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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Theodor Liiidners Weltgeschichte

des geistigen Lebens ausgeübt hat, wirklich aus den reflektierten Bildern zu
versteh", die durch "das bewußte Streben, auf den Bestand des Altertums
zurückzugehn", aus der Zeit des Humanismus und der Renaissance auf uns
gekommen sind? Gerade die glänzende Schilderung von Humanismus und
Renaissance und ihre vorsichtige, übertriebne Schätzungen absichtlich zurück¬
weisende Beurteilung, die Linder im vierten Bande seiner Weltgeschichte entworfen
hat, werden ihn überzeugt haben, daß uns die Renaissance des Altertums
dessen eigne genaue Kenntnis nicht entbehrlich macht, daß diese vielmehr ein
notwendiges Element auch für das Verständnis der Zeit nach der Völker¬
wanderung ist. Ich halte deshalb trotz aller großen Vorzüge, die ich dieser
aus einem Guß entworfnen und in einem Gusse durchgeführten Darstellung
der weltgeschichtlichen Entwicklung warm und freudig zugestehe, ihre Ergänzung
nach rückwärts für unbedingt notwendig und freue mich, daß dem Vernehmen
nach eine solche auch von dein Verfasser beabsichtigt wird, sobald das jetzige
Werk in vier weitern Bänden seinen Abschluß erreicht haben wird.

Die jetzt schon fast anderthalb Jahrtausende der Entwicklung der Mensch¬
heit umfassende Darstellung selbst aber verdient, auch wenn man mit der
Auffassung des Verfassers nicht überall einverstanden ist, uneingeschränktes Lob
wegen der umfassenden Weite des universalen Überblicks, wegen des besonnenen
und umsichtigen Urteils über Wert und Bedeutuug der verschiedenartigen Kulturen
der in der allgemeinen Geschichte auftretenden und wirkenden Völker, bei deren
Schilderung namentlich die unbefangne Schätzung und Wertung der orientalischen
Kultur gegenüber der europäischen rühmend hervorgehoben werden muß, wie
endlich wegen der Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Schilderung, die nur
aus inniger Vertrautheit mit dein gewaltigen Stoffe erwachsen konnten.

Auf diesen ungeheuern, in fünf starken Bänden verarbeiteten Stoff in
seinen Einzelheiten einzugehn oder gar in solchen abweichende Meinungen vor¬
zutragen, kann uicht Aufgabe dieser Besprechung sein, die sich vielmehr auf
eine Charakterisierung des Werkes als eines Ganzen und auf Hervorhebung
einiger wichtiger Hauptpunkte beschränken muß.

Im ersten Bande gibt Lindner, wie wir schon erwühut haben, zunächst
eine geistvolle Einleitung, die die ausgelassene Schilderung des Altertums zu
ersetzen bestimmt ist. Wir haben schon gesagt, daß wir diesen Ersatz, so treffend
hier das Wesen der universalen Kultur des dein Untergange entgegeneilenden
römischen Weltreichs geschildert ist, als ausreichend nicht anerkennen können,
schon weil die für die ganze weitere Geistesgeschichte des Menschengeschlechts
entscheidende griechische Kultur in diesem Überblick gar nicht berücksichtigt ist.
Dagegen ist die Schilderung der vier Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit,
die das erträumte Ideal eines Weltfriedens für lauge Zeit als verwirklicht
erscheinen ließen, an sich eine glänzende Leistung. Hier kommt das Rom der
Kaiserzeit in seiner äußern Erscheinung wie in seinem geistigen, religiösen und
wirtschaftlichen Leben zu lebensvoller Geltung. Auch die Darstellung der Ent-


Theodor Liiidners Weltgeschichte

des geistigen Lebens ausgeübt hat, wirklich aus den reflektierten Bildern zu
versteh», die durch „das bewußte Streben, auf den Bestand des Altertums
zurückzugehn", aus der Zeit des Humanismus und der Renaissance auf uns
gekommen sind? Gerade die glänzende Schilderung von Humanismus und
Renaissance und ihre vorsichtige, übertriebne Schätzungen absichtlich zurück¬
weisende Beurteilung, die Linder im vierten Bande seiner Weltgeschichte entworfen
hat, werden ihn überzeugt haben, daß uns die Renaissance des Altertums
dessen eigne genaue Kenntnis nicht entbehrlich macht, daß diese vielmehr ein
notwendiges Element auch für das Verständnis der Zeit nach der Völker¬
wanderung ist. Ich halte deshalb trotz aller großen Vorzüge, die ich dieser
aus einem Guß entworfnen und in einem Gusse durchgeführten Darstellung
der weltgeschichtlichen Entwicklung warm und freudig zugestehe, ihre Ergänzung
nach rückwärts für unbedingt notwendig und freue mich, daß dem Vernehmen
nach eine solche auch von dein Verfasser beabsichtigt wird, sobald das jetzige
Werk in vier weitern Bänden seinen Abschluß erreicht haben wird.

Die jetzt schon fast anderthalb Jahrtausende der Entwicklung der Mensch¬
heit umfassende Darstellung selbst aber verdient, auch wenn man mit der
Auffassung des Verfassers nicht überall einverstanden ist, uneingeschränktes Lob
wegen der umfassenden Weite des universalen Überblicks, wegen des besonnenen
und umsichtigen Urteils über Wert und Bedeutuug der verschiedenartigen Kulturen
der in der allgemeinen Geschichte auftretenden und wirkenden Völker, bei deren
Schilderung namentlich die unbefangne Schätzung und Wertung der orientalischen
Kultur gegenüber der europäischen rühmend hervorgehoben werden muß, wie
endlich wegen der Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Schilderung, die nur
aus inniger Vertrautheit mit dein gewaltigen Stoffe erwachsen konnten.

