Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.Weiteres von Wilhelm Wundt Intelligenz aber ist allemal bewußt, und der bewußte Weltschöpfer wird eben Weiteres von Wilhelm Wundt Intelligenz aber ist allemal bewußt, und der bewußte Weltschöpfer wird eben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311512"/> <fw type="header" place="top"> Weiteres von Wilhelm Wundt</fw><lb/> <p xml:id="ID_2073" prev="#ID_2072" next="#ID_2074"> Intelligenz aber ist allemal bewußt, und der bewußte Weltschöpfer wird eben<lb/> Gott genannt. Daß die Tiere, namentlich alle niedern Tiere unbewußt zweck¬<lb/> mäßig handeln (womit natürlich nicht gesagt ist, daß sie ohne Bewußtsein<lb/> handelten, sondern nur, daß der Zweck und die Zweckmäßigkeit ihres Handelns<lb/> nicht in ihr Bewußtein fallen), kann doch nicht geleugnet werden, mag man<lb/> das nun Instinkt oder sonstwie nennen. Und es ist nicht einzusehen, warum<lb/> es der Schöpfer nicht auch so hätte einrichten können, daß sich mit den neuen<lb/> Arten auch die zur Erhaltung dieser Arten notwendigen neuen Instinkte ent¬<lb/> wickelten. Die Entwicklung des Seelischen veranschaulicht Wundt durch eine<lb/> Zeichnung: eine Reihe unverbundner wagerechter Strichelchen; dann andre<lb/> solche Reihen, deren Strichelchen durch Bogen von zunehmender Spannweite<lb/> verbunden sind. Das Seelenleben des niedern Tieres und des Säuglings<lb/> besteht aus Gegenwartseindrücken oder Gegenwartsempfindnngen, die unter<lb/> sich keinen Zusammenhang haben. Bei etwas höhern Tierarten und in den<lb/> spätern Lebensabschnitten des Kindes kommt Zusammenhang in die Bewußt¬<lb/> seinsvorgänge: die der Zeit nach benachbarten verbinden sich miteinander, sodaß<lb/> Erinnerung an das eben Vergangne und Erwartung eines gleichartigen Zu¬<lb/> künftigen eintritt. Und im reifen Menschen stehn alle Erlebnisse seiner Ver¬<lb/> gangenheit — bis auf die vergeßnen — miteinander in Verbindung. Die niedrigste<lb/> Stufe des Seelenlebens ist überschritten, wenn das Tier oder das Kind einen<lb/> einmal gesehenen oder gefühlten Gegenstand, einen einmal gehörten Klang<lb/> wiedererkennt, denn dieses Wiedererkennen ist ein sichrer Beweis dafür, daß<lb/> zwischen dem frühern Eindruck und dem gegenwärtigen die Verbindung her¬<lb/> gestellt ist. Selbstverständlich sind auch die allerprimitivsten seelischen Vor¬<lb/> gänge nicht ohne Bewußtsein zu denken. Gewisse Konstruktionen von Tier-<lb/> Psychologen brechen „zusammen, wenn man sich erinnert, daß das Bewußtsein<lb/> überhaupt nur ein Ausdruck für das Beisammensein der seelischen Erlebnisse<lb/> selbst ist swarum Beisammensein? Bewußtsein ist schlechthin gleichbedeutend<lb/> mit Seelenleben, mag dieses auch nur aus einer einzelnen Empfindung be-<lb/> stehn), nichts was außerhalb der letztern und unabhängig von ihnen besteht,<lb/> deshalb auch mit der Behauptung mancher Tierpsychologen, gewisse Tiere,<lb/> wie die Bienen und die Ameisen, besäßen zwar ein sehr ausgebildetes Er¬<lb/> innerungsvermögen, aber kein Bewußtsein, überhaupt kein psychologischer<lb/> Sinn zu verbinden ist". Von diesen Punkten ans gelangt Wundt zu dem<lb/> Ergebnis, daß man eine „rohe Scheidung" zwischen Tieren von primitivem<lb/> und solchen von entwickelteren Seelenleben vornehmen dürfe. Die Bewegungen<lb/> jener können noch als mechanische Reslexwirkungen gedeutet werden, was aber<lb/> nicht ausschließt, daß sie von Empfindungen begleitet sind, die der zweiten<lb/> Art beweisen durch Wiedererkennen das Vorhandensein von Gedächtnis und<lb/> verraten auf höhern Stufen Spuren von „Intelligenz". Zu den primitiven<lb/> rechnet er die Protozoen, Schwämme, Medusen, Polypen, Stachelhäuter und<lb/> Würmer; die Gliedertiere, Mollusken und Wirbeltiere gehören unzweifelhaft</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0431]
