Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

vom menschlichen Bewußtsein ausgehn. Was wir über das Seelenleben wissen,
das haben wir der Hauptsache nach aus der Beobachtung unsrer eignen
Bewußtseinszustände und Bewußtseinsvorgänge erfahren, und von einem Seelen¬
leben der Tiere können wir nur sprechen, weil wir auf das Vorhandensein
eines solchen schließen dürfen aus leiblichen Bewegungen, die unsern eignen
leiblichen Äußerungen seelischer Erregungen ähnlich sehen. Indem nun bei
solchen Schlüssen die Vulgürpsychologie zugrunde gelegt zu werden pflegt, die
unter Seelenleben Intelligenz versteht und von niedern Stufen und einfachern
Äußerungen dieses Lebens nichts weiß, so sind zwei entgegengesetzte Theorien
entstanden, die vorläufig noch die Tierpsychologie beherrschen. Die verbreiterte
ist die Jntelligenztheorie. Weil logische Reflexion der uns geläufigste
seelische Vorgang ist. und weil unsre Handlungen gewöhnlich das Ergebnis
logischer Reflexion sind, so werden auch alle zweckmäßigen Handlungen der
Tiere als das Ergebnis logischer Reflexion gedeutet. "Zu dieser Vermengung
der seelischen Vorgänge mit der Reflexion über sie gesellt sich bei manchen
Tierpsychologen auch noch die Neigung, die intellektuellen Leistungen der Tiere
in möglichst glänzendem Lichte zu schildern. Sie entspringt teils aus der
natürlichen Freude am Gegenstande der Beobachtung, teils auch aus den,
Streben, im Interesse der entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen zwischen
Mensch und Tier die Differenz zwischen beiden möglichst klein erscheinen zu
lassen. So schmückt deun die Phantasie des Beobachters nicht selten im besten
Glauben die Erscheinungen mit frei erfundnen Motiven. Mögen auch die
Tatsachen wahr sein "licht immer sind sie es, bemerkt er an einer andern
Stelle; manche Tierpsychologen verschmähten auch Jägergeschichtcn nicht!, durch
die Interpretation, die arglos mit ihnen verwebt wird, erscheinen sie von
vornherein in einer falschen Beleuchtung"; besonders bei Ameisen und Bienen,
deren ganzes Leben und Treiben von den Beschauern mit den Vorurteilen
beobachtet werde, die von den üblich gewordnen sehr suggestiven Worten
"Königin" und "Staat" erzeugt würden. Als Beispiele druckt er die ergötz¬
lichen Beschreibungen der angeblichen Beerdigungszeremonien der Ameisen und
der Belustigungen ihrer jungen "Königinnen" ab, die ich in der Besprechung
der ersten Ausgabe des vorliegenden Werkes erwähnt habe. Andre Beobachter
haben sich gesagt, daß es keineswegs notwendig sei, die Handlungen der Tiere
sämtlich für überlegt zu halten, daß sehr viel wahrscheinlich nur Reaktionen
auf äußere oder innere Reize sind, deren Zweckmäßigkeit einer eingebornen
Organisation des Nervensystems entstammt. So ist die Reflextheorie ent¬
standen. Gibt man einmal zu. daß es im Organismus mechanische Selbst¬
regulierungen durch zweckmüßige Reaktionen, Reflexe auf Impulse gibt (solche
reine Reflexbewegungen wie das Schließen der Augenlider vor blendenden
Lichtstrahlen oder eindringendem Staub kommen ja auch noch beim Menschen
vor), und daß es untrügliche objektive Kennzeichen, an denen man die etwaigen
psychischen Handlungen eines Tieres von bloßen Reflexwirkungen unterscheiden


Grenzboten I 1908 ^

vom menschlichen Bewußtsein ausgehn. Was wir über das Seelenleben wissen,
das haben wir der Hauptsache nach aus der Beobachtung unsrer eignen
Bewußtseinszustände und Bewußtseinsvorgänge erfahren, und von einem Seelen¬
leben der Tiere können wir nur sprechen, weil wir auf das Vorhandensein
eines solchen schließen dürfen aus leiblichen Bewegungen, die unsern eignen
leiblichen Äußerungen seelischer Erregungen ähnlich sehen. Indem nun bei
solchen Schlüssen die Vulgürpsychologie zugrunde gelegt zu werden pflegt, die
unter Seelenleben Intelligenz versteht und von niedern Stufen und einfachern
Äußerungen dieses Lebens nichts weiß, so sind zwei entgegengesetzte Theorien
entstanden, die vorläufig noch die Tierpsychologie beherrschen. Die verbreiterte
ist die Jntelligenztheorie. Weil logische Reflexion der uns geläufigste
seelische Vorgang ist. und weil unsre Handlungen gewöhnlich das Ergebnis
logischer Reflexion sind, so werden auch alle zweckmäßigen Handlungen der
Tiere als das Ergebnis logischer Reflexion gedeutet. „Zu dieser Vermengung
der seelischen Vorgänge mit der Reflexion über sie gesellt sich bei manchen
Tierpsychologen auch noch die Neigung, die intellektuellen Leistungen der Tiere
