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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die brasilianische Auswandrungspropaganda in Europa

Wollen wir beurteilen, mit welchen Aussichten auf Erfolg die Brasilianer
ihre Auswandrungspropciganda in Europa aufgenommen haben, so werden
wir zunächst dem Umstände Rechnung tragen müssen, daß hier die wirtschaft¬
liche Konjunktur schon bemerkbar im Niedergang begriffen ist. Die Industrien
haben aufgehört, ihre Produktion zu steigern, in einigen Zweigen ist sie sogar
eingeschränkt worden, und in gleichem Verhältnisse zu diesem Vorgange wächst
die Zahl der Arbeitslosen. Noch schlimmer sieht es in den Vereinigten Staaten
aus, von woher die Arbeitslosen zu Tausenden nach Europa zurückkehren, hier
das Arbeiterangebot vermehrend, während zugleich der übliche Abfluß von
Kräften dorthin stark abnimmt. Es sind also zahlreiche Elemente vorhanden,
die die erste beste Gelegenheit ergreifen, in andern Ländern mit günstigen Be¬
dingungen Erwerb zu suchen. Sind nun die Bedingungen in Brasilien günstig
oder nicht? Das ist die Frage, über die zu entscheiden wäre.

Brasilien mit seinen Millionen Quadratkilometern Flächeninhalt weist
klimatisch und wirtschaftlich so verschiedne Regionen auf, daß wir diese einzeln
betrachten müssen, um eine befriedigende Antwort geben zu können. Nord¬
brasilien mit seinen Tiefebenen und seinem äquatorialen Klima fällt zunächst
ganz aus der Reihe der zu betrachtenden Zonen, da sich dorthin eine nennens¬
werte Auswcmdruug sowieso nicht wendet. Dagegen hat die Kaffeezone Mittel-
brasilicns, insbesondre der Staat Sav Paulo, seit längerer Zeit auf Plantagen¬
arbeiter eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt.

Hier war im allgemeinen die Nachfrage nach Arbeitern stärker als das
vorhandne Angebot, weshalb die Lohnbedingungen, von Krisenzeiten abgesehen,
nicht ungünstig lagen. Italiener, Spanier und auch Polen verdingten sich
zahlreich an Pflanzer und haben großenteils Ersparnisse zu erübrigen vermocht,
mit denen dann viele in ihre Stammheimat zurückkehrten, da der Erwerb ge¬
setzlich gesicherten Landeigentums schwierig und nur ausnahmsweise möglich
war. Diesem Übelstande soll jetzt durch schon eingeleitete Koloniengründung
abgeholfen werden. Und da auch die etwa 30000 in Sav Paulo ansässigen
Deutschredenden sich fast durchweg in guten wirtschaftlichen Verhältnissen be¬
finden, so wäre gegen diesen Staat als Niederlassungsziel nicht das mindeste
einzuwenden, wenn nicht ein neuer Umstand in Erscheinung träte, der zum
mindesten für unbemittelte Elemente, die sich ohne Verdingung als Arbeiter nicht
durchschlage" könnten, die Auswandrung dorthin bedenklich erscheinen läßt.

Die paulistaner Regierung hat nämlich mit japanischen Auswandrungs-
agenten kontraktlich die Einfuhr von Kukis auf Staatskosten vereinbart. Kommt
dieses die Löhne drückende Element ins Land, so ist für europäische Arbeiter
der Arbeitsmarkt verdorben und die Aussicht auf gedeihliches Vorwärtskommen
geschmälert.

Nach Sav Paulo ist Espirito Santo der Staat Mittelbrasiliens, wo
die meisten Deutschredenden zu finden sind. Ihre Zahl wird auf reichlich
15000 geschützt. Sie leben in blühenden Kolonien beisammen und gedeihen


Die brasilianische Auswandrungspropaganda in Europa

Wollen wir beurteilen, mit welchen Aussichten auf Erfolg die Brasilianer
ihre Auswandrungspropciganda in Europa aufgenommen haben, so werden
wir zunächst dem Umstände Rechnung tragen müssen, daß hier die wirtschaft¬
liche Konjunktur schon bemerkbar im Niedergang begriffen ist. Die Industrien
haben aufgehört, ihre Produktion zu steigern, in einigen Zweigen ist sie sogar
eingeschränkt worden, und in gleichem Verhältnisse zu diesem Vorgange wächst
die Zahl der Arbeitslosen. Noch schlimmer sieht es in den Vereinigten Staaten
aus, von woher die Arbeitslosen zu Tausenden nach Europa zurückkehren, hier
das Arbeiterangebot vermehrend, während zugleich der übliche Abfluß von
Kräften dorthin stark abnimmt. Es sind also zahlreiche Elemente vorhanden,
die die erste beste Gelegenheit ergreifen, in andern Ländern mit günstigen Be¬
dingungen Erwerb zu suchen. Sind nun die Bedingungen in Brasilien günstig
oder nicht? Das ist die Frage, über die zu entscheiden wäre.

Brasilien mit seinen Millionen Quadratkilometern Flächeninhalt weist
klimatisch und wirtschaftlich so verschiedne Regionen auf, daß wir diese einzeln
betrachten müssen, um eine befriedigende Antwort geben zu können. Nord¬
brasilien mit seinen Tiefebenen und seinem äquatorialen Klima fällt zunächst
ganz aus der Reihe der zu betrachtenden Zonen, da sich dorthin eine nennens¬
werte Auswcmdruug sowieso nicht wendet. Dagegen hat die Kaffeezone Mittel-
brasilicns, insbesondre der Staat Sav Paulo, seit längerer Zeit auf Plantagen¬
arbeiter eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt.