Auf diesen ungeheuern, in fünf starken Bänden verarbeiteten Stoff in
seinen Einzelheiten einzugehn oder gar in solchen abweichende Meinungen vor¬
zutragen, kann uicht Aufgabe dieser Besprechung sein, die sich vielmehr auf
eine Charakterisierung des Werkes als eines Ganzen und auf Hervorhebung
einiger wichtiger Hauptpunkte beschränken muß.

Im ersten Bande gibt Lindner, wie wir schon erwühut haben, zunächst
eine geistvolle Einleitung, die die ausgelassene Schilderung des Altertums zu
ersetzen bestimmt ist. Wir haben schon gesagt, daß wir diesen Ersatz, so treffend
hier das Wesen der universalen Kultur des dein Untergange entgegeneilenden
römischen Weltreichs geschildert ist, als ausreichend nicht anerkennen können,
schon weil die für die ganze weitere Geistesgeschichte des Menschengeschlechts
entscheidende griechische Kultur in diesem Überblick gar nicht berücksichtigt ist.
Dagegen ist die Schilderung der vier Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit,
die das erträumte Ideal eines Weltfriedens für lauge Zeit als verwirklicht
erscheinen ließen, an sich eine glänzende Leistung. Hier kommt das Rom der
Kaiserzeit in seiner äußern Erscheinung wie in seinem geistigen, religiösen und
wirtschaftlichen Leben zu lebensvoller Geltung. Auch die Darstellung der Ent-


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[0468] Theodor Liiidners Weltgeschichte des geistigen Lebens ausgeübt hat, wirklich aus den reflektierten Bildern zu versteh», die durch „das bewußte Streben, auf den Bestand des Altertums zurückzugehn", aus der Zeit des Humanismus und der Renaissance auf uns gekommen sind? Gerade die glänzende Schilderung von Humanismus und Renaissance und ihre vorsichtige, übertriebne Schätzungen absichtlich zurück¬ weisende Beurteilung, die Linder im vierten Bande seiner Weltgeschichte entworfen hat, werden ihn überzeugt haben, daß uns die Renaissance des Altertums dessen eigne genaue Kenntnis nicht entbehrlich macht, daß diese vielmehr ein notwendiges Element auch für das Verständnis der Zeit nach der Völker¬ wanderung ist. Ich halte deshalb trotz aller großen Vorzüge, die ich dieser aus einem Guß entworfnen und in einem Gusse durchgeführten Darstellung der weltgeschichtlichen Entwicklung warm und freudig zugestehe, ihre Ergänzung nach rückwärts für unbedingt notwendig und freue mich, daß dem Vernehmen nach eine solche auch von dein Verfasser beabsichtigt wird, sobald das jetzige Werk in vier weitern Bänden seinen Abschluß erreicht haben wird. Die jetzt schon fast anderthalb Jahrtausende der Entwicklung der Mensch¬ heit umfassende Darstellung selbst aber verdient, auch wenn man mit der Auffassung des Verfassers nicht überall einverstanden ist, uneingeschränktes Lob wegen der umfassenden Weite des universalen Überblicks, wegen des besonnenen und umsichtigen Urteils über Wert und Bedeutuug der verschiedenartigen Kulturen der in der allgemeinen Geschichte auftretenden und wirkenden Völker, bei deren Schilderung namentlich die unbefangne Schätzung und Wertung der orientalischen Kultur gegenüber der europäischen rühmend hervorgehoben werden muß, wie endlich wegen der Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Schilderung, die nur aus inniger Vertrautheit mit dein gewaltigen Stoffe erwachsen konnten. Auf diesen ungeheuern, in fünf starken Bänden verarbeiteten Stoff in seinen Einzelheiten einzugehn oder gar in solchen abweichende Meinungen vor¬ zutragen, kann uicht Aufgabe dieser Besprechung sein, die sich vielmehr auf eine Charakterisierung des Werkes als eines Ganzen und auf Hervorhebung einiger wichtiger Hauptpunkte beschränken muß. Im ersten Bande gibt Lindner, wie wir schon erwühut haben, zunächst eine geistvolle Einleitung, die die ausgelassene Schilderung des Altertums zu ersetzen bestimmt ist. Wir haben schon gesagt, daß wir diesen Ersatz, so treffend hier das Wesen der universalen Kultur des dein Untergange entgegeneilenden römischen Weltreichs geschildert ist, als ausreichend nicht anerkennen können, schon weil die für die ganze weitere Geistesgeschichte des Menschengeschlechts entscheidende griechische Kultur in diesem Überblick gar nicht berücksichtigt ist. Dagegen ist die Schilderung der vier Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit, die das erträumte Ideal eines Weltfriedens für lauge Zeit als verwirklicht erscheinen ließen, an sich eine glänzende Leistung. Hier kommt das Rom der Kaiserzeit in seiner äußern Erscheinung wie in seinem geistigen, religiösen und wirtschaftlichen Leben zu lebensvoller Geltung. Auch die Darstellung der Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/468>, abgerufen am 24.08.2024.