemäß, Rosen auf dem Schnee zu suchen. Nur die Sterne dürfen ihr<lb/> ununterbrochnes Vallfest feiern, denn sie sind ewig jung Darüber ist freilich<lb/> die heutige Astronomie andrer Meinung). Man soll also die Vernunft und<lb/> einen guten Spiegel zu Rate ziehen, und wenn man wahrnimmt, daß Frühling<lb/> und Sommer vorüber sind, sich der Vernunft und der Notwendigkeit fügen."<lb/> Ich habe einmal über die Tartüfferie gespottet, mit der heute unter dem<lb/> Beifall unsrer so überaus gottgläubigen und gottliebenden Presse den Jesuiten<lb/> unter anderm daraus ein Verbrechen gemacht wird, daß sie die Absolution bei<lb/> bloßer attritio, d. h. Reue aus Furcht vor der Hölle, spenden. Richelieu hat<lb/> die Lehre, daß zur Lossprechung unbedingt oontritio, d. h. Reue aus reiner,<lb/> uneigennütziger Gottesliebe, erfordert werde, sogar als staatsgefährlich be¬<lb/> handelt. Ludwig der Dreizehnte hatte eine schreckliche Angst vor der Hölle,<lb/> und als er einmal in einem Erbauungsbuche gelesen hatte, daß man ohne<lb/> Contritio nicht selig werden könne, versank er in einen Zustand der Nieder¬<lb/> geschlagenheit, der ihn für Staatsgeschäfte unfähig machte. Richelieu gab ihm<lb/> seinen eignen, für die Diözese Lucon verfaßten Katechismus, in dem die<lb/> Attritio für ausreichend erklärt wird, und ließ den Oratorianergeneral de Condren<lb/> kommen, um ihn wegen des Verfassers jenes Andachtsbuches, des Oratorianers<lb/> Seguenot. zu verhören. Condren schob die Schuld auf Jean de Vergier<lb/> de Hauranne, den Abt von Sinne-Cyran. der die neue Lehre ausgeheckt habe,<lb/> und Richelieu ließ beide, den Seguenot und den Saint-Cyran (so wird er<lb/> gewöhnlich genannt) einsperren, um sie unschädlich zu machen. Der Mann ist<lb/> gefährlicher als sechs Armeekorps, sagte er von Saint-Cyran.</p><lb/> <p xml:id="ID_2453" next="#ID_2454"> Dieser war es nämlich, der die Damen und die Herren von Port-Royal<lb/> zum Jansenismus bekehrt hatte. Man kann dieser Gesellschaft, die von den<lb/> Jesuitenfeinden über Gebühr gefeiert worden ist. das Verdienst nicht abstreiten,<lb/> in einer sittenlosen Zeit auf Sittenstrenge und ernste Lebensführung gedrungen<lb/> und eine beträchtliche Anzahl junger Leute in ihrem Geiste erzogen zu haben.<lb/> Jedoch abgesehen von ihren unannehmbaren Dogmen haben sie ihr Verdienst<lb/> durch die Förderung der Bigotterie, des Fanatismus und der Schwärmerei<lb/> verdunkelt. Das eine berühmte Dornwunder (eine Nichte Pascals litt an<lb/> einem Augengeschwür, dessen plötzliche Entleerung dem in der Kirche von Port-<lb/> Royal zur Verehrung ausgestellten vermeintlichen Dorn aus der Dornenkrone<lb/> Jesu zugeschrieben wurde) wirkte ansteckend: überall geschahen Wunder, gerieten<lb/> Nonnen in Ekstasen. Schließlich mischt sich immer der Teufel unter solche<lb/> exaltierte Gesellschaften. In Loudun wurde das ganze Ursulinermnenkloster<lb/> verrückt; besessen, sagte man damals. Die zahlreichen Feinde des dortigen<lb/> Pfarrers Gautier. eines hochbegabten und hochfahrenden Mannes, nahmen<lb/> die Gelegenheit wahr und beschuldigten ihn. die Mädel behext zu haben; nach<lb/> einen, langen Prozeß und schauderhaften Folterungen wurde der Verhaßte<lb/> verbrannt.' (Der Prozeß, ein Nonplusultra von Dummheit. Niedertracht,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0523]
Rirche und Staat in Frankreich
so soll man auch den künstlichen Schmuck ablegen; es wäre wunderlich und
unzeitgemäß, Rosen auf dem Schnee zu suchen. Nur die Sterne dürfen ihr
ununterbrochnes Vallfest feiern, denn sie sind ewig jung Darüber ist freilich
die heutige Astronomie andrer Meinung). Man soll also die Vernunft und
einen guten Spiegel zu Rate ziehen, und wenn man wahrnimmt, daß Frühling
und Sommer vorüber sind, sich der Vernunft und der Notwendigkeit fügen."
