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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Kirche und Staat in Frankreich

Grausamkeit und Justizgreueln jeder Art, ist voriges Jahr ausführlich erzählt
worden in dem Buche: Die Tortur, Geschichte der Folter im Kriminalver¬
fahren aller Völker und Zeiten von Franz Helbing.) An dieser Untat war
freilich Port-Royal nicht schuld, sie war zweiundzwanzig Jahre vor dem Dorn¬
wunder verübt worden. (Der Prozeß Grandier hatte 1632 bis 1634 gespielt.)
Es soll mit dem "schließlich" nur angedeutet werden, daß sich mit den der
Gottheit zugeschriebnen Ekstase" regelmäßig Erscheinungen einzustellen Pflegen,
die sehr ungöttlich aussehen, und die darum der Aberglaube auf den Teufel
zurückführt, daß darum auch die in Port-Royal betriebne Mystik allerlei Un¬
heil anrichten mußte. Gegen Ende des Jahrhunderts gab der Molinismus
oder Quietismus der Schwärmerei neue Nahrung. Der in Rom lebende
spanische Priester Molinos hatte ein Erbauungsbüchlein veröffentlicht, das
die Konzentrierung der Seele im innerlichen Gebet und die Ruhe in Gott
empfahl -- nicht viel anders, als es viele andre asketische Autoren auch
taten. Er hatte aber das Unglück, Leser und Leserinnen zu bekommen, die
aus seinen Anleitungen eine Methode machten, seine Lehren übertrieben und
gefährliche Folgerungen daraus zogen: Verwerfung aller äußerlichen Tätigkeit,
Geringschätzung des Kultus, die Einbildung, daß die in Gott ruhende Seele
für das, was ihr Leib tue, nicht mehr verantwortlich sei. Am eifrigsten
wurde das Apvstolat der so sich bildenden neuen Sekte von der Frau de la
Motte Guyon betrieben. Sie wünschte Bossuet zum Beichtvater, dessen klarer
Geist jedoch für Schwärmerei nicht empfänglich war. Er berichtet: "Ich fand,
daß Gott dieser Dame ein solches Übermaß von Gnaden eingoß, daß sie buch¬
stäblich davon zu platzen drohte. Man mußte sie, wenn der Gnadenguß kam,
aufschnüren -- und sie versäumte uicht zu erzählen, daß ihr einmal eine
Herzogin diesen Liebesdienst erwiesen habe -- und sie zu Bett bringen, worauf
sich ihre Verehrerinnen neben sie setzten, um die von ihr ausströmende Gnade
aufzufangen. Ich habe ihr geschrieben, daß ich ihr kraft meiner Autorität
diese Art Gnadcnvermittlung vorläufig, solange sie nicht amtlich geprüft ist,
verbiete." Bossuet verwickelte sich durch seinen Widerstand gegen den Schwindel
in den berühmten Streit mit dem der Mystik zuneigenden Fenelon, einen
Streit, in dem "der Adler von Meaux" die Vernunft und das Recht auf
seiner Seite hatte, der edle Erzbischof von Cambrai dagegen, der die erfolgte
Verurteilung des Molinismus seinen Diözesanen selbst verkündigte, seine
Demut, seine unerschütterliche Gemütsruhe und seine lautere Nächstenliebe be¬
währte. Ein paar Jahrzehnte später, als Frankreich schon ganz frivol ge¬
worden und der Jcmsenismus zu einem bloßen Werkzeuge der politischen
Opposition herabgesunken war, fielen die Weiber auf dem Grabe eines frommen
jnnsenistischen Diakons, Francois de Paris, in Nervenkrämpfe. Die "Kon-
vulsionärinnen" führten die tollsten Komödien auf. Es gab unter ihnen ach
"imtsnses, als s.vo^6U8S8, cis8 imm,nu>,ut<?8, solche, die beständig "Hilfe" und
"Mörder" schrien, noch andre, die sich mit Füßen treten, mit Holzscheiten


Kirche und Staat in Frankreich

Grausamkeit und Justizgreueln jeder Art, ist voriges Jahr ausführlich erzählt
worden in dem Buche: Die Tortur, Geschichte der Folter im Kriminalver¬
fahren aller Völker und Zeiten von Franz Helbing.) An dieser Untat war
freilich Port-Royal nicht schuld, sie war zweiundzwanzig Jahre vor dem Dorn¬
wunder verübt worden. (Der Prozeß Grandier hatte 1632 bis 1634 gespielt.)