Weiteres von Wilhelm Wundt
Intelligenz aber ist allemal bewußt, und der bewußte Weltschöpfer wird eben
Gott genannt. Daß die Tiere, namentlich alle niedern Tiere unbewußt zweck¬
mäßig handeln (womit natürlich nicht gesagt ist, daß sie ohne Bewußtsein
handelten, sondern nur, daß der Zweck und die Zweckmäßigkeit ihres Handelns
nicht in ihr Bewußtein fallen), kann doch nicht geleugnet werden, mag man
das nun Instinkt oder sonstwie nennen. Und es ist nicht einzusehen, warum
es der Schöpfer nicht auch so hätte einrichten können, daß sich mit den neuen
Arten auch die zur Erhaltung dieser Arten notwendigen neuen Instinkte ent¬
wickelten. Die Entwicklung des Seelischen veranschaulicht Wundt durch eine
Zeichnung: eine Reihe unverbundner wagerechter Strichelchen; dann andre
solche Reihen, deren Strichelchen durch Bogen von zunehmender Spannweite
verbunden sind. Das Seelenleben des niedern Tieres und des Säuglings
besteht aus Gegenwartseindrücken oder Gegenwartsempfindnngen, die unter
sich keinen Zusammenhang haben. Bei etwas höhern Tierarten und in den
spätern Lebensabschnitten des Kindes kommt Zusammenhang in die Bewußt¬
seinsvorgänge: die der Zeit nach benachbarten verbinden sich miteinander, sodaß
Erinnerung an das eben Vergangne und Erwartung eines gleichartigen Zu¬
künftigen eintritt. Und im reifen Menschen stehn alle Erlebnisse seiner Ver¬
gangenheit — bis auf die vergeßnen — miteinander in Verbindung. Die niedrigste
Stufe des Seelenlebens ist überschritten, wenn das Tier oder das Kind einen
einmal gesehenen oder gefühlten Gegenstand, einen einmal gehörten Klang
wiedererkennt, denn dieses Wiedererkennen ist ein sichrer Beweis dafür, daß
zwischen dem frühern Eindruck und dem gegenwärtigen die Verbindung her¬
gestellt ist. Selbstverständlich sind auch die allerprimitivsten seelischen Vor¬
gänge nicht ohne Bewußtsein zu denken. Gewisse Konstruktionen von Tier-
Psychologen brechen „zusammen, wenn man sich erinnert, daß das Bewußtsein
überhaupt nur ein Ausdruck für das Beisammensein der seelischen Erlebnisse
selbst ist swarum Beisammensein? Bewußtsein ist schlechthin gleichbedeutend
mit Seelenleben, mag dieses auch nur aus einer einzelnen Empfindung be-
stehn), nichts was außerhalb der letztern und unabhängig von ihnen besteht,
deshalb auch mit der Behauptung mancher Tierpsychologen, gewisse Tiere,
wie die Bienen und die Ameisen, besäßen zwar ein sehr ausgebildetes Er¬
innerungsvermögen, aber kein Bewußtsein, überhaupt kein psychologischer
Sinn zu verbinden ist". Von diesen Punkten ans gelangt Wundt zu dem
Ergebnis, daß man eine „rohe Scheidung" zwischen Tieren von primitivem
und solchen von entwickelteren Seelenleben vornehmen dürfe. Die Bewegungen
jener können noch als mechanische Reslexwirkungen gedeutet werden, was aber
nicht ausschließt, daß sie von Empfindungen begleitet sind, die der zweiten
Art beweisen durch Wiedererkennen das Vorhandensein von Gedächtnis und
verraten auf höhern Stufen Spuren von „Intelligenz". Zu den primitiven
rechnet er die Protozoen, Schwämme, Medusen, Polypen, Stachelhäuter und
Würmer; die Gliedertiere, Mollusken und Wirbeltiere gehören unzweifelhaft
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