Ich habe einmal über die Tartüfferie gespottet, mit der heute unter dem
Beifall unsrer so überaus gottgläubigen und gottliebenden Presse den Jesuiten
unter anderm daraus ein Verbrechen gemacht wird, daß sie die Absolution bei
bloßer attritio, d. h. Reue aus Furcht vor der Hölle, spenden. Richelieu hat
die Lehre, daß zur Lossprechung unbedingt oontritio, d. h. Reue aus reiner,
uneigennütziger Gottesliebe, erfordert werde, sogar als staatsgefährlich be¬
handelt. Ludwig der Dreizehnte hatte eine schreckliche Angst vor der Hölle,
und als er einmal in einem Erbauungsbuche gelesen hatte, daß man ohne
Contritio nicht selig werden könne, versank er in einen Zustand der Nieder¬
geschlagenheit, der ihn für Staatsgeschäfte unfähig machte. Richelieu gab ihm
seinen eignen, für die Diözese Lucon verfaßten Katechismus, in dem die
Attritio für ausreichend erklärt wird, und ließ den Oratorianergeneral de Condren
kommen, um ihn wegen des Verfassers jenes Andachtsbuches, des Oratorianers
Seguenot. zu verhören. Condren schob die Schuld auf Jean de Vergier
de Hauranne, den Abt von Sinne-Cyran. der die neue Lehre ausgeheckt habe,
und Richelieu ließ beide, den Seguenot und den Saint-Cyran (so wird er
gewöhnlich genannt) einsperren, um sie unschädlich zu machen. Der Mann ist
gefährlicher als sechs Armeekorps, sagte er von Saint-Cyran.
Dieser war es nämlich, der die Damen und die Herren von Port-Royal
zum Jansenismus bekehrt hatte. Man kann dieser Gesellschaft, die von den
Jesuitenfeinden über Gebühr gefeiert worden ist. das Verdienst nicht abstreiten,
in einer sittenlosen Zeit auf Sittenstrenge und ernste Lebensführung gedrungen
und eine beträchtliche Anzahl junger Leute in ihrem Geiste erzogen zu haben.
Jedoch abgesehen von ihren unannehmbaren Dogmen haben sie ihr Verdienst
durch die Förderung der Bigotterie, des Fanatismus und der Schwärmerei
verdunkelt. Das eine berühmte Dornwunder (eine Nichte Pascals litt an
einem Augengeschwür, dessen plötzliche Entleerung dem in der Kirche von Port-
Royal zur Verehrung ausgestellten vermeintlichen Dorn aus der Dornenkrone
Jesu zugeschrieben wurde) wirkte ansteckend: überall geschahen Wunder, gerieten
Nonnen in Ekstasen. Schließlich mischt sich immer der Teufel unter solche
exaltierte Gesellschaften. In Loudun wurde das ganze Ursulinermnenkloster
verrückt; besessen, sagte man damals. Die zahlreichen Feinde des dortigen
Pfarrers Gautier. eines hochbegabten und hochfahrenden Mannes, nahmen
die Gelegenheit wahr und beschuldigten ihn. die Mädel behext zu haben; nach
einen, langen Prozeß und schauderhaften Folterungen wurde der Verhaßte
verbrannt.' (Der Prozeß, ein Nonplusultra von Dummheit. Niedertracht,
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