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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Airche und Staat in Frankreich

Königs mit der spanischen Anna, die Hugenotten durch die Besorgnis vor der
Inquisition zu offner Empörung zu entflammen, und als dann Richelieu die
Zügel ergriffen hatte, nahm er zur Richtschnur des Handelns seine Überzeugung,
daß, solange die Hugenotten die ihnen eingeräumte Machtstellung behaupteten,
der König weder im Innern Herr sein noch an ein ruhmvolles auswärtiges
Unternehmen denken könne. Die übrigen Punkte des Vertrags hat er loyal
beobachtet. Nach der Einnahme von La Rochelle hielt er an die versammelten
protestantischen Pastoren eine Ansprache, in der er versicherte, jetzt, nachdem
sie sich unterworfen hätten, werde ihnen der König beweisen, daß er zwischen
ihnen und seinen katholischen Untertanen keinen Unterschied mache; er selbst,
der Kardinal, werde sich glücklich schätzen, wenn er Gelegenheit finde, ihnen
zu nützen; wie er aus pflichtgemäßer Nächstenliebe ihr Seelenheil wünsche, so
sei sein Streben auch auf ihre zeitliche Erhaltung gerichtet. Desdevises preist
Richelieu als einen Mann von reinem Charakter und als den größten Staats¬
mann, den Frankreich besessen habe; ihm verdanke es seine Größe; er meint,
dieser eine Mann und seine Hugenottenpolitik beweise schon zur Genüge, daß
die Historiker irrten, die dem protestantischen Geiste unbedingte Überlegenheit
über den katholischen zuschrieben.

Das Endergebnis der Religionskriege war nach Desdevises: Frankreich
ist damals in der überwiegenden Mehrheit seiner Bevölkerung katholisch ge¬
wesen und wollte katholisch bleiben. Es war, meint er, gewiß nicht die da¬
malige Gestalt der katholischen Kirche Frankreichs, was diesen Willen erzeugte;
diese Kirche befand sich in einem solchen Zustande der Zerrüttung, daß sie
niemand imponieren und kaum irgendwelche Anziehungskraft ausüben konnte.
Nur noch durch die Erinnerung an das, was sie früher einmal gewesen war,
hatte sie Macht über die Gemüter. Aber unter Ludwig dem Dreizehnter haben
die Franzosen begonnen, ihre verfallne Kirche wiederherzustellen, "sie haben
auf dieses Unternehmen mehr Geist, Kraft und Tugend verwandt, als sie in
den vierzig Jahren des Bürgerkrieges verschwendet hatten, und haben damit
eines der schönsten Blätter ihrer Geschichte gefüllt. Und wenn dieses Blatt auch,
gleich jedem Menschenwerk, Mängel aufweist, so gibt es doch, alles in allem
genommen, kein andres, das unsrer Nation in höherm Grade zur Ehre ge¬
reichte." Die Mängel wurden, wie an mehreren Stellen gezeigt wird, haupt¬
sächlich vom Staate verschuldet und dadurch verursacht, daß der Hof die ein¬
träglichen Benefizien an seine Günstlinge verlieh und dutzendweise auf einzelne
Personen kumulierte. Die kirchliche Restauration aber umfaßte außer dem
Bereich der Religion im engern Sinne den der Intelligenz und den der
Charitas. Die Leistungen auf dem zuletzt genannten Gebiete sind die schönsten
und ruhmvollsten gewesen. Eine Armee war, nach Desdevises, darin tütig.
Er charakterisiert nur die berühmtesten der Anführer: den Bischof Franz von Sales,
seine Gehilfin, die Baronin Chantal, die unter anderm einen mit Eiterbeulen
bedeckten Bettler in ihr Haus aufnahm, reinigte und bis zum Tode pflegte,


Airche und Staat in Frankreich

Königs mit der spanischen Anna, die Hugenotten durch die Besorgnis vor der
Inquisition zu offner Empörung zu entflammen, und als dann Richelieu die
Zügel ergriffen hatte, nahm er zur Richtschnur des Handelns seine Überzeugung,
daß, solange die Hugenotten die ihnen eingeräumte Machtstellung behaupteten,
der König weder im Innern Herr sein noch an ein ruhmvolles auswärtiges
Unternehmen denken könne. Die übrigen Punkte des Vertrags hat er loyal
beobachtet. Nach der Einnahme von La Rochelle hielt er an die versammelten
protestantischen Pastoren eine Ansprache, in der er versicherte, jetzt, nachdem
sie sich unterworfen hätten, werde ihnen der König beweisen, daß er zwischen
ihnen und seinen katholischen Untertanen keinen Unterschied mache; er selbst,
der Kardinal, werde sich glücklich schätzen, wenn er Gelegenheit finde, ihnen
zu nützen; wie er aus pflichtgemäßer Nächstenliebe ihr Seelenheil wünsche, so
sei sein Streben auch auf ihre zeitliche Erhaltung gerichtet. Desdevises preist
Richelieu als einen Mann von reinem Charakter und als den größten Staats¬
mann, den Frankreich besessen habe; ihm verdanke es seine Größe; er meint,
dieser eine Mann und seine Hugenottenpolitik beweise schon zur Genüge, daß
die Historiker irrten, die dem protestantischen Geiste unbedingte Überlegenheit
über den katholischen zuschrieben.

