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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die brasilianische Auswandrungsxropaganda in Europa

sowohl gesundheitlich wie wirtschaftlich vortrefflich. Darüber herrscht nur eine
Stimme. In Mincis Gercies dürften ferner 5000 oder 6000 Deutschredende
ansässig sein, denen es ebenfalls gut geht. Das dortige Hochlandklima wird
sogar als das schönste der Erde geschildert. Die Sterblichkeit ist in manchen
Gegenden überraschend gering, und vielleicht in keinem andern Lande der Welt
trifft man so zahlreiche steinalte Leute (oft von hundert Jahren und mehr) an
wie dort. In Rio de Janeiro, Stadt und Staat zusammen, mögen etwa
8000 Deutschredende vorhanden sein. Die Bewohner der einstigen deutschen
Kolonie Neu-Freiburg sind im Laufe der Generationen ganz im portugiesischen
Sprachstämme aufgegangen, was nicht zugunsten der Ansiedlung numerisch
schwacher Auswandrertrupps in Koloniegebieten spricht, die keine räumliche
Ausdehnungsmöglichkeit ausweisen. In Petropolis halten sich die Deutschen
besser, und ihre wirtschaftlichen Lebensverhältnisse werden allseitig als günstig
geschildert. Auch das Klima ist zuträglich.

Damit ist die Zahl der Kaffeestaaten voll. Auch die drei zuletzt genannten
sind mit Gründung von Kolonien beschäftigt, von denen einige ganz für deutsche
Elemente reserviert werden sollen. Unglücklicherweise ist auch hier Mongolen-
einwandrung in Aussicht genommen, sodaß mittellosen Leuten, die anfänglich,
zum mindesten zeitweise, ans Übernahme von Lohnarbeit angewiesen wären,
die Einwcmdrnng nicht anzuraten ist. Was bemittelte betrifft, so langen
sie erfahrungsgemäß nicht in brasilianische Kolonien hinein, die überall speziell
auf Ansiedlung kleiner selbstarbeitender Leute mit geringen Ansprüchen be¬
rechnet sind.

Es bleibt noch Südbrasilien zu erwähnen übrig. In Parana sind neben
etwa 20000 Deutschen gegen 70000 Polen ansässig, denen es nicht übel geht.
In Santa Catharina leben rund 100000 Deutsche meist in geschlossenen An-
siedlungen beisammen. Durch den deutschen Bahnbau Blumenau-Hammonia
wird in Kürze die junge und fruchtbare deutsche Kolonie Hansa dem Verkehr
erschlossen werden. Heute ist diese Siedlung erst in den Anfängen der Ent¬
wicklung. Es kann ihr eine günstige wirtschaftliche Zukunft vorausgesagt
werden. Das Klima ist ebenfalls eins der herrlichsten und gesündesten der
Welt. Endlich ist auch Rio Grande do Suk empfehlenswert, wo 180000 bis
200000 Deutschredende leben mögen. Gegenwärtig ist dort Dr. Herrmann
Meyer mit Besiedlung der Kolonien Neu-Württemberg und Xingu beschäftigt,
in deren Nähe die im Bau begriffne Bahn Sav Paulo-Rio Grande vorbei¬
führen wird.

Kurz und gut, Mittel- und Südbrasilien weisen Vorzüge auf, die diese
Gebiete als an und für sich günstige Niederlassungsziele erscheinen lassen. Aber
solange in Mittelbrasilien Mongoleneinwcmdrung droht, kann dieses Nieder¬
lassungsziel höchstens bemittelten Leuten empfohlen werden, die als Pflanzer
dort wirtschaften wollen. Dagegen finden in Südbrasilien auch un- oder schwach¬
bemittelte Leute, die an schwere Arbeit gewöhnt sind, eine erträgliche Zukunft.


Die brasilianische Auswandrungsxropaganda in Europa

sowohl gesundheitlich wie wirtschaftlich vortrefflich. Darüber herrscht nur eine
Stimme. In Mincis Gercies dürften ferner 5000 oder 6000 Deutschredende
ansässig sein, denen es ebenfalls gut geht. Das dortige Hochlandklima wird
sogar als das schönste der Erde geschildert. Die Sterblichkeit ist in manchen
Gegenden überraschend gering, und vielleicht in keinem andern Lande der Welt
trifft man so zahlreiche steinalte Leute (oft von hundert Jahren und mehr) an
wie dort. In Rio de Janeiro, Stadt und Staat zusammen, mögen etwa
8000 Deutschredende vorhanden sein. Die Bewohner der einstigen deutschen
Kolonie Neu-Freiburg sind im Laufe der Generationen ganz im portugiesischen
Sprachstämme aufgegangen, was nicht zugunsten der Ansiedlung numerisch
schwacher Auswandrertrupps in Koloniegebieten spricht, die keine räumliche
Ausdehnungsmöglichkeit ausweisen. In Petropolis halten sich die Deutschen
besser, und ihre wirtschaftlichen Lebensverhältnisse werden allseitig als günstig
geschildert. Auch das Klima ist zuträglich.

Damit ist die Zahl der Kaffeestaaten voll. Auch die drei zuletzt genannten
sind mit Gründung von Kolonien beschäftigt, von denen einige ganz für deutsche
Elemente reserviert werden sollen. Unglücklicherweise ist auch hier Mongolen-
einwandrung in Aussicht genommen, sodaß mittellosen Leuten, die anfänglich,
zum mindesten zeitweise, ans Übernahme von Lohnarbeit angewiesen wären,
die Einwcmdrnng nicht anzuraten ist. Was bemittelte betrifft, so langen
sie erfahrungsgemäß nicht in brasilianische Kolonien hinein, die überall speziell
auf Ansiedlung kleiner selbstarbeitender Leute mit geringen Ansprüchen be¬
rechnet sind.