in möglichst glänzendem Lichte zu schildern. Sie entspringt teils aus der
natürlichen Freude am Gegenstande der Beobachtung, teils auch aus den,
Streben, im Interesse der entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen zwischen
Mensch und Tier die Differenz zwischen beiden möglichst klein erscheinen zu
lassen. So schmückt deun die Phantasie des Beobachters nicht selten im besten
Glauben die Erscheinungen mit frei erfundnen Motiven. Mögen auch die
Tatsachen wahr sein »licht immer sind sie es, bemerkt er an einer andern
Stelle; manche Tierpsychologen verschmähten auch Jägergeschichtcn nicht!, durch
die Interpretation, die arglos mit ihnen verwebt wird, erscheinen sie von
vornherein in einer falschen Beleuchtung"; besonders bei Ameisen und Bienen,
deren ganzes Leben und Treiben von den Beschauern mit den Vorurteilen
beobachtet werde, die von den üblich gewordnen sehr suggestiven Worten
„Königin" und „Staat" erzeugt würden. Als Beispiele druckt er die ergötz¬
lichen Beschreibungen der angeblichen Beerdigungszeremonien der Ameisen und
der Belustigungen ihrer jungen „Königinnen" ab, die ich in der Besprechung
der ersten Ausgabe des vorliegenden Werkes erwähnt habe. Andre Beobachter
haben sich gesagt, daß es keineswegs notwendig sei, die Handlungen der Tiere
sämtlich für überlegt zu halten, daß sehr viel wahrscheinlich nur Reaktionen
auf äußere oder innere Reize sind, deren Zweckmäßigkeit einer eingebornen
Organisation des Nervensystems entstammt. So ist die Reflextheorie ent¬
standen. Gibt man einmal zu. daß es im Organismus mechanische Selbst¬
regulierungen durch zweckmüßige Reaktionen, Reflexe auf Impulse gibt (solche
reine Reflexbewegungen wie das Schließen der Augenlider vor blendenden
Lichtstrahlen oder eindringendem Staub kommen ja auch noch beim Menschen
vor), und daß es untrügliche objektive Kennzeichen, an denen man die etwaigen
psychischen Handlungen eines Tieres von bloßen Reflexwirkungen unterscheiden


Grenzboten I 1908 ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311510"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2071" prev="#ID_2070" next="#ID_2072"> vom menschlichen Bewußtsein ausgehn. Was wir über das Seelenleben wissen,<lb/>
das haben wir der Hauptsache nach aus der Beobachtung unsrer eignen<lb/>
Bewußtseinszustände und Bewußtseinsvorgänge erfahren, und von einem Seelen¬<lb/>
leben der Tiere können wir nur sprechen, weil wir auf das Vorhandensein<lb/>
eines solchen schließen dürfen aus leiblichen Bewegungen, die unsern eignen<lb/>
leiblichen Äußerungen seelischer Erregungen ähnlich sehen. Indem nun bei<lb/>
solchen Schlüssen die Vulgürpsychologie zugrunde gelegt zu werden pflegt, die<lb/>
unter Seelenleben Intelligenz versteht und von niedern Stufen und einfachern<lb/>
Äußerungen dieses Lebens nichts weiß, so sind zwei entgegengesetzte Theorien<lb/>
entstanden, die vorläufig noch die Tierpsychologie beherrschen. Die verbreiterte<lb/>
ist die Jntelligenztheorie. Weil logische Reflexion der uns geläufigste<lb/>
seelische Vorgang ist. und weil unsre Handlungen gewöhnlich das Ergebnis<lb/>
logischer Reflexion sind, so werden auch alle zweckmäßigen Handlungen der<lb/>
Tiere als das Ergebnis logischer Reflexion gedeutet. &#x201E;Zu dieser Vermengung<lb/>
der seelischen Vorgänge mit der Reflexion über sie gesellt sich bei manchen<lb/>
Tierpsychologen auch noch die Neigung, die intellektuellen Leistungen der Tiere<lb/>
in möglichst glänzendem Lichte zu schildern. Sie entspringt teils aus der<lb/>
natürlichen Freude am Gegenstande der Beobachtung, teils auch aus den,<lb/>
Streben, im Interesse der entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen zwischen<lb/>
Mensch und Tier die Differenz zwischen beiden möglichst klein erscheinen zu<lb/>
lassen. So schmückt deun die Phantasie des Beobachters nicht selten im besten<lb/>
Glauben die Erscheinungen mit frei erfundnen Motiven. Mögen auch die<lb/>
Tatsachen wahr sein »licht immer sind sie es, bemerkt er an einer andern<lb/>
Stelle; manche Tierpsychologen verschmähten auch Jägergeschichtcn nicht!, durch<lb/>
die Interpretation, die arglos mit ihnen verwebt wird, erscheinen sie von<lb/>
vornherein in einer falschen Beleuchtung"; besonders bei Ameisen und Bienen,<lb/>
deren ganzes Leben und Treiben von den Beschauern mit den Vorurteilen<lb/>
beobachtet werde, die von den üblich gewordnen sehr suggestiven Worten<lb/>
&#x201E;Königin" und &#x201E;Staat" erzeugt würden. Als Beispiele druckt er die ergötz¬<lb/>