Das Endergebnis der Religionskriege war nach Desdevises: Frankreich
ist damals in der überwiegenden Mehrheit seiner Bevölkerung katholisch ge¬
wesen und wollte katholisch bleiben. Es war, meint er, gewiß nicht die da¬
malige Gestalt der katholischen Kirche Frankreichs, was diesen Willen erzeugte;
diese Kirche befand sich in einem solchen Zustande der Zerrüttung, daß sie
niemand imponieren und kaum irgendwelche Anziehungskraft ausüben konnte.
Nur noch durch die Erinnerung an das, was sie früher einmal gewesen war,
hatte sie Macht über die Gemüter. Aber unter Ludwig dem Dreizehnter haben
die Franzosen begonnen, ihre verfallne Kirche wiederherzustellen, „sie haben
auf dieses Unternehmen mehr Geist, Kraft und Tugend verwandt, als sie in
den vierzig Jahren des Bürgerkrieges verschwendet hatten, und haben damit
eines der schönsten Blätter ihrer Geschichte gefüllt. Und wenn dieses Blatt auch,
gleich jedem Menschenwerk, Mängel aufweist, so gibt es doch, alles in allem
genommen, kein andres, das unsrer Nation in höherm Grade zur Ehre ge¬
reichte." Die Mängel wurden, wie an mehreren Stellen gezeigt wird, haupt¬
sächlich vom Staate verschuldet und dadurch verursacht, daß der Hof die ein¬
träglichen Benefizien an seine Günstlinge verlieh und dutzendweise auf einzelne
Personen kumulierte. Die kirchliche Restauration aber umfaßte außer dem
Bereich der Religion im engern Sinne den der Intelligenz und den der
Charitas. Die Leistungen auf dem zuletzt genannten Gebiete sind die schönsten
und ruhmvollsten gewesen. Eine Armee war, nach Desdevises, darin tütig.
Er charakterisiert nur die berühmtesten der Anführer: den Bischof Franz von Sales,
seine Gehilfin, die Baronin Chantal, die unter anderm einen mit Eiterbeulen
bedeckten Bettler in ihr Haus aufnahm, reinigte und bis zum Tode pflegte,


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[0518] Airche und Staat in Frankreich Königs mit der spanischen Anna, die Hugenotten durch die Besorgnis vor der Inquisition zu offner Empörung zu entflammen, und als dann Richelieu die Zügel ergriffen hatte, nahm er zur Richtschnur des Handelns seine Überzeugung, daß, solange die Hugenotten die ihnen eingeräumte Machtstellung behaupteten, der König weder im Innern Herr sein noch an ein ruhmvolles auswärtiges Unternehmen denken könne. Die übrigen Punkte des Vertrags hat er loyal beobachtet. Nach der Einnahme von La Rochelle hielt er an die versammelten protestantischen Pastoren eine Ansprache, in der er versicherte, jetzt, nachdem sie sich unterworfen hätten, werde ihnen der König beweisen, daß er zwischen ihnen und seinen katholischen Untertanen keinen Unterschied mache; er selbst, der Kardinal, werde sich glücklich schätzen, wenn er Gelegenheit finde, ihnen zu nützen; wie er aus pflichtgemäßer Nächstenliebe ihr Seelenheil wünsche, so sei sein Streben auch auf ihre zeitliche Erhaltung gerichtet. Desdevises preist Richelieu als einen Mann von reinem Charakter und als den größten Staats¬ mann, den Frankreich besessen habe; ihm verdanke es seine Größe; er meint, dieser eine Mann und seine Hugenottenpolitik beweise schon zur Genüge, daß die Historiker irrten, die dem protestantischen Geiste unbedingte Überlegenheit über den katholischen zuschrieben. Das Endergebnis der Religionskriege war nach Desdevises: Frankreich ist damals in der überwiegenden Mehrheit seiner Bevölkerung katholisch ge¬ wesen und wollte katholisch bleiben. Es war, meint er, gewiß nicht die da¬ malige Gestalt der katholischen Kirche Frankreichs, was diesen Willen erzeugte; diese Kirche befand sich in einem solchen Zustande der Zerrüttung, daß sie niemand imponieren und kaum irgendwelche Anziehungskraft ausüben konnte. Nur noch durch die Erinnerung an das, was sie früher einmal gewesen war, hatte sie Macht über die Gemüter. Aber unter Ludwig dem Dreizehnter haben die Franzosen begonnen, ihre verfallne Kirche wiederherzustellen, „sie haben auf dieses Unternehmen mehr Geist, Kraft und Tugend verwandt, als sie in den vierzig Jahren des Bürgerkrieges verschwendet hatten, und haben damit eines der schönsten Blätter ihrer Geschichte gefüllt. Und wenn dieses Blatt auch, gleich jedem Menschenwerk, Mängel aufweist, so gibt es doch, alles in allem genommen, kein andres, das unsrer Nation in höherm Grade zur Ehre ge¬ reichte." Die Mängel wurden, wie an mehreren Stellen gezeigt wird, haupt¬ sächlich vom Staate verschuldet und dadurch verursacht, daß der Hof die ein¬ träglichen Benefizien an seine Günstlinge verlieh und dutzendweise auf einzelne Personen kumulierte. Die kirchliche Restauration aber umfaßte außer dem Bereich der Religion im engern Sinne den der Intelligenz und den der Charitas. Die Leistungen auf dem zuletzt genannten Gebiete sind die schönsten und ruhmvollsten gewesen. Eine Armee war, nach Desdevises, darin tütig. Er charakterisiert nur die berühmtesten der Anführer: den Bischof Franz von Sales, seine Gehilfin, die Baronin Chantal, die unter anderm einen mit Eiterbeulen bedeckten Bettler in ihr Haus aufnahm, reinigte und bis zum Tode pflegte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/518>, abgerufen am 24.08.2024.