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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der Marquis von Larabas

fühlt, daß, wenn nun die Begnadigung käme, der Verurteilte und ich selbst die
einzigen wären, die sich wahrhaft freuten -- trotz des lärmenden Protestes der
Menge gegen die Hinrichtung. Und während ich einen Menschen zur Warnung
und Strafe zum Tode brachte, bedienten sich die andern der allgemeinen
Spannung, umeinander die Taschen zu leeren; nicht einmal des Henkers Rock
war ihnen zu gemein. Sie stahlen einmal meinen ganzen Lohn -- obwohl ich
unrein bin.




Der Marquis von "Larabas
R Pallo Rosenkrantz oman von
Erster Teil
Lrstes Äapitel

(das einzige betrübende im ganzen Buch, das aber nichtsdestoweniger durchaus notwendig ist)

LS.s war im April gegen Schluß des vorigen Jahrhunderts, als auf
dem Herrenhöfe Steengaard der alte Hofjägermeister Henrik Steenfeld
in seinen letzten Zügen lag. Es geschah keineswegs zum erstenmal,
daß sich der Mann mit der Sense nach dem alten Hofjägermeister
umschaute, aber -- es war das letztemal. Jetzt wurde es Ernst, das
fühlte der Alte selbst, und er seufzte darüber; den Leuten freilich
wollte er zeigen, daß er standesgemäß aus dem Leben zu gehn wußte, wie er es
zugebracht hatte.

An seinem Bett stand sein einziger Sohn, Jörgen Steenfeld, ein fünfund¬
zwanzigjähriger Student. Er war von gänzlich anderm Typus als sein Vater,
braunäugig und schlank mit einem schön und regelmäßig geschulteren Gesicht; und
deshalb war er doch ein echter Steenfeld, denn die Steenfelds waren alle schöne
Leute. Vater und Sohn hatte" zueinander wie Kameraden gestanden, nun sollten
sie scheiden, und das war schwer für beide, denn sie liebten einander, und nie war
ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. Der Alte sah mit etwas unsicherm Blick
zu seinem Sohne auf.

Es nützt nichts, Jörgen, sagte er, nun kommts, nun kommts. Das weißt du
gut, nicht wahr? Mich narren die verdammten Doktoren nicht. Das Stundenglas
läuft ab. Ich bin fertig. Komm jetzt näher zu mir. Wir sind doch wohl allein?

Jörgen beugte sich über das Bett seines Vaters.

Du mußt nicht böse werden, kleiner Jörg, aber wenn ich morgen tot bin -- und
morgen bin ich tot --, dann wirst du in meiner Schatulle sechshundert Kronen zu
meinem Begräbnis finden. Du mußt durchaus dafür sorgen, daß ich standesgemäß
begraben werde, an keinem Ende darfst zu sparen. Das wird sich für die sechs¬
hundert Kronen machen lassen. Aber dann ist auch nichts mehr übrig, mein armer
Kleiner, nicht ein Groschen!

Jörgen bewegte abwehrend die Hand und wollte etwas erwidern.

Nein, laß mich reden, mein Sohn, sagte der Alte. Es bleibt auf Ehre nichts
"'ehr übrig. Du weißt selbst, daß Steengaard mit seinen sechshundert Morgen
Ackerland, seinen fünfhundert Morgen Wald und den Bauerngehöften gegen neun¬
hunderttausend Kronen wert ist. Ich schulde nun auf das Gut eine Million zweimal-
hunderttausend Kronen. Das meiste meinem alten Freund Emil von Schinkel ans


Der Marquis von Larabas

fühlt, daß, wenn nun die Begnadigung käme, der Verurteilte und ich selbst die
einzigen wären, die sich wahrhaft freuten — trotz des lärmenden Protestes der
Menge gegen die Hinrichtung. Und während ich einen Menschen zur Warnung
und Strafe zum Tode brachte, bedienten sich die andern der allgemeinen
Spannung, umeinander die Taschen zu leeren; nicht einmal des Henkers Rock
war ihnen zu gemein. Sie stahlen einmal meinen ganzen Lohn — obwohl ich
unrein bin.




Der Marquis von «Larabas
R Pallo Rosenkrantz oman von
Erster Teil
Lrstes Äapitel

(das einzige betrübende im ganzen Buch, das aber nichtsdestoweniger durchaus notwendig ist)

LS.s war im April gegen Schluß des vorigen Jahrhunderts, als auf
dem Herrenhöfe Steengaard der alte Hofjägermeister Henrik Steenfeld
in seinen letzten Zügen lag. Es geschah keineswegs zum erstenmal,
daß sich der Mann mit der Sense nach dem alten Hofjägermeister
umschaute, aber — es war das letztemal. Jetzt wurde es Ernst, das
fühlte der Alte selbst, und er seufzte darüber; den Leuten freilich
wollte er zeigen, daß er standesgemäß aus dem Leben zu gehn wußte, wie er es
zugebracht hatte.

An seinem Bett stand sein einziger Sohn, Jörgen Steenfeld, ein fünfund¬
zwanzigjähriger Student. Er war von gänzlich anderm Typus als sein Vater,
braunäugig und schlank mit einem schön und regelmäßig geschulteren Gesicht; und
deshalb war er doch ein echter Steenfeld, denn die Steenfelds waren alle schöne
Leute. Vater und Sohn hatte» zueinander wie Kameraden gestanden, nun sollten
sie scheiden, und das war schwer für beide, denn sie liebten einander, und nie war
ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. Der Alte sah mit etwas unsicherm Blick
zu seinem Sohne auf.

Es nützt nichts, Jörgen, sagte er, nun kommts, nun kommts. Das weißt du
gut, nicht wahr? Mich narren die verdammten Doktoren nicht. Das Stundenglas
läuft ab. Ich bin fertig. Komm jetzt näher zu mir. Wir sind doch wohl allein?

Jörgen beugte sich über das Bett seines Vaters.

Du mußt nicht böse werden, kleiner Jörg, aber wenn ich morgen tot bin — und
morgen bin ich tot —, dann wirst du in meiner Schatulle sechshundert Kronen zu
meinem Begräbnis finden. Du mußt durchaus dafür sorgen, daß ich standesgemäß
begraben werde, an keinem Ende darfst zu sparen. Das wird sich für die sechs¬
hundert Kronen machen lassen. Aber dann ist auch nichts mehr übrig, mein armer
Kleiner, nicht ein Groschen!

Jörgen bewegte abwehrend die Hand und wollte etwas erwidern.

Nein, laß mich reden, mein Sohn, sagte der Alte. Es bleibt auf Ehre nichts
"'ehr übrig. Du weißt selbst, daß Steengaard mit seinen sechshundert Morgen
Ackerland, seinen fünfhundert Morgen Wald und den Bauerngehöften gegen neun¬
hunderttausend Kronen wert ist. Ich schulde nun auf das Gut eine Million zweimal-
hunderttausend Kronen. Das meiste meinem alten Freund Emil von Schinkel ans


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/43>, abgerufen am 22.07.2024.