Hier war im allgemeinen die Nachfrage nach Arbeitern stärker als das
vorhandne Angebot, weshalb die Lohnbedingungen, von Krisenzeiten abgesehen,
nicht ungünstig lagen. Italiener, Spanier und auch Polen verdingten sich
zahlreich an Pflanzer und haben großenteils Ersparnisse zu erübrigen vermocht,
mit denen dann viele in ihre Stammheimat zurückkehrten, da der Erwerb ge¬
setzlich gesicherten Landeigentums schwierig und nur ausnahmsweise möglich
war. Diesem Übelstande soll jetzt durch schon eingeleitete Koloniengründung
abgeholfen werden. Und da auch die etwa 30000 in Sav Paulo ansässigen
Deutschredenden sich fast durchweg in guten wirtschaftlichen Verhältnissen be¬
finden, so wäre gegen diesen Staat als Niederlassungsziel nicht das mindeste
einzuwenden, wenn nicht ein neuer Umstand in Erscheinung träte, der zum
mindesten für unbemittelte Elemente, die sich ohne Verdingung als Arbeiter nicht
durchschlage» könnten, die Auswandrung dorthin bedenklich erscheinen läßt.

Die paulistaner Regierung hat nämlich mit japanischen Auswandrungs-
agenten kontraktlich die Einfuhr von Kukis auf Staatskosten vereinbart. Kommt
dieses die Löhne drückende Element ins Land, so ist für europäische Arbeiter
der Arbeitsmarkt verdorben und die Aussicht auf gedeihliches Vorwärtskommen
geschmälert.

Nach Sav Paulo ist Espirito Santo der Staat Mittelbrasiliens, wo
die meisten Deutschredenden zu finden sind. Ihre Zahl wird auf reichlich
15000 geschützt. Sie leben in blühenden Kolonien beisammen und gedeihen


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[0359] Die brasilianische Auswandrungspropaganda in Europa Wollen wir beurteilen, mit welchen Aussichten auf Erfolg die Brasilianer ihre Auswandrungspropciganda in Europa aufgenommen haben, so werden wir zunächst dem Umstände Rechnung tragen müssen, daß hier die wirtschaft¬ liche Konjunktur schon bemerkbar im Niedergang begriffen ist. Die Industrien haben aufgehört, ihre Produktion zu steigern, in einigen Zweigen ist sie sogar eingeschränkt worden, und in gleichem Verhältnisse zu diesem Vorgange wächst die Zahl der Arbeitslosen. Noch schlimmer sieht es in den Vereinigten Staaten aus, von woher die Arbeitslosen zu Tausenden nach Europa zurückkehren, hier das Arbeiterangebot vermehrend, während zugleich der übliche Abfluß von Kräften dorthin stark abnimmt. Es sind also zahlreiche Elemente vorhanden, die die erste beste Gelegenheit ergreifen, in andern Ländern mit günstigen Be¬ dingungen Erwerb zu suchen. Sind nun die Bedingungen in Brasilien günstig oder nicht? Das ist die Frage, über die zu entscheiden wäre. Brasilien mit seinen Millionen Quadratkilometern Flächeninhalt weist klimatisch und wirtschaftlich so verschiedne Regionen auf, daß wir diese einzeln betrachten müssen, um eine befriedigende Antwort geben zu können. Nord¬ brasilien mit seinen Tiefebenen und seinem äquatorialen Klima fällt zunächst ganz aus der Reihe der zu betrachtenden Zonen, da sich dorthin eine nennens¬ werte Auswcmdruug sowieso nicht wendet. Dagegen hat die Kaffeezone Mittel- brasilicns, insbesondre der Staat Sav Paulo, seit längerer Zeit auf Plantagen¬ arbeiter eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt. Hier war im allgemeinen die Nachfrage nach Arbeitern stärker als das vorhandne Angebot, weshalb die Lohnbedingungen, von Krisenzeiten abgesehen, nicht ungünstig lagen. Italiener, Spanier und auch Polen verdingten sich zahlreich an Pflanzer und haben großenteils Ersparnisse zu erübrigen vermocht, mit denen dann viele in ihre Stammheimat zurückkehrten, da der Erwerb ge¬ setzlich gesicherten Landeigentums schwierig und nur ausnahmsweise möglich war. Diesem Übelstande soll jetzt durch schon eingeleitete Koloniengründung abgeholfen werden. Und da auch die etwa 30000 in Sav Paulo ansässigen Deutschredenden sich fast durchweg in guten wirtschaftlichen Verhältnissen be¬ finden, so wäre gegen diesen Staat als Niederlassungsziel nicht das mindeste einzuwenden, wenn nicht ein neuer Umstand in Erscheinung träte, der zum mindesten für unbemittelte Elemente, die sich ohne Verdingung als Arbeiter nicht durchschlage» könnten, die Auswandrung dorthin bedenklich erscheinen läßt. Die paulistaner Regierung hat nämlich mit japanischen Auswandrungs- agenten kontraktlich die Einfuhr von Kukis auf Staatskosten vereinbart. Kommt dieses die Löhne drückende Element ins Land, so ist für europäische Arbeiter der Arbeitsmarkt verdorben und die Aussicht auf gedeihliches Vorwärtskommen geschmälert. Nach Sav Paulo ist Espirito Santo der Staat Mittelbrasiliens, wo die meisten Deutschredenden zu finden sind. Ihre Zahl wird auf reichlich 15000 geschützt. Sie leben in blühenden Kolonien beisammen und gedeihen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/359>, abgerufen am 03.07.2024.