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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die brasilianische Answandrungspropaganda in Europa

aus gebornen Brasilianern bestehn. Einige Zeitungen machten darauf auf¬
merksam, daß diese Bestimmung gegen die Konstitution des Landes verstößt,
die den naturalisierten Eingewanderten gleiche Rechte mit den Eingebornen ge¬
währt, ausgenommen einzig die passive Wahl zum Staatspräsidenten. Es
durfte also eigentlich ohne Änderung der Verfassung kein Naturalisierter von der
Bekleidung irgendeines Amtes ausgeschlossen werden. Daß dies dennoch geschieht,
ist jedoch vielleicht weniger ein Ausfluß von Nativismus gewesen als die
landesübliche Abwehr gegen die Konkurrenz gebildeter Europäer, die den ämter¬
süchtigen Brasilianern Pfründen wegschnappen konnten. Man will überhaupt
keine Einwandrung gebildeter oder gar Studierter Elemente haben, die als
Ärzte, Techniker, Ingenieure usw. in gefährlichen Wettbewerb mit den ein¬
heimischen Fachleuten treten könnten. Eine englische Zeitung sagt dazu, man
wünsche nur Einwandrer herbei, die als Ersatz für die seit der Sklaven¬
befreiung (1888) Verlornen Nigger dienen können, und versage deshalb durch
allerhand gesetzliche Schikanen den Eingewanderten die Gleichberechtigung.

Die Zentralleitnng der unterdes über Europa verstreuten Propaganda¬
kommission wurde nach Paris verlegt, weil man hier, und in zweiter Linie
auch in Italien, die (nach Lage der Verhältnisse aussichtslose) Hauptaufgabe lösen
will, eine Herabsetzung der Einfuhrzölle auf Kaffee zu erwirken. Brasilianische
Zeitungen berichten, so als ob dies die natürlichste Sache der Welt sei, daß
ein französischer Politiker von der brasilianischen Regierung 250000 Franken
und ein italienischer Geschichtsprofessor (!) 100000 Franken erhalten habe, damit
sie die Kommission in ihrem Vorhaben wirksam unterstützen.

Die Auswandrungskommissare sind schon in den Monaten November und
Dezember über die hauptsächlichsten europäischen Lander verteilt worden lind
haben in Frankreich, Italien, Spanien, Österreich-Ungarn, Deutschland und
Belgien ihre Tätigkeit aufgenommen. Auch nach Portugal und Nußland sollten
welche entsandt werden.

Über den nach Deutschland entsandten Kommissar berichten die brasilianischen
Zeitungen, daß er Hans Heilborn heiße, Lehrer des Griechischen am brasilianischen
Nationalgymnasium sei und eine hochgebildete sprachenkundige Gattin habe,
die als geborne Polin nach Ansicht brasilianischer Staatsmänner besonders ge¬
eignet erscheine, die Auswandrungspropaganda in den polnischen Landesteilen
zu fördern. Herr Heilborn ist übrigens nicht geborner, sondern nur naturali¬
sierter Brasilianer, und seine Ernennung zum Kommissar ist also in Wider¬
spruch zum betreffenden Gesetze geschehen. Es weist das darauf hin, daß man
in brasilianischen Regierungskreisen nicht ganz so exklusivistisch denkt wie die
Urheber des Gesetzes. Mit der Zurücksetzung der Ein gewanderter gegenüber
den Eingebornen ist es wohl überhaupt nicht so schlimm, wie es manchmal
scheinen mag. Die Berichte der in Brasilien ansässigen Deutschen lassen viel¬
mehr erkennen, daß sie sich recht wohl fühlen. Dieses Land weist neben manchen
Mängeln ja auch unbestreitbare Vorzüge auf.


Die brasilianische Answandrungspropaganda in Europa

aus gebornen Brasilianern bestehn. Einige Zeitungen machten darauf auf¬
merksam, daß diese Bestimmung gegen die Konstitution des Landes verstößt,
die den naturalisierten Eingewanderten gleiche Rechte mit den Eingebornen ge¬
währt, ausgenommen einzig die passive Wahl zum Staatspräsidenten. Es
durfte also eigentlich ohne Änderung der Verfassung kein Naturalisierter von der
Bekleidung irgendeines Amtes ausgeschlossen werden. Daß dies dennoch geschieht,
ist jedoch vielleicht weniger ein Ausfluß von Nativismus gewesen als die
landesübliche Abwehr gegen die Konkurrenz gebildeter Europäer, die den ämter¬
süchtigen Brasilianern Pfründen wegschnappen konnten. Man will überhaupt
keine Einwandrung gebildeter oder gar Studierter Elemente haben, die als
Ärzte, Techniker, Ingenieure usw. in gefährlichen Wettbewerb mit den ein¬
heimischen Fachleuten treten könnten. Eine englische Zeitung sagt dazu, man
wünsche nur Einwandrer herbei, die als Ersatz für die seit der Sklaven¬
befreiung (1888) Verlornen Nigger dienen können, und versage deshalb durch
allerhand gesetzliche Schikanen den Eingewanderten die Gleichberechtigung.

Die Zentralleitnng der unterdes über Europa verstreuten Propaganda¬
kommission wurde nach Paris verlegt, weil man hier, und in zweiter Linie
auch in Italien, die (nach Lage der Verhältnisse aussichtslose) Hauptaufgabe lösen
will, eine Herabsetzung der Einfuhrzölle auf Kaffee zu erwirken. Brasilianische
Zeitungen berichten, so als ob dies die natürlichste Sache der Welt sei, daß
ein französischer Politiker von der brasilianischen Regierung 250000 Franken
und ein italienischer Geschichtsprofessor (!) 100000 Franken erhalten habe, damit
sie die Kommission in ihrem Vorhaben wirksam unterstützen.

