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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Theodor Lindn^rs Mcltgeschichte

jenen beiden Weltmächten weit zurückstanden", den Romanen und Germanen,
Hier aber trat nun alsbald schon in den ersten Stadien jener große Kampf
zwischen Staat und Kirche ein, der dem Orient im wesentlichen fremd geblieben
ist. Zugleich aber tritt ein starker wirtschaftlicher Gegensatz gegen den Orient
zutage. Während in den von den Arabern unterworfnen Gebieten städtische
Kultur und Geldwirtschaft als Erbschaft der antiken Kultur bestehn blieb,
wurden die von den Germanen unterworfnen Länder in agrarisch-naturalwirt¬
schaftliche Zustände zurückgeworfen. Beide Eigentümlichkeiten traten schon in
den frühesten kräftigern Staatsbildungen der Germanen, dem merowingischen
und dem karolingischen Reiche, deutlich zutage; beiden hat Lindners Darstellung
die eingehendste Anfmerksamkeit gewidmet, unter ständigen Vergleichen mit der
orientalischen Kultur, in deren Bereich er dann anch China und Indien ein¬
gehend hineingezogen hat.

Eine besonders eingehende Charakteristik wird bei der Darstellung der
abendländischen Geschichte dem Papsttum gewidmet. Mit Recht betont Lindner
dabei, daß gerade das unglückliche Schicksal Italiens in den Jahrhunderten
nach der Völkerwanderung dein Papsttum zum Heil gereichte, weil es dadurch,
im Gegensatz zu dem Patriarchat von Konstantinopel, von dem Drucke des
Hofes und seiner schwankenden Parteien frei blieb, "So vollzog sich die große
Wandlung des zerfallenden antiken Rom zum nenanfstrebcnden päpstlichen."
(Band 1, S. 404.)

Von diesem Standpunkt ans schildert dann Lindner eingehend die Bildung
des Frankenreichs, Blüte und Verfall des karolingischen Staats unter trefflicher
Hervorhebung der Eigentümlichkeiten des Lehnwesens auf der einen, des welt¬
historischen Bundes Pipins des Jüngern mit dem Papsttum auf der rudern
Seite, durch die der Knoten für die Entwicklung des ganzen Mittelalters ge¬
schürzt wurde. Die Kaiserkrönung Karls des Großen gibt ihm dann wieder
Gelegenheit zu einem sehr charakteristischen Vergleich dieses neubegründeten
occidentalen mit dem byzantinischen Kaiserreich. "Das östliche Kaisertum -- so
sagt er I, 335 -- war älter als die Kirche und von der weltlichen Macht aus¬
gegangen, die sich die Kirche unterordnete, das westliche entstand erst, als das
Papsttum bereits großes Ansehen durch das ganze Abendland erlangt hatte
und zu einer eigenartigen und selbständigen Einrichtung geworden war, als es
sich fühlen durfte als Vertreter einer Kirche, die dem Staate und dem Volke
nicht als ein Teil der Gesamtheit wie in Byzanz, sondern als höhere Macht
galt. In jedem der Kaiserreiche lagen also die Vorbedingungen ganz ver¬
schieden. Mit Karl begann die Verquickung von Weltlichen und Geistlichen,,
von Staat und Kirche, die das Mittelalter kennzeichnet." In den Kämpfen
der Karolinger untereinander aber fing die kirchliche Strömung, die sie be¬
günstigt hatten, an, sich gegen sie zu wenden. Der verhängnisvolle Machtkampf
begann, der die ganze mittelalterliche Kaiserzeit beherrscht und die staatlichen
Bildungen, namentlich die deutsche, so verhängnisvoll beeinflußt hat.


Theodor Lindn^rs Mcltgeschichte

jenen beiden Weltmächten weit zurückstanden", den Romanen und Germanen,
Hier aber trat nun alsbald schon in den ersten Stadien jener große Kampf
zwischen Staat und Kirche ein, der dem Orient im wesentlichen fremd geblieben
ist. Zugleich aber tritt ein starker wirtschaftlicher Gegensatz gegen den Orient
zutage. Während in den von den Arabern unterworfnen Gebieten städtische
Kultur und Geldwirtschaft als Erbschaft der antiken Kultur bestehn blieb,
wurden die von den Germanen unterworfnen Länder in agrarisch-naturalwirt¬
schaftliche Zustände zurückgeworfen. Beide Eigentümlichkeiten traten schon in
den frühesten kräftigern Staatsbildungen der Germanen, dem merowingischen
und dem karolingischen Reiche, deutlich zutage; beiden hat Lindners Darstellung
die eingehendste Anfmerksamkeit gewidmet, unter ständigen Vergleichen mit der
orientalischen Kultur, in deren Bereich er dann anch China und Indien ein¬
gehend hineingezogen hat.

Eine besonders eingehende Charakteristik wird bei der Darstellung der
abendländischen Geschichte dem Papsttum gewidmet. Mit Recht betont Lindner
dabei, daß gerade das unglückliche Schicksal Italiens in den Jahrhunderten
nach der Völkerwanderung dein Papsttum zum Heil gereichte, weil es dadurch,
im Gegensatz zu dem Patriarchat von Konstantinopel, von dem Drucke des
Hofes und seiner schwankenden Parteien frei blieb, „So vollzog sich die große
Wandlung des zerfallenden antiken Rom zum nenanfstrebcnden päpstlichen."
(Band 1, S. 404.)

