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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Z)le brasilianische Auswandrungspropaganda
in Europa

MM
^M.^>n Brasilien ist nach einer mehr als zehnjährigen nativistischen
Ära die Stimmung seit dem Regierungsantritte des Präsidenten
Affonso Penna (15. November 1906) nach und nach wieder fremden¬
freundlich geworden. Wahrend man früher von Kolonisation fast
I nichts mehr wissen wollte und die Einwandrung möglichst auf
die Einfuhr von südeuropäischen Plantagenarbeitern beschränkte, arbeitete die
Negierung des neuen Präsidenten einen Entwurf aus, der die Bevölkerung des
Landes mit seßhaften Elementen zum Ziele hat und im vorigen Jahre vom
Nationalkongreß zum Gesetz erhoben worden ist. Fiir die Zwecke der Ko¬
lonisation, der Gewährung freier Seereise an Einwandrer und der Propaganda
in Europa und Ostasien ist eine Summe von 6 Millionen Milreis (etwa
7^2 Millionen Mark) ausgeworfen worden. Die Kolonisation, die bald nach
Gründung der Republik (1889) den Einzelstaaten überlassen worden war,
wurde wieder zu einem Dienstzweige der Bundesregierung erhoben, die nun
die Staaten und Privatgesellschaften bei Siedlungsunteruehmungen unterstützt
und ihnen für Seßhaftmachung eingewanderter Ackerbauer unter gewissen Be¬
dingungen pekuniäre Beihilfen leistet. Ein entschieden auf Kolonisation be¬
schränktes System ist jedoch nicht adoptiert worden, da auch die Ansprüche der
Pflanzer auf den Zuzug von Arbeiterelementen zu berücksichtigen waren. Das
macht um so mehr eine vorsichtige Beurteilung der neuen Sachlage notwendig,
als man neben europäischen auch mongolische Arbeiter ins Land zu ziehen im
Begriff ist.

Ferner ist die Einwandrungspropagcmda mit der Propaganda zugunsten
eines höhern ausländischen Konsums brasilianischer Produkte, besonders des
Kaffees, verquickt worden. Es wurde eine Kommission von achtundzwanzig Per¬
sonen nach Europa entsandt, die unter Führung des Politikers Paula Ramos steht
und ihren Zentralsitz in Paris erhielt. Die Zusammensetzung der Kommission ist
charakteristisch; sie soll nach einem Beschlusse des Nationalkongresses ausschließlich


Grenzboten I 1908 46


Z)le brasilianische Auswandrungspropaganda
in Europa

MM
^M.^>n Brasilien ist nach einer mehr als zehnjährigen nativistischen
Ära die Stimmung seit dem Regierungsantritte des Präsidenten
Affonso Penna (15. November 1906) nach und nach wieder fremden¬
freundlich geworden. Wahrend man früher von Kolonisation fast
I nichts mehr wissen wollte und die Einwandrung möglichst auf
die Einfuhr von südeuropäischen Plantagenarbeitern beschränkte, arbeitete die
Negierung des neuen Präsidenten einen Entwurf aus, der die Bevölkerung des
Landes mit seßhaften Elementen zum Ziele hat und im vorigen Jahre vom
Nationalkongreß zum Gesetz erhoben worden ist. Fiir die Zwecke der Ko¬
lonisation, der Gewährung freier Seereise an Einwandrer und der Propaganda
in Europa und Ostasien ist eine Summe von 6 Millionen Milreis (etwa
7^2 Millionen Mark) ausgeworfen worden. Die Kolonisation, die bald nach
Gründung der Republik (1889) den Einzelstaaten überlassen worden war,
wurde wieder zu einem Dienstzweige der Bundesregierung erhoben, die nun
die Staaten und Privatgesellschaften bei Siedlungsunteruehmungen unterstützt
und ihnen für Seßhaftmachung eingewanderter Ackerbauer unter gewissen Be¬
dingungen pekuniäre Beihilfen leistet. Ein entschieden auf Kolonisation be¬
schränktes System ist jedoch nicht adoptiert worden, da auch die Ansprüche der
Pflanzer auf den Zuzug von Arbeiterelementen zu berücksichtigen waren. Das
macht um so mehr eine vorsichtige Beurteilung der neuen Sachlage notwendig,
als man neben europäischen auch mongolische Arbeiter ins Land zu ziehen im
Begriff ist.

Ferner ist die Einwandrungspropagcmda mit der Propaganda zugunsten
eines höhern ausländischen Konsums brasilianischer Produkte, besonders des
Kaffees, verquickt worden. Es wurde eine Kommission von achtundzwanzig Per¬
sonen nach Europa entsandt, die unter Führung des Politikers Paula Ramos steht
und ihren Zentralsitz in Paris erhielt. Die Zusammensetzung der Kommission ist
charakteristisch; sie soll nach einem Beschlusse des Nationalkongresses ausschließlich


Grenzboten I 1908 46
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[0357] [Abbildung] Z)le brasilianische Auswandrungspropaganda in Europa MM ^M.^>n Brasilien ist nach einer mehr als zehnjährigen nativistischen Ära die Stimmung seit dem Regierungsantritte des Präsidenten Affonso Penna (15. November 1906) nach und nach wieder fremden¬ freundlich geworden. Wahrend man früher von Kolonisation fast I nichts mehr wissen wollte und die Einwandrung möglichst auf die Einfuhr von südeuropäischen Plantagenarbeitern beschränkte, arbeitete die Negierung des neuen Präsidenten einen Entwurf aus, der die Bevölkerung des Landes mit seßhaften Elementen zum Ziele hat und im vorigen Jahre vom Nationalkongreß zum Gesetz erhoben worden ist. Fiir die Zwecke der Ko¬ lonisation, der Gewährung freier Seereise an Einwandrer und der Propaganda in Europa und Ostasien ist eine Summe von 6 Millionen Milreis (etwa 7^2 Millionen Mark) ausgeworfen worden. Die Kolonisation, die bald nach Gründung der Republik (1889) den Einzelstaaten überlassen worden war, wurde wieder zu einem Dienstzweige der Bundesregierung erhoben, die nun die Staaten und Privatgesellschaften bei Siedlungsunteruehmungen unterstützt und ihnen für Seßhaftmachung eingewanderter Ackerbauer unter gewissen Be¬ dingungen pekuniäre Beihilfen leistet. Ein entschieden auf Kolonisation be¬ schränktes System ist jedoch nicht adoptiert worden, da auch die Ansprüche der Pflanzer auf den Zuzug von Arbeiterelementen zu berücksichtigen waren. Das macht um so mehr eine vorsichtige Beurteilung der neuen Sachlage notwendig, als man neben europäischen auch mongolische Arbeiter ins Land zu ziehen im Begriff ist. Ferner ist die Einwandrungspropagcmda mit der Propaganda zugunsten eines höhern ausländischen Konsums brasilianischer Produkte, besonders des Kaffees, verquickt worden. Es wurde eine Kommission von achtundzwanzig Per¬ sonen nach Europa entsandt, die unter Führung des Politikers Paula Ramos steht und ihren Zentralsitz in Paris erhielt. Die Zusammensetzung der Kommission ist charakteristisch; sie soll nach einem Beschlusse des Nationalkongresses ausschließlich Grenzboten I 1908 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/357>, abgerufen am 29.06.2024.