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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der verfall des städtische" Regiments in Deutschland

weckten, das Donnergrollen einer erregten Volksmasse, das ihnen in den Städten
und auf dem Lande antwortete, das galt nicht allein, nicht einmal in erster
Linie der kirchlichen Reformation, sondern einer politischen und sozialen Revo¬
lution in Deutschland."

Aber diese Bewegung verfloß im Sande, weniger weil Luther vor den
Folgen seiner Tat zurückschreckte, als "weil er, auch darin vielleicht die höchste
Steigerung deutscher Eigenart, politischen Dingen mit absoluter Weltfremdheit
gegenüberstand" und im Adel den berufnen Führer einer Umgestaltung sah,
deren Ziele im schärfsten Gegensatz zu dessen eignen Interessen standen. Indem
er sich von den Bauern, als diese sich anschickten, die Erfüllung ihrer Wünsche
durch Gewalt zu erzwingen, abwandte, nahm er der ganzen Bewegung den
einigenden Mittelpunkt. Mit der dadurch bewirkten Kräftigung des Adels und
des Fürstentums ging eine erneute Bedrückung des Landvolkes und, nach Preuß'
Ausführungen, auch eine nie wieder ausgeglichne Schwächung des ganzen
städtischen Wesens Hand in Hand. Noch einmal, im Jahre 1533, brach in
Lübeck, dem Hauptorte der Hansa, der Kampf gegen die alte Lehre und gegen
das oligarchische Stadtregiment los, Jürgen Wullenwever, "vielleicht der einzige
nach Ursprung und Art rein demokratische Staatsmann großen Stiles in der
deutschen Geschichte", bemächtigte sich der Herrschaft und suchte die alte Hansa-
Politik mit neuen Mitteln fortzusetzen, wurde aber mit Hilfe des Fürstentums
und der reaktionären Räte andrer Hansestädte gestürzt. Damit war das Schicksal
der Städte und des großartigsten Städtcbundcs besiegelt. Man darf sich heute
wohl die Frage vorlegen, welchen Verlauf die deutsche Geschichte genommen
hätte, wenn damals eine Verständigung zwischen den deutschen Fürsten und dem
seetüchtigen Bürgertum der norddeutschen Handelsstädte erreicht worden wäre.
Während anderwärts die Welt verteilt wurde, vergeudete unser Volk seine besten
Kräfte in häuslichen Streitigkeiten und versank in die politische Ohnmacht, aus
der es sich erst im neunzehnten Jahrhundert wieder aufzuraffen vermochte.

Das Sinken des Geldwertes, eine Folge der ungeheuern Zufuhr von Edel¬
metall aus den neuentdeckten Ländern, war für die städtische Bevölkerung gleich¬
bedeutend mit einer Verteuerung der Lebensmittel, von der das Land, das heißt
der Großgrundbesitz in den Händen des Adels, den Vorteil hatte. Aber nicht
nur der Kleinbürger mit seiner primitiven Produktionsweise erliegt der Not der
Zeit, auch "die großen Handelshäuser brechen zusammen; sogar die Welser
machen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts Bankrott, während die Fugger
geschickt ihre Metamorphose ans bürgerlichen Kaufherren in patrimoniale Grund¬
herren vollziehen".

Der alte Gegensatz zwischen Stadt und Land wurde durch das Anwachsen
der fürstlichen Territorialgewalt nicht gemildert, sondern verschärft, denn wenn
auch das Fürstentum an der Erhaltung der alten städtischen Privilegien nicht
das geringste Interesse hatte und die Beseitigung der rechtlichen Schranken
zwischen Stadt und Land mit Leichtigkeit hätte vollziehen können, so tat es dies


Der verfall des städtische» Regiments in Deutschland

weckten, das Donnergrollen einer erregten Volksmasse, das ihnen in den Städten
und auf dem Lande antwortete, das galt nicht allein, nicht einmal in erster
Linie der kirchlichen Reformation, sondern einer politischen und sozialen Revo¬
lution in Deutschland."

Aber diese Bewegung verfloß im Sande, weniger weil Luther vor den
Folgen seiner Tat zurückschreckte, als „weil er, auch darin vielleicht die höchste
Steigerung deutscher Eigenart, politischen Dingen mit absoluter Weltfremdheit
gegenüberstand" und im Adel den berufnen Führer einer Umgestaltung sah,
deren Ziele im schärfsten Gegensatz zu dessen eignen Interessen standen. Indem
er sich von den Bauern, als diese sich anschickten, die Erfüllung ihrer Wünsche
durch Gewalt zu erzwingen, abwandte, nahm er der ganzen Bewegung den
einigenden Mittelpunkt. Mit der dadurch bewirkten Kräftigung des Adels und
des Fürstentums ging eine erneute Bedrückung des Landvolkes und, nach Preuß'
Ausführungen, auch eine nie wieder ausgeglichne Schwächung des ganzen
städtischen Wesens Hand in Hand. Noch einmal, im Jahre 1533, brach in
Lübeck, dem Hauptorte der Hansa, der Kampf gegen die alte Lehre und gegen
das oligarchische Stadtregiment los, Jürgen Wullenwever, „vielleicht der einzige
nach Ursprung und Art rein demokratische Staatsmann großen Stiles in der
deutschen Geschichte", bemächtigte sich der Herrschaft und suchte die alte Hansa-
Politik mit neuen Mitteln fortzusetzen, wurde aber mit Hilfe des Fürstentums
und der reaktionären Räte andrer Hansestädte gestürzt. Damit war das Schicksal
der Städte und des großartigsten Städtcbundcs besiegelt. Man darf sich heute
wohl die Frage vorlegen, welchen Verlauf die deutsche Geschichte genommen
hätte, wenn damals eine Verständigung zwischen den deutschen Fürsten und dem
seetüchtigen Bürgertum der norddeutschen Handelsstädte erreicht worden wäre.
Während anderwärts die Welt verteilt wurde, vergeudete unser Volk seine besten
Kräfte in häuslichen Streitigkeiten und versank in die politische Ohnmacht, aus
der es sich erst im neunzehnten Jahrhundert wieder aufzuraffen vermochte.

