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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Koloniale Lingebornenpolitik und Arbeiterfrage

ist nicht zu bestreiten: von der Arbeit der Eingebornen hängt im wesentlichen
die Entwicklung unsrer Kolonien ab. Nun ist es eine leidige Tatsache, daß die
europäischen Unternehmungen, so wenig umfangreich sie vorläufig sind, bis heute
unter einem beständigen Mangel an Arbeitskräften leiden. Dieser trägt ein gut
Teil schuld daran, daß sie sich nur zum Teil entwickeln konnten. Die Ver¬
wirklichung all der schönen Pläne umfassender Erschließung droht also einzig
und allein an dem Maugel an Arbeitskräften zu scheitern oder wenigstens ins
Stocken zu geraten.

An der Zahl der Eingebornen liegt dies nicht, denn diese genügt wenigstens
in Afrika bis auf weiteres zur Verwirklichung unsrer Pläne vollauf. Es liegt
vielmehr einerseits an der primitive" Lebensanschauung des Negers, andrerseits
an unsrer bisherigen verkehrten Eingebornenpolitik.

Der von Dernburg neulich in der Budgetkommisston des Reichstags aus-
gesprochnen Auffassung muß widersprochen werden. Er verkennt offenbar die
Natur des Negers, über die alle alten bekannten Kenner, Beamten, Praktiker
und Forscher längst einig sind.

Der Neger arbeitet nicht mehr, als er unbedingt muß, um sein Leben
fristen zu können. Er hat es im Grunde ja auch gar nicht nötig, sich anzu¬
strengen, denn in den Tropen wächst ihm fast alles in den Mund. Es fehlt
ihm dadurch der Antrieb zu regelmäßiger Arbeit. Und das ist es, was ihn
zurzeit für uns unbrauchbar macht. Uns ist gar nicht damit gedient, wenn sich
zu bestimmten Arbeitsleistungen eine Anzahl von Schwarzen zusammenfindet,
die zufällig gerade das Bedürfnis empfinden, sich ein Weib, ein Gewehr, ein
Stück Stoff oder dergleichen zu verdienen, und die wieder weglaufen, sobald sie
zu diesem Zuieck genug zusammengebracht haben. Dr. Paul Rohrbach hat un¬
längst einmal in einem Vortrag die wirtschaftliche Auffassung des Negers -- oder
seinen Instinkt, würde man wohl besser sagen -- sehr treffend mit dem Satz
charakterisiert: "Das Existenzminimum des Negers ist, wenn er sich satt essen
kann, das Existenzmaximum, wenn er sich satt fressen kann." Hiernach richtet er
seine Arbeitsleistung ein. In Ostafrika braucht der Neger etwa 15 bis 20 Mark
monatlich, um leben zu können, und, sagen wir, vier Tage in der Woche, um
dies zu erarbeiten. Wird der Arbeitslohn erhöht, so verringert er eben seine
Arbeitsleistung dementsprechend.

Es gibt eine ganze Reihe von drastischen Beispielen für diese Anschauung.
Eine Firma in Daressalam hatte vor einiger Zeit eine Schiffsladung Eisenbahn¬
material zu löschen. Um die Arbeit zu beschleunigen, verdoppelte sie das Lohn¬
angebot. Was war die Folge? Die schwarzen Arbeiter hatten schon in der
Hälfte der Zeit genug verdient, um leben zu können, und blieven weg. Und
die Firma hatte zum Schaden auch noch den Spott. Ein andres Bild: Im
Bezirk Wilhelmstal (Usambara) ist vor einiger Zeit probeweise ein gewisser
Arbeitszwang eingeführt worden. Jeder Eingeborne, der neunzig Tage im
Jahre für europäische Unternehmungen gegen Lohn arbeitet, ist von öffentlichen


Koloniale Lingebornenpolitik und Arbeiterfrage

ist nicht zu bestreiten: von der Arbeit der Eingebornen hängt im wesentlichen
die Entwicklung unsrer Kolonien ab. Nun ist es eine leidige Tatsache, daß die
europäischen Unternehmungen, so wenig umfangreich sie vorläufig sind, bis heute
unter einem beständigen Mangel an Arbeitskräften leiden. Dieser trägt ein gut
Teil schuld daran, daß sie sich nur zum Teil entwickeln konnten. Die Ver¬
wirklichung all der schönen Pläne umfassender Erschließung droht also einzig
und allein an dem Maugel an Arbeitskräften zu scheitern oder wenigstens ins
Stocken zu geraten.

An der Zahl der Eingebornen liegt dies nicht, denn diese genügt wenigstens
in Afrika bis auf weiteres zur Verwirklichung unsrer Pläne vollauf. Es liegt
vielmehr einerseits an der primitive» Lebensanschauung des Negers, andrerseits
an unsrer bisherigen verkehrten Eingebornenpolitik.

Der von Dernburg neulich in der Budgetkommisston des Reichstags aus-
gesprochnen Auffassung muß widersprochen werden. Er verkennt offenbar die
Natur des Negers, über die alle alten bekannten Kenner, Beamten, Praktiker
und Forscher längst einig sind.