Es soll mit dem „schließlich" nur angedeutet werden, daß sich mit den der
Gottheit zugeschriebnen Ekstase« regelmäßig Erscheinungen einzustellen Pflegen,
die sehr ungöttlich aussehen, und die darum der Aberglaube auf den Teufel
zurückführt, daß darum auch die in Port-Royal betriebne Mystik allerlei Un¬
heil anrichten mußte. Gegen Ende des Jahrhunderts gab der Molinismus
oder Quietismus der Schwärmerei neue Nahrung. Der in Rom lebende
spanische Priester Molinos hatte ein Erbauungsbüchlein veröffentlicht, das
die Konzentrierung der Seele im innerlichen Gebet und die Ruhe in Gott
empfahl — nicht viel anders, als es viele andre asketische Autoren auch
taten. Er hatte aber das Unglück, Leser und Leserinnen zu bekommen, die
aus seinen Anleitungen eine Methode machten, seine Lehren übertrieben und
gefährliche Folgerungen daraus zogen: Verwerfung aller äußerlichen Tätigkeit,
Geringschätzung des Kultus, die Einbildung, daß die in Gott ruhende Seele
für das, was ihr Leib tue, nicht mehr verantwortlich sei. Am eifrigsten
wurde das Apvstolat der so sich bildenden neuen Sekte von der Frau de la
Motte Guyon betrieben. Sie wünschte Bossuet zum Beichtvater, dessen klarer
Geist jedoch für Schwärmerei nicht empfänglich war. Er berichtet: „Ich fand,
daß Gott dieser Dame ein solches Übermaß von Gnaden eingoß, daß sie buch¬
stäblich davon zu platzen drohte. Man mußte sie, wenn der Gnadenguß kam,
aufschnüren — und sie versäumte uicht zu erzählen, daß ihr einmal eine
Herzogin diesen Liebesdienst erwiesen habe — und sie zu Bett bringen, worauf
sich ihre Verehrerinnen neben sie setzten, um die von ihr ausströmende Gnade
aufzufangen. Ich habe ihr geschrieben, daß ich ihr kraft meiner Autorität
diese Art Gnadcnvermittlung vorläufig, solange sie nicht amtlich geprüft ist,
verbiete." Bossuet verwickelte sich durch seinen Widerstand gegen den Schwindel
in den berühmten Streit mit dem der Mystik zuneigenden Fenelon, einen
Streit, in dem „der Adler von Meaux" die Vernunft und das Recht auf
seiner Seite hatte, der edle Erzbischof von Cambrai dagegen, der die erfolgte
Verurteilung des Molinismus seinen Diözesanen selbst verkündigte, seine
Demut, seine unerschütterliche Gemütsruhe und seine lautere Nächstenliebe be¬
währte. Ein paar Jahrzehnte später, als Frankreich schon ganz frivol ge¬
worden und der Jcmsenismus zu einem bloßen Werkzeuge der politischen
Opposition herabgesunken war, fielen die Weiber auf dem Grabe eines frommen
jnnsenistischen Diakons, Francois de Paris, in Nervenkrämpfe. Die „Kon-
vulsionärinnen" führten die tollsten Komödien auf. Es gab unter ihnen ach
»imtsnses, als s.vo^6U8S8, cis8 imm,nu>,ut<?8, solche, die beständig „Hilfe" und
„Mörder" schrien, noch andre, die sich mit Füßen treten, mit Holzscheiten