Das Sinken des Geldwertes, eine Folge der ungeheuern Zufuhr von Edel¬
metall aus den neuentdeckten Ländern, war für die städtische Bevölkerung gleich¬
bedeutend mit einer Verteuerung der Lebensmittel, von der das Land, das heißt
der Großgrundbesitz in den Händen des Adels, den Vorteil hatte. Aber nicht
nur der Kleinbürger mit seiner primitiven Produktionsweise erliegt der Not der
Zeit, auch „die großen Handelshäuser brechen zusammen; sogar die Welser
machen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts Bankrott, während die Fugger
geschickt ihre Metamorphose ans bürgerlichen Kaufherren in patrimoniale Grund¬
herren vollziehen".

Der alte Gegensatz zwischen Stadt und Land wurde durch das Anwachsen
der fürstlichen Territorialgewalt nicht gemildert, sondern verschärft, denn wenn
auch das Fürstentum an der Erhaltung der alten städtischen Privilegien nicht
das geringste Interesse hatte und die Beseitigung der rechtlichen Schranken
zwischen Stadt und Land mit Leichtigkeit hätte vollziehen können, so tat es dies


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[0377] Der verfall des städtische» Regiments in Deutschland weckten, das Donnergrollen einer erregten Volksmasse, das ihnen in den Städten und auf dem Lande antwortete, das galt nicht allein, nicht einmal in erster Linie der kirchlichen Reformation, sondern einer politischen und sozialen Revo¬ lution in Deutschland." Aber diese Bewegung verfloß im Sande, weniger weil Luther vor den Folgen seiner Tat zurückschreckte, als „weil er, auch darin vielleicht die höchste Steigerung deutscher Eigenart, politischen Dingen mit absoluter Weltfremdheit gegenüberstand" und im Adel den berufnen Führer einer Umgestaltung sah, deren Ziele im schärfsten Gegensatz zu dessen eignen Interessen standen. Indem er sich von den Bauern, als diese sich anschickten, die Erfüllung ihrer Wünsche durch Gewalt zu erzwingen, abwandte, nahm er der ganzen Bewegung den einigenden Mittelpunkt. Mit der dadurch bewirkten Kräftigung des Adels und des Fürstentums ging eine erneute Bedrückung des Landvolkes und, nach Preuß' Ausführungen, auch eine nie wieder ausgeglichne Schwächung des ganzen städtischen Wesens Hand in Hand. Noch einmal, im Jahre 1533, brach in Lübeck, dem Hauptorte der Hansa, der Kampf gegen die alte Lehre und gegen das oligarchische Stadtregiment los, Jürgen Wullenwever, „vielleicht der einzige nach Ursprung und Art rein demokratische Staatsmann großen Stiles in der deutschen Geschichte", bemächtigte sich der Herrschaft und suchte die alte Hansa- Politik mit neuen Mitteln fortzusetzen, wurde aber mit Hilfe des Fürstentums und der reaktionären Räte andrer Hansestädte gestürzt. Damit war das Schicksal der Städte und des großartigsten Städtcbundcs besiegelt. Man darf sich heute wohl die Frage vorlegen, welchen Verlauf die deutsche Geschichte genommen hätte, wenn damals eine Verständigung zwischen den deutschen Fürsten und dem seetüchtigen Bürgertum der norddeutschen Handelsstädte erreicht worden wäre. Während anderwärts die Welt verteilt wurde, vergeudete unser Volk seine besten Kräfte in häuslichen Streitigkeiten und versank in die politische Ohnmacht, aus der es sich erst im neunzehnten Jahrhundert wieder aufzuraffen vermochte. Das Sinken des Geldwertes, eine Folge der ungeheuern Zufuhr von Edel¬ metall aus den neuentdeckten Ländern, war für die städtische Bevölkerung gleich¬ bedeutend mit einer Verteuerung der Lebensmittel, von der das Land, das heißt der Großgrundbesitz in den Händen des Adels, den Vorteil hatte. Aber nicht nur der Kleinbürger mit seiner primitiven Produktionsweise erliegt der Not der Zeit, auch „die großen Handelshäuser brechen zusammen; sogar die Welser machen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts Bankrott, während die Fugger geschickt ihre Metamorphose ans bürgerlichen Kaufherren in patrimoniale Grund¬ herren vollziehen". Der alte Gegensatz zwischen Stadt und Land wurde durch das Anwachsen der fürstlichen Territorialgewalt nicht gemildert, sondern verschärft, denn wenn auch das Fürstentum an der Erhaltung der alten städtischen Privilegien nicht das geringste Interesse hatte und die Beseitigung der rechtlichen Schranken zwischen Stadt und Land mit Leichtigkeit hätte vollziehen können, so tat es dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/377>, abgerufen am 22.07.2024.