lichen Beschreibungen der angeblichen Beerdigungszeremonien der Ameisen und<lb/>
der Belustigungen ihrer jungen &#x201E;Königinnen" ab, die ich in der Besprechung<lb/>
der ersten Ausgabe des vorliegenden Werkes erwähnt habe. Andre Beobachter<lb/>
haben sich gesagt, daß es keineswegs notwendig sei, die Handlungen der Tiere<lb/>
sämtlich für überlegt zu halten, daß sehr viel wahrscheinlich nur Reaktionen<lb/>
auf äußere oder innere Reize sind, deren Zweckmäßigkeit einer eingebornen<lb/>
Organisation des Nervensystems entstammt. So ist die Reflextheorie ent¬<lb/>
standen. Gibt man einmal zu. daß es im Organismus mechanische Selbst¬<lb/>
regulierungen durch zweckmüßige Reaktionen, Reflexe auf Impulse gibt (solche<lb/>
reine Reflexbewegungen wie das Schließen der Augenlider vor blendenden<lb/>
Lichtstrahlen oder eindringendem Staub kommen ja auch noch beim Menschen<lb/>
vor), und daß es untrügliche objektive Kennzeichen, an denen man die etwaigen<lb/>
psychischen Handlungen eines Tieres von bloßen Reflexwirkungen unterscheiden</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1908 ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] vom menschlichen Bewußtsein ausgehn. Was wir über das Seelenleben wissen, das haben wir der Hauptsache nach aus der Beobachtung unsrer eignen Bewußtseinszustände und Bewußtseinsvorgänge erfahren, und von einem Seelen¬ leben der Tiere können wir nur sprechen, weil wir auf das Vorhandensein eines solchen schließen dürfen aus leiblichen Bewegungen, die unsern eignen leiblichen Äußerungen seelischer Erregungen ähnlich sehen. Indem nun bei solchen Schlüssen die Vulgürpsychologie zugrunde gelegt zu werden pflegt, die unter Seelenleben Intelligenz versteht und von niedern Stufen und einfachern Äußerungen dieses Lebens nichts weiß, so sind zwei entgegengesetzte Theorien entstanden, die vorläufig noch die Tierpsychologie beherrschen. Die verbreiterte ist die Jntelligenztheorie. Weil logische Reflexion der uns geläufigste seelische Vorgang ist. und weil unsre Handlungen gewöhnlich das Ergebnis logischer Reflexion sind, so werden auch alle zweckmäßigen Handlungen der Tiere als das Ergebnis logischer Reflexion gedeutet. „Zu dieser Vermengung der seelischen Vorgänge mit der Reflexion über sie gesellt sich bei manchen Tierpsychologen auch noch die Neigung, die intellektuellen Leistungen der Tiere in möglichst glänzendem Lichte zu schildern. Sie entspringt teils aus der natürlichen Freude am Gegenstande der Beobachtung, teils auch aus den, Streben, im Interesse der entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen zwischen Mensch und Tier die Differenz zwischen beiden möglichst klein erscheinen zu lassen. So schmückt deun die Phantasie des Beobachters nicht selten im besten Glauben die Erscheinungen mit frei erfundnen Motiven. Mögen auch die Tatsachen wahr sein »licht immer sind sie es, bemerkt er an einer andern Stelle; manche Tierpsychologen verschmähten auch Jägergeschichtcn nicht!, durch die Interpretation, die arglos mit ihnen verwebt wird, erscheinen sie von vornherein in einer falschen Beleuchtung"; besonders bei Ameisen und Bienen, deren ganzes Leben und Treiben von den Beschauern mit den Vorurteilen beobachtet werde, die von den üblich gewordnen sehr suggestiven Worten „Königin" und „Staat" erzeugt würden. Als Beispiele druckt er die ergötz¬ lichen Beschreibungen der angeblichen Beerdigungszeremonien der Ameisen und der Belustigungen ihrer jungen „Königinnen" ab, die ich in der Besprechung der ersten Ausgabe des vorliegenden Werkes erwähnt habe. Andre Beobachter haben sich gesagt, daß es keineswegs notwendig sei, die Handlungen der Tiere sämtlich für überlegt zu halten, daß sehr viel wahrscheinlich nur Reaktionen auf äußere oder innere Reize sind, deren Zweckmäßigkeit einer eingebornen Organisation des Nervensystems entstammt. So ist die Reflextheorie ent¬ standen. Gibt man einmal zu. daß es im Organismus mechanische Selbst¬ regulierungen durch zweckmüßige Reaktionen, Reflexe auf Impulse gibt (solche reine Reflexbewegungen wie das Schließen der Augenlider vor blendenden Lichtstrahlen oder eindringendem Staub kommen ja auch noch beim Menschen vor), und daß es untrügliche objektive Kennzeichen, an denen man die etwaigen psychischen Handlungen eines Tieres von bloßen Reflexwirkungen unterscheiden Grenzboten I 1908 ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/429>, abgerufen am 24.08.2024.