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[0524] Kirche und Staat in Frankreich Grausamkeit und Justizgreueln jeder Art, ist voriges Jahr ausführlich erzählt worden in dem Buche: Die Tortur, Geschichte der Folter im Kriminalver¬ fahren aller Völker und Zeiten von Franz Helbing.) An dieser Untat war freilich Port-Royal nicht schuld, sie war zweiundzwanzig Jahre vor dem Dorn¬ wunder verübt worden. (Der Prozeß Grandier hatte 1632 bis 1634 gespielt.) Es soll mit dem „schließlich" nur angedeutet werden, daß sich mit den der Gottheit zugeschriebnen Ekstase« regelmäßig Erscheinungen einzustellen Pflegen, die sehr ungöttlich aussehen, und die darum der Aberglaube auf den Teufel zurückführt, daß darum auch die in Port-Royal betriebne Mystik allerlei Un¬ heil anrichten mußte. Gegen Ende des Jahrhunderts gab der Molinismus oder Quietismus der Schwärmerei neue Nahrung. Der in Rom lebende spanische Priester Molinos hatte ein Erbauungsbüchlein veröffentlicht, das die Konzentrierung der Seele im innerlichen Gebet und die Ruhe in Gott empfahl — nicht viel anders, als es viele andre asketische Autoren auch taten. Er hatte aber das Unglück, Leser und Leserinnen zu bekommen, die aus seinen Anleitungen eine Methode machten, seine Lehren übertrieben und gefährliche Folgerungen daraus zogen: Verwerfung aller äußerlichen Tätigkeit, Geringschätzung des Kultus, die Einbildung, daß die in Gott ruhende Seele für das, was ihr Leib tue, nicht mehr verantwortlich sei. Am eifrigsten wurde das Apvstolat der so sich bildenden neuen Sekte von der Frau de la Motte Guyon betrieben. Sie wünschte Bossuet zum Beichtvater, dessen klarer Geist jedoch für Schwärmerei nicht empfänglich war. Er berichtet: „Ich fand, daß Gott dieser Dame ein solches Übermaß von Gnaden eingoß, daß sie buch¬ stäblich davon zu platzen drohte. Man mußte sie, wenn der Gnadenguß kam, aufschnüren — und sie versäumte uicht zu erzählen, daß ihr einmal eine Herzogin diesen Liebesdienst erwiesen habe — und sie zu Bett bringen, worauf sich ihre Verehrerinnen neben sie setzten, um die von ihr ausströmende Gnade aufzufangen. Ich habe ihr geschrieben, daß ich ihr kraft meiner Autorität diese Art Gnadcnvermittlung vorläufig, solange sie nicht amtlich geprüft ist, verbiete." Bossuet verwickelte sich durch seinen Widerstand gegen den Schwindel in den berühmten Streit mit dem der Mystik zuneigenden Fenelon, einen Streit, in dem „der Adler von Meaux" die Vernunft und das Recht auf seiner Seite hatte, der edle Erzbischof von Cambrai dagegen, der die erfolgte Verurteilung des Molinismus seinen Diözesanen selbst verkündigte, seine Demut, seine unerschütterliche Gemütsruhe und seine lautere Nächstenliebe be¬ währte. Ein paar Jahrzehnte später, als Frankreich schon ganz frivol ge¬ worden und der Jcmsenismus zu einem bloßen Werkzeuge der politischen Opposition herabgesunken war, fielen die Weiber auf dem Grabe eines frommen jnnsenistischen Diakons, Francois de Paris, in Nervenkrämpfe. Die „Kon- vulsionärinnen" führten die tollsten Komödien auf. Es gab unter ihnen ach »imtsnses, als s.vo^6U8S8, cis8 imm,nu>,ut<?8, solche, die beständig „Hilfe" und „Mörder" schrien, noch andre, die sich mit Füßen treten, mit Holzscheiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/524>, abgerufen am 24.08.2024.