Die Auswandrungskommissare sind schon in den Monaten November und
Dezember über die hauptsächlichsten europäischen Lander verteilt worden lind
haben in Frankreich, Italien, Spanien, Österreich-Ungarn, Deutschland und
Belgien ihre Tätigkeit aufgenommen. Auch nach Portugal und Nußland sollten
welche entsandt werden.

Über den nach Deutschland entsandten Kommissar berichten die brasilianischen
Zeitungen, daß er Hans Heilborn heiße, Lehrer des Griechischen am brasilianischen
Nationalgymnasium sei und eine hochgebildete sprachenkundige Gattin habe,
die als geborne Polin nach Ansicht brasilianischer Staatsmänner besonders ge¬
eignet erscheine, die Auswandrungspropaganda in den polnischen Landesteilen
zu fördern. Herr Heilborn ist übrigens nicht geborner, sondern nur naturali¬
sierter Brasilianer, und seine Ernennung zum Kommissar ist also in Wider¬
spruch zum betreffenden Gesetze geschehen. Es weist das darauf hin, daß man
in brasilianischen Regierungskreisen nicht ganz so exklusivistisch denkt wie die
Urheber des Gesetzes. Mit der Zurücksetzung der Ein gewanderter gegenüber
den Eingebornen ist es wohl überhaupt nicht so schlimm, wie es manchmal
scheinen mag. Die Berichte der in Brasilien ansässigen Deutschen lassen viel¬
mehr erkennen, daß sie sich recht wohl fühlen. Dieses Land weist neben manchen
Mängeln ja auch unbestreitbare Vorzüge auf.


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[0358] Die brasilianische Answandrungspropaganda in Europa aus gebornen Brasilianern bestehn. Einige Zeitungen machten darauf auf¬ merksam, daß diese Bestimmung gegen die Konstitution des Landes verstößt, die den naturalisierten Eingewanderten gleiche Rechte mit den Eingebornen ge¬ währt, ausgenommen einzig die passive Wahl zum Staatspräsidenten. Es durfte also eigentlich ohne Änderung der Verfassung kein Naturalisierter von der Bekleidung irgendeines Amtes ausgeschlossen werden. Daß dies dennoch geschieht, ist jedoch vielleicht weniger ein Ausfluß von Nativismus gewesen als die landesübliche Abwehr gegen die Konkurrenz gebildeter Europäer, die den ämter¬ süchtigen Brasilianern Pfründen wegschnappen konnten. Man will überhaupt keine Einwandrung gebildeter oder gar Studierter Elemente haben, die als Ärzte, Techniker, Ingenieure usw. in gefährlichen Wettbewerb mit den ein¬ heimischen Fachleuten treten könnten. Eine englische Zeitung sagt dazu, man wünsche nur Einwandrer herbei, die als Ersatz für die seit der Sklaven¬ befreiung (1888) Verlornen Nigger dienen können, und versage deshalb durch allerhand gesetzliche Schikanen den Eingewanderten die Gleichberechtigung. Die Zentralleitnng der unterdes über Europa verstreuten Propaganda¬ kommission wurde nach Paris verlegt, weil man hier, und in zweiter Linie auch in Italien, die (nach Lage der Verhältnisse aussichtslose) Hauptaufgabe lösen will, eine Herabsetzung der Einfuhrzölle auf Kaffee zu erwirken. Brasilianische Zeitungen berichten, so als ob dies die natürlichste Sache der Welt sei, daß ein französischer Politiker von der brasilianischen Regierung 250000 Franken und ein italienischer Geschichtsprofessor (!) 100000 Franken erhalten habe, damit sie die Kommission in ihrem Vorhaben wirksam unterstützen. Die Auswandrungskommissare sind schon in den Monaten November und Dezember über die hauptsächlichsten europäischen Lander verteilt worden lind haben in Frankreich, Italien, Spanien, Österreich-Ungarn, Deutschland und Belgien ihre Tätigkeit aufgenommen. Auch nach Portugal und Nußland sollten welche entsandt werden. Über den nach Deutschland entsandten Kommissar berichten die brasilianischen Zeitungen, daß er Hans Heilborn heiße, Lehrer des Griechischen am brasilianischen Nationalgymnasium sei und eine hochgebildete sprachenkundige Gattin habe, die als geborne Polin nach Ansicht brasilianischer Staatsmänner besonders ge¬ eignet erscheine, die Auswandrungspropaganda in den polnischen Landesteilen zu fördern. Herr Heilborn ist übrigens nicht geborner, sondern nur naturali¬ sierter Brasilianer, und seine Ernennung zum Kommissar ist also in Wider¬ spruch zum betreffenden Gesetze geschehen. Es weist das darauf hin, daß man in brasilianischen Regierungskreisen nicht ganz so exklusivistisch denkt wie die Urheber des Gesetzes. Mit der Zurücksetzung der Ein gewanderter gegenüber den Eingebornen ist es wohl überhaupt nicht so schlimm, wie es manchmal scheinen mag. Die Berichte der in Brasilien ansässigen Deutschen lassen viel¬ mehr erkennen, daß sie sich recht wohl fühlen. Dieses Land weist neben manchen Mängeln ja auch unbestreitbare Vorzüge auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/358>, abgerufen am 01.07.2024.