Der Neger arbeitet nicht mehr, als er unbedingt muß, um sein Leben
fristen zu können. Er hat es im Grunde ja auch gar nicht nötig, sich anzu¬
strengen, denn in den Tropen wächst ihm fast alles in den Mund. Es fehlt
ihm dadurch der Antrieb zu regelmäßiger Arbeit. Und das ist es, was ihn
zurzeit für uns unbrauchbar macht. Uns ist gar nicht damit gedient, wenn sich
zu bestimmten Arbeitsleistungen eine Anzahl von Schwarzen zusammenfindet,
die zufällig gerade das Bedürfnis empfinden, sich ein Weib, ein Gewehr, ein
Stück Stoff oder dergleichen zu verdienen, und die wieder weglaufen, sobald sie
zu diesem Zuieck genug zusammengebracht haben. Dr. Paul Rohrbach hat un¬
längst einmal in einem Vortrag die wirtschaftliche Auffassung des Negers — oder
seinen Instinkt, würde man wohl besser sagen — sehr treffend mit dem Satz
charakterisiert: „Das Existenzminimum des Negers ist, wenn er sich satt essen
kann, das Existenzmaximum, wenn er sich satt fressen kann." Hiernach richtet er
seine Arbeitsleistung ein. In Ostafrika braucht der Neger etwa 15 bis 20 Mark
monatlich, um leben zu können, und, sagen wir, vier Tage in der Woche, um
dies zu erarbeiten. Wird der Arbeitslohn erhöht, so verringert er eben seine
Arbeitsleistung dementsprechend.

Es gibt eine ganze Reihe von drastischen Beispielen für diese Anschauung.
Eine Firma in Daressalam hatte vor einiger Zeit eine Schiffsladung Eisenbahn¬
material zu löschen. Um die Arbeit zu beschleunigen, verdoppelte sie das Lohn¬
angebot. Was war die Folge? Die schwarzen Arbeiter hatten schon in der
Hälfte der Zeit genug verdient, um leben zu können, und blieven weg. Und
die Firma hatte zum Schaden auch noch den Spott. Ein andres Bild: Im
Bezirk Wilhelmstal (Usambara) ist vor einiger Zeit probeweise ein gewisser
Arbeitszwang eingeführt worden. Jeder Eingeborne, der neunzig Tage im
Jahre für europäische Unternehmungen gegen Lohn arbeitet, ist von öffentlichen


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[0406] Koloniale Lingebornenpolitik und Arbeiterfrage ist nicht zu bestreiten: von der Arbeit der Eingebornen hängt im wesentlichen die Entwicklung unsrer Kolonien ab. Nun ist es eine leidige Tatsache, daß die europäischen Unternehmungen, so wenig umfangreich sie vorläufig sind, bis heute unter einem beständigen Mangel an Arbeitskräften leiden. Dieser trägt ein gut Teil schuld daran, daß sie sich nur zum Teil entwickeln konnten. Die Ver¬ wirklichung all der schönen Pläne umfassender Erschließung droht also einzig und allein an dem Maugel an Arbeitskräften zu scheitern oder wenigstens ins Stocken zu geraten. An der Zahl der Eingebornen liegt dies nicht, denn diese genügt wenigstens in Afrika bis auf weiteres zur Verwirklichung unsrer Pläne vollauf. Es liegt vielmehr einerseits an der primitive» Lebensanschauung des Negers, andrerseits an unsrer bisherigen verkehrten Eingebornenpolitik. Der von Dernburg neulich in der Budgetkommisston des Reichstags aus- gesprochnen Auffassung muß widersprochen werden. Er verkennt offenbar die Natur des Negers, über die alle alten bekannten Kenner, Beamten, Praktiker und Forscher längst einig sind. Der Neger arbeitet nicht mehr, als er unbedingt muß, um sein Leben fristen zu können. Er hat es im Grunde ja auch gar nicht nötig, sich anzu¬ strengen, denn in den Tropen wächst ihm fast alles in den Mund. Es fehlt ihm dadurch der Antrieb zu regelmäßiger Arbeit. Und das ist es, was ihn zurzeit für uns unbrauchbar macht. Uns ist gar nicht damit gedient, wenn sich zu bestimmten Arbeitsleistungen eine Anzahl von Schwarzen zusammenfindet, die zufällig gerade das Bedürfnis empfinden, sich ein Weib, ein Gewehr, ein Stück Stoff oder dergleichen zu verdienen, und die wieder weglaufen, sobald sie zu diesem Zuieck genug zusammengebracht haben. Dr. Paul Rohrbach hat un¬ längst einmal in einem Vortrag die wirtschaftliche Auffassung des Negers — oder seinen Instinkt, würde man wohl besser sagen — sehr treffend mit dem Satz charakterisiert: „Das Existenzminimum des Negers ist, wenn er sich satt essen kann, das Existenzmaximum, wenn er sich satt fressen kann." Hiernach richtet er seine Arbeitsleistung ein. In Ostafrika braucht der Neger etwa 15 bis 20 Mark monatlich, um leben zu können, und, sagen wir, vier Tage in der Woche, um dies zu erarbeiten. Wird der Arbeitslohn erhöht, so verringert er eben seine Arbeitsleistung dementsprechend. Es gibt eine ganze Reihe von drastischen Beispielen für diese Anschauung. Eine Firma in Daressalam hatte vor einiger Zeit eine Schiffsladung Eisenbahn¬ material zu löschen. Um die Arbeit zu beschleunigen, verdoppelte sie das Lohn¬ angebot. Was war die Folge? Die schwarzen Arbeiter hatten schon in der Hälfte der Zeit genug verdient, um leben zu können, und blieven weg. Und die Firma hatte zum Schaden auch noch den Spott. Ein andres Bild: Im Bezirk Wilhelmstal (Usambara) ist vor einiger Zeit probeweise ein gewisser Arbeitszwang eingeführt worden. Jeder Eingeborne, der neunzig Tage im Jahre für europäische Unternehmungen gegen Lohn arbeitet, ist von öffentlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/406>, abgerufen am 22.07.2024.