Von diesem Standpunkt ans schildert dann Lindner eingehend die Bildung
des Frankenreichs, Blüte und Verfall des karolingischen Staats unter trefflicher
Hervorhebung der Eigentümlichkeiten des Lehnwesens auf der einen, des welt¬
historischen Bundes Pipins des Jüngern mit dem Papsttum auf der rudern
Seite, durch die der Knoten für die Entwicklung des ganzen Mittelalters ge¬
schürzt wurde. Die Kaiserkrönung Karls des Großen gibt ihm dann wieder
Gelegenheit zu einem sehr charakteristischen Vergleich dieses neubegründeten
occidentalen mit dem byzantinischen Kaiserreich. „Das östliche Kaisertum — so
sagt er I, 335 — war älter als die Kirche und von der weltlichen Macht aus¬
gegangen, die sich die Kirche unterordnete, das westliche entstand erst, als das
Papsttum bereits großes Ansehen durch das ganze Abendland erlangt hatte
und zu einer eigenartigen und selbständigen Einrichtung geworden war, als es
sich fühlen durfte als Vertreter einer Kirche, die dem Staate und dem Volke
nicht als ein Teil der Gesamtheit wie in Byzanz, sondern als höhere Macht
galt. In jedem der Kaiserreiche lagen also die Vorbedingungen ganz ver¬
schieden. Mit Karl begann die Verquickung von Weltlichen und Geistlichen,,
von Staat und Kirche, die das Mittelalter kennzeichnet." In den Kämpfen
der Karolinger untereinander aber fing die kirchliche Strömung, die sie be¬
günstigt hatten, an, sich gegen sie zu wenden. Der verhängnisvolle Machtkampf
begann, der die ganze mittelalterliche Kaiserzeit beherrscht und die staatlichen
Bildungen, namentlich die deutsche, so verhängnisvoll beeinflußt hat.


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[0471] Theodor Lindn^rs Mcltgeschichte jenen beiden Weltmächten weit zurückstanden", den Romanen und Germanen, Hier aber trat nun alsbald schon in den ersten Stadien jener große Kampf zwischen Staat und Kirche ein, der dem Orient im wesentlichen fremd geblieben ist. Zugleich aber tritt ein starker wirtschaftlicher Gegensatz gegen den Orient zutage. Während in den von den Arabern unterworfnen Gebieten städtische Kultur und Geldwirtschaft als Erbschaft der antiken Kultur bestehn blieb, wurden die von den Germanen unterworfnen Länder in agrarisch-naturalwirt¬ schaftliche Zustände zurückgeworfen. Beide Eigentümlichkeiten traten schon in den frühesten kräftigern Staatsbildungen der Germanen, dem merowingischen und dem karolingischen Reiche, deutlich zutage; beiden hat Lindners Darstellung die eingehendste Anfmerksamkeit gewidmet, unter ständigen Vergleichen mit der orientalischen Kultur, in deren Bereich er dann anch China und Indien ein¬ gehend hineingezogen hat. Eine besonders eingehende Charakteristik wird bei der Darstellung der abendländischen Geschichte dem Papsttum gewidmet. Mit Recht betont Lindner dabei, daß gerade das unglückliche Schicksal Italiens in den Jahrhunderten nach der Völkerwanderung dein Papsttum zum Heil gereichte, weil es dadurch, im Gegensatz zu dem Patriarchat von Konstantinopel, von dem Drucke des Hofes und seiner schwankenden Parteien frei blieb, „So vollzog sich die große Wandlung des zerfallenden antiken Rom zum nenanfstrebcnden päpstlichen." (Band 1, S. 404.) Von diesem Standpunkt ans schildert dann Lindner eingehend die Bildung des Frankenreichs, Blüte und Verfall des karolingischen Staats unter trefflicher Hervorhebung der Eigentümlichkeiten des Lehnwesens auf der einen, des welt¬ historischen Bundes Pipins des Jüngern mit dem Papsttum auf der rudern Seite, durch die der Knoten für die Entwicklung des ganzen Mittelalters ge¬ schürzt wurde. Die Kaiserkrönung Karls des Großen gibt ihm dann wieder Gelegenheit zu einem sehr charakteristischen Vergleich dieses neubegründeten occidentalen mit dem byzantinischen Kaiserreich. „Das östliche Kaisertum — so sagt er I, 335 — war älter als die Kirche und von der weltlichen Macht aus¬ gegangen, die sich die Kirche unterordnete, das westliche entstand erst, als das Papsttum bereits großes Ansehen durch das ganze Abendland erlangt hatte und zu einer eigenartigen und selbständigen Einrichtung geworden war, als es sich fühlen durfte als Vertreter einer Kirche, die dem Staate und dem Volke nicht als ein Teil der Gesamtheit wie in Byzanz, sondern als höhere Macht galt. In jedem der Kaiserreiche lagen also die Vorbedingungen ganz ver¬ schieden. Mit Karl begann die Verquickung von Weltlichen und Geistlichen,, von Staat und Kirche, die das Mittelalter kennzeichnet." In den Kämpfen der Karolinger untereinander aber fing die kirchliche Strömung, die sie be¬ günstigt hatten, an, sich gegen sie zu wenden. Der verhängnisvolle Machtkampf begann, der die ganze mittelalterliche Kaiserzeit beherrscht und die staatlichen Bildungen, namentlich die deutsche, so verhängnisvoll beeinflußt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/471>, abgerufen am 22.07.2024.