Es bleibt noch Südbrasilien zu erwähnen übrig. In Parana sind neben
etwa 20000 Deutschen gegen 70000 Polen ansässig, denen es nicht übel geht.
In Santa Catharina leben rund 100000 Deutsche meist in geschlossenen An-
siedlungen beisammen. Durch den deutschen Bahnbau Blumenau-Hammonia
wird in Kürze die junge und fruchtbare deutsche Kolonie Hansa dem Verkehr
erschlossen werden. Heute ist diese Siedlung erst in den Anfängen der Ent¬
wicklung. Es kann ihr eine günstige wirtschaftliche Zukunft vorausgesagt
werden. Das Klima ist ebenfalls eins der herrlichsten und gesündesten der
Welt. Endlich ist auch Rio Grande do Suk empfehlenswert, wo 180000 bis
200000 Deutschredende leben mögen. Gegenwärtig ist dort Dr. Herrmann
Meyer mit Besiedlung der Kolonien Neu-Württemberg und Xingu beschäftigt,
in deren Nähe die im Bau begriffne Bahn Sav Paulo-Rio Grande vorbei¬
führen wird.

Kurz und gut, Mittel- und Südbrasilien weisen Vorzüge auf, die diese
Gebiete als an und für sich günstige Niederlassungsziele erscheinen lassen. Aber
solange in Mittelbrasilien Mongoleneinwcmdrung droht, kann dieses Nieder¬
lassungsziel höchstens bemittelten Leuten empfohlen werden, die als Pflanzer
dort wirtschaften wollen. Dagegen finden in Südbrasilien auch un- oder schwach¬
bemittelte Leute, die an schwere Arbeit gewöhnt sind, eine erträgliche Zukunft.


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[0360] Die brasilianische Auswandrungsxropaganda in Europa sowohl gesundheitlich wie wirtschaftlich vortrefflich. Darüber herrscht nur eine Stimme. In Mincis Gercies dürften ferner 5000 oder 6000 Deutschredende ansässig sein, denen es ebenfalls gut geht. Das dortige Hochlandklima wird sogar als das schönste der Erde geschildert. Die Sterblichkeit ist in manchen Gegenden überraschend gering, und vielleicht in keinem andern Lande der Welt trifft man so zahlreiche steinalte Leute (oft von hundert Jahren und mehr) an wie dort. In Rio de Janeiro, Stadt und Staat zusammen, mögen etwa 8000 Deutschredende vorhanden sein. Die Bewohner der einstigen deutschen Kolonie Neu-Freiburg sind im Laufe der Generationen ganz im portugiesischen Sprachstämme aufgegangen, was nicht zugunsten der Ansiedlung numerisch schwacher Auswandrertrupps in Koloniegebieten spricht, die keine räumliche Ausdehnungsmöglichkeit ausweisen. In Petropolis halten sich die Deutschen besser, und ihre wirtschaftlichen Lebensverhältnisse werden allseitig als günstig geschildert. Auch das Klima ist zuträglich. Damit ist die Zahl der Kaffeestaaten voll. Auch die drei zuletzt genannten sind mit Gründung von Kolonien beschäftigt, von denen einige ganz für deutsche Elemente reserviert werden sollen. Unglücklicherweise ist auch hier Mongolen- einwandrung in Aussicht genommen, sodaß mittellosen Leuten, die anfänglich, zum mindesten zeitweise, ans Übernahme von Lohnarbeit angewiesen wären, die Einwcmdrnng nicht anzuraten ist. Was bemittelte betrifft, so langen sie erfahrungsgemäß nicht in brasilianische Kolonien hinein, die überall speziell auf Ansiedlung kleiner selbstarbeitender Leute mit geringen Ansprüchen be¬ rechnet sind. Es bleibt noch Südbrasilien zu erwähnen übrig. In Parana sind neben etwa 20000 Deutschen gegen 70000 Polen ansässig, denen es nicht übel geht. In Santa Catharina leben rund 100000 Deutsche meist in geschlossenen An- siedlungen beisammen. Durch den deutschen Bahnbau Blumenau-Hammonia wird in Kürze die junge und fruchtbare deutsche Kolonie Hansa dem Verkehr erschlossen werden. Heute ist diese Siedlung erst in den Anfängen der Ent¬ wicklung. Es kann ihr eine günstige wirtschaftliche Zukunft vorausgesagt werden. Das Klima ist ebenfalls eins der herrlichsten und gesündesten der Welt. Endlich ist auch Rio Grande do Suk empfehlenswert, wo 180000 bis 200000 Deutschredende leben mögen. Gegenwärtig ist dort Dr. Herrmann Meyer mit Besiedlung der Kolonien Neu-Württemberg und Xingu beschäftigt, in deren Nähe die im Bau begriffne Bahn Sav Paulo-Rio Grande vorbei¬ führen wird. Kurz und gut, Mittel- und Südbrasilien weisen Vorzüge auf, die diese Gebiete als an und für sich günstige Niederlassungsziele erscheinen lassen. Aber solange in Mittelbrasilien Mongoleneinwcmdrung droht, kann dieses Nieder¬ lassungsziel höchstens bemittelten Leuten empfohlen werden, die als Pflanzer dort wirtschaften wollen. Dagegen finden in Südbrasilien auch un- oder schwach¬ bemittelte Leute, die an schwere Arbeit gewöhnt sind, eine erträgliche Zukunft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/360>, abgerufen am